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10. April (02.Tag) Antwerpen - B

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Um 6.48 Uhr legen wir in Antwerpen an. Die Gangway wird für die Zollbehörde usw. ausgelegt. Sie ist sehr steil. Es ist neblig, feucht und sehr ungemütlich. Ich gehe zum Frühstück. Sollte ich einmal eine Mahlzeit verschlafen, so muss ich auch nicht verhungern, denn der Steward sorgt stets dafür, dass der Kühlschrank gut gefüllt ist.

Es gibt Schinken mit viel gebratenen Zwiebeln. Mit dem Steward, genauer „Chief Steward“, Kaotinteue Tekura unterhalte ich mich eine Weile. Er kommt vom Inselstaat KIRIBATI. Dieser Inselstaat ist einer von vielen in Mikronesien und Polynesien, Gebieten nördlich und südlich des Äquators. Der Staat ist seit Juli 1979 unabhängig und hat rund 103.000 Einwohner. Das ganze Jahr über herrschen dort Tagestemperaturen zwischen 25 und über 30°C. Ursprünglich war Kiribati durch die Datumsgrenze (=180. Längengrad) geteilt, wodurch es in diesem Kleinstaat unterschiedliche Tagesdaten gab. Diese Teilung wurde 1995 aufgehoben. Es war die bisher größte Verschiebung der Datumsgrenze.


Zum Mittag gibt es „Fried Chicken Wings“, Reis und Gemüse. Bevor ich mich aus der Messe verabschiede, sehe ich, dass jemand Salzkartoffeln auf dem Teller hat. Ich justiere meine Brille neu und schaue auf die Speisekarte. Da steht „Rice/Pot“. Oh Mann! Und ich überlege die ganze Zeit, was POT bedeutet. Ein POT ist für mich ein Topf oder eine Kanne und ich grübelte über den Zusammenhang zwischen POT und RICE. Der Steward fragte mich auch: „Would you like RICE or POT?“ Es ist doch klar, dass ich mich dann für Rice entscheide, wenn ich nicht weiß, was POT ist. Demnächst also POT, das steht für „potatoes“!

Die Offiziere und Ingenieure kommen mit einem kurzen und nüchternen „Good evening!“ oder „Mahlzeit!“ in die Messe. Und so verlassen sie diese auch wieder. Dazwischen sind kaum Gespräche zu vernehmen. Ich empfinde die Atmosphäre noch als recht unangenehm und versuche mich daran zu gewöhnen.

Ich habe die Berichte von Jürgen Schwieger gelesen. Er hat schon zwei Frachtschiffreisen mitgemacht und über seine letzte Reise ein 100 Seiten umfassendes Buch mit dem Titel „12.000 Kilometer mit dem Containerschiff“ geschrieben. Er fuhr bis Buenos Aires mit und stieg dort aus, um noch eine Woche in Argentinien zu bleiben. Er machte die gleiche Erfahrung wie ich. Diese karge Kommunikation hat manchmal etwas Bedrückendes.

Ich gehe auf die Brücke, um meinen Landgang abzuklären. Der 2. Offizier Falk Stier (=2. Steuermann =2nd Mate) ist dort allein. Er dreht die Musik etwas leiser. Was er aber nicht hätte tun müssen, denn es waren schöne alte deutsche Schlager. Diese Art Musik habe ich im Bord-DVD-Player auch. Gerade hörte ich Paul Kuhn mit seinem Lied aus den frühen 60ern: „Geben Sie dem Mann am Klavier, noch ein Bier, noch ein Bier …“ Ich habe Glück und kann mir mein Englisch sparen, denn er ist Deutscher.

Das habe ich schnell feststellen können: Ohne ein Wort Englisch findet man nur schwer Kontakt. Mein Englisch ist nicht gerade rühmlich, aber ich benötige für die Artikulation keine Hände und Füße. Nach drei organisierten Europaläufen und mehreren Mehrtagesläufen mit internationaler Beteiligung habe ich das auch ausreichend außer Frage stellen können.

Gerade will ich fragen, warum noch nicht be- und entladen wird. Die Frage hat sich aber erledigt, denn wir müssen eventuell den Pier wechseln. Da ist man sich aber noch nicht sicher. Außerdem erfahre ich von Falk Stier, dass er, wie auch etliche andere Besatzungsmitglieder, erst in Hamburg zugestiegen ist. Das erklärt natürlich so einiges: Ein Großteil der Mannschaft ist neu; man kennt sich noch nicht; es muss jeder noch seine eigene Ordnung schaffen, denn jeder arbeitet bekanntlich anders; es wird noch einige Tage dauern, bis man alles auf die Reihe gebracht hat.

Mein Landgang hat sich in Antwerpen erledigt. Das Wetter zeigt sich von seiner schlechtesten Seite. Mit dem Taxi müsste ich 30 km fahren und wäre eine knappe Stunde unterwegs. Das Taxi kostet angeblich für eine Fahrt 40 Euro. Ich weiß nicht, ob ich mir das antun muss. Da schnattere ich mir einen ab, nur um in der Stadt einen Kaffee zu trinken? Wären wir jetzt in Brasilien bei angenehmen 25°C und mehr, herrlichem Sonnenschein und Ingo in kurzer Hose, dann wäre es etwas anderes.

Am Pier herrscht emsiges Treiben. Um 14 Uhr beginnen die Verladearbeiten. Riesige Kräne schnappen sich die Container und befördern sie an den Pier. Die „Straddle-Carrier“ bringen die Container zu ihrem vorgesehenen Zwischenlager. „Straddle-Carrier“ sind hochbeinige Fahrgeräte. In etwa 11 Meter Höhe lenkt ein Fahrer dieses wendige Fahrzeug. Die Container werden von diesen Fahrzeugen aufgenommen und dann zwischen ihren „Beinen“ transportiert, um sie an ihrem Bestimmungsort abzustellen. Es muss eine wahnsinnige Logistik dahinterstecken.

Die Verantwortung, dass die Container richtig entladen oder beladen werden, liegt in den Händen der Terminalmitarbeiter im Hafen. Der Kranführer hat einen Plan, wie die Container verstaut sind. Er kann von seinem Platz aus die Containernummer (z.B. SUDU 582771 0) über einen Monitor ablesen. Es ist eine Kamera so angebracht, dass diese direkt auf die Nummern ausgerichtet ist. Diese befinden sich an den Stirnseiten des Daches und den Längsseiten. Unter der SUDU Nummer befindet sich eine weitere, wie etwa 45G1. Es handelt sich hier beispielsweise um einen 2-TEU-Container. 1 TEU Container oder andere Größen haben entsprechend andere ID-Nummern. Verantwortliche Mitarbeiter am Kai überprüfen die Richtigkeit der Ladung. Eine Falschverladung soll deshalb nahezu ausgeschlossen werden. Die Schiffsführung ist weitgehend aus der Verantwortung.

Die Containernummern, die etwa lauten 45R1, sind Kühlcontainer. Die Bordelektriker überwachen ständig die Temperaturen in den Containern. Fällt irgendwo mal die Kühlung aus, dann heißt es schnell handeln. Da ist es dann egal, ob Nacht, Wochenende oder Feiertag ist! Die Ladung hat in jedem Fall Vorrang.

Jede Reederei hat ihre eigene Abkürzung an den Containern angebracht. Die Hamburg-Süd hat die Abkürzung SUDU, die Hapag-Lloyd die Abkürzung HLXU, die Cronos Reederei CRTU usw..


Es sind 26 Leute auf der „Santa Rosa“: Kapitän Remigiusz Wilk, der 1st, 2nd und der 3rd Mate. Der 1st, 2nd und 3rd Engineer, zwei Electricians (Elektriker) und der Bosun (Bootsmann). Es sind mit dem Bootsmann sieben Leute an Deck. Im Maschinenraum sind es mit den Elektrikern neun Leute. Dann ist da noch der Smutje (Koch) und der Chief Steward. Um auf die 26 Leute zukommen, gibt es noch Ingo Schulze. Ich bin der einzige Passagier an Bord. Es sind 4 Nationen vertreten: 4 Deutsche, 8 Polen, 1 Kroate und 13 Kiribatier.

Einige technische Daten zur „MV Santa Rosa“

85.676 BRT (1 BRT= 100 Kubikfuß= 2,8316 m3)
42.501 Netto Tonnage
Light Ship 29.427 t
93.405 TDW (tons dead weight) 1 Deadweight Tonne entspricht 1.016 kg. Diese Maßeinheit gibt die Tragfähigkeit eines Schiffes an. Man stelle sich vor, dass man das gesamte Schiff inkl. Ladung, Treibstoff und Personen aus dem Wasser hebt und auf eine Waage stellt. Das dort festgestellte Gewicht ist das „Totgewicht“ und die Tragfähigkeit des Schiffes.
299,95 Meter lang
42,80 Meter breit
13,50 Meter Tiefgang
6.600 Volt getrennt) Stromspannung (E-Werk im Maschinenraum ist streng
Gesamthöhe 62,94 m (vom Kiel bis zur Brücke)
Entfernungen Ab Brücke nach Achtern: 73,0 m, zur Back: 227,0 m
1 Ft entspricht 3,281 m
7.114 TEU (bzw. 3.557 Container à 2 TEUs) TEU (Twenty-foot Equivalent Unit). Container mit den Abmessungen: lg. 6,058 m (20 Fuß), ho. 2,60 m und br. 2,44 m werden TEUs genannt. FEUs sind 40 Fuß Container (fourty-foot equivalent unit). Ein FEU oder 2 TEU. Diese sind 12,192m lg., ho. und br. Wie 20 Fuß. Man kann weiter spinnen, denn ein 20-40 Fußcontainer hat 1,5 TEU und Container über 40 Fuß sind 2,25 TEU.
1.600 incl. Kühlcontaineranschlüsse
22,5 km/h) Knoten Höchstgeschwindigkeit (22,5x1.853 m/h= 41,7
45.760 kW Leistung (62.234 PS)
65-70 Millionen € Kosten der „Santa Rosa“?

Das Schiff fährt unter der Flagge von LIBERIA mit Heimathafen MONROVIA. Benannt wurde die „MV Santa Rosa“ nach der gleichnamigen argentinischen Stadt in der Provinz La Pampa. Taufpatin war am 10. Oktober 2011 Frau Sabine Vespermann, Ehefrau von Dr. Arnt Vespermann, Mitglied der Geschäftsführung der Hamburg-Süd. Die „Santa Rosa“ war das sechste Schiff von insgesamt zehn dieser Bauart. Seit Auslieferung bei der Daewoo Ship Building & Marine Engineering Co. Ltd. (DSME) in Korea im Juni 2011 fährt die „Santa Rosa“ im Dienst der Hamburg-Süd zwischen Asien und Südafrika/Südamerika Ostküste (New Good Hope Express).

Ich komme gerade vom Abendessen. Es gab „Chilli con Carne“. Dazu hätte ich ein Bier trinken müssen. Es war gut, aber recht scharf. Vom Essen des kiribatischen Kochs ist nicht jeder erbaut, aber für mich ist es in Ordnung. Kritik übers Essen kenne ich zuhauf. Als ehemaliger Schiffsbäcker und Koch musste ich sie über mich ergehen lassen. Hatte ich bei der Bundeswehr, als Dienstgrad, Aufsicht in der Kantine, dann wurde ständig genörgelt. Und auch als Veranstalter von über 14 internationalen Mehrtagesläufen kenne ich dieses Verhalten zur Genüge. Essen ist ein schier unerschöpfliches Thema, sodass man sich immer wieder fragt, was die Leute eigentlich daheim essen.

Passagier auf einem Frachtschiff

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