Читать книгу "In der Klapse" - Inge Müller-Keck - Страница 8

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Frau Ächler

In den ersten Tagen war alles hektisch, neu und ungewohnt, so dass die Depression mich noch intensiver überkam. Der Alltag in der Klinik war so weit weg von meinen Vorstellungen, wie ein Maulwurf von einer Medaille bei der Rallye Dakar. Unsicher, mit bitterer Seele und sicher einem gequälten Gesichtsausdruck musste ich nun begreifen, was, wer und wo von mir wollte.

Zu Beginn erreicht jede Frau und jeder Mann locker die empfohlenen 10.000 fithaltenden Schritte, so auch ich. Alle Räumlichkeiten mussten erst einmal gesucht und gefunden werden. Die erste Untersuchung, das erste EKG, die erste Blutentnahme, die ersten Tagespläne, nochmals EKG, es war dermaßen stressig, ich kam mir vor, wie der Willi im Wimmelbuch.

Jetzt sind wir schon mittendrin im Alltag eines Patienten der Klinik, genauer gesagt in meinem persönlich erlebten Alltag. Wie erwartet, ging es recht schnell ans Eingemachte. Meine Therapeutin bei den Einzelgesprächen war Frau Ächler. Die Arme hatte es nicht einfach mit mir. Da saß ich nun vor ihr, eine Frau, vereist, nicht richtig verstehend, wieso sie plötzlich zum Spielball des Schicksals geworden und wie es so weit gekommen war. Im allerbestem Rubenskörper saß ich gebeugt auf meinem Stuhl und haspelte blubbernd zusammenhanglose, deutsche Wörter ohne Sinn und mit wenig logischem Verstand. Den Kauderwelsch-Schlüssel in der Hand gelang es ihr erstaunlich schnell, die mich belastenden und erdrückenden Probleme aus mir herauszuholen. Durch ihre Fragen und ihre Empathie fasste ich Vertrauen und durch meine Tränen hindurch konnte ich einen ersten klaren Blick auf meine zerrissene gegenwärtige Situation riskieren.

In einer von vielen Sitzungen erzählte ich ihr von meinen durchwachten Stunden und sie ermunterte mich zum bildlichen Denken. So gelang es mir, mich zu öffnen und ich erzählte ihr von dem verachtenden Verhalten der Amöbenhirne und dem genauso verachtenden Verhalten meines Vorgesetzten. Alles sträubte sich in mir, den Krämer „Chef“ zu nennen. Nein, er war für mich ein moralisches Vakuum geworden, weltenweit entfernt von allen Charaktereigenschaften, die ich an einem Menschen schätzte. Es entstand die Idee des “Raketenmannes“. Da meine berufliche Situation noch weit entfernt von einer Klärung war, ermutigte sie mich, ihn auf den Mond zu schießen bis ich eine Lösung habe. Der Raketenmann war geboren, eine wunderbare Umschreibung bis zum heutigen Tag.

Mit dem Mond habe ich ein kleinwenig Mitgefühl, doch mehr Gefühle investiere ich nicht mehr. Die Amöbenhirne waren ihr und auch den anderen Therapeuten während meines Aufenthaltes nicht viel Zeit wert, ihr Verhalten wurde als unüberlegt und unreif eingeordnet. Neidische Menschen seien oft Empathieallergiker, die 30 Silberlinge hätten sie sich doch zu Recht verdient.


Begegnung

Frau Ächler schaffte es durch ihren Zuspruch, mich während des Weinens zum Lächeln zu bringen. In diesem besonderen unwirklichen Augenblick entstanden endlich wieder guttuende Farben in meinem Kopf.

Die Eisbergschmelze begann, die Moorleiche, im Morast liegend, fing an, sich zu bewegen. Mich wieder zu spüren war Balsam für meine schmerzende Seele. Viele traurige, unsichere, mit Zweifeln und in Schmerz geführte Gespräche folgten. Frau Ächler ließ mir Zeit, meinen Gedanken nachzuhorchen, sie zu revidieren und neu zu überdenken. Sie lenkte mich mit Fragen, die mir in meinem Denken zu eigenen Antworten verhalfen.

Die Therapiestunden beschäftigen mich derart, dass ich oft Sequenzen nochmals träumte oder sie im Traum fortführte. Dabei öffneten sich erstaunlicherweise Gedächtnisschubladen und es zeigten sich Wege, Richtungen und Möglichkeiten zu agieren.

Die Einzelsitzungen waren kein Frühlingsspaziergang, doch sie brachten wieder ein laues Lüftchen in mein an gemieftes Denken. Das Lüftchen wurde recht schnell zu einer steifen Brise, es pfiff auch in den hintersten Ecken meines verwirrten Denkens. Ich kaufte mir ein Vokabelheft und schrieb jeden gehörten hilfreichen Satz hinein. Zu vielen Empfehlungen malte ich Bilder, Symbole und Lebenslinien. Ich hatte Zeit und die Nächte waren unendlich lang. Dieses Aufschreiben von getätigten Aussagen behielt ich bis zum Ende meines Aufenthaltes bei. Das Heft ist fast voll geworden und vermutlich gehört es zu den Dingen, die ich noch lange Zeit Zuhause in einer meiner „Gruschel-Schubladen“ behalten werde.

Ich lernte, meine Gedanken zu sortieren und wieder kamen Erinnerungsteile zurück. Es war wie ein unvollständiges Puzzle im Kopf, unglaublich und erstaunlich, in meinem psychischen Ausnahmezustand hatte ich vieles vergessen. So saß ich dann bei Frau Ächler und schmolz vor mich hin. Meine Therapeutin half mir, mit einem klaren Blick auf meine Seele zu sehen, zum Teil sprachen wir in den Sitzungen Zukunftsmöglichkeiten auf ihre Tauglichkeit durch. Nach 14 Tagen Dauerweinens prickelte meine innere Haut und ich konnte mich wieder spüren. Das Selbstwertgefühl kam wieder zu mir zurück.

Danke Frau Ächler.



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