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Prolog

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„Lieber Gott, mach mich fromm, dass ich in den Himmel komm.“

Inbrünstig oft stoßgebetartig wiederholtes Gebet in meiner Kindheit, wenn ich wieder einmal mit Drohungen, auf mich warte das Höllenfeuer, ohne Abendbrot ins Bett geschickt wurde. Dort drehte ich mir eines Winters aus lauter Frust und Langeweile alle Knöpfe meiner Bettstrickjacke ab, da ich nie so früh einschlafen konnte. Für Lesen war es schon zu dunkel und elektrisches Licht hatte ich in solchen Nächten nicht zur Verfügung, da mein Vater die Sicherung für diesen Teil des Hauses herausgedreht hatte. In solchen Nächten hatte ich viel Zeit zum Nachdenken. Warum war ich so böse und meine nur ein Jahr jüngere Schwester so lieb? Waren nur d i e Gottes Kinder, die gut waren, keine Widerworte gaben und sich nicht ständig die Sonntagskniestrümpfe zerrissen? Jesus hatte gesagt, lasset die Kindlein zu mir kommen, hörte ich im Religionsunterricht, aber ich war anscheinend nicht damit gemeint. Es gab Bedingungen: den Erwachsenen gehorchen, nicht lügen und nicht stehlen; auch durfte man weder seine Schwester noch seine Tischnachbarin ärgern. Dabei machte doch beides einen Heidenspaß. Schon bald fiel mir auf, dass Heiden ja nicht an Gott glauben – ich war also Heide – und hatte deshalb Spaß.

Das Knopfabdrehen hatte besonders viel Spaß gemacht. Auch der Gedanke an die nächste unwiderrufliche Strafe wie Taschengeldentzug oder Leseverbot hinderte mich nicht daran, lustvoll Knopf für Knopf zu umfassen, zu drehen, bis das Nähgarn Knack machte und ich den hellblauen Knopf auf den Nachttisch warf. Mancher landete auch auf dem Boden, wie mir ein rollendes Geräusch kundtat. Mit heimlicher Freude drehte ich nacheinander alle neun Knöpfe ab, während ich an den Wutschrei meiner Mutter am nächsten Morgen beim Wecken dachte. Sie riss mir immer brutal die Bettdecke weg, das hatte sie beim BDM gelernt, dachte ich später, als ich etwas von der Nazivergangenheit meiner Eltern begriff. Nach welcher angeblichen Schandtat auch immer, sie enttäuschte mich nie, da sie mich grundsätzlich jeder Bosheit verdächtigte, selbst wenn ich nichts getan hatte, wohl aber meine ach so liebe Schwester. Ihr spitzer Schrei beim Anblick der abgedrehten Knöpfe und der Ruf nach Hermann, meinem Vater, waren mir eine billige Genugtuung.

Mit Beginn der Pubertät schien mir das In-den–Himmel-Kommen nicht weiter erstrebenswert. Nachdem ich das Buch von Ute Ehrhardt, „Gute Mädchen kommen in den Himmel, böse überall hin“, gelesen hatte, wusste ich, dass Bravsein für mich keine Option war. Mit dem Abitur in der Tasche konnte, nein musste ich weg, weg von allem, der miefigen Spießigkeit meiner Eltern und Umgebung, ihrer falschen Frömmelei, weg von allen Erziehungskonzepten, deren Saat bei mir per se nicht aufgehen konnte.

Memoiren einer Tochter aus schlechtem Hause

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