Читать книгу Mausetot auf hoher See - Inge Hirschmann - Страница 4
Kapitel 2
ОглавлениеWar das womöglich der Startschuss, auf den so manch einer auf diesem Schiff längst gewartet zu haben schien? Insbesondere der Sicherheitschef Edmund Sandtner und Adams neuer Freund und Kollege Jochen...
Sandtner war bei Adams Vorstellungsgespräch in Hamburg dabei gewesen. Er und ein Mann von Joster und Colani, denn Seven Seas Security war eine hundertprozentige Tochterfirma dieser Reederei. Außerdem ein leitender Angestellter des Hotelbereichs der »Symphony«.
»Man möchte nicht glauben, dass Sie schon zweiundfünfzig sind«, hatte Sandtner zu Adam gesagt, nachdem dieser diverse Fitnesstests und eine umfassende ärztliche Untersuchung über sich hatte ergehen lassen müssen. Wirklich eine umfassende: Für seinen Geschmack viel zu viele Spritzen, mindestens einen halben Liter Blut hatten die ihm in kleinen Dosen abgezapft. Und offenbar nichts Schädliches darin gefunden.
Adam hasste Spritzen abgrundtief. Seine Mutter war Krankenschwester gewesen und hatte ziemlich viel davon gehalten, Medikamente immer gleich auf dem direktesten Wege zu verabreichen, statt sich mit einem zäpfchenverweigernden Kleinkind herumzuschlagen. Freilich hatte sie die Tortur danach fast immer mit einer kleinen Nascherei belohnt. Oft war das eine Breze gewesen, der dicke Brezenbauch aufgeschnitten und saftig mit Butter vollgeschmiert, die knusprigen Seitenteile – von der Mutter liebevoll als Flügerl bezeichnet – mit kleinen Flöckchen belegt. Da war die Injektion dann schnell vergessen gewesen.
Tempi passati. Mutter tot, die Heimat für immer verloren. Jede Art von Heimweh im Sinne längerfristigen Überlebens ersatzlos gestrichen!
»Unser Doc sagt, Sie sind biologisch auf dem Stand eines Mittdreißigers.«
»Gute Gene«, hatte Adam erwidert, der tatsächlich auch erst neununddreißig Jahre alt war. Mittdreißiger war trotzdem schmeichelhaft. Aber wie gesagt: Wenn man falsche Papiere brauchte, musste man nehmen, was gerade im Angebot war. Unter diesen Umständen war es fast ein Wunder zu nennen, dass sich die Reederei überhaupt erst mit seiner Bewerbung befasst hatte. Ein Vorteil war wohl gewesen, dass er sie gleich persönlich vorbeigebracht hatte. Selbstbewusst und voller Elan war er dabei aufgetreten - hatte er doch gerade erst die geniale Eingebung erfahren gehabt, wie er dem Paten von Hallerbach doch noch beikommen könnte, ohne für den Rest seines vermutlich viel zu kurzen Lebens dessen Killer von der Russenmafia am Hals zu haben - und wie er seine Familie vor der rachsüchtigen Mischpoke schützen würde, die ja nur mehr aus seinem Onkel bestand (die Familie, nicht die Mischpoke). Der Oheim immerhin war unter seinem echten Namen Max Leitner an Bord, als ganz normaler Passagier.
Wahrscheinlich hatten Adams große graublaue Augen beim Vorstellungsgespräch ziemlich abenteuerlustig gefunkelt und sein gesamtes Selbst diese große Vorfreude ausgestrahlt, diese Aufbruchslust zu neuen Horizonten. Keine Ahnung, woher er das hatte: Seinen Vater hatte er nie kennengelernt, aber vermutlich kam diese Charaktereigenschaft von ihm. Obwohl seine Mutter in jüngeren Jahren schon auch ein rechter Zugvogel gewesen sein musste, wenn man seinem Onkel Max glauben wollte. Im Lichte solcher Hochstimmung war der IQ-Test auch bemerkenswert gut ausgefallen. Sicherheitsleute an Bord eines Schiffes mussten sich jedes noch so kleine Detail merken können. Da das bei Polizisten genauso war, hatte ihm diese Prüfung ebenso wenige Schwierigkeiten bereitet wie der Reaktionstest. Irgendwann später, als sie auch noch geschaut hatten, wie es mit seinen Selbstverteidigungskenntnissen stand, war er dann schon mal ein wenig stutzig geworden. »Darf ich eine Frage stellen?«, hatte er das gestrenge Dreigestirn (Sandtner, Reedereimann und Stellvertreter des Quartiermeisters) gefragt. Und dann: »Wie oft wird dieses Schiff eigentlich von Piraten überfallen?«
Woraufhin alle drei erst einmal leicht zusammengezuckt waren und dann hellauf gelacht hatten. Am wenigsten lang hatte Edmund Sandtner gelacht und sich dann zu der folgenden Aussage durchgerungen:
»Das vielleicht nicht gerade. Aber Sie werden schon noch die Gelegenheit erhalten, Ihre Fähigkeiten und Ihre erstklassige Fitness einzusetzen. Wenn die nächste Fahrt so verläuft wie alle... Tatsache ist, die Kreuzfahrtindustrie ist ein Wachstumszweig und nicht besonders versessen darauf, negative Schlagzeilen an die Presse zu liefern. Keine Reederei, die sich damit ihr Geld verdient, ist das. Also, wenn Sie nichts in den Nachrichten hören von schweren Zwischenfällen, Mord und Totschlag auf hoher See, dann heißt das nicht, dass es sie nicht gibt. Verstehen Sie mich?«
An diesem Punkt hatte Adam den Arbeitsvertrag schon unterschrieben gehabt und auch die Schweigeklausel. Der Arbeitsvertrag sah eine viermonatige Probezeit vor, die Klausel nicht. Und die Reederei gebot über ein Heer von Anwälten.
»Jetzt merken Sie gut auf, Asbeck: Sehen Sie das Gebäude da, das mit den postmodernen Arkaden? Also, nach jeder Fahrt steht dort drüben zuverlässig ein Mann von der Bild-Zeitung und wartet auf redselige Crewmitglieder. Leute vom Sicherheitsdienst sind besonders gefragt. Wenn wir Sie mit diesem Mann reden sehen, sind Sie gefeuert, klar?«
»Klar, Chef!«, sagte Adam und hätte beinahe salutiert. Außerdem verkniff er es sich gerade noch, zu betonen, dass man als Polizist auch keine Insiderinformationen an die Presse geben durfte.
»Und seien Sie pünktlich: Am dreiundzwanzigsten um neun Uhr früh stechen wir in See, von dem Pier da hinten aus. Sie müssen spätestens am Mittag zuvor da sein. Und packen Sie ein paar Energieriegel ein: Der Dienst ist anstrengend. Doppelschichten sind nicht jedermanns Sache.«
Sechs Wochen nach diesem Gespräch hatte er angefangen, sich zu fragen, ob er wohl auf das übliche Landratten-Veräppeln hereingefallen war. Dieses Schiff war nicht krimineller als ein Altenheim, und von den ganzen juristisch verfolgbaren Verstößen gegen die Zehn Gebote kam allenfalls Diebstahl hin und wieder vor. Schmuck wurde geklaut, ab und an auch Bargeld - das eher seltener, weil ja auf Kreuzfahrtschiffen alles über die Bordkarte verrechnet wurde außer der Arztbesuch und das Casino -, das eine oder andere Handtäschchen, sogar einmal ein Hörgerät der neuesten Generation.
Das Laster der Lüsternheit in all seinen Varianten fristete bei dem Altersdurchschnitt an Bord eher ein Schattendasein, obwohl tatsächlich hin und wieder ein Spanner von sich reden machte. Aber nichts Gravierendes halt. Um Vergewaltigungen möglich zu machen, hätte der Schiffsarzt Viagra im Sortiment haben müssen. Da nichts dergleichen vorkam, hatte er das wohl nicht. Die Reederei zahlte ihm ein festes Gehalt, weswegen er nicht gewinnmaximierend denken musste, sonst hätte er diese Lücke in seinem Medikamentensortiment gewiss schon bitter bereut. Anders als an Land war auf Schiffen das Edikt von Salerno außer Kraft gesetzt, das den Beruf des Arztes streng von dem des Apothekers trennte. Der Doc gab also auch die Medikamente aus, die er vorher verordnet hatte. Genau genommen war hierfür in der Hauptsache die Bordkrankenschwester zuständig, eine niedliche Blonde mit einer wilden Gelfrisur und einem Haufen Energie. Die würde sie auch benötigen - in einem zweiköpfigen medizinischen Team für siebzehnhundert Senioren und neunhundert Mann Besatzung, die auch nicht immer immun gegen sämtliche Krankheiten waren.
Ab und an flippte jemand aus, weil er zuviel getrunken hatte, woraufhin ihm in schlimmeren Fällen eine Laktoseinfusion (kostenpflichtig, in bar zu bezahlen) und in unbedenklichen eine Schlafkabine (Ausnüchterungszelle auf Deck eins) zuteil wurde. Eine richtige Zelle war das allerdings nicht, stattdessen ein abschließbares Kabuff von Kabine mit Kunststoffboden statt Teppich und weißer Baumwollbettwäsche, die Kochtemperaturen vertrug. Nicht zu vergessen die flüssigkeitsabweisende Molton-Einlage über der Matratze.
Jeder Sicherheitsmann verfügte aus Hygienegründen über die besagten Latexhandschuhe. Außerdem über Handschellen und ein Pfefferspray. Eins von der Sorte, für die man nur volljährig sein musste und nicht mal den Kleinen Waffenschein benötigte. Spielzeug, aber besser als gar nichts.
Aber es waren schon auch richtige Gefängniszellen an Bord, tief im Bauch des Schiffes auf Deck A, dem Vorhof zur Hölle
- also zum Maschinenraum, wo es unerträglich heiß und nervenaufreibend laut war. Diese Räumlichkeiten trugen den schönen Spitznamen »Rattenkäfige«. Acht an der Zahl. So viele, hatte Adam im ersten Schreck gedacht, als Sandtner sie das erste Mal erwähnt hatte. Und das, nachdem Adam schon die eine oder andere Woche an Bord war.
»Und wofür - für wen sind die, Chef?«
Da hatte Sandtner so ein wölfisches Grinsen aufgesetzt. Adam erinnerte er immer stark an einen emeritierten bayerischen Politiker in jüngeren Jahren, was vielleicht nur an der Gleichheit der Vornamen lag. Aber er war auch ein bisschen dieser Typ: dunkelblondes, ergrautes Haar, hohe Stirn, strenger Blick. Und eine hellwache Intelligenz hinter den etwas stechenden, dunkelbraunen Augen. Dass dieser Mann schon so einiges erlebt hatte, konnte und wollte er wohl auch nicht verheimlichen. Außer natürlich der Presse gegenüber.
»Warten Sie's ab, Asbeck: Bisher hat sich noch jedesmal ein
Vögelchen gefunden, das in einen der Käfige gesteckt werden musste. Die sind nämlich mehr für den Bereich ›Delikte am Menschen‹. Oder haben Sie geglaubt, mit ihren Jiu-Jitsu-Künsten nur Taschendiebe und Grapscher beeindrucken zu müssen?«
Die Rattenkäfige also...
Adam hatte damit gerechnet, seinen nahezu allmächtigen Vorgesetzten eine Woche lang vollbimsen zu müssen, bis der sie ihm zeigen würde. Oder besser gleich den direkten Weg über Jochen Kornreder zu versuchen, seinen neuen Kumpan an Bord, mit dem er sich die Kabine teilte. Was heißt, Kabine: eher ein größeres Klo, das, wäre es ein separater Wohncontainer gewesen, sich mit etwas Training zur Not noch mit einer Sackkarre hätte transportieren lassen. Und das für zwei ausgewachsene Männer! Es ging aber das Gerücht, dass auf Schiffen unter anderer Flagge als der deutschen durchaus auch Sechserkabinen vorkommen sollten.
Freilich hätte er auch auf eigene Faust losziehen können mit seiner Chipkarte, die fast überall sperrte, und den Kerker eigenhändig suchen. Aber er war erst einmal dort unten gewesen im Bauch des fast dreihundert Meter langen Schiffes und hatte seitdem eine Heidenangst, sich zu verirren. Deck A und B waren ein Labyrinth von Hogwarts'schen Ausmaßen. Eigentlich war seine Orientierung ziemlich gut, nur nicht in Gängen, die noch nie einen rechten Winkel gesehen hatten, und unter jeglichem Ausschluss von Tageslicht.
Aber so schwierig war es sowieso nicht, eine Besichtigungstour durch den Kerker zu ergattern: Die Bordsecurity war regelrecht stolz auf ihr Gruselkabinett. Acht Zellen entlang eines Korridors sieben Meter unter der Wasserlinie, alle in einer Reihe und mit wenig mehr möbliert als einem am Boden festgeschweißten Bettgestell mit Matratze, einem Klapptisch und einer Toilette samt Waschbecken. Davor eine Gittertür, also Stahlstäbe von oben bis unten ohne auch nur einen Hauch von totem Winkel. Nicht einmal austreten konnte ein Häftling gehen, ohne dass ihm gegebenenfalls ein Sicherheitsmann dabei zusah. Die Lüftung war aber ausgezeichnet. Zustände wie in einem amerikanischen Knast waren das, einen solchen hatte Adam vor etlichen Jahren, noch in seiner guten Zeit als Polizist, einmal besucht. Studienreise für besonders fähige Polizeibeamte, Schwerpunkt Arizona, wo seit Jahrzehnten der scheinbar alterslose Sheriff Joe Arpaio ein hartes und gerechtes Regiment führte. Mit einem Hauch von Wehmut erinnerte er sich an diese hochinteressante Reise zurück - und ohne den Hauch einer Ahnung, wie oft er später noch im Schichtdienst hier unten herumsitzen und irgendwelches Gelichter bewachen helfen würde.
Wahrscheinlich war die »Symphony« wirklich ein Sonderfall. Und doch: Bis weit nach Feuerland würden sich die bösen Kräfte an Bord noch Zeit nehmen, sich zu sammeln...
»Du, Jochen?«, fragte er eines Abends seinen Zimmergenossen.
»Ja?«
»Ich glaube, der Chef hat mich da ganz kolossal hochgenommen bei meiner Einstellung. Um nicht zu sagen, verarscht.«
»Sandtner oder der Käpten?«
»Du bist lustig! Den Käpten hab ich bisher noch überhaupt gar nicht gesehen.«
»Ja, klar eigentlich. Der hat eine andere Kantinenschicht, und abends isst er oft mit unseren Gästen. Also Sandtner?« Einen Meter unter Adam wälzte Jochen sich geräuschvoll auf den Bauch. Er war eher schlank gebaut, aber mit breiten Schultern, und so groß, dass es im Bettgestell doch erheblich quietschte, wenn er sich bewegte. Außerdem schnarchte er. Na ja, Adam wahrscheinlich auch. Er wusste es nicht, da er seit Jahren als Single gelebt und somit diesbezüglich kein Feedback erhalten hatte. Dass Jochen sich bisher nicht beschwert hatte, konnte einfach an seinem friedliebenden Charakter liegen. Adam hatte sich ja im Gegenzug auch noch nie beschwert wegen gleichfalls grundsätzlich pazifistischer Gesinnung. Beide wollten Harmonie in der engen Bude haben.
»Ja, Sandtner.«
»Aber geh, Sandtner - der hat doch nicht den Hauch von Humor. Wenn der was sagt, meint er's immer total ernst. Kurze Ansage, wenn Kacke am Dampfen - wenn du verstehst, was ich meine.«
Jochen Kornreder stammte aus dem Chiemgau, soviel hatte Adam schon herausgefunden. Recht viel redete der Lange darüber aber nicht, das schien kein angenehmes Thema für ihn zu sein. Nur soviel, dass er eigentlich als Animateur auf die »Symphony« gekommen war und sich dann schnell für einen anderen Job beworben hatte, wo das Kasperletheater sich in Grenzen hielt.
Adam erwiderte nichts. Das musste er erst einmal sacken lassen. Außerdem erforderte die pure Vernunft, dass sie beide sich bald mal ein Mützchen Schlaf holten. Es war schon gleich Mitternacht (Bordzeit), und früh um acht begann die nächste Tagschicht. Eine Doppelschicht von acht bis zweiundzwanzig Uhr. Die Nachtschicht dauerte hingegen nur zehn Stunden, aber das war im Dunkeln auch ganz schön viel. Der Tagdienst also: vierzehn Stunden mit einer klitzekleinen Mittagspause, die auch wieder schichtweise genommen werden musste. Also halb sieben aufstehen, Morgentoilette mit obergründlicher Rasur, Frühstück fassen und zur Überbrückung der langen Hungerphase bis zwei Uhr nachmittags, wo sie beide zum Mittagessen eingeteilt waren, noch eine Käsesemmel einstecken. Solche Tricks hatte Jochen ihm schon gleich am Anfang beigebracht. Obwohl Adam spätestens am zweiten Tag mit nagenden Hungerqualen im leeren Magen vermutlich von selbst drauf gekommen wäre. Jochen war von Anbeginn ein wirklich guter Freund.
Dasselbe anlässlich der Mittagspause machen, zur Not mit ein paar Scheiben nackigem Brot, das keine Flecken in der Hosentasche hinterließ, weil es danach wieder siebeneinhalb Stunden durchging. Jeder Sicherheitsmann hatte seine feste Runde, auf der ihm tunlichst nichts Verdächtiges entgehen sollte. Oder Edmund Sandtner würde dem fahrlässigen Sünder höchstpersönlich die Ohren wegrasieren. Jedenfalls rechneten alle neu eingestellten Sicherheitsleute permanent mit solchen Sanktionen. Der Mann hatte einen Ruf wie Donnerhall. Sagte zumindest Jochen. Weil nämlich: Einen anderen neu eingestellten Sicherheitsmann - außer sich selbst - konnte Adam beim besten Willen nicht auftreiben. Mittlerweile kannte er die meisten seiner Kollegen. Er hatte auch irgendwo aufgeschnappt, dass die Truppe derzeit aus zweiundzwanzig Mann bestand, obwohl eigentlich Planstellen für vierundzwanzig Leute vorhanden waren.
Schon irgendwie seltsam, oder?
»Ist das oft so?«, fragte Adam nach unten. Als Neuzugang hatte er selbstverständlich das obere Bett nehmen müssen. War ihm aber angesichts der größeren Masse seines Zimmergenossen im Grunde auch lieber, und mit Höhenangst oder Schlafwandeln - fatal im oberen Stockbett - hatte er keine Probleme.
»Was?«, murmelte Jochen schläfrig. Adam hatte die Information zuvor offenbar ein wenig zu lange sacken lassen, sein Partner war am Einnicken.
»Ja, dass die Kacke am Dampfen ist, das halt.«
»Pffhhh... ja, eigentlich schon. Allerdings letztens schon länger nicht mehr. Dauert schon ganz schön lang, die ereignislose Zeit, wenn ich überleg. Vielleicht liegt's ja an dir.«
»An mir?«, fragte Adam leicht fassungslos, setzte sich abrupt auf und fluchte irgendwas daher, weil er sich den Kopf an der stählernen Decke gestoßen hatte.
»Schimpf nicht so laut, sei lieber froh, dass du zehn Zentimeter kleiner bist als ich!«, lachte Jochen. »Was meinst du, wie gut das tut, wenn man sich da oben genau die Augenbrauen anhaut?«
Adam tastete seinen Scheitel ab, der zu seinem Glück recht dicht behaart war. Ja, in seinem ersten Leben, da hatte er eine wahre Löwenmähne sein eigen genannt und auch ausgiebig kultiviert, selbst als Polizist. Aber seit dem Schiff waren sie kurz, die überbordenden Locken, weil man als Sicherheitsmann doch eine gewisse Seriosität transportieren sollte an Bord.
Wie auch immer: kein Blut, schon mal gut! Hirn wieder hochfahren, zuletzt gestellte Frage abrufen... »Also nochmal: Was liegt an mir?«
»Hm, scheinbar ist mit dir eine ordnende Kraft an Bord gekommen, die unseren Klabautermann bezähmt. Glaub mir, ich hab früher auch darüber gelacht - aber das Schiff ist tatsächlich seltsam, weißt du.«
»Seltsam?«, fragte Adam und versuchte, sich auf dem schmalen Bett bequem auszustrecken. Er war gut einsfünfundsiebzig groß und hatte selbst bei der Länge schon Probleme. »Ich finde bloß, dass es ein wenig kneift unter den Achseln...«
»Hahaha!«, lachte Jochen. »Gut gebrüllt, Löwe! Unter den Achseln kneift's, und irgendwo zwischen Schornsteinkante und Kiel ist immer der Teufel los. So war's jedenfalls bisher. Es gibt Leute hier, wirklich, die behaupten steif und fest, unsere ›Symphony‹ wär von einer rothaarigen Frau in einem grünen Kleid getauft worden.«
»Hah?«
»Das sind exakt die zwei Farben, die der Klabautermann total überhaupt nicht mag, angeblich. Wenn du ein Schiff taufen möchtest, nimm bloß keine rothaarige Frau! Da wär womöglich sogar der Prinz Harry schon ein Problem, obwohl er ein Kerl ist. Einfach wegen der Haarfarbe.«
»Wieso, hat der schon mal ein Schiff getauft? Oder womöglich gar die Fergie?«
»Weiß ich ehrlich gesagt nicht. Aber das bringt uns auch schon zu weit vom Thema ab. Tatsache ist, dass mit unserer ›Symphony‹ was nicht stimmen kann. Die Verbrechensrate ist extrem hoch hier an Bord.«
»Wie willst du das beurteilen - wenn doch die anderen Reedereien auch alle mauern, was das Zeug hält? Oder meinst du, bei denen muss man keine Schweigeklauseln unterschreiben?«
»Ist vielleicht mehr ein Bauchgefühl. Aber was soll's, unsereiner muss ja froh sein, wenn er was zu tun hat, nicht wahr?«
»Ja, klar. Geht mir auch so. Ist aber wirklich nicht viel los bisher.«
»Kommt schon noch«, meinte Jochen. »Kommt garantiert noch. Warum meinst du, dass unser Sandtner schon die ganze Zeit so nervös ist? Weil nichts Nennenswertes passiert, deswegen ist er nervös. Der wartet längst auf den Big Bang!«
Im Sichtschutz seiner Matratze hielt sich Adam den Zeigefinger an die Schläfe und drehte ihn leise hin und her. Die »Symphony« - ein Schiff mit Klabautermann? Und morgen Abend, fragte er sich, kommt dann die Geschichte vom Monsterkraken und von den untoten Seelen und von dem Piratenkapitän, der von seinen Leuten aus dem Jenseits zurückgeholt wird, indem sie einfach das Schiff zu einer magischen Stunde zum Kentern bringen? Und dann die Sirenen? Auf die freute er sich schon direkt...
Über dem Gedanken, dass ja wohl kein Geringerer als der alte Homer mit seiner Odyssee das Seemannsgarn erfunden hatte, schlief er ein.