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Braves Mädchen

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Janis Joplins Mutter Dorothy East stammte aus Nebraska, wo ihr Vater Cecil bis zur Weltwirtschaftskrise Viehzüchter war. Danach versuchte er sich als Exportkaufmann und Grundstücksmakler, zog mit seiner Frau Laura und den vier Kindern nach Kansas City, dann nach Los Angeles und schließlich nach Amarillo, Texas. Er war ein Trinker und Schürzenjäger, Dorothys Mutter Laura eine mürrische Frau. Dorothy absolvierte ihr letztes Highschool-Jahr in Amarillo. Ihre kräftige Sopranstimme brachte ihr ein Stipendium für Gesang an der Texas Christian University ein. Aber sie brach das Studium ab, weil sie keine Opernarien singen wollte, sondern lieber Broadway-Songs, was damals als ziemlich frivol galt. Später behauptete sie jedoch, die ganze »Musikszene« hätte ihr nicht gefallen. Stattdessen nahm sie in Amarillo eine Verkäuferinnen-Stelle an und arbeitete sich rasch zur Abteilungsleiterin hoch.

Sie trug eine hochmodische Bobfrisur, rauchte sogar Zigaretten in der Öffentlichkeit, obwohl die in diversen US-Staaten verboten waren, trug auffallende, elegante Hüte und jobbte im Rundfunk als Ansagerin. Ihre unkonventionelle Haltung in jungen Jahren weist im Nachhinein viele Parallelen zu ihrer ältesten Tochter Janis auf. Sie war zwar eine lebenslustige Person, allerdings mit großem Ehrgeiz und strengen Moralvorstellungen.

1936 heiratete Seth Joplin die dreiundzwanzigjährige Dorothy East. Das Ehepaar siedelte nach Port Arthur nahe der Grenze zu Louisiana am Golf von Mexiko über. Dort begann Seth als kleiner Angestellter für die mächtige Ölfirma Texaco zu arbeiten, was ihn vor dem Armeedienst im Zweiten Weltkrieg bewahrte. Seth, der im Ruf eines Playboys stand, hatte Dorothy in Amarillo bei einem Tanzabend kennengelernt und ihr ein Jahr lang den Hof gemacht. Beide hatten in ihrer Jugend Not und Elend erlebt. Seth Joplin war 1910 als zweites Kind von Seeb und Florence Joplin in Amarillo geboren worden, wo seine Eltern einen Viehhof und eine kleine Pension betrieben. Der gut aussehende, charmante Ingenieurstudent brach sein Studium an der Texas A&M University im letzten Semester ab – wohl aus Geldmangel oder wegen schlechter Noten –, kehrte 1932 nach Amarillo zurück und arbeitete dort als Tankwart. Doch eigentlich war er ein Schöngeist, der sich für Literatur und klassische Musik begeisterte. Zum Ärger von Dorothy brannte er während der Prohibition heimlich Schnaps und rauchte Marihuana, das damals allerdings noch legal war. Auch wenn Seth bei Texaco erst einmal bescheiden in der Abteilung für Dosen und Kanister anfing, stieg er bald zum Vorarbeiter auf.

Einer der nettesten Männer, mit denen ich je gearbeitet habe. Sein Motto lautete leben und leben lassen, und danach richtete er sich auch.

Gladys Lacy, ein Kollege von Seth Joplin

Nachdem Cecil Easts Alkoholprobleme zur Scheidung von Dorothys Mutter Laura geführt hatten, zog diese mit Dorothys jüngerer Schwester Mimi zu dem jungen Ehepaar Joplin. Obwohl die Joplins anfangs in sehr bescheidenen Verhältnissen lebten, kauften sie in einem der besseren Vororte von Port Arthur, einem damals ländlichen Vorort namens Griffing Park, ein kleines Haus am Lombardy Boulevard 3130. An den Wochenenden vergnügten sie sich mit Freunden in den Bars von Vinton, Louisiana, jenseits des Sabine-Rivers und unternahmen ebensolch feuchtfröhliche Ausflüge, wie sie Dorothy später bei ihrer Tochter Janis so sehr verdammte. Für lebensfrohe Menschen mit kulturellen Interessen war Port Arthur im Südosten von Texas eine Diaspora. 1940 wuchs die bibelfeste Ölraffinerie-Metropole aus dem Nichts zur fünftgrößten Stadt Amerikas, geprägt von der wohlanständigen Saubermann-Scheinheiligkeit ihrer weißen Bewohner und strenger Rassentrennung. Mindestens 40 Prozent der Bevölkerung waren Schwarze, die völlig isoliert in den Außenbezirken lebten. Man ignorierte die 32 Bordelle für die Seeleute, das Glücksspiel und die Korruption der Mafia aus dem benachbarten New Orleans. Es herrschte ein rauer Umgangston, Gewalt, Schlägereien und Mord waren an der Tagesordnung. Auch die klimatischen Bedingungen unter der allgegenwärtigen schmierigen Dunstglocke waren mörderisch, subtropisches Wetter und eine lange Regenzeit, bei der auch im Winter die Temperaturen selten unter 4 Grad Celsius sanken. Damit gehörte Port Arthur laut der Business Week zu den zehn hässlichsten Städten Amerikas.

Janis Lyn Joplin wurde am 19. Januar 1943 um 9.45 Uhr morgens im St. Mary's Hospital geboren und wog lediglich fünfeinhalb Pfund. Das winzige Baby entwickelte sich bald zu einem Prachtkind, das viel Geschicklichkeit bewies, mit einem Jahr bereits perfekt mit Messer und Gabel umgehen und aus der Tasse trinken konnte. Als kleines Kind war sie eine Schlafwandlerin und lief nachts oft auf die Straße hinaus. Janis war ein wissbegieriges Kind, das schon vor Schuleintritt lesen konnte und schnell lernte. Vor allem aber zeichnete und malte sie unentwegt.

Gleichzeitig irritierte sie alle mit Trotzattacken, einer unglaublichen Sturheit und zeigte eine gewisse Neigung, gegen den Strom zu schwimmen.

Wenn sie bei einem Spiel im Uhrzeigersinn herummarschieren sollten, dann gingen sie in die entgegengesetzte Richtung und fanden es sehr lustig.

Janis' Mutter über ihre Tochter und einen Kinderfreund

Schon für die kleine Janis war die Welt eine Art Glitzerpalast voller Freuden, die man auf der Stelle genießen sollte. Dem wirkte ihre Mutter mit Disziplin und Strenge entgegen. Die Mutter eines Klassenkameraden von Janis erzählte dem Buchautor Ellis Amburn, dass Dorothy ihre kleine Tochter gezwungen hätte, in Reithosen zur Sonntagsschule zu gehen. »Sie meinte, sie müsse ihr Selbstbewusstsein stärken, um sich durchzusetzen.« Auch andere berichten, dass die kleine Janis in den für Mädchen allseits verpönten Hosen herumlief, obwohl sie sich darin lächerlich fühlte und viel lieber Kleider mochte. Im spießigen Port Arthur führte das unmögliche Kleidungsstück zu den ersten Hänseleien der kleinen Janis, die erstmals in eine Außenseiterrolle gedrängt wurde. Dorothy war in jedem Punkt der absolut dominierende Teil der Familie, eine fleißige, disziplinierte, aber sehr distanzierte Frau mit draufgängerischem Temperament, mit dem sie oft für Aufregung sorgte.

Sie besaß eine gewitzte Intelligenz, war aber bei gewissen Themen engstirnig und intolerant. Sie fand sich nur schwer mit dem Hausfrauendasein ab, engagierte sich im sozialen und kirchlichen Leben von Port Arthur, wobei ihr das gesellschaftliche Ansehen über alles ging. Damals unterrichtete sie schon in Janis' Sonntagsschule der First Christian Church. Viele pädagogische Ehrenämter sollten folgen.

Amerika erlebte nach dem Zweiten Weltkrieg einen Wirtschaftsaufschwung, hoch spezialisierte Techniker wie Seth waren gefragt und die Joplins bald wohlsituiert. Sie zogen in ein Haus an der wesentlich ländlicheren Procter Street 4330 um, nur unweit vom alten Wohnort entfernt. Dort besuchte Janis die Tyrrell Public School, die Volksschule der bibeltreuen First Christian Church, an der Dorothy unterrichtete, die ihrer Tochter anfangs auch noch Klavierstunden gab.

Vor der Geburt von Janis' Schwester Laura 1949 erlitt Dorothy zwei Fehlgeburten. Laura wurde geboren, als Janis sechs war, und stand nun im Mittelpunkt. Doch Janis zeigte keinerlei Eifersucht und kümmerte sich rührend um ihre kleine Schwester: »Sie beaufsichtigte sie mit viel mehr Fürsorge, als ich es tat«, so Dorothy.

Schon als kleines Mädchen hatte Janis die Geschichten und Märchen, die ihr erzählt wurden, weitergesponnen und ausgeschmückt. In der ersten Klasse schrieb sie kleine Theaterstücke, die sie mit Freunden aufführte. Dafür baute ihr Vater ein kleines Puppentheater im Garten. Es gab einen Sandkasten und jede Menge Tiere, vor allem Hunde, die Janis liebte.

Sie dachte sich diese Geschichten aus. Es war derart verrückt, dass man es so hinnehmen musste, wie es war. Meiner Meinung nach versuchte sie das Gleiche auch mit der Presse. Und dieser Schuss ging nach hinten los. Ich ignorierte ihre wundervolle Fähigkeit, den Menschen zu vertrauen.

Janis' Mutter Dorothy

Janis hatte keine Schulprobleme und brachte ohne große Anstrengung die besten Noten nach Hause. Sie sang zwar im Chor der lokalen Baptistengemeinde, doch keinem schien ihre musikalische Begabung aufzufallen und ihre Mutter hat das bewusst nicht thematisiert. Tatsache ist, dass Dorothy nach einer verpfuschten Schilddrüsenoperation 1949 ihre Gesangsstimme verlor und das Klavier der sechsjährigen Janis von einem Tag auf den anderen wortlos verbannte. Offenbar veränderte diese Operation ihren gesamten Charakter. Sie schien sehr konträr und extrem und pendelte zwischen zwei widersprüchlichen Lebenskonzepten, die ihrer emotional labilen Tochter keine Orientierung boten. Dorothy wurde zunehmend kühler, leidenschaftslos, streng, prüde und entwickelte sich zu einer altmodischen, sehr rigiden Frau. Damit waren die späteren Konflikte mit Janis, insbesondere in Bezug auf deren Gesangsambitionen, vorprogrammiert.

Laura meinte später, ihre Mutter hätte sie immer angetrieben, sich zu übertreffen, und alles überwacht, sogar das Spielen korrigiert und Verbesserungsvorschläge gemacht. Auch das Spielzeug musste Sinn machen, das Lernen fördern. Viele von Janis' Jugendfreunden berichteten, dass Dorothy eine starke Kontrolle ausübte, sehr sittenstreng und kritisch war. Wenig erstaunlich also, dass Janis' psychologische Entwicklung nicht mit ihrem Intellekt Schritt hielt. Noch mit acht Jahren lutschte sie am Daumen. Angeblich habe sie ihr Vater schließlich vor die Wahl gestellt, entweder damit aufzuhören oder auf eine ihrer Lieblings-Radiosendungen zu verzichten, was Janis mit einem Tobsuchtsanfall quittierte. Um ihr Zeichentalent zu fördern, schickte die Mutter sie während des dritten und vierten Schuljahrs zu einem privaten Kunstunterricht, der sich jedoch im Wesentlichen auf technisches Zeichnen beschränkte.

1953 wurde Janis' Bruder Michael geboren, den sie ebenfalls liebevoll umhegte. Allerdings forderte die bis dahin eher mustergültige und liebenswürdige Janis mehr Aufmerksamkeit als andere Kinder, war tonangebend und wollte immer im Mittelpunkt stehen. Sie entwickelte einen auffälligen Ehrgeiz, wie ihre Mutter stets in allem die Erste und Beste zu sein.

Es wurde deutlich, dass Janis sich selbst zum Erfolg trieb, ob es um Positionen, Zensuren oder Aktivitäten ging ...

Janis' Mutter Dorothy

In der sechsten Klasse wechselte sie, wie in den USA üblich, an die Mittelschule, übersprang aber wegen ihrer exzellenten Noten eine Klasse und bekam prompt mit den älteren Klassenkameraden Probleme, weil sie sehr klein war. Auch die vielen Rowdys im Bus setzten ihr zu und deshalb brachten die Eltern sie bald mit dem Auto zur Schule. Trotzdem tat sie sich immer hervor, zumindest wenn sie genügend Lob erhielt. Sie war in derselben Klasse mit ihrer langjährigen Freundin Karleen Bennett, die Janis und ihren Vater oft in die Bibliothek begleitete: »Mr. Joplin war sehr gebildet. ... Er riet uns, erst ein Buch in der Hand zu wiegen. Wenn es schwer ist, dann ist es wohl ein gutes Buch, meinte er, weil sie dann teures Papier genommen haben.« Janis erklärte später, »dass es das größte Ding in unserem Haus war, wenn du gelernt hattest, deinen Namen zu schreiben. Dann hast du dir einen Ausweis für die Bibliothek besorgen müssen.« Vater Seth diskutierte gern und unternahm mit den Kindern Ausflüge in die Natur, um »das Alltägliche spannend zu machen«. Dorothy war stolz darauf, ihre Kinder stets zum Denken und Diskutieren angehalten zu haben: »Wir schlossen die Kinder in all unsere Gespräche ein. Wir wollten, dass sie ihre Meinungen und Gedanken zu allem äußerten, was zur Sprache kam.«

Ich habe Gedichte gelesen und ein bisschen gemalt.

Janis Joplin

Damals hat sie gesungen. Das war ganz anders als dieses Geheul, das man später von ihr zu hören bekam.

Ein Lehrer aus der Junior Highschool über Janis Joplin

1953 hob der Oberste Gerichtshof die Rassentrennung in den Schulen auf, ein Urteil, das vor allem in den Südstaaten schlicht ignoriert wurde. Zu dieser Zeit gehörte Janis dem Schulchor der Junior Highschool an, zeichnete für die Schülerzeitung The Driftwood und schrieb dafür die Geschichte »Ein ganz ungewöhnliches Gebet«. Jack Smith lernte Janis in der siebten Klasse beim Bridgespiel in einem Club namens »Bridge für kulturellen Fortschritt« kennen. Seiner Meinung nach war sie damals durchaus beliebt. »Es gibt sehr viele Leute, die jegliche Kommunikation zwischen ihr und ihren Eltern glattweg leugnen, aber sie irren sich.« Er begleitete Janis auch in die Kirche, als sie in der neunten Klasse bei einer Weihnachtsaufführung mit ihrer hellen Sopranstimme ein Solo sang. »Sie war bereits ein kleiner Star und der Augenstern ihrer Mutter.« Damals begann Janis für das Schwarze Brett der Bücherei Plakate zu zeichnen und die Port Arthur News veröffentlichte ein Foto einer ihrer Illustrationen.

Dorothy förderte die Kunstbegeisterung ihrer Tochter mit Malutensilien und Kunstbänden. Allerdings war sie wenig davon begeistert, dass Janis ausgerechnet ein Faible für Aktzeichnungen entwickelte, im damaligen Port Arthur geradezu skandalös. Es wird berichtet, dass in Janis' späterer Zeichenklasse an der Universität in Austin die Aktmodelle noch Badeanzüge trugen. Als Janis die Innenseite ihrer Kleiderschranktür mit einem Akt zierte, war die Geduld ihrer Mutter am Ende und Janis musste das Bild übermalen. Der Vater versuchte es dagegen mit einer Ablenkungstaktik und unternahm mit seiner Ältesten Ausflüge ans Meer, um sie für die Landschaftsmalerei zu begeistern.

Dorothy und Seth wünschten sich eine ganz normale Familie, waren aber beide offenbar nicht in der Lage, Herzlichkeit und Wärme zu zeigen. Dorothy billigte es nicht, dass ihr Mann kein Christ war, sich in seine Garage zum Basteln zurückzog und dort heimlich der Flasche zusprach. Janis vergötterte ihren Vater geradezu, bezeichnete ihn als einen »heimlichen Intellektuellen«. Obwohl Seth hingebungsvoll für seine Familie sorgte, war er eher ein Eigenbrötler und Philosoph und meinte, dass er auch ein guter Mönch geworden wäre. Während die Mutter übermächtig war, wurde der Vater beinahe unsichtbar und machtlos und verkümmerte allmählich in der Enge von Port Arthur.

Sie war wie ein viktorianischer Vater, durchaus vom Wunsch nach Nähe, Innigkeit erfüllt, jedoch von der Pflicht gefordert und entschlossen, ihr Kind vorzubereiten. Sie konnte ihr dieses letzte Stück nicht entgegenkommen, aber Janis war trotzdem ihr Ein und Alles. Eher war es so, dass Janis sich wünschte, dass ihre Mutter etwas Bestimmtes darstellte, und ihre Mutter sich gleichzeitig dasselbe von Janis wünschte, und darüber gerieten sie in Konflikt.

Janis' Schulfreund Jack Smith über Dorothy Joplin

Janis Joplin

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