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Kapitel 2: Was ist ein Fjäl-Fräs?

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„Rike! Aufstehen! Frühstück ist fertig!“ Rike streckte sich im Schlaf, trat mit dem rechten Fuß gegen die Bettdecke und kickte dabei ihren alten, zerfledderten Schlummerhasen aus dem Bett.

„Menno!“ Sie blinzelte ins Licht der Nachttischlampe, die wieder einmal die ganze Nacht hindurch gebrannt hatte und quälte sich aus dem Bett.

Beim Frühstück hing sie ihren Gedanken nach.

„Du bist so ruhig heute“, stupste sie Papa an.

„Ach, ich bin nur müde.“

„Du Papa, wir sollen doch nachts, bevor wir einschlafen, das Licht ausmachen, oder?“, mischte sich Nele ein. Ihre Stimme hatte diesen „Seht-ihr-wie-vernünftig-ich-bin-im-Gegensatz-zu-meiner-blöden-Schwester“-Ton drauf, den Rike absolut nicht leiden konnte.

Papa zog die Augenbrauen hoch, gab aber keinen Kommentar dazu ab. Nur Mama fiel natürlich wieder einmal auf die Masche herein.

„Das weißt du doch, Liebes. Erstens kostet es zu viel Strom und zweitens ist es nicht erholsam, wenn man bei Licht schläft.“

„Aber die Frida hat schon wieder die ganze Nacht das Licht brennen lassen!“, rief Nele. Rike kniff die Augen zusammen und funkelte Nele böse an. Warum musste Nele ständig petzen? Und warum nannte Nele sie Frida? Sie wusste genau, dass Rike, die eigentlich Friderike hieß, diesen Namen verabscheute.

„Kann mir jemand von euch sagen, was ein Fjäl-Fräs ist?“, lenkte sie deshalb schnell vom Thema ab.

„Ein Fjäl-Fräs?“ Mama schüttelte den Kopf. „Also Rike, was du immer wissen willst!“

Nele meckerte wie eine Ziege, was Rike mit frostigem Blick quittierte.

Papa, der bisher ungerührt in der Zeitung las, bequemte sich nun doch, den Kopf über den Rand zu strecken. „Wenn du es schon nicht weißt, Rike, wer soll es denn dann wissen? Du schaust dir doch alle Fernsehsendungen über Tiere und Pflanzen an und liest im Lexikon von A bis Z darüber nach. Ich kann dir nur sagen, dass die deutsche Bezeichnung für den Fjäl-Fräs Vielfraß ist. Mehr weiß ich darüber leider auch nicht.“

Nach dem Frühstück fischte Rike ihr Tier-Lexikon aus einem Stapel Bücher und las:

Der Vielfraß gehört zur Familie der Marder. Sein Äußeres ist eine Mischung zwischen Bär, Marder und Hund. Er versprüht wie das Stinktier übelriechende Düfte und verfügt über einen sehr guten Geruchssinn. Der immer hungrige Vielfraß ist ein erbarmungsloser Jäger, der Hasen, Füchse und sogar Rentiere und Elchkälber erlegt. Größere Tiere tötet er, indem er ihnen auf Bäumen sitzend auflauert und sie heimtückisch im Sprung erlegt. Außerdem nimmt er Vogelnester aus und frisst gerne süße Beeren.

Die Beschuldigungen des Zaunkönigs konnten also stimmen. Rike fragte sich jedoch, ob Franjos Eltern es tatsächlich erlauben würden, ein gefährliches Raubtier als Haustier zu halten. Im Buch fand sie nichts darüber, dass Fjäl-Fräs auch Menschen angreifen würden, doch gerade das hatte der Zaunkönig behauptet.

Immer wieder ging sie die Traumfetzen durch, die ihr noch im Gedächtnis waren. Alles hatte vollkommen realistisch gewirkt. Rike zückte sogar ihren Atlas, doch sie fand keinen Ort, kein Land mit dem Namen Averda.

„Rike?“ Mama stand in der Tür. „Machst du Hausaufgaben?“

„Nein, noch nicht. Ich hab was nachgesehen. Aber ich fang gleich damit an.“

„Du, ich geh mal zu Oma Luise rüber. Sie hat eben angerufen. Sie fühlt sich ganz elend.“

„Oh. Was hat sie denn?“

„Ach, eine starke Erkältung.“

„Dann wünsch ihr gute Besserung von mir. Ich besuch sie bald mal.“

Oma Luise war nicht ihre wirkliche Oma, sondern eine ältere Dame aus der Nachbarschaft, aber die beste Ersatzoma, die man sich vorstellen konnte. Sie hatte früher auf Rike und Nele aufgepasst wenn Not am Mann war.

Oma Luise fand immer Zeit für sie, hatte stets ein offenes Ohr, wusste immer einen guten Rat, kannte jede Menge Hausrezepte gegen allerlei Wehwehchen und backte die besten Kuchen und Kekse. Sie liebte Kartenspiele, spielte „Mensch ärgere Dich nicht“ auch fünfmal nacheinander, ohne genervt auf die Uhr zu sehen und puzzelte mit ihnen um die Wette, zumindest dann, wenn sie ihre Brille auf der Nase hatte.

Außerdem besaß sie die zwei drolligsten Haustiere, die es auf der ganzen Welt gab. Minka, die weiße Katze mit drei schwarzen Flecken im Fell. Das rechte Ohr war schwarz wie Kohle, die linke, vordere Pfote und die Schwanzspitze ebenso. Und Schoko, der kniehohe Labradormischling mit kakaobraunem Fell und einem hellen Fleck auf der Brust.

Aber auch ohne die beiden Fellträger war Oma Luise die Beste.

Kaum hatte Mama die Haustüre hinter sich zugezogen, spazierte schon Nele in Rikes Zimmer, blieb vor dem Nachttischchen stehen und blätterte im Farbenbuch.

„Kann ich mir das hier mal ausleihen? Ich könnte es gut für Kunst gebrauchen. Da machen wir nämlich zurzeit …“

„Nein“, knurrte Rike und Nele verstummte augenblicklich.

Die versteckte Welt

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