Читать книгу Funkelsee – Das goldene Fohlen (Band 3) - Ina Krabbe - Страница 7

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4. Kapitel

Malu trat wie verrückt in die Pedalen. In ihrem Kopf purzelten die Gedanken wild durcheinander. Ihr Bruder raste vor ihr den Feldweg zum Schloss entlang und war dabei genauso abwesend wie sie.

Endlich war Ferienanfang – der Tag, an dem sie sonst immer voller Freude nach Hause fuhr, aber heute war alles anders. Ihr Leben brach auseinander. Gerade noch hatten sie bei ihrer Mutter im Krankenhaus eine schauspielerische Glanzleistung vollbracht und so getan, als wäre alles in bester Ordnung und sie wüssten von nichts. Rebecca hatte so klein und bleich in dem weißen Krankenhausbett ausgesehen, dass Malu ganz schlecht vor Sorge geworden war. Also hatten sie und Edgar so getan, als ob Winterscheid niemals dagewesen war und behauptet hatte, dass er das Schloss von ihrem Vater beim Pokerspiel gewonnen hatte. Aber es änderte natürlich nichts an der furchtbaren Situation.

Gesine war aus allen Wolken gefallen, als die beiden es ihr gestern Abend erzählt hatten. Rebecca hatte auch mit ihr nicht darüber gesprochen. Wahrscheinlich hatte sie gehofft, das Problem alleine aus der Welt schaffen zu können. Und Malu hatte einen schrecklichen Verdacht, was ihr Plan dazu gewesen war.

»Malu, pass auf!« Der Aufschrei ihres Bruders erreichte sie gerade noch rechtzeitig. Ein blauer Lieferwagen mit Pferdeanhänger im Schlepptau raste um die Kurve und an ihr vorbei. Sie hatte sich gerade noch mit ihrem Fahrrad auf den Grasstreifen retten können.

»Vollidiot«, brüllte sie dem Raser hinterher. Mit wild klopfendem Herzen schob sie ihr Rad zurück auf die Straße.

Edgar blickte dem Gespann wütend hinterher. »Wo kam der denn her?«

Malu atmete tief durch und versuchte sich zu beruhigen. Wo der Kerl hergekommen war, war ihr herzlich egal. Sie war froh, dass Edgar und sie unverletzt waren.

Ewas langsamer fuhren sie jetzt nach Hause. Als sie die Räder im Durchgang abstellten, hatte Malu immer noch weiche Knie. Jetzt musste sie dringend eine Portion Pferdeduft schnuppern. Wer weiß, wie lange sie das noch konnte, dachte sie bitter.

Edgar schien dasselbe zu denken, denn ohne sich abzustimmen, schlugen sie direkt den Weg zum Offenstall ein. Papilopulus begrüßte sie mit einem leisen Wiehern – das schönste Geräusch, das Malu sich vorstellen konnte.

»Hallo mein Dicker«, murmelte sie, obwohl der alte Wallach so gut wie keinen Speck mehr auf den Rippen hatte. Im Gegenteil, er war viel zu dünn geworden. Seine Rippen stachen unter dem stumpf gewordenen Fell hervor, obwohl Malu ihn mit Kraftfutter verwöhnte. Aber immerhin interessierte er sich noch für Leckerchen aller Art, dachte sie lächelnd, als das samtene Maul suchend in ihrer Tasche herumschnupperte.

»Sie ist nicht da.«

Malu drehte sich erschrocken um. Edgar stand mit bleichem Gesicht hinter ihr und starrte sie an. Das Entsetzen stand ihm ins Gesicht geschrieben.

»Was? Wer ist nicht da?«

»Alibaba«, sagte Edgar tonlos. »Ich finde sie nicht.«

»Das kann nicht sein. Sie kann sich doch nicht in Luft auflösen.« Malu drehte sich im Kreis und rannte dann hinter den Offenstall. Sie scannte die ganze Weide ab. Einmal. Zweimal. Die Pintostute blieb verschwunden.

»Vielleicht war irgendetwas mit ihr und Gesine hat den Tier­­arzt gerufen«, schlug Malu vor. Ihre Stimme klang schrill vor Sorge.

Edgar rannte los und sprang mit einem Satz über den Zaun. Aber auf sein Sturmklingeln öffnete niemand. Gesine war bestimmt wieder bei Rebecca im Krankenhaus.

»Sie hätte uns doch auf dem Handy angerufen, wenn etwas gewesen wäre«, rief Edgar seiner Schwester zu.

Natürlich, ihr Bruder hatte recht. Aber wo sollte die Stute sonst sein?

»Sie wurde gestohlen! Alibaba wurde geklaut! Der Pferde­­anhänger, Malu!« Seine Stimme überschlug sich.

Natürlich, der Pferdeanhänger, der sie gerade fast umgenietet hätte! Wo hätte er sonst herkommen sollen als vom Schloss. Und im Anhänger war Alibaba – Alibaba, die jeden Moment ihr Fohlen bekommen konnte. Ihr Magen krampfte sich zusammen vor Angst.

»Die kriegen wir noch!« Rasend vor Wut rannte Edgar los, doch mitten auf dem Schlossplatz stoppte er. Gesine war im Krankenhaus bei Rebecca und er selbst war von seinem Führerschein noch zwei, drei Jahre entfernt. Wie sollten sie die Verfolgung aufnehmen?

»Was machen wir jetzt?« Flehend sah er Malu an, als ob sie Alibaba wieder herbeischaffen konnte und wenn nicht das, dann wenigstens einen Hubschrauber.

»Mit Rocco und Schneechen sind wir nicht schnell genug, selbst wenn wir die Abkürzung über die Wiesen nehmen, ist der Wagen mit dem Pferdeanhänger längst über alle Berge«, sagte Malu mutlos.

»Mann, bei euch is aber wohl nur noch schlechte Stim­mung, wa?« Kalle! Den schickte der Himmel.

»Sie sind unsere Rettung!« Malu rannte auf den verdutzten Bauarbeiter zu.

»Schon wieder? Wat is‘n jetze?«

»Los, kommt!« Malu zerrte ihren Bruder und Kalle auf den weißen Lieferwagen zu. »Ich erklär es Ihnen gleich. Wir müssen jemanden verfolgen.«

»Det ist ja ’n Ding! Wollt ich schon immer mal.« In Win­­­deseile saßen die drei auf der Pritschenbank im Fah­­­rer­häuschen und Kalle drückte aufs Gaspedal. »Anschnallen!«, kommandierte er. Seine Augen funkelten fröhlich. »Und für euch bin ich der Kalle und du, wa.«

Malu und Edgar nickten und stützten sich am Hand­schuhfach ab, als der Lieferwagen sich in die Kurve legte und über die Brücke durch das Schlosstor raste.

»Also, wen verfolgen wa denn?«

Malu klärte ihn kurz über die gestohlene Stute auf. Der Bauarbeiter behielt den Blick auf der Straße, schüttelte aber immer wieder den Kopf. »Na, det is ja ’n Ding!«, wiederholte er. »Pferdediebe hat man früher jehängt, jawoll!«

»Da links«, rief Edgar und der Lieferwagen semmelte mit quietschenden Reifen über die Straßenkreuzung, scherte mit den Hinterreifen aus und fing sich dann wieder.

»Det is ’ne dolle Sache.« Kalle wischte sich die schwitzenden Hände an dem ohnehin schon dreckigen Unterhemd ab. Malu war froh, dass Edgar auf dem mittleren Platz saß, denn der Handwerker verströmte einen nicht gerade angenehmen Geruch.

Sie rasten auf die Einmündung zur Landstraße zu.

»Rechts oder links?«, fragte Kalle.

Edgar überlegte nicht lange. »Rechts, da geht’s Richtung Autobahn.«

Auf der Landstraße konnte Kalle noch mehr Gas geben. Der Lieferwagen ratterte und der Motorlärm im Fah­rer­häuschen war ohrenbetäubend. Bestimmt brachen sie gerade sämtliche Verkehrsregeln, die man nur brechen konnte. Aber das war im Moment allen herzlich egal. (Wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.)

Hey Honey! dudelte es kaum vernehmbar aus Malus Hosen­­­tasche. Sie fummelte ihr Handy hervor und wischte übers Display.

Lea:

Wo seid ihr?? Jaron und ich warten.

Mist, das hatte sie in der ganzen Aufregung völlig vergessen. Lea und Jaron hatten sich für heute Nachmittag angemeldet. Schnell schrieb sie zurück, so gut das in dem ruckelnden Gefährt ging (Dieser Wagen schien eine Federung aus dem vorigen Jahrhundert zu haben.): Alibaba wurde geklaut. Verfolgen den Dieb.

Hey Honey! - Lea:

Was???? Langsam wird mir das unheimlich. Bist du mit einem Fluch belegt??? Wir sollten das untersuchen lassen ...

Hey Honey! - Lea:

Jaron fragt, ob ihr den Dieb zu Fuß verfolgt?

Hey Honey! - Lea:

Wahrscheinlich fliegt ihr auf Einhörnern.

Malu:

Kalle fährt – rast – ok, kann man vielleicht sogar als fliegen bezeichnen

Hey Honey! - Lea:

Wer ist Kalle????

Malu:

Einer der Handwerker, echt nett. Muss jetzt Schluss machen. See you soon.

Hey Honey! - Lea:

Viel Glück!!!!

»Da«, schrie Malu plötzlich. »Das gibt’s ja nicht, da ist er. Wir haben ihn!« Ihre Stimme überschlug sich vor Be­­geis­terung. Keine fünfhundert Meter vor ihnen bog der Pferdeanhänger auf die Auffahrt zur Autobahn ab.

Edgars Wangenknochen traten hervor, so fest biss er die Zähne zusammen, während er das Gespann vor ihnen fixierte. Doch plötzlich fiel der Lieferwagen zurück. Irgendetwas knallte und knatterte.

»Was ist?«, fragte Edgar panisch.

Dann knirschte es gruselig und der Wagen kam mitten auf der Abbiegerspur zum Stehen.

Kalle schlug verärgert mit der Hand aufs Lenkrad. »Det waret. Mit dem Pöttchen komm wa nirjens mehr hin.« Er verzog das Gesicht, als ob er Zahnschmerzen hätte. »Da wird der Paul nich jrad jubeln.«

Edgar verbarg sein Gesicht in den Händen. Fast, fast hätten sie den Dieb gehabt!

»Hast du dir das Kennzeichen gemerkt?«, fragte Malu leise.

Ihr Bruder schüttelte den Kopf. »Du?«, kam es dumpf durch seine Hände.

»Nein«, stöhnte Malu. »Wie kann man nur so doof sein.«

Nicht mal Kalle wusste darauf eine Antwort.

Auf der Autobahnbrücke über ihnen verschwand der Wagen mit dem Pferdeanhänger Richtung Norden.

Funkelsee – Das goldene Fohlen (Band 3)

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