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Der Neue

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Deine Lieblingsvorlesung ist eindeutig Predigtlehre bei dem zwergenhaften Professor Sturm mit dem kuriosen Eidechsengesicht. Noch befremdlicher für eine Norddeutsche, die schon mit bayerischem Dialekt Verständnisschwierigkeiten hat, ist seine Aussprache, die mit rollendem R und sonorer Klangfarbe den Schweizer verrät, obwohl er betont Hochdeutsch spricht. Matthias hat dir gleich zu Beginn des Semesters geraten, seine Vorlesung zu besuchen, obwohl sie eigentlich erst für höhere Semester gedacht sei. Er würze seine Vorlesung mit so vielen literarischen Beispielen, dass man glauben könne, sich in einer Germanistikvorlesung zu befinden. Das hat dich gereizt, denn du hast ursprünglich zwischen Germanistik und Theologie als Studienfach geschwankt. In Deutsch bist du immer gut, manchmal sogar die Beste deiner Klasse gewesen. Aber Lehrerin hast du nie werden wollen. Predigten schreiben und Gottesdienste gestalten ist dir dagegen interessant erschienen, nachdem du einmal in der Oberstufe eine Lutherpredigt anlässlich eines Reformationsgottesdienstes hast halten dürfen. Deine Religionslehrerin hat wie in einer Theaterprobe mit dir geübt, wo du wann stehen musstest, Gebete und Lieder mit dir zusammen ausgesucht und eine Leseprobe mit dir auf der Kanzel veranstaltet. Du warst beeindruckt, wie gut deine, für eine Frau recht tiefe Stimme klang und bis in die letzte Reihe des Kirchenschiffs zu hören war, wie dir versichert wurde.

Matthias hat Recht behalten. Du freust dich jede Woche auf Predigtlehre, neugierig auf neue literarische Beispiele, mit denen Prof. Sturm seine Vorlesung spickt wie der Sterne-Koch einen Braten mit Speckscheiben. Schon die erste Vorlesung wird ein Hoch-Genuss. Erstaunlich, wie aus diesem Zwerg, der eine Fußbank benötigt, um über das Katheder zu ragen, eine gewaltige Stimme knarzt – nie wirst du die ersten Sätze vergessen: „Meine drei größten Leidenschaften sind: Skifahren, Holzhacken und Predigen.“

Und so geht es weiter. Sein offensichtlicher Lieblingsdichter ist Kurt Marti, denn den zitiert er am häufigsten, auch Max Frisch kommt öfter vor. Beides Schweizer. Du erkennst etliche Zitate aus Homo Faber, ehe der Name gefallen ist. Den Roman um den Ingenieur Walter Faber hattet ihr im Deutschunterricht gelesen. Du fandest ihn sehr spannend und aufregend. Du erinnerst dich noch heute an die Hauptfigur und sein rational-technisches Weltbild. Faber glaubt nicht an Fügung, Schicksal oder Tod, sondern hat sich der Machbarkeit verschrieben. Tatsachen, nicht Emotionen, sind seine Religion. Auch ein Flugzeugabsturz in der mexikanischen Wüste erschüttert seine Anschauung nicht. Erst die Liebe zu der jungen Sabeth, die sich später als seine Tochter entpuppt und deren Tod mögen seine bisherige Haltung ändern. Aber Frisch überlässt es dem Leser, an diese Möglichkeit zu denken.

Nach der Homo Faber-Vorlesung beginnst du dich erstmals zu fragen, ob du nicht auch eher dem naturwissenschaftlich-technisch orientierten Walter Faber ähnelst, mit dem du dich so problemlos identifizieren konntest, statt mit einer der Frauengestalten im Roman. Genau wie er glaubst du auch nicht an Vorherbestimmung, sondern hältst überraschende Koinzidenzen im Leben schlicht für Zufälle, die einfach passieren, ohne dass irgendein Schicksal dafür verantwortlich wäre. Willst du etwa auch leugnen, dass Gott auf dein Leben Einfluss nehmen könnte? Willst du ernsthaft nur Selbstbestimmung gelten lassen? Hast du deswegen unbewusst mit dem Theologiestudium begonnen, um genau das herauszufinden? Ob es nämlich eine höhere Macht überhaupt gibt? Ist das deine Motivation gewesen?

Ehe die Frage dich verunsichern kann, wirst du abgelenkt. Hannes kreuzt deinen Weg und ruft dir fröhlich zu: „Kommst du Samstag in die Kneipe? Wir geben eine erste Jamsession.“

„Wer ist wir? Und was genau macht ihr?“

„Rainer, den kennst du doch, der sitzt an deinem Tisch, spielt Banjo, Gerd, den kennst du vielleicht noch nicht, ist ein Externer, Examenskandidat, kommt nicht mehr so oft zur KiHo rauf, er spielt jedenfalls Schlagzeug. Das wird spitze!“

„Und du, haust du wieder in die Tasten?“

„Nein, diesmal Trompete. Bin extra dafür am letzten Wochenende nach Hause gefahren, um sie zu holen, nachdem ich wusste, dass die beiden anderen mitmachen würden bei unserer Combo. Also, ich rechne mit dir.“

Er wirft dir einen auffordernden Blick zu und du weißt nicht, ob er nur einladend gemeint ist oder, ob da noch eine zweite, tiefgründigere Bedeutung in diesem leisen Lächeln liegt, mit dem er sich von dir abwendet.

Du schaust Hannes hinterher, spürst, wie du rot wirst. Ist das ein harmloser Flirt oder eine Anmache gewesen? Was für ein schöner Jüngling: blitzende blaue Augen, semmelblondes, kurz geschnittenes Haar und ebenmäßige Gesichtszüge. Und groß ist er, bestimmt einen halben Kopf größer als du!

„Mein Gott“, schiltst du dich laut, um dir unüberhörbar ins Gewissen zu reden: „Was ist bloß los mit mir? Ich benehme mich schon wie eine läufige Hündin, nur weil ein hübscher Kommilitone mich zu seinem ersten öffentlichen Auftritt mit seiner Combo eingeladen hat.“

Aber, dass er den langen Weg nach Leer nur deshalb auf sich genommen hat, um seine Trompete zu holen, zeigt doch wohl, dass er es ernst mit seiner Musik meint. Das imponiert dir. Vielleicht ist er doch nicht so ein Hallodri, wie er dir bei der ersten Begegnung erschienen ist, als er theatralisch in die Tasten des altersschwachen Klaviers gegriffen und irgendwelche Bluesmelodien geschmettert hat.

Beim Mittagsessen mit deinem Lieblingsessen, Kartoffelsalat mit gebratenem Fischfilet und süß-sauer angemachtem grünen Salat, langst du dermaßen zu, dass Rainer dich amüsiert anpflaumt: „Kleine Schwester, musst du etwa für zwei futtern?“

„Wieso?“

Alle lachen, nur du lässt dir deinen enormen Appetit nicht verderben. Nimmst dir stattdessen eine weitere Portion Kartoffelsalat, beginnst sogar die Schüssel auszukratzen in der Meinung, dass keiner mehr will, als Matthias dich auffordert, nachschauen zu gehen, ob noch welcher nachzuholen ist. „Ich bin noch nicht satt und wenn ich Huberts Kopfnicken richtig deute, er auch nicht. Los, beeil dich, eh er aus ist!“ Die Regel lautet: Der Letzte holt nach.

„Entschuldigung, ich dachte ihr seid schon...“ Du springst betreten auf. Deine Gabel klappert vom Teller, schleudert dir einen Kartoffelbrocken ins Haar, den du schnell entfernst und in den Mund steckst. Dafür erntest du wieder fröhliches Gelächter. Schnell verschwindest du zur Küchendurchreiche. Zum Glück gibt es noch genügend Nachschlag für zwei Personen. Sonst hättest du dich tatsächlich vor deinen Männern schämen müssen, weil du im Unterschied zu ihnen jede Höflichkeit hast vermissen lassen, nur deiner eigenen Gier gefolgt bist, und das wäre dir wirklich peinlich gewesen.

Nach dem Essen gehst du sofort auf dein Zimmer, putzt dir die Zähne, als müsstest du jegliche Spuren deiner Fresssucht beseitigen. Dir bleibt verborgen, dass dies eine Art Übersprungshandlung ist, denn normalerweise ist Zähneputzen nur morgens und abends dran.

Eigentlich willst du in die Bibliothek gehen, um mit deiner NT-Seminararbeit weiter zu machen, aber das Völlegefühl in deinem Magen verbietet plötzlich diese Option.

Du wirfst dir den Anorak über, da der wolkenverhangene Himmel Regen verspricht und verlässt das Damenstift.

Es wird ein langer Spaziergang. Du bewunderst in den Rosengärten die prächtigen Farben und erschrickst nicht schlecht, als dir von hinten eine Hand über die Augen gehalten wird.

„Matthias! Du hast mich erschreckt. Nun lass mich endlich los!“ Er hat dich zu sich umgedreht und hält dich mit einem Arm in der Taille fest.

„Was muss ich zu meinem Kummer sehen, mein Täubchen?“

„Wieso?“

„Du hältst dich nicht an die Regel.“

„Wieso?“

Ganz schwachsinnig kommst du dir vor, als du dich innerhalb von Sekunden ein zweites Mal „wieso?“ ausrufen hörst, als wüsstest du immer noch nicht, was Sache ist. Dabei bist du selbstredend vollkommen im Bilde.

„Du sollst nicht mehr alleine gehen, wie oft soll ich dir das noch sagen?“

Endlich lässt er los. Er sieht ernsthaft erzürnt aus.

„Mach keinen Aufstand, mir passiert schon nichts.“

„Dein Wort in Gottes Ohr. Aber das nächste Mal sagst du Bescheid. Einer von uns hat immer Zeit und Lust, dich zu begleiten. Wir wollen doch das Schicksal nicht herausfordern.“

„Okay, versprochen.“

Dir bleibt nichts anderes übrig, als einzulenken. Gemeinsam spaziert ihr zur KiHo zurück. Eure Unterhaltung kreist um das bevorstehende Musikereignis. Deine Tischgenossen wollen alle kommen.

„Die Kneipe wird brechend voll sein. Wir sollen schon um acht aufbrechen, hat Rainer gesagt, also gleich nach dem Abendbrot.“

„Gut, dann bis später, ich will jetzt in die Bibliothek, für Liebermann das Referat vorbereiten.“

Vor dem Abendessen machst du dich im Rahmen deiner bescheidenen Möglichkeiten hübsch; wenigstens ein frisches T-Shirt und die dünnen silbernen Armreifen sind das Minimum an optischer Verschönerung. Die Armreifen kontrastieren gut zu dem noch relativ neuen blauen Shirt. Um dich endgültig ausgehfertig zu fühlen, legst du Lippenstift auf, wobei du in deinem Eifer vergisst, dass der beim Essen wieder abgehen wird. Und ihr wollt ja gleich nach dem Abendessen gemeinsam aufbrechen.

Dann ist es auch schon Zeit für die Mensa. Du drückst die Türklinke nieder, aber, was ist das?? Fasst hättest du dir den Kopf am Türblatt gestoßen. Die Tür lässt sich nicht öffnen, keinen Millimeter. Was soll das?

Plötzlich erinnerst du dich, in der letzten Viertel Stunde unverhältnismäßig viel Lärm auf dem Flur gehört zu haben. Stimmen und Türenklappen, sowie ein sonderbares Schleifgeräusch, als wäre im Zimmer gegenüber ein Möbelstück verrückt worden. Du warst so mit deiner Verschönerung beschäftigt, dass du den ungewöhnlichen Lärm zwar registriert, aber nicht weiter beachtet hast.

Plötzlich fällt es dir wie Schuppen von den Augen: Die Jungs haben dir einen Streich gespielt, die Tür von außen verbarrikadiert. Diese Halunken! Da steckte bestimmt Matthias dahinter, der dir einen Denkzettel verpassen will, weil er dich ohne männliche Begleitung auf der Hardthöhe erwischt hat.

Aber der soll sich geschnitten haben. Du wirst hier herauskommen. Um jeden Preis. Und du hast auch schon eine Idee wie.

Die in der Schreibtischschublade aufbewahrten Bindfäden von Omas Päckchen kommen nun zum Einsatz. Du hast sie säuberlich entknotet und nun knotest du sie alle aneinander. Hoffentlich reichte die entstehende Schnur. Du machst sie am Heizkörper unter dem Dachgaubenfenster fest und bindest dir das andere Ende zweimal um dein linkes Handgelenk, für alle Fälle, falls du rutschen solltest. Ein Seil war es zwar nicht gerade, wäre natürlich sicherer gewesen, aber du sorgst nur für den Notfall vor, dass du auf den Dachziegeln rutschen könntest. Und der wird schon nicht eintreten, denkst du. Typische Sorglosigkeit von Jugend. Dann streifst du deine Sandalen ab. Nackte Füße fänden besseren Halt auf den Dachziegeln, dessen bist du dir sicher. Immerhin schätzt du die Möglichkeit abzustürzen, richtig ein. Aber du fühlst keine Angst. Schnell ist das Dachfenster geöffnet, da steigst du schon mit den Füßen voran auf das schmale, steile Dach, machst dich lang, deine Füße berühren fast die Dachrinne. Ein kurzer Schreck, weil das Dach so viel kürzer ist, als du gedacht hast, und du so viel näher über dem Abgrund hängst, aber du verdrängst jedes Aufkommen von Angst. Die kannst du jetzt nicht gebrauchen, macht unsicher und führt erst Recht zu Unfällen. Nach hinten auf deine Hände gestützt schiebst du deinen Po mit angewinkelten Beinen Zentimeter für Zentimeter nach rechts, bis du bei der Dachgaube von Jutta ankommst. Vorsichtig richtest du dich auf und schaust ins Zimmer. Geschafft! Ein Kinderspiel! Innerlich jubelst du. Du klopfst leise an ihr Fenster. Jutta liegt mit Grippe im Bett. Gott, die wird einen Schreck kriegen! Das Zimmer ist genau wie deines eingerichtet. Sie wird dir direkt in die Augen sehen, wenn sie ihre aufmacht. Und da ist es schon passiert.

Ein Schrei, so laut, dass er bis zu dir durch das geschlossene Fenster dringt.

„Warte, halt dich fest! Ich komme.“ Geistesgegenwärtig ist sie, das musst du ihr lassen!

Und das tust du. Krallst deine Finger in die Dachziegel. Im Nachthemd öffnet Jutta mit hochrotem Kopf, was nicht nur vom Fieber herrühren mag, das Fenster und zieht dich schwer atmend ins Zimmer.

Unverzüglich entknotest du die Schnur an deinem Handgelenk und lässt sie fallen. Du hast sie nicht gebraucht. Dass sie vollkommen unnütz gewesen wäre, wärest du abgerutscht, dein Leben buchstäblich am seidenen Faden gehangen hat, kommt dir nicht in den Sinn. Du hast nur einen Gedanken: den Spieß umkehren, den Jungs eins auswischen, ihnen den Spaß an ihrem blöden Streich verderben. Wie eine Erscheinung willst du dich ihnen präsentieren, ihre ungläubigen Gesichter sehen, dich hocherhobenen Hauptes an deinen Platz setzen, ehe das Essen vorbei ist. Schon öffnest du die Zimmertür und rennst auf den Flur, ohne die Tür zu schließen. Für Erklärungen hast du keine Zeit. Rufst der dir entsetzt hinterherschauenden Jutta nur zu: „Ich erzähl dir später, was los war.“

Du freust dich diebisch auf die verblüfften Gesichter deiner Tischgenossen. Denn du bist inzwischen davon überzeugt, dass sie alle bei diesem Streich mitgemacht haben.

Was du allerdings nicht erwartet hast, ist die Ohrfeige, die Matthias dir vor aller weitgeöffneten, schreckstarren Augen verpasst, als du erzählst, auf welchem Wege du dein Zimmer verlassen hast.

„Bist du verrückt geworden?“

Dir brennt die Wange.

„Nein, bin ich nicht. Aber du vielleicht. Betrachte mich als deinen älteren Bruder, den du doch immer haben wolltest! Darum darf ich das, damit du dich nicht noch einmal so in Gefahr begibst.“

Du reibst dir immer noch die Wange und hörst Hans murmeln: „Wer nicht hören will, muss fühlen!“

An diesem Abend lässt Matthias dich nicht aus den Augen, schüttelt öfter sein weises Haupt oder fasst sich in den Bart, als müsse er noch immer an deine halsbrecherische Kletterei denken.

Die Stimmung in der Kneipe ist bombig, als ihr alle, einschließlich Hubert, eintretet. Das ist sofort zu merken. Zigarettenqualm kommt euch entgegen und gerade spielt Rainer ein Solo. Die Stühle sind schon alle besetzt, zum ersten Mal auch mit ein paar Frauen. Du kennst keine. Entweder sind es Freundinnen von externen Kommilitonen oder aber Hannes hat auch in der PH Reklame gemacht.

Dich beschleicht ein merkwürdiges, bisher unbekanntes Gefühl. Du bist bei deinem letzten Besuch der Wicküler-Kneipe unter lauter Männern die einzige Frau gewesen und hast es genossen.

Hannes´ Trompetensoli sind ´ne Wucht. Du zählst die Biere nicht, die dir gereicht werden.

Am Sonntag schläfst du deinen ersten Rausch aus. Erscheinst erst zum Mittagessen in der Mensa. Innerlich gewappnet für die zu erwartende Hänselei deiner Männer, weil du zu tief ins Glas geschaut hast und deshalb nicht zum Frühstück aufgetaucht bist. Aber nein, du hast dich geirrt. Kein Spott, Rainer ist noch gar nicht aufgelaufen und die anderen verhalten sich ungewöhnlich ruhig, sie haben alle einen Brummschädel. Außer Matthias, der dich weit nach Mitternacht kavaliersmäßig nach Hause gebracht hatte. Der strotzt nur so vor Gesundheit und Aufgeräumtheit.

„Wie lange haben die gestern noch gemacht?“, fragst du Jaime leise, der heute auch für seine Verhältnisse blass um die Nase aussieht.

„Weiß nicht, weiß nicht einmal, wie ich überhaupt ins Bett gekommen bin.“

„Die haben wirklich toll gespielt!“ Du erntest nur ein verhaltenes Gebrumm, das als Zustimmung gewertet werden mag. Eine Konversation will nicht recht aufkommen. Katerstimmung allenthalben.

Am Montag dann unterbricht ein ungewohntes Türeschlagen die Stille kurz vor Ende der KG-Vorlesung von Professor Kahl im Audi Max. Nicht nur er blickt indigniert Richtung Mittelgang, sondern etliche Köpfe, so auch deiner, wenden sich zu dem jungen Mann mit der weißblonden Mecki-Frisur um, der mit federnden Schritten den Gang entlang kommt, bis er sich hinter dir in die freie Bank niederlässt und leicht stöhnt, als sei er außer Puste.

Ein Neuer, sonderbar. Es sind etliche Wochen seit Semesterbeginn verstrichen und die Semesterferien schon zu ahnen.

Nach der Vorlesung stellt er sich als Hans-Martin aus Bad Honnef vor.

„Hast du irgendwelche Mitschriften von Vorlesungen, die ich mir ausleihen könnte?“

„Leider nein, damit kann ich nicht dienen, außer natürlich die Griechisch-Hausaufgaben. Die kann ich dir geben.“

„Das wäre nett, muss mich beeilen, wenn ich noch alles aufholen will bis zur Abschlussklausur.“

„Oooh, das ist aber viel!“

„Denk ich mir, aber ich hatte schon Griechisch am Gymnasium. Sollte ich wohl packen. Wann und wo kann ich sie mir abholen?“

„Im Damenstift. Ich zeig dir beim Rausgehen, wo das ist. Dritte Tür links oder frag nach Ines. Das bin ich“, ergänzt du überflüssigerweise.

„Ich kann sie dir aber auch zum Mittagessen mit in die Mensa bringen.“

„Ja, auch gut, dann sehen wir uns dort.“

Um Himmels willen, was ist das denn für ein Streber und dann diese wie Streichhölzer hochstehenden Haare! Und er hat schon Griechisch gehabt, na, was will der dann hier?

Du verlässt den Neuankömmling, um in den kleinen Hörsaal zu gehen, wo gleich die NT-Vorlesung beginnt.

Und wen triffst du da wieder? Den Streber natürlich. Der blickt dir freundlich entgegen und hält dir auch noch einladend den Klappsessel hoch.

Memoiren einer Tochter aus schlechtem Hause

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