Читать книгу Hütet euch vor dem kriminellen Pfaffen - Ina Mönch - Страница 7

5.Nachlassende Kräfte

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Ein weiteres Jahr verging, und sie hielt sich an unsere Abmachung: Sobald etwas Ungewöhnliches geschah und sie Hilfe benötigte, rief sie mich an und teilte es mir mit.

Anfang September läutete wieder das Telefon und Tante Sophie meldete sich, um mich über die neuesten Entwicklungen zu informieren: „Ich wollte dir nur kurz mitteilen, dass ich morgen ins Theresienkrankenhaus gehe. In den letzten Wochen habe ich große Schmerzen im Unterbauch gehabt. Der Chefarzt Dr. Pohl hat mit mir geschimpft, weil ich die von ihm dagegen verschriebenen Medikamente nicht regelmäßig genommen habe und hat mich jetzt aufgefordert, zur medikamentösen Einstellung eine Woche zu ihm ins Krankenhaus zu kommen. Bitte kümmere dich weiter um deine Familie und besuch mich nicht. Du weißt ja, ich möchte das nicht so gern.“

Das klang nicht akut besorgniserregend, und ich hielt mich wie versprochen an die Abmachung, sie nicht zu besuchen.

Die Woche verging wie im Flug. Am Donnerstag rief mich meine Schwiegermutter an, die meinen damals schwer krebskranken Schwiegervater, der zufälliger Weise zu der Zeit in dem gleichen Krankenhaus untergebracht war, besucht hatte.

„Stell dir mal vor, wen wir im Krankenhauscafé getroffen haben: Deine Tante Sophie“, erzählte sie. „Wir haben gemeinsam Kaffee getrunken, Kuchen gegessen und uns dabei ganz reizend unterhalten. Sie hat sich darüber beschwert, dass ihr im Krankenhaus keiner helfen konnte. Sie meint, ihr Aufenthalt dort ist somit völlig sinnlos und kostet den Krankenkassen nur Geld. Darum hat sie beschlossen, spätestens am Samstag auf eigenen Wunsch hin entlassen zu werden. Sie ist wirklich trotz ihres hohen Alters noch wahnsinnig fit, deine Tante Sophie, und sie weiß, was sie will.“

Ich hatte deshalb keinen Anlass, mir Sorgen zu machen. Zwar wunderte ich mich etwas, dass sich Tante Sophie am Wochenende nicht wieder bei mir zurückmeldete. Vielleicht hatte es mit der vorzeitigen Entlassung ja doch nicht so geklappt, wie sie es sich vorgestellt hatte. Mario und ich kennen es nur zu gut aus Krankenhäusern, dass man die meiste Zeit mit stundenlangem, Nerv tötendem Warten verbringen muss, ehe ernsthaft etwas geschieht. Verzögerungen sind da an der Tagesordnung.

Völlig überrascht war ich daher, als ich am Montagabend auf dem Geburtstag meines Schwiegervaters, der seinen letzten Ehrentag nochmals zu Hause feiern wollte, unvermittelt einen Anruf aus dem Krankenhaus auf meinem Handy erhielt: „Frau Reber hat mich gebeten, Sie anzurufen. Ihr geht es außerordentlich schlecht, und sie bittet Sie, so schnell wie möglich hier vorbeizukommen.“

Wie konnte es nur innerhalb so kurzer Zeit so unvermutet zu einer derartigen Verschlechterung ihres Zustandes kommen? Fluchtartig fuhren wir von der Geburtstagsfeier aus direkt ins Krankenhaus.

Ich hasse diese Krankenhausbesuche! Zu oft habe ich nach der Frühgeburt von Mario diese schwach ausgeleuchteten, endlos langen, leeren Gänge gehen müssen, ängstlich besorgt, welche schlechten Nachrichten und Kummer nun wieder auf mich warten würden – aber nur nichts anmerken lassen. Ein Todkranker darf die Sorgen und die Angst seiner Mitmenschen nicht spüren! Also schlucken, stark sein, lächeln und Optimismus ausstrahlen, auch wenn es schwer fällt!

Die letzte Tür im Gang führte zu Tante Sophies Zimmer. Es war das Sterbezimmer, wie ich von meiner Mutter wusste. Kurz durchatmen und dann klopfen. Keine Antwort. Ich öffnete also trotzdem die Tür und sah sie: Schwach war sie, etwas geistesabwesend und verwirrt, aber sie erkannte mich und freute sich offensichtlich sehr, mich zu sehen.

„Ich habe die Krankenschwestern so oft gebeten, dass sie dich anrufen und dir Bescheid geben, aber keine hat mich ernst genommen“, jammerte sie.

Sie tat mir so unendlich leid – so schwach, ausgeliefert und verletzlich.

„Morgen komme ich wieder“, versprach ich ihr. „Wir werden dann gemeinsam mit dem Arzt sprechen und versuchen zu klären, was mit dir in den letzten Tagen geschehen ist. Mach dir also keine Sorgen mehr, ich bin jetzt ja da.“

Erleichtert schloss sie die Augen und schlief ein.

Vorsichtshalber ging ich danach noch einmal zum Schwesternzimmer, um mich zu vergewissern, dass wenigstens diesmal, wie vorab besprochen, meine Personalien vollständig in Tante Sophies Patientenakte vom Chefarzt weitergegeben und aufgenommen worden sind. Ich war schon ein wenig sprachlos und entsetzt, dass das wieder nicht geschehen war. Das konnte ja wohl langsam kein versehentlicher Fehler mehr sein! Langsam gewann ich den Eindruck, dass es Absicht war, dass ich nicht informiert wurde. Gott sei Dank hatte Tante Sophie in ihrer Handtasche wenigstens ein kleines Kärtchen mit meiner Adresse und Telefonnummern gehabt, das sie der Krankenschwester in ihrer Not gegeben hatte, damit sie mich anrufen konnte. Jetzt war es aber endgültig an der Zeit, den Herrn Doktor am nächsten Tag bei der Visite persönlich zu fragen, weshalb ich abermals nicht von Tante Sophies schlechtem Zustand informiert worden war.

Am nächsten Morgen war ich schon relativ früh im Krankenhaus, weil nicht genau klar war, wann die hohen Herren ihre Visite abhielten.

Tante Sophies Gesundheitszustand hatte sich über Nacht nochmals verbessert, und sie hatte bereits meinem Besuch entgegengefiebert.

„Rede du doch bitte heute für mich mit Dr. Pohl und frag ihn, warum es mir so schlecht gegangen ist“, bat sie mich verzweifelt. „Ich kann mich an gar nichts mehr erinnern. Ich höre doch ohne mein Hörgerät so schlecht, und hier nimmt mich im Augenblick sowieso niemand ernst.“

Das war das erste Mal, dass ich sie in ihrem Namen vertreten sollte, und ich wusste ihr Vertrauen sehr zu würdigen.

Wir mussten noch eine ganze Weile warten, bis es endlich an der Tür klopfte, und Herr Dr. Pohl samt Visitenanhang das Krankenzimmer betrat. Er war eigentlich nicht unfreundlich, vielleicht für einen Arzt ein wenig zu aalglatt und zu mitfühlend und mitleidig, als wenn er sich mit jemandem unterhielte, der etwas schwer von Begriff wäre.

„Was genau zu dem plötzlichen Absturz geführt hat, kann ich Ihnen auch nicht erklären“, antwortete er mir auf meine Frage nach der Ursache von Tante Sophies schlechtem Gesundheitszustand immerhin ehrlich. „Vielleicht hat sie zu viele Medikamente gleichzeitig genommen, die sich gegenseitig nicht vertragen haben oder es waren Nebenwirkungen eines Medikamentes. Klar ist jedoch, dass sie am Donnerstagnachmittag plötzlich in ihrem Zimmer zusammengebrochen ist und in ein lebensbedrohliches, tagelang andauerndes Delir verfallen ist und mit dem Tod gekämpft hat.“

Also war es noch an jenem Tag, als sie mit meinen Schwiegereltern gemeinsam im Café gesessen und ihre Entlassung geplant hatte, zu dem Zusammenbruch gekommen. Sehr verwunderlich alles.

Erstaunlicher Weise beantwortete er meine nächste, wichtige Frage, bevor ich sie selbst hätte stellen können.

„Ich habe Sie nicht informieren lassen, weil ich Sie nicht kannte“, versuchte er sich bei mir einzuschmeicheln und mich milde zu stimmen. „Frau Reber hat zwar Ihre Adresse bei mir hinterlegt, aber ich war mir nicht sicher, ob es sich dabei um eine wirklich vertrauensvolle Person handelt. Wenn ich Sie natürlich vorher gekannt hätte…“

Eigentlich trotzdem eine Frechheit. Er gab zu, dass er mich bewusst nicht hatte anrufen lassen, angeblich um Tante Sophie zu schützen. Weshalb gab es denn dann eigentlich die „Christliche Patientenverfügung“ überhaupt, deren Vorlage er Tante Sophie selbst zum Ausfüllen überreicht hatte, wenn er als Arzt eigenmächtig entscheiden würde, dass die gewählte Person ungeeignet ist? Aber er hatte eine ganz geschickte Art seinem Gegner den Wind aus den Segeln zu nehmen: Es gelang ihm, sich als ehrlich, selbstlos und mit guten Absichten darzustellen. So richtig konnte ich ihn noch nicht einschätzen und wusste auch nicht so recht, was ich von ihm halten sollte.

Ich besuchte Tante Sophie nun täglich im Krankenhaus und im Gegensatz zu früher schien sie sich nun auf meine ständigen Besuche im Krankenhaus zu freuen. Ganz im Gegenteil, als ich mich einmal stattdessen mit meinem Vater verabredet hatte, befürchtete sie sofort, dass ich aus irgendeinem Grund verärgert war, rief mich an und wollte sich entschuldigen. Dadurch merkte ich, wie wichtig ihr meine Besuche geworden waren. Wie durch ein Wunder war sie wieder vollständig genesen, vorbei das Delirium, und sie weihte mich nun endlich in die auf mich zukommenden bürokratischen Aufgaben ein. Gemeinsam füllten wir Anträge für die Kostenerstattung von der Krankenkasse aus, füllten Überweisungen für die vielen Rechnungen, die inzwischen angefallen waren, aus und fanden trotzdem noch viel Zeit über vergangene Zeiten zu reden. Sie hatte auch ihren Humor wiedergewonnen.

„Es ist schon schwer mit dem Altwerden“, scherzte sie einmal. „Du weißt schon, mir geht es wie den drei Affen: nichts sehen, nichts hören ….“

Ihr Hörgerät war im Krankenhaus verloren gegangen und auch der Bügel ihrer Brille durch das Liegen abgebrochen, wodurch sie bis zur Reparatur kaum etwas sah.

Ein Ereignis ist mir noch besonders gut im Gedächtnis geblieben: Als ich sie zum dritten Mal besuchte –sie war inzwischen schon wieder von ihrer kurzzeitigen Verwirrtheit genesen- saß sie aufrecht in ihrem Bett, die Handtasche auf die Beine gestellt und starrte entsetzt in ihr Portemonnaie.

„Sie haben mir alles herausgenommen, als ich krank im Bett lag“, stellte sie erschüttert fest. „Mein ganzes Geld und meine EC – Karte. Wir müssen sie unbedingt sperren lassen. Bitte wähle für mich diese Nummer der Bank.“

Welche unglaubliche Niedertracht, die Wehrlosigkeit einer todkranken alten Dame derart auszunutzen! Fassungslos riefen wir zusammen ihre Bank an und ließen die EC – Karte sperren, wobei es ihr inzwischen noch nicht einmal Probleme bereitete, ihre mehrstellige Kontonummer aus dem Gedächtnis heraus anzugeben.

„Wieviel Geld hattest du denn in deinem Portemonnaie?“, fragte ich.

„Nun, ich habe diesmal 500 € mitgenommen. Die anderen Male, wenn ich im Krankenhaus war, bin ich hinterher immer noch einmal extra mit der Taxe hierher gefahren und habe mich mit Scheinchen bei den einzelnen Helfern bedankt. Das wollte ich mir diesmal ersparen. Außerdem brauche ich hier ja auch immer etwas Geld, um mir kleine Sonderwünsche zu erfüllen, und - so viel sind ja 500 € nun auch wieder nicht, oder?“

Nun, ich sah das zwar etwas anders, aber das passte zu ihr: Sie war immer ungemein großzügig, bedankte sich mit sehr generösen Geldgeschenken und erkaufte sich auf der anderen Seite damit die Freundlichkeit der Mitmenschen. Jede Kellnerin freute sich natürlich und empfing sie herzlich, wenn sie als Stammgast das Restaurant besuchte, und doch war nie ganz klar, ob diese Freundlichkeit wirklich durch ihre Persönlichkeit und Ausstrahlung oder doch nur durch ihre außerordentliche Großzügigkeit hervorgerufen worden ist. Wahrscheinlich spielte häufig beides eine Rolle, aber es gab sicher auch eine Vielzahl von Mitmenschen, die ihre Freigiebigkeit ausgenutzt haben, was ihr aber oft nicht verborgen blieb.

Im Krankenhaus glaubte ihr aber keiner der Angestellten, dass sie tatsächlich mit 500 € in die Klinik gekommen war, und sie hielten sie immer noch für ein wenig verwirrt.

„Lass sie doch denken, ich sei ein wenig plem – plem, denn das macht mir nichts aus“, versuchte sie mich zu beruhigen, als ich mich über die herablassende Art einer Krankenschwester aufregte.

„Die Leute unterschätzen mich immer und glauben, dass ich vieles nicht mitkriege“, vertraute sie mir ein wenig nebulös an. „Doch da täuschen sie sich. Der Tresorspezialist Priese, zum Beispiel, hat mir damals beim Einbau meines Safes eine Safekarte überreicht, mit der ich bei Bedarf jederzeit einen Schlüssel nachmachen könne. Als die Schlüssel dann aber tatsächlich einmal verloren waren, wollten sie davon nichts mehr wissen. Stattdessen haben sie mir ein neues, teures Schloss verkauft und dachten, ich würde nicht mitbekommen, dass sie mich betrogen haben.“

Viel später sind mir das Ausmaß und der Sinn dieser Bemerkung erst richtig klar geworden.

Mein Vertrauen in die Richtigkeit ihrer Aussagen wurden belohnt, als ich später einen Blick auf ihren Kontoauszug werfen durfte: Sie hatte am Tag vor dem geplanten Krankenhausaufenthalt 1000 € von ihrem Konto abgehoben, eine Hälfte davon hatte sie in dem Safe in ihrer Wohnung deponiert, die andere hatte sie wirklich mitgenommen.

Ein derartig niederträchtiger Diebstahl musste meiner Meinung nach wenigstens bei der Polizei angezeigt werden, aber sie weigerte sich standhaft.

„Der, der das Geld genommen hat, wird es schon brauchen“, wiederholte sie immer wieder.

Diese eigenartige Logik konnte ich überhaupt nicht nachvollziehen, jedoch passte sie gut zu dem Spruch aus ihrem Tagebuch:

Tut dir jemand wirklich weh,

dann bedenke, diesem jemand geht es schlecht,

sonst hätte er es nicht getan.

Als sie nach zwei Wochen entlassen wurde, war sie glücklich wieder in ihre Wohnung im Wohnstift zurückkehren zu können und voller neuer Pläne. Sie überlegte, ob sie an dem dort angebotenen Computerkurs teilnehmen sollte oder vielleicht auch an einem Englischkurs. Ich erinnere mich noch, wie sie strahlend in ihrem Sessel saß, die Arme ausbreitete und mich voller neugewonnener Lebensfreude in den Arm nahm.

Leider verpufften diese Pläne wieder, als sie der Alltag einholte. Ganz im Gegenteil, es war ihr peinlich, den vielen neugierigen Fragen und dem Tratsch ihrer Mitbewohner über ihren Gesundheitszustand ausgesetzt zu sein, und sie igelte sich zunehmend in ihrer Wohnung ein. Selbst das Essen ließ sie sich nun im Zimmer servieren und verließ ihre Wohnung zu einem kleinen Spaziergang leider viel zu selten. Immerhin schaffte sie es, mit mir gemeinsam die im Wohnstift ansässige Bank aufzusuchen und mir für ein kleines Unterkonto eine Vollmacht auszustellen. Fortan war ich jetzt wenigstens in der Lage, für sie die Bürokratie und Überweisungen eigenständig zu erledigen.

Es ging gerade einmal vier Wochen gut, dann erreichte mich am Samstagmorgen wieder ein Anruf von ihr. Dass es ihr nicht gut ging, konnte man sofort an ihrer Stimme erkennen und sie versuchte diesmal auch gar nicht erst, die Fröhliche zu spielen. Ich glaube, durch die lange Krankenhauszeit hatte sie gelernt, mir gegenüber ihre heitere Maske, wenn ihr eigentlich gar nicht danach war, abzulegen – und das war gut so.

„Liebe Julia, kannst du heute bitte einmal bei mir vorbeikommen?“, fragte sie frei raus und hustete dann fürchterlich. „Ich möchte dir gerne etwas geben. Mir ging es heute Nacht ganz elend – so elend, dass ich dachte, der Herrgott würde mich holen wollen.“

Oh je, das klang ja ganz schlecht. Ich warf mir den Mantel über, sprang ins Auto und fuhr in das Wohnstift und tatsächlich: Sie war nicht einmal angezogen und lag nur mit ihrem weißen Bademantel bekleidet auf dem Sofa.

Als sie mich sah, zog sie sich zum Sitzen hoch, nahm einen Schlüsselbund aus ihrer Bademanteltasche und gab ihn mir. „Nimm bitte diesen Schlüssel und schließ damit den Safe auf“, bat sie mich. „ Bring mir dann bitte die schwarze Kiste, die darin steht.“

Ich hatte ein mulmiges Gefühl, als ich die große schwarze Lederkiste vor uns auf den Wohnzimmertisch stellte. Tante Sophie öffnete mit zittrigen Händen das kleine Schloss, machte den Deckel auf und jede Menge wunderschöne Schmuckstücke -Ketten, Ringe, Ohrringe, Broschen und sogar ein glänzender kleiner Goldbarren- kamen zum Vorschein.

„Ich möchte dir alles jetzt schon geben. Ich brauche es ja nicht mehr.“

Ich war geschockt und den Tränen nahe. Nein, das wollte ich nicht. Es war wie ein endgültiger Abschied und ich weigerte mich.

Sie bestand darauf: „Klar - du musst ihn nehmen, und ich bitte dich, mach mir die Freude und trag ihn auch. Er wird wunderschön an dir aussehen. Nur meine goldene Uhr, die möchte ich erst noch ein bisschen behalten, die bekommst du dann später. Nur leider ist die Batterie alle.“

Das war das geringste Problem: Ich nahm sie, verließ die Wohnung und ließ sie bei einem nahegelegenen Uhrmacher wechseln.

Als ich nach ungefähr einer halben Stunde wieder in ihre Wohnung zurückkam, hatte sie sich in dieser Zeit trotz ihrer Schwäche vom Sofa erhoben, mühsam mit dem Rollator zum Safe gequält und die Schmuckkiste wieder dort eingeschlossen.

„Nun, es kann doch sein, dass jemand mir den Schmuck wegnimmt, wenn ich hier hilflos auf dem Sofa liege“, versuchte sie zu erklären.

Ich war überrascht, dass sie derart misstrauisch geworden war. Ich war doch nur kurz weg gewesen, und die Wohnung war immerhin abgeschlossen gewesen.

Dann drängte sie mich wieder, das Schmuckkästchen an mich zu nehmen, und ich erklärte mich sehr widerstrebend bereit, es für sie aufzubewahren, bis es ihr wieder besser gehe.

„Morgen kommen Herr Stark und seine Frau nachmittags zum Kaffee zu Besuch“, erwähnte sie unvermutet.

Da ich Herrn Stark auf Tante Sophies Geburtstagfeier wenig sympathisch gefunden und auch seine herrschsüchtige Art dort nicht gemocht hatte, wollte ich ihm nicht unnötig begegnen. Ich beschloss, einen Tag verstreichen zu lassen und mich erst am folgenden Tag, also dem Montag, wieder bei ihr nach ihrem Gesundheitszustand zu erkundigen.

Schon früh am Morgen stand ich vor ihrer Wohnungstür und klingelte.

Sie öffnete und empfing mich unwirsch: „Was willst du denn schon wieder hier?“

Nach dieser unerwarteten, unfreundlichen Begrüßung wäre ich am liebsten sofort wieder umgekehrt und gegangen. Aufdrängen wollte ich mich wirklich nicht und hatte eigentlich andere Dinge zu tun.

Doch ich erwiderte freundlich: „Dir ging es am Samstag so schlecht, da wollte ich mich nur vergewissern, ob es dir heute wieder besser geht.“

Mit ihrem Rollator ging sie wieder zurück zu ihrem Sessel, setzte sich und jammerte verzweifelt: „Ich kann meinen Schlüsselbund nicht finden und mein Blutdruckmessgerät ist auch weg.“

„Er kann doch nicht weg sein“, antwortete ich. „Wir werden ihn bestimmt finden. Wann hast du den Schlüsselbund denn das letzte Mal gehabt?“

„Gestern als Starks da waren. Sie haben ihn bestimmt mitgenommen.“

Herr Stark war mir zwar unsympathisch, aber weshalb um alles in der Welt sollte er ihren Schlüsselbund mitnehmen?

Sie war total außer sich. „Du weißt nicht, was er gestern getan hat“, deutete sie geheimnisvoll an. „Aber nein, ich darf dir das nicht sagen.“

„Wenn du meinst, Herr Stark habe ihn versehentlich eingesteckt, ruf ihn doch einmal an und frag nach“, schlug ich ihr vor, was sie auch sofort tat.

Doch ich war überrascht: Eben war sie noch aufgewühlt gewesen, fast aggressiv.

Als sich aber nun Frau Stark am Telefon meldete, war Tante Sophie plötzlich wieder komplett verwandelt und gab sich nahezu so freundlich wie immer: „Entschuldige die Störung, liebe Brigitte. Ich vermisse heute meinen Schlüsselbund und wollte nachfragen, ob ihr ihn vielleicht gestern eingesteckt habt.“

Da Frau Stark offenbar auch keine hilfreichen Angaben über den Verbleib des Schlüsselbunds machen konnte, suchte ich einfach weiter, während sich Tante Sophie höflich von ihr verabschiedete.

Nach kurzer Zeit fand ich in der Tat das Blutdruckmessgerät, das die Pflegerin wohl vom Tisch auf den Stuhl gelegt hatte, und kurz darauf entdeckte ich auch den Schlüsselbund, der sich versehentlich noch in der gleichfarbigen Hose befunden hatte, die Tante Sophie am Morgen in den Waschkorb gegeben hatte.

Tante Sophies Unmut war im Nu wie weggeblasen, und sie war unendlich dankbar, dass die verlorengegangenen Dinge wieder aufgetaucht waren.

Nun widmete ich mich wieder dem eigentlichen Grund meines Kommens: Ihrem Gesundheitszustand, und der war offenkundig sehr schlecht. Es war erkennbar, dass ärztliche Hilfe unbedingt notwendig war: Sie hustete schwer und ihr Atem rasselte. Da sie auf keinen Fall wieder ins Krankenhaus wollte, vereinbarte ich am Nachmittag einen Termin bei einer nahegelegenen Ärztin, und Tante Sophie ließ sich darauf ein.

Wie unendlich schwer war für sie die kleine Strecke von der Wohnung runter zum Auto und dann erst der Weg vom Auto aus die Treppen hoch bis in die Arztpraxis. Wir mussten ansitzen und lange warten, bis wir endlich an der Reihe waren.

Wie von mir befürchtet, diagnostizierte die Ärztin eine Lungenentzündung, erklärte sich aber dazu bereit, diese hausärztlich im Wohnstift zu betreuen. Tante Sophie war glücklich, wieder in ihre Wohnung zurückkehren zu dürfen.

Anschließend besorgte ich für sie die notwendige Medizin, Obst, Säfte und Suppen, wie die Ärztin verordnet hatte.

„Ich bin dir ja so dankbar“, begrüßte sie mich wieder, als ich mit meinen Einkäufen zurückkam und erstattete mir sogleich meine Auslagen. „Ich habe noch eine Bitte an dich: Bitte, nimm mein wertvolles Silbergeschirr mit, bevor er sich das auch noch nimmt.“

Tante Sophie deutete mit einer Handbewegung auf die Silberschale, die Silbervase und die dazugehörige Silberkanne, die zur Dekoration auf ihrem Wohnzimmerschränkchen standen. Während ihres Umzugs in das Wohnstift hatte sie mir anvertraut, dass ihr diese Prachtstücke besonders am Herzen lagen, da sie einst Geschenke ihres Mannes gewesen waren. Für Tante Sophie überwogen daher zweifellos die immateriellen Werte des Silbergeschirrs, und trotzdem wollte sie sich so überstürzt davon trennen?

Ich war völlig sprachlos. Wie kam sie darauf, dass er, vermutlich meinte sie den von ihr ehemals so sehr verehrten Pastor Stark, gegen ihren Willen ihr Silbergeschirr an sich nehmen sollte? Jetzt übertrieb sie aber doch etwas mit ihrem Misstrauen, fand ich und weigerte mich, es einzustecken, zumal es für sie mit vielen schönen Erinnerungen verbunden war. Sie war zwar nicht zufrieden damit, hatte aber nicht mehr die Kraft zu diskutieren.

Leider war es nur wenige Tage möglich, einen erneuten Krankenhausaufenthalt zu vermeiden.

Ich war gerade im Auto auf dem Weg zum Einkaufen, als mich der Anruf der behandelnden Krankenhausärztin erreichte: „Ihre Tante ist heute hier eingeliefert worden. Sie hat berichtet, dass Sie die Patientenverfügung haben, und ich möchte Sie daher bitten, zur Aufnahme der Personalien möglichst schnell ins Krankenhaus zu kommen.“

Das klang ernst. Sie lag noch in der Aufnahmestation, hinter einem der aneinandergereihten Plastikvorhänge.

„Da ist er ja wieder, mein Engel Julia, und wird alles für mich regeln“, begrüßte sie mich an jenem Tag schwer atmend.

Die Ärztin nahm mich zur Seite, notierte sich meine Adresse und sprach dann über den schlechten Gesundheitszustand meiner Tante, und dass man sich Gedanken machen müsse, ob es nicht langsam Zeit wäre, nicht mehr gegen den Tod anzukämpfen. Ich verstand erst nicht so richtig, was sie meinte.

„Ihre Tante ist schwer herzkrank“, erklärte sie daraufhin. „Daher kommt auch ihre Atemnot. Wenn wir die jetzige Medikation einschließlich der Herzmedikamente absetzen würden, ließen wir der Natur ihren Lauf. Wir würden ihr natürlich stattdessen Schmerzmittel und angstlösende Medikamente verabreichen. Jetzt ist durchaus der Zeitpunkt, wo wir langsam darüber nachdenken müssen.“

Ich war geschockt und spürte, wie mir die Tränen in die Augen traten. Natürlich war sie sehr krank, das hatte ich auch gesehen – aber so, dass keine Hoffnung auf Besserung mehr bestand?

Das Leben hatte mir gezeigt, dass auch die Prognosen der Ärzte nicht immer richtig waren, und der Glaube daran, dass sich alles zum Guten wendet, förmlich Berge versetzen kann. Auch bei meinem Sohn Mario hatten sie nach seiner Geburt gesagt, dass er später einmal schwerstbehindert sein würde, und zu welch einem aufgeweckten, lebensfrohen Jungen, wenn auch mit einigen körperlichen Einschränkungen, hat er sich trotzdem entwickelt!

Das weitere Vorgehen sollte im Fall meiner Tante aber der Chefarzt entscheiden und mit uns besprechen. Ich setzte mich traurig an ihr Bett, nahm ihre Hand, streichelte sie, und sie freute sich sichtlich. Wir warteten auf den Chefarzt, stundenlang, aber der kam nicht. Gegen Abend erfuhren wir, dass er wegen eines Termins das Haus bereits schon längst verlassen hatte, und meine Tante die Nacht leider in der Aufnahmestation verbringen müsste, da alle Zimmer belegt waren.

Am folgenden Morgen war sie in ein Einzelzimmer verlegt worden, erhielt ein wenig Sauerstoff zur Atemerleichterung, wodurch es ihr ein klein wenig besser ging.

„Liebe Julia, ich möchte mich noch einmal bei Adolf Starks Tochter Eva und ihrer Familie bedanken“, begann sie nach der Begrüßung. „Gibst du mir bitte das Telefon und wählst die Nummer?“

Evas Ehemann meldete sich am anderen Ende der Leitung.

„Ich bin im Krankenhaus“, japste Tante Sophie nach Luft ringend. „Mir geht es sehr schlecht. Ich möchte mich noch einmal bei euch ganz herzlich bedanken, dass ich euch manchmal besuchen durfte.“

„Ich kann dich kaum verstehen“, antwortete Evas Ehemann kurzangebunden. „Eva ruft zurück.“ und - legte einfach auf!

Tante Sophie war vollständig fassungslos: „Jetzt hat er die auch schon angesteckt!“

„Hör mal, Julia, ich habe mir heute Nacht etwas überlegt“, keuchte sie dann. „Ich möchte nicht mehr, dass Adolf auf meiner Beerdigung die Ansprache hält, sondern die Pastorin Kluge. Du hast doch auch gesagt, dass du die Pastorin Kluge nett findest, als wir sie neulich zusammen getroffen haben. Und bei dem, was er gemacht hat, … nein, aber das darf ich dir nicht sagen…“

Ich hatte überhaupt keine Vorstellung davon, womit der Pastor Stark Tante Sophie so unsagbar verletzt hatte, dass sie ihn sogar als Trauerredner bei ihrem Begräbnis nicht mehr haben wollte. Was war nur vorgefallen?

„Ja, ich fand die Pastorin nett“, bestätigte ich. „Die Entscheidung, wen du als Trauerredner einsetzen möchtest, musst du aber ganz alleine treffen. Wenn du aber von deinem alten Entschluss, Herrn Stark dafür zu wählen, abweichen willst, musst du das aber selbst handschriftlich verfassen. Nur dann kann ich das für dich durchsetzen, da du bereits beim Beerdigungsinstitut Herrn Stark als deinen Trauerredner schriftlich genannt hast.“

„Gut, dann gib mir bitte einen Zettel und einen Stift“, bat sie.

Unter großer Anstrengung verfasste sie mit krakeliger Schrift im Bett sitzend das Schreiben, das ich dann zur Aufbewahrung in meine Handtasche steckte.

Kurz darauf klingelte tatsächlich das Telefon und Eva meldete sich. Tante Sophie wiederholte mit viel Mühe nochmals die Worte, die sie bereits an Evas Ehemann gerichtet hatte, und hielt dabei den Hörer so weit entfernt vom Ohr ab, dass ich das Gespräch unwillkürlich mitverfolgen musste.

„Es tut mir leid, dass du wieder im Krankenhaus bist“, antwortete Eva. „Ich kann dich aber schlecht verstehen. Ich werde dich im Laufe der Woche anrufen, wenn es dir wieder besser geht, außerdem höre ich, dass du Besuch hast…“

Das Gespräch war sehr kurz und, wie ich fand, erschreckend herzlos, wenn man bedenkt, dass sich hier eine Sterbende vielleicht ein letztes Mal von ihren Lieben verabschieden wollte.

Doch Tante Sophie war nicht so anspruchsvoll.

„Immerhin hat sie ja doch zurückgerufen“, überlegte sie laut. „Vielleicht sollten wir das Schreiben ja wieder vernichten. Ja, es ist besser so. Zerreiß es bitte wieder!“

Mir war völlig unklar, was das eine mit dem anderen zu tun hatte, doch ich zerriss das eben noch so mühsam verfasste Schreiben vor ihren Augen und warf es in den Papierkorb, allerdings mit einem etwas unguten Gefühl.

Ich besuchte sie wieder täglich und es war auch diesmal wie ein Wunder: Es ging ihr von Tag zu Tag besser. Ich kann mich noch daran erinnern, welche Freude sie daran hatte, als ich ein altes Fotoalbum von mir mitbrachte. Wir betrachteten gemeinsam ganz alte Fotos von Ausflügen und Reisen, die sie als Kind in den dreißiger und vierziger Jahren mit meinem Vater, ihren und seinen Eltern, damals schon mit dem Auto, gemeinsam unternommen hatte.

Sie erzählte mir von ihrer furchtbaren Schulzeit in der katholischen Grundschule, wo sie fast täglich von ihrem Lehrer mit kräftigen Schlägen auf den Rücken „gezüchtigt“ beziehungsweise misshandelt wurde, obwohl sie eine durchaus gute Schülerin war. Eines Tages weigerte sie sich endgültig zur Schule zu gehen und ihre Eltern fanden eine ungewöhnliche Lösung, um sie vor den körperlichen Übergriffen des Lehrers zu schützen: Sie ließen sie evangelisch umtaufen, sodass sie fortan eine andere Schule besuchen durfte, wo weniger aggressiv von den Lehrern geschlagen wurde.

„Nein“, antwortete sie auf meine entsprechende Frage, „ich habe meine Schüler später niemals geschlagen, obwohl es damals durchaus noch üblich war.“

Tante Sophie blätterte in dem alten Fotobuch und deutete auf ein verblichenes Schwarz-Weiß-Foto: „Das ist mein Vater vor unserem Geschäft. Damals war er noch gesund. Wir hatten schon in frühen Jahren in unserem Laden die Erlaubnis, losen Alkohol zu verkaufen. Vorbeifahrende Kohlenhändler nahmen dieses Angebot gerne an, und wir konnten damit gutes Geld verdienen.“

Sie senkte den Kopf und sprach leise weiter: „Leider hat sich mein Vater durch die ständige Gegenwart von Alkohol selbst zum Trinken verleiten lassen. Das hat sein Wesen total verändert. Er wurde aggressiv und sogar handgreiflich.“

Ich hatte schon davon gehört und konnte mich sogar noch vage darin erinnern, wie er meine Mutter und mich als kleines Kind einmal wegen einer Nebensächlichkeit wutentbrannt aus seinem Haus geschmissen und uns sogar noch lallend hinterhergebrüllt hatte. Seitdem hatte ich ihn nie wiedergesehen. Wenn er betrunken war, soll er auch seine Frau sehr brutal behandelt haben. In unserer Familie wurde sogar erzählt, dass er Tante Sophies Mutter während eines Streites brutal gewürgt haben soll.

Es war selten, dass Tante Sophie so unangenehme Dinge aus ihrer Vergangenheit erzählte, meistens beschränkte sie sich auf erfreuliche Ereignisse und schöne Erlebnisse, wie von ihrem treuen Schäferhund Rolf, der sie während der Schulzeit jeden Morgen den langen Weg zur Straßenbahn begleitete und dann in der noch autoarmen Zeit selbstständig und alleine wieder nach Hause lief. Sein Foto stand noch im Wohnstift auf ihrem Nachttisch.

„Die unangenehmen Zeiten habe ich vergessen“, behauptete sie immer, aber ich glaube, sie wollte einfach nicht darüber sprechen.

Stattdessen schwärmte sie von dem Zusammenhalt der Familie und den feucht-fröhlichen Familienfeiern in den Fünfzigern, die auch auf vielen Fotos festgehalten sind.

Diesmal dauerte ihr Krankenhausaufenthalt zehn Tage, dann konnte ich sie wieder aus dem Krankenhaus abholen und nach Hause bringen. Doch im Gegensatz zu dem letzten Mal setzte sie sich etwas ratlos in ihrer Wohnung auf den Sessel, diesmal keine große Freude und auch keine Zukunftspläne. Irgendwie schien sie selber nicht damit gerechnet zu haben, wieder gesund zu werden, und der Lebensmut war ihr offenbar abhandengekommen.

Das konnte nicht lange gut gehen, und es dauerte nur eine Woche, dann ging alles wieder von vorne los: Anruf vom Krankenhaus am frühen Morgen, dass Tante Sophie schon wieder mit akuten Herzproblemen eingeliefert worden ist, diesmal jedoch auf der Intensivstation lag.

Der Besuch in der Intensivstation war für mich am allerschlimmsten. Wie oft habe ich Mario nach seiner Geburt in der Intensivstation besucht, jedes Mal voller Angst, wie es ihm geht, und ob er überhaupt noch am Leben ist. Ich wusste genau wie das abläuft: Erst voller Sorge vor der Station klingeln, nach einer kleinen Ewigkeit kommt eine Schwester und zeigt den Raum, wo man sich die sterilen Kittel anziehen kann. Schon allein dieser fürchterliche stechende Geruch der Sterilisationsmittel und das schrille Klingeln der Alarmtöne erinnerten mich an zurückliegende, schreckliche Zeiten, die ich eigentlich vergessen wollte, und trieben mir die Tränen in die Augen. Jetzt wieder, wie gewohnt, zusammenreißen, keine Schwäche zeigen, schlucken, kräftig durchatmen und sich allein auf die Patientin konzentrieren.

Als ich das Zimmer betrat, lag sie in dem Bett am Fenster und schlief friedlich.

Doch sie musste gehört haben, dass jemand gekommen war, denn sie öffnete die Augen.

„Dass du wieder gekommen bist!! Liebe, liebe Julia!“, flüsterte sie dankbar. „Du bist immer da, wenn man dich braucht“.

Ich hielt ihre Hand und sie döste noch ein wenig, bis der Arzt kam und sie untersuchte. Er machte mir noch einmal klar, wie schwach Tante Sophies Herz war, wollte sie aber trotzdem im Laufe des Tages auf die Normalstation verlegen lassen, was dann auch geschah. Jedoch diesmal fühlte ich, dass sie aufgegeben hatte und der ganze Lebensmut von ihr gegangen war. Sie schien sich den Tod jetzt förmlich zu wünschen und sehnte sich als gläubige Christin sogar nach einem weniger beschwerlichen Leben nach dem Tod.

Trotz allem sah es eine Zeitlang so aus, als würde sie sich abermals erholen. Ganz langsam ging es wieder bergauf, und ich hoffte schon, sie zum dritten Mal in Folge halbwegs genesen aus dem Krankenhaus abholen zu können.

Es war ein Schock für mich, als ich sie am Samstagmorgen besuchte, und sich ihr Gesundheitszustand plötzlich über Nacht dramatisch verschlechtert hatte.

Trotzdem erkannte sie mich und freute sich sichtbar über mein Kommen, eine Unterhaltung wurde aber schwieriger. Wir hörten stattdessen gemeinsam geistliche Chormusik von meinem CD-Player, und ich hielt dabei ihre Hand. Als das Vaterunser gesungen wurde, faltete sie die Hände betend zusammen und richtete ihren Blick anbetend nach oben. Ich bewunderte sie für ihren tief empfundenen Glauben und hoffte, dass sie dafür belohnt wurde. Das sollte die letzte Erinnerung für mich an Tante Sophie werden.

Hütet euch vor dem kriminellen Pfaffen

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