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Kapitel 6

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Der Schiffsarzt konnte sich nicht erinnern, je mit dem neuen Todesfall zu tun gehabt zu haben. Obwohl er schon seit einem Vierteljahr auf der »Magic Symphony« mitfuhr, war es das erste Mal, dass Adam die Arztpraxis betrat. Wenn man einmal den weiter hinten gelegenen Kühlraum mit den Schubladen für die Leichen nicht dazu zählte, wo nunmehr die beiden ersten Verstorbenen dieser Kreuzfahrt auf Eis gelegt ihrer gefälligen Abholung durch ihre daheim gebliebene Verwandtschaft harrten.

Zweimal innerhalb von drei Tagen hatte er schon die unangenehme und prekäre Prozedur hinter sich gebracht, zusammen mit dem Doc und dessen blutjungem Assistenten einen Leichnam quer durch das Riesenschiff nach unten zu befördern, und das so unauffällig wie möglich. Eine altersmäßig eher fortgeschrittene Gesellschaft wird ungern mit dem Tode konfrontiert, und man wollte den Passagieren nicht so drastisch die Laune verderben, zumal nicht auf einer Vergnügungsreise.

Beste Zeit für eine derartige Undercover-Aktion: Das erste Dinner. Unerklärlicherweise neigte der Mensch dazu, sein Abendessen mit zunehmendem Alter immer weiter vorzuverlegen, weshalb die erste Essensschicht von halb sechs bis sieben am stärksten frequentiert war. Und was sich mehr oder minder freiwillig zur zweiten Sitzung hatte einteilen lassen, hing hungrig in den verschiedenen Bars herum und stopfte sich derweil mit den Snacks voll, die gratis zur Blue Hour gereicht wurden.

Der langen Rede kurzer Sinn: Kein Mensch auf den Gängen um diese Zeit. Ein ganzes Pandämonium à la Dante Alighieri hätte man da getrost durchschleusen können durch die hunderte Meter langen Korridore der »Symphony«. Den größten Schwachpunkt bildeten die Aufzüge, acht an der Zahl. Zwei davon groß genug, um liegende Personen zu befördern. Adam hatte sich ja vehement dafür eingesetzt, diesmal die Personaltreppe zu nehmen, aber der Doc und sein Helfer hingen an ihren Bandscheiben, also wurde er schlichtweg überstimmt. Dabei wären es in diesem neuen Fall nur vier Decks gewesen, nicht acht wie bei seinem unglücklichen Vorgänger, dem reichen Litauer, und der Verstorbene war wesentlich leichtgewichtiger.

»Sie können den Lift mit Ihrer Schlüsselkarte sperren, dann rauscht er einfach durch bis unten und hält zwischendrin nirgends«, klärte ihn der Doc auf.

»Oh - das wusste ich gar nicht«, gestand Adam. »Es gibt noch so viel, was ich nicht weiß.«

»Dann lernen Sie«, riet ihm Dr. Mertens. »Lernen Sie, mein Freund - zu Ihrem eigenen Besten. Dieses Schiff, müssen Sie wissen, ist wirklich etwas eigenartig.« Nun, da war er nicht der Erste, der das behauptete.

Dann also die Arztpraxis: blitzsauber, elegant, Vertrauen erweckend. An den Wänden festgeschraubt abstrakte Bilder in warmen, positiven Farben. Ein geräumiges Wartezimmer mit gepolsterten Sesseln, die höher waren, als sie aussahen. Gebaut für ältere Patienten eben.

Fern von der Arroganz, die Adam seinem Onkel gegenüber angedeutet hatte, führte Doktor Mertens ihn an diesem Morgen überall herum, zeigte ihm voller Stolz sogar das Glanzstück seiner Ordonnanz, den Operationssaal. Gut, ein Saal war das nicht gerade, eher ein großes Zimmer.

»Wird der tatsächlich öfter gebraucht?«, wollte Adam fasziniert wissen.

»Hin und wieder schon, im Rahmen meiner Möglichkeiten eben.« Schicksalsergeben hob der Arzt die feinen Brauen. Er war längst nicht so alt, wie seine nach hinten geweitete Stirn auf den ersten Blick vermuten ließ. Weit unter fünfzig, vielleicht noch nicht einmal vierzig, schätzte Adam. Ein kleiner, agiler Mann. Sein Assistent, den er stets mit dem Vornamen Karsten anredete, wirkte unglaublich jung inmitten dieses schiffbaren Rentnercamps.

Adam gestattete sich ein unschuldiges Lächeln. »Was denn - gibt's unter denen tatsächlich welche, die ihren Blinddarm noch haben?«

Der Doc zuckte die Schultern. »Das Problem ist in diesem Alter eher die Gallenblase. In unmittelbarem Zusammenhang mit Völlerei zum Pauschalpreis. Nicht dass jüngere Passagiere da besser wären, aber die älteren stecken die ungewohnt üppige Kost nun einmal nicht mehr so leicht weg.«

»Und Ihr Assistent? Ganz schön jung für einen Arzt...«

»Medizinstudent«, erklärte Mertens. »Kluges Köpfchen, darüber hinaus der Sohn von einem unserer Hauptaktionäre. Er darf hier mitfahren, das ist für ihn eine Art Auslandssemester. Aber ja, mittlerweile hat er das Gröbste hinter sich und ist mir eine echte Hilfe.«

»Und sonst haben Sie niemanden zu Ihrer Unterstützung?«

»Wo denken Sie hin, natürlich! Ohne Ellen wäre ich hier unten aufgeschmissen. Sie ist Sprechstundenhilfe, Laborantin, Krankenschwester... Sie kann einfach alles.«

»Ach so, ja, Ellen, klar...«

»Sie ist nur zu den Sprechstunden da oder wenn eine Operation ansteht. Außerdem haben wir auch noch einen Zahnarzt, aber der ist nicht fest angestellt, arbeitet sozusagen auf Provisionsbasis und fährt dafür gratis auf Deck drei mit. Kein schlechter Deal für den Mann, er muss eigentlich eh nur hin und wieder eine Prothese kleben.«

Adam ließ seinen Blick über den blankgeputzten OP wandern, einen Raum von vielleicht sechs mal acht Metern, der aber größer wirkte, weil absolut nichts Überflüssiges hier herumstand. »Das Bestrahlen, macht das auch die Krankenschwester?«

»Sie meinen, die Gamma-Sterilisation? Bestrahlen tun wir hier an Bord nämlich nicht, das ist eine Sache für hoch spezialisierte Radiologen. Obwohl unsere Apparatur dafür auch geeignet wäre. Ja, manchmal macht sie die Sterilisation auch, das ist weniger schwierig, als Sie denken mögen.«

»Weniger gefährlich auch?« Weniger gefährlich als »extrem gefährlich« hörte sich immer noch lebensgefährlich an. Adam hatte eine Heidenangst vor Radioaktivität. Am liebsten hätte er sofort drei bis vier bleiverstärkte Türen zwischen sich und die Strahlenquelle gebracht, die in einem hoch an der Decke angebrachten mächtigen Schwenkarm zu stecken schien. Dorthin nämlich war der Blick des Arztes gerade unwillkürlich gewandert.

Dr. Mertens mochte ahnen, was in dem Security-Steward vorging. »Wissen Sie, die meisten Laien haben völlig überzogene Vorstellungen von der Gefährlichkeit radioaktiver Substanzen.«

Na, die Mäuse wohl nicht, dachte Adam. Wahrscheinlich haben die gar keine Vorstellung von Radioaktivität, bis sie ihnen das Fell grillt.

Der Doc blickte erneut zur Decke. »Richtig, die Kobaltquelle ist dort oben, aber dicht verschlossen. Es gibt verschiedene Filter, beziehungsweise Stahlplatten mit entsprechenden Bohrungen. Theoretisch könnte ich damit tatsächlich auch Krebsgeschwülste bestrahlen. Auf dem Festland werden hierfür inzwischen oft Linearbeschleuniger verwendet, Kobalt kommt allmählich aus der Mode. Aber hier auf dem Schiff, mit all dem Ungeziefer aus den Laderäumen... Wir hatten schon Skorpione, Bananenspinnen, sogar einmal eine Klapperschlange... Kobalt hat sich als die effizienteste Methode erwiesen.«

»Ist das Zeug nicht ziemlich teuer?«

»Billiger, als den OP auf Deck drei zu verlegen, wo es garantiert mäusefrei wäre. Krankenhäuser sind auf Schiffen immer da, wo man beim besten Willen keine Passagiere mehr unterbringen kann. Und steriliseren müssten wir oben trotzdem auch.«

»Mäusefrei, sagen Sie... Und was war mit der Maus auf Deck acht, in der Kabine von dem Litauer?«

»Keine Ahnung. So weit hinauf kommen sie normalerweise nicht. Wozu auch? Hier unten ist das Futter für sie leichter zugänglich.«

Adam nahm sich vor, seine Mahlzeiten in der Personalmesse in Zukunft auf Bissspuren zu untersuchen. Angenagte Lebensmittel würden sie ja garantiert nicht den zahlenden Passagieren unterjubeln, wenn die Mäuse zu viel übrig gelassen hatten, um es einfach wegzukippen. Nachdenklich meinte er:

»Sie war seltsam, diese Maus: Wie ausgetrocknet oder innen hohl.« Seine Mutter hatte immer Katzen gehalten, die aus lauter Dankbarkeit für Kost und Logis ihre Beute ins Haus zu schleppen pflegten. Deshalb wusste Adam, wie sich eine tote Maus anzufühlen hatte. Auf jeden Fall schwerer und irgendwie wabbelig.

Der Doktor starrte ihn an, als wäre er nicht ganz bei Trost.

Mausetot auf hoher See

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