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Kapitel 8
Оглавление»Irgendwas stimmt nicht mit dem Russen«, grübelte er laut und warf seinem Onkel einen interessanten Happen hin. Der hing seit zwei Stunden in der »Aurora-Bar« herum, zu Tode gelangweilt, nachdem er bereits das sechste SuDoku der gehobenen Schwierigkeitsklasse geknackt hatte. Seniorensport der anderen Art.
»Wennst dir das neuerdings zur Gewohnheit machst, muss ich mir noch einen Krimi ausleihen oder gleich selbst anfangen, welche zu schreiben, wenn ich mit dir verabredet bin«, grummelte Max vorwurfsvoll. Dann, nachdem sein etwas ausgeleiertes Gehör endlich die Meldung ans Gehirn geliefert hatte: »Was -? Was hast grad gesagt? Welcher Russe? Und wo stimmt was nicht?«
Hasso, fass! »Ach so, ist die Nummer ›grimmiger, grantiger Griesgram‹ damit vorbei?«
»Ich helf dir gleich, du Lausbub. Aber sag endlich!«
»Ja, ich weiß auch nicht. Der Mann hat irgendwie keine... keine Umgebung, keinen Hintergrund. Gehabt, meine ich.«
»Wie - schon wieder ein Toter?«
»Nein, der erste. Der mit dem Marcumar. Ich hab versucht, herauszukriegen, ob er Kontakte an Bord hatte. Aber scheinbar ist der seit drei Monaten hier herumgeschippert, ohne groß mit irgendwem Bekanntschaft zu schließen.«
»Wieso sagst denn auf einmal ›der Russe‹? Ich denk, der ist aus Litauen?« Leise Besorgnis nunmehr auch in Max' Stimme. Die Russenmafia, hieß es, hielt eine Menge von Sippenhaftung.
»Als der Bursche groß geworden ist, war das noch Russland. Oder besser Sowjetunion. Alle, die ich gefragt hab, sagen, er hat sich benommen wie ein russischer Oligarch. Die meisten Oligarchen sind Oligarchen geworden, weil sie es mit der Nächstenliebe nicht übertrieben haben, Onkel Max.«
Max Leitner saß da wie erstarrt, die Schuhbürsten, die er Augenbrauen nannte, grimmig zusammengezogen. Das Weißbier - ein Luxus, der hier an Bord so viel kostete wie daheim ein ganzes Tragerl - wollte ihm auf einmal nicht mehr recht schmecken.
»Magst auch einen Schluck?«
»Nein, danke. Ich brauch noch einen klaren Kopf. Dieser Hurvinek - der andere Tote - war zum zweiten Abendessen eingeteilt, und das müsste jetzt allmählich dem Ende zugehen. Da muss ich hin, weil wir über den guten Mann genauso wenig herausbringen wie über den Litauer.« Ein wenig Überstunden schieben konnte nicht schaden, schließlich war Adam noch auf Probezeit.
Tatsächlich erwies sich diese Aussage als prophetisch: Hurvinek hatte an seinem Achtertisch zwar viel über seinen Burnout geredet, aber erstaunlich wenig über sich selbst. Jedenfalls war dies die Essenz all dessen, was seine Tischgenossen - Adam nannte sie in Gedanken »Mitesser«, weil er ein bisschen schwarzen Humor ab und an brauchte - über den Verblichenen von sich gaben. Die Firma, bei der er gearbeitet hatte, nannte sich »Vartalux« oder so ähnlich und hatte ihren Hauptsitz in München, das hatten ein paar von ihnen behalten. Familie? Nein, angeblich Single.
Schon wieder ein einsamer Wolf, war das nicht seltsam? Bei den Frauen kam das oft vor, aber ein Mann allein auf Kreuzfahrt? Adam schrieb sich die Namen der Tischnachbarn auf, insgesamt fünf an der Zahl. Zwei fehlten. »Sind die schon gegangen?«, fragte er in die Runde.
Worauf sich ein Mann Ende vierzig meldete, neben dem sich die beiden leeren Plätze befanden. »Meine Frau ist wieder in unserer Kabine, anders geht es nicht, weil meine Mutter allein völlig hilflos ist. Wir müssen deshalb in Schichten essen. Der weitere leere Platz ist der meiner Mutter.«
»Und wovon lebt die, wenn ich fragen darf?«
»Astronautenkost. Ihr Magen musste vor drei Jahren komplett entfernt werden. Sie leidet an einem extremen Fall von Morbus Bechterew, der nicht nur das Rückgrat, sondern auch die Eingeweide angegriffen hat. Früher war sie Hostess auf einem Schiff wie diesem, deshalb war es ihr letzter sehnlicher Wunsch, noch einmal eine Kreuzfahrt mitzumachen. Wir begleiten sie dabei.«
»Da kann ich Sie nur bewundern«, brachte Adam befangen hervor. Die Mumie im Rollstuhl gehörte also zu diesem Mann und seiner offenbar extrem aufopferungsfähigen Ehefrau. »Hostess« hörte sich nicht nach einer besonders üppigen Erbschaft in Aussicht an.
Die übrigen vier Gäste an diesem Tisch waren: zum einen ein Ehepaar in den Siebzigern, beide breitschultrig, schmalhüftig, halslos. Einander so ähnlich, dass Adam sie auf den ersten Blick für Geschwister gehalten hatte, bis sie sich ihm vorstellten. Zuerst ein wenig reserviert, aber nach einer kurzen Auftauphase recht umgänglich. Eine natürliche Reaktion, wenn man es auf einmal mit einer polizeinahen Institution zu tun bekam, ohne vorher geahnt zu haben, dass es etwas Derartiges an Bord überhaupt gab.
»Haben Sie denn schon einmal jemanden verhaften müssen, Herr Asbeck?«, wollte Frau Bernke sensationslüstern wissen.
»Ja, leider schon. Oder besser gesagt: zu meinem Glück. Wenn wir keine Leistung bringen, weil einfach nichts passiert, kürzen sie uns die Mittel und entlassen die halbe Truppe. Aber ich kann Sie beruhigen: So richtig schlimme Verbrecher waren das nicht. Ein Heiratsschwindler, zwei Spanner, ein Trickbetrüger, ein Taschendieb... Ja, doch, einer war schon ganz schön heftig: Ist zweimal betrunken ausgerastet und hat grundlos auf andere eingeschlagen. Unser Doc hatte ordentlich zu tun wegen dem Kerl.«
»Und die sitzen jetzt alle in Gefängniszellen?«
»Nicht mehr.« Adam lächelte beruhigend. »Momentan steht der Kerker leer. Wir haben das ganze Gesocks in Dublin an die Polizei übergeben. Seither ist nichts mehr passiert.«
Der Mann mit der Mutter im Rollstuhl machte große Augen: wahrscheinlich, weil Adam das tatsächliche Vorhandensein von echten Gefängniszellen nicht dementiert hatte.
»Dann bleibt nur zu hoffen, dass das Schiff fortan verbrecherfrei ist«, sagte der vierte Passagier am Tisch, die intellektuelle, aparte Dame mit ihrer halbwüchsigen Tochter. Sie sprach Hochdeutsch mit einem ganz leichten Schweizer Akzent.
»Das wäre allen Teilnehmern dieser Kreuzfahrt zu wünschen«, erwiderte Adam. »Zumindest, was die ganz schweren Jungs betrifft: Ein bisschen Arbeit brauchen wir von der Security ja, wie gesagt, auch noch.« Dann wandte er sich an das Mädchen. Fünfzehn, schätzte er. Allerhöchstens. »Meine Güte, in meiner Jugend hatten wir nicht so lang Ferien!«
Die Kleine schaute ihre Mutter an, die daraufhin hastig erklärte: »Bianca ist hochbegabt, dies hier ist sozusagen ihre Abiturreise. Bis zum Beginn des Sommersemesters sind wir wieder daheim, dann wird sie Medizin studieren.«
»Hut ab, junge Dame!«
Bianca versuchte ein scheues Lächeln, als wäre ihr der zur Schau gestellte Mutterstolz unsagbar peinlich. Und Adam dachte: Armes Kind - fleißig, blitzgescheit und festgesetzt auf einem Seniorendampfer! Insgeheim war er froh, dass er keine Kinder hatte und sich ihm solche Fragen nicht stellten. Fragen wie Hochbegabung - oder generell, welche Schullaufbahn die richtige wäre. Überhaupt wäre es bei seiner prekären Vorgeschichte verantwortungslos gewesen, Kinder in die Welt zu setzen - mit wem auch immer. Aber da war sowieso weit und breit niemand in Sicht.
»Soll ich den Schiffsarzt fragen, ob du ihm bei der Arbeit ein wenig über die Schultern schauen darfst?« Die Kleine tat ihm leid: Sie musste sich hier ja zu Tode langweilen!
Die Mutter hingegen wehrte schnell ab: »Besser nicht. Ich möchte Bianca noch ein wenig für mich haben, ehe sie studieren geht.«
Eine folgenschwere Entscheidung. Wie dramatisch, davon ahnten weder Adam Asbeck noch Melina Anders, Biancas Mutter, etwas. Aber hinterher ist man bekanntlich immer gescheiter.