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»Die Daun«

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Ich hatte schon viel von »der Daun« gehört, ehe ich ihr zum ersten Mal begegnete. Dafür hatte mein Ex selbstverständlich gesorgt. Es schien ihm eine gewisse Genugtuung zu verschaffen, bei jeder Gelegenheit eine entsprechende Bemerkung fallen zu lassen – vermutlich wollte er mich schon im Vorfeld unserer Scheidung ein wenig einschüchtern … So wusste ich zum Beispiel, dass seine Anwältin laut irgendwelcher Zeitschriften zu den Top-Scheidungsanwältinnen in Deutschland zählte. Ich wusste, dass man in ihrer Heimatstadt Nürnberg munkelte, sie hätte einige skandalträchtige und millionenschwere Scheidungen durchgefochten, von denen normale Leute in der Bunten oder in anderen bunten Blättern lesen konnten. Und ich wusste, dass meine Schwiegermutter sie für meinen Ex-Mann ausgesucht hatte – und das unmittelbar nach unserer Trennung. Auch klar. Schließlich sollte ihr untreues Söhnchen optimal vertreten werden.

Dabei hatten mein Ex und ich ohnehin vereinbart, dass wir uns friedlich trennen wollten. Schon wegen unserer beiden gemeinsamen Kinder. Allerdings war mir auch klar, dass unser Vorsatz schnell kippen konnte. Schließlich boten zwei Kinder, ein Hund, ein Haus, eine Firma, zwei Autos, unzählige Möbel und eine extrabreite Garten-Hängematte ausreichend Streitpotenzial. Alles, was wir gemeinsam aufgebaut, angeschafft und ausgesucht hatten, mussten wir nun aufteilen.

Für alle, denen eine Scheidung bislang erspart geblieben ist: Ich fand’s schrecklich! Plötzlich stritt ich mit demselben Mann, mit dem ich wenige Monate zuvor noch heulend vor Glück im Kreißsaal unseren neugeborenen Sohn im Arm gehalten hatte, darum, wer welches Küchengerät behalten durfte.

Ines Daun sagte später einmal zu mir: »Eine Scheidung ist der größtmögliche private Konkurs.« Genau so fühlte es sich an. Wie ein Tsunami des Scheiterns.

Bei einem gemeinsamen Termin mit meinem künftigen Ex-Mann, seiner berüchtigten Anwältin, die er konsequent ehrfurchtsvoll »die Daun« nannte, und meiner (deutlich weniger berüchtigten, dafür sehr mütterlichen) Anwältin wollten wir nun alles schriftlich festhalten. Wer bekam die Kinder? Den Hund? Die Katzen? Das Haus? Die Firma? Die Hängematte? Wie hoch war der Unterhalt? Und wie lange sollte er gezahlt werden?

Es war absehbar, dass es eine ziemlich ungemütliche Veranstaltung werden würde. Ich hatte mir extra einen Blazer und Pumps angezogen. Als konsequente Jeans-, Tanktop- und Boots-Trägerin fühlte sich dieses Outfit fast wie eine Mini-Rüstung an. Ich wünschte mir wenigstens ein bisschen Schutz, wenn ich meinem Ex und seiner kampflustigen Scheidungsanwältin entgegentreten musste. (Allerdings hätte ich auch in der Rüstung von Richard Löwenherz erscheinen können und hätte mich neben »der Daun« ungefähr so schlagkräftig gefühlt wie ein eingeschüchtertes Häschen aus dem Sherwood Forest.)

Dabei war das Treffen sogar ein Heimspiel. Es sollte in der Kanzlei meiner Anwältin stattfinden, dieser fürsorglichen älteren Dame, die mir bei unserem ersten Termin ein Schälchen Kirschen hingestellt hatte. Sie war mir von einer Nachbarin als kompetente Scheidungsfachfrau empfohlen worden. Allerdings hatte ich nicht das Gefühl, man könne mit ihr große Schlachten gewinnen. Dass ich über einen Wechsel trotzdem nicht nachdachte, lag an meinem Vorsatz, auf gar keinen Fall streiten zu wollen. Ich wollte das alles nur möglichst schnell hinter mich bringen.

Mit Herzklopfen stieg ich am Morgen des Termins in den altersschwachen Fahrstuhl, der mich in die vierte Etage bringen sollte. Und während ich Sorge hatte, er könnte es nicht mehr bis in den vierten Stock schaffen, fragte ich mich zum ersten Mal, ob ich meine Anwältin nicht doch hätte ein bisschen gewissenhafter auswählen sollen … Zumindest wäre mir in diesem Moment vermutlich deutlich wohler gewesen, wenn ich ebenfalls eine starke Kriegerin an meiner Seite gewusst hätte. So fühlte ich mich doch ein wenig schutzlos.

Die dauergenervte Sekretärin vom Empfang verwies mich mit einer lapidaren Handbewegung auf einen klapprigen Holzstuhl im Gang, auf dem ich kleinlaut Platz nahm. Der Stuhl fühlte sich in diesem Moment wie ein mittelalterliches Folterinstrument an. Stocksteif saß ich da und spielte nervös mit dem Verschluss meiner Handtasche. »Ruhig atmen!«, befahl ich mir. »Die Angst einfach weg atmen.« Ich dachte daran, dass mir meine Anwältin bei unserem zweiten Gespräch Tee und Kekse serviert hatte. Immerhin war sie liebevoll! Auch wenn sie eher meinen Beschützerinstinkt weckte, als dass ich mich von ihr beschützt gefühlt hätte. Die Sache war leider offensichtlich: Ich hatte das Gefühl, dass hier zwei Häschen auf den gefürchteten Drachen warteten …

(Achtung! Wenn Sie sich scheiden lassen wollen, suchen Sie sich unbedingt eine toughe Anwältin! Auch dann, wenn Sie sich einvernehmlich trennen wollen!)

Immerhin wurden wir nicht allzu lange auf die Folter gespannt. Kurz nachdem mich meine Anwältin mild lächelnd in ihr gediegenes Besprechungszimmer gebeten hatte, klingelte es. Wenige Sekunden später ertönte eine lebhafte, überlaute Frauenstimme. »Die Daun« ließ sich offenbar nicht von der mauligen Sekretärin einschüchtern. Ihre hörbar hohen Absätze klapperten über den Holzdielenboden – und dann schoss sie auch schon mit meinem künftigen Ex-Mann im Schlepptau um die Ecke. An diesen Moment kann ich mich noch ganz genau erinnern – auch wenn er mittlerweile über fünf Jahre zurückliegt. Frau Daun wirkte fast wie eine Außerirdische in dieser gemütlichen, aber deutlich in die Jahre gekommenen Kanzlei. Sie trug ein figurbetontes schwarzes (und definitiv unverschämt teures) Kostüm. Dazu farblich passende High Heels, unter denen eine Sohle hervorblitzte, die ebenso signalrot leuchtete wie der Lippenstift auf ihren vollen Lippen. Ihre dunklen Haare trug sie zu einem strengen Zopf gebunden. (Sie halten Christine Neubauer für ein Vollweib? Vergessen Sie’s!) Diese Anwältin ist der Typ Frau, der einen vollen Raum betritt – und allen bleibt die Luft weg. Sämtliche anwesende Augenpaare haben schlagartig einen neuen Fokus.

Unsicher blickte ich zu der unbeirrt freundlich lächelnden Dame neben mir, dann zu meinem Ex und seiner Kriegerin – und fühlte mich schlagartig so mickrig, dass ich problemlos zwischen jeden Aktenvermerk gepasst hätte, ohne auch nur die kleinste Delle zu schlagen. Zumindest ging das dem Teil von mir so, der gerade gegnerische Mandantin und zu scheidende Ehefrau war, die sich innerlich bereits von der Hängematte und anderen liebgewonnen Dingen verabschiedet hatte …

Als Journalistin und Autorin dagegen war ich fasziniert von dieser Frau. Ines Daun war witzig, laut und schlagfertig. Und sie dachte und redete mit der Geschwindigkeit einer Maschinengewehrsalve. Bei jedem kritischen Wort sprang sie wie eine Tigerin mit ausgefahrenen Krallen vor ihren Mandanten, meinen Ex-Mann, und bescherte ihm damit eine samtig-weiche Scheidung, die ihm vermutlich wie Marshmallow-Kakao mit Sahne schmeckte.

Und während er wenig später in seinem Garten schon wieder frohgemut auf seiner Hängematte schaukelte, hielt ich abends zum Einschlafen unseren kleinen Sohn im Arm und fragte mich, wie mir das alles überhaupt hatte passieren können. Wie konnte ich mich so in dem Mann getäuscht haben? Wie konnte er sich so verändert haben? Warum war er überhaupt fremdgegangen? Und was hatte ich falsch gemacht, dass wir miteinander dermaßen gescheitert waren?

Diese Fragen stellte ich auch meinen sämtlichen Freunden, Freundinnen und meiner Mutter. Und zwar regelmäßig. Ich verstand es nicht. Immer wieder kaute ich es durch, ohne dass es auch nur ein bisschen besser wurde, mich weniger quälte oder weniger verunsicherte. Es war tatsächlich so: Dieses Unverständnis machte mich fertig. Ich traute mir nicht mehr. Und ich traute Mann-Frau-Beziehungen grundsätzlich nicht mehr. Weil ich seine Untreue nicht verstand. Ebenso wenig wie die überraschende Trennung. Woher kam dieser plötzliche Stimmungswechsel? Ich war verletzt und verwirrt. Und hatte meinen Kindern gegenüber große Schuldgefühle, weil ich ihnen nicht die perfekte Familie bieten konnte, die ich ihnen gern geboten hätte.

Gleichzeitig versuchte ich, auch beruflich wieder Fuß zu fassen. Schließlich hatte mein Ex-Mann nicht nur die Hängematte und das Haus behalten, sondern auch die erfolgreich aufgebaute Firma. Und dabei fiel mir dann die Rechtsanwältin Daun wieder ein.

Ziemlich genau zwei Jahre nach meinem Scheidungstermin war ausgerechnet mein Ex-Mann so freundlich, seine Anwältin zu fragen, ob sie sich vorstellen könnte, ein Buch mit mir zu schreiben. Sie hat mich sofort zu sich nach Nürnberg eingeladen.

Und da saßen wir dann. Vor einer großen Kanne ayurvedischem Bio-Tee und einem kleinen Frühstück. Es war natürlich eine etwas merkwürdige Situation – die Scheidungsanwältin mit der geschiedenen Ehefrau ihres früheren Mandanten. Diese Paarung traf sich für gewöhnlich nicht zu gemeinsamen Mahlzeiten.

Zum Warmwerden fragte ich sie, wie sie überhaupt auf ihren Beruf gekommen war. Ines Daun antwortete: »Ich war schon immer eine Gerechtigkeitsfanatikerin. Deshalb wusste ich schon mit 16 Jahren, dass ich Jura studieren wollte. Ich erinnere mich genau: Damals saß ich neben meiner Mutter im Auto und habe ihr verkündet: ›Ich werde Scheidungsanwältin.‹«

Ganz klar: Es war ihr Traumberuf. Sie wollte nie etwas anderes werden. Dementsprechend glücklich war sie, als sie dann endlich – direkt nach dem Studium – an ihrem Schreibtisch in einer Ecke ihrer kleinen Wohnung ihre ersten Mandate bearbeitete. »Damals war es noch üblich, dass die Frauen das alleinige Sorgerecht bekamen. Ich habe das überhaupt nicht in Frage gestellt. Aber irgendwann geriet ich ins Grübeln: Wenn ich mitbekam, wie Mütter es über Monate erfolgreich vereitelten, dass Väter ihre Kinder sahen. Wenn ich Kinder erlebte, die über den langen Flur vor dem Verhandlungsraum zu ihren weinenden Vätern rannten, um sich an ihnen festzukrallen. Wenn die Kleinen, während ihre Mütter sie in Richtung Ausgang zerrten, verzweifelt nach ihren Vätern schrien. ›Papa, Papa, Papa!‹ Immer wieder … Nach einer heftigen Woche und einem besonders dramatischen Fall bin ich nachts wach geworden und habe mich übergeben. Denn ich hatte begriffen: Das war nicht gerecht, wie das lief! Danach lag ich die ganze Nacht heulend auf meinem Sofa und wollte meine Zulassung zurückgeben.«

Damals habe sie sich geschworen, anders Anwältin zu sein. Sie wollte wirklich für Gerechtigkeit sorgen. Sie wollte genauer hinhören. Alle Aspekte des Scheidungsverfahrens kennen. Und vermutlich hat genau das sie so erfolgreich gemacht. »Ich sage immer: Die Leute kommen mit gebrochenen Flügeln zu mir. Wenn sie gehen, sollen sie wieder fliegen können. Anders zwar, aber fliegen!«

Gerade erst hat sie eine Frau in der Stadt getroffen, deren Scheidungsverfahren sich mehrere Jahre hingezogen hatte. Eine absolute Horror-Scheidung. Diese Frau saß in der Eisdiele vor einem riesigen Schokobecher. »In ihrem knallblau-weiß gemusterten Kleid strahlte sie mir entgegen und sah dabei unglaublich hübsch aus. Das ist der Sieg. Deshalb liebe ich meinen Beruf.« Frau Daun sah mich an.

Und siehe da: Sie war gar kein Drache! Sie war einfach nur eine verdammt gute Anwältin, die das Beste für ihre Mandanten herausholen wollte. Dafür verbringt sie manchmal bis zu 100 Stunden mit einem einzelnen Mandanten. »Am Anfang ist es immer wichtig, den Konflikt erst einmal aufzuarbeiten. Denn nur wenn meine Mandanten ihre Situation realistisch betrachten können, kann ich gut mit ihnen arbeiten.«

»Was heißt das?«, hakte ich nach. Schließlich ist Frau Daun Juristin und keine Psychologin.

»Ich bin natürlich weder Therapeutin noch Freundin. Trotzdem bringe ich meine Mandanten dazu, sich ihre Situation einmal ehrlich anzuschauen. Ich frage zum Beispiel die verletzten Frauen, wenn sie über ihren untreuen Mann schimpfen, ob sie nur verletzt sind oder ob sie ihren Mann wirklich noch geliebt haben.«

Ich spitzte meine Ohren. Das war genau mein Thema!

Ines Daun redete weiter: »Und die meisten Betroffenen müssen zugeben: Es ist eher die verletzte Eitelkeit als echter Liebeskummer.«

Ich fühlte mich ertappt.

»Außerdem frage ich meine Mandanten«, setzte Frau Daun ihre Erklärung fort, »wie sie sich bei der Hochzeit gefühlt haben. Tatsächlich hatten die meisten schon bei der Eheschließung ein leichtes Bauchgrummeln.«

Noch ein Treffer, was meine Geschichte anging. Unruhig rutschte ich auf meinem Stuhl hin und her. Aber die lebhafte Rechtsanwältin war schon wieder mindestens fünf Punkte weiter: »Ich will meine Mandanten kennenlernen – und bin dabei inzwischen völlig hemmungslos. Sogar ihre sexuellen Vorlieben frage ich ab. Nicht aus Neugier. Damit will ich mir böse Überraschungen bei der Verhandlung ersparen. Denn nur, wenn ich alles weiß, kann ich den Fall richtig einschätzen und eine Lösung finden, die sich für alle Beteiligten gerecht anfühlt – zumindest so gerecht, wie es möglich ist.«

Seit diesem ersten gemeinsamen Frühstück sind inzwischen noch einmal drei Jahre vergangen. Drei Jahre, in denen ich viel mehr über Beziehungen gelernt habe, als in den vergangenen 30 Jahren, in denen ich mich selbst mehr oder weniger erfolgreich mit dem anderen Geschlecht auseinandergesetzt habe. In denen ich mich immer wieder mit meinen beiden besten männlichen Freunden, meinen drei besten Freundinnen oder meiner Mutter unterhalten habe.

Deshalb haben Frau Daun und ich schließlich beschlossen: Wir schreiben keinen Rechtsratgeber. Und keine lustige Anekdotensammlung aus dem oft skurrilen Alltag einer Familienrechtlerin. Wir schreiben einen Beziehungsratgeber! Denn: Wer kennt sich besser mit Beziehungen aus, als jemand, der sich ständig mit ihrem Scheitern beschäftigt? Der jeden Tag sowohl Männer als auch Frauen vor sich sitzen hat, die ehrlich vom Beginn bis zum Ende einer Liebe erzählen.

Ich zumindest habe seit meinen Interviews mit Ines Daun einen ganz anderen Blick auf meinen Ex gewonnen. Erst dadurch konnte ich mit ihm abschließen. Weil ich ihn und unsere Beziehung nun verstanden habe. Gleichzeitig weiß ich meinen neuen Lebenspartner tausendmal mehr zu schätzen. Nach jedem neuen Interviewtermin mit Frau Daun würde ich ihm am liebsten den roten Teppich ausrollen, weil ich mich so sehr über ihn freue.

Und ganz ehrlich: Das alles ist gar nicht so schwer, wenn man das Prinzip einer Mann-Frau-Beziehung erst einmal durchschaut hat und mutig genug ist, sich diesen Wahrheiten zu stellen. Ich zumindest bin aus tiefstem Herzen dankbar, dass ich »die Daun« noch einmal anders kennenlernen durfte. Denn sie hat mein Leben unendlich bereichert.

Allerdings ertappe ich mich auch gelegentlich bei dem Gedankenspiel, was eigentlich gewesen wäre, wenn sie nicht seine, sondern meine Anwältin gewesen wäre. Wenn sie nicht meinen Ex, sondern mich durch die Scheidung begleitet hätte. Ich bin mir sicher: Das hätte mir nicht nur zwei Jahre Grübeln erspart. Wäre Frau Daun meine Anwältin gewesen, wäre mir meine Scheidung garantiert nicht als eines meiner schlimmsten Erlebnisse überhaupt im Gedächtnis geblieben. So verrückt es klingt: Meine Scheidung hätte mir vermutlich sogar ein bisschen Spaß gemacht. Zumindest hätte ich bestimmt auch oft gelacht. Ines Daun denkt nämlich nicht nur schnell, sondern auch sehr quer – und das ständig. Mit ihr an meiner Seite hätte ich mich sicher gefühlt. Aufgefangen und beschützt.

Außerdem hätte ich die breite Hängematte noch. Die jetzt im Garten meines Ex-Mannes steht. Vor dem Haus, das er behalten hat. Aber das ist eine andere Geschichte …

Kerstin Dombrowski im März 2018

Lieber lange lieben

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