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12. April (04.Tag) Le Havre - F

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Das Wetter ist am frühen Morgen noch durchwachsen. Es wurde die ganze Nacht be- und entladen. Nach dem Frühstück will ich an Land und melde mich beim 1st Mate ab. Er warnt mich, dass es ein ganzes Stück zu Laufen ist. Über meine Lauferei haben wir uns aber schon gestern unterhalten und daher verdreht er nur die Augen und sagt: „Na klar, Ihnen macht es ja nichts aus.“ Kaum habe ich die letzte Stufe der Gangway zu fassen bekommen, da fängt es an zu tröpfeln. Kurz darauf hört es aber schon wieder auf – na bitte! Sogar die Sonne lugt ein wenig aus den Wolken hervor. Dann kommt ein kurzer Anschiss von einem Hafenbeamten. Ich werde darauf hingewiesen, dass ich mich nur auf den Flächen der Fußgängermarkierung zu bewegen habe. Nach einer guten halben Stunde bin ich im Zentrum. In einem etwas heruntergekommenen Restaurant bestelle ich mir für zwei Euro einen Café Olè.


Dann will ich Le Havre noch ein wenig erkunden. Viel zu sehen gibt es nicht und außerdem macht mir das Wetter Sorgen. Ich frage mich, ob ich trocken wieder an Bord kommen werde. In einem „Supermarche“ schaue ich nach etwas Kaufbarem. Aber entweder ist der Laden ausverkauft oder er wird erst in Kürze eröffnet. Die Regale sind nahezu leer und erinnern an vergangene Zeiten im Osten Deutschlands. Dann schaue ich noch in die eine oder andere Straße. Wenig später entschließe ich mich, wieder an Bord zu gehen.

Den Rückweg finde ich ohne Probleme, obwohl ich kreuz und quer durch Le Havre gelaufen bin. Es fängt wieder an zu regnen, der Guss wird immer stärker. Im Hafengebiet angekommen, stehe ich vor einem Bahnübergang und ein Zug mit unendlich vielen Waggons schleicht an mir vorbei. Nun ist alles egal, denn ich habe kein trockenes Kleidungsstück mehr am Körper. An Bord angekommen ziehe ich mich komplett neu an. Der Steward fragt, wie mein Landgang war. Nun ja!


Zwei Matrosen sind dabei, Taue zu spleißen. Der Spleiß ist eine bruchfeste, dauerhafte, nicht lösbare Verbindung von Tauwerk durch Verflechten der einzelnen Kardeele. Er wird auch zur Reparatur von Tauwerk verwendet. Dies wird bei Drahtgut mithilfe eines Marlspiekers, bei stramm sitzendem anderem Gut meist eines Hohlspiekers, bewerkstelligt. Das ist ein Zusammenfügen zweier Taue, Tampen oder Trossen.

Ich habe eben etwas Wäsche gewaschen. Drei Stunden einweichen, durchspülen, auswringen, durchspülen, auswringen und fertig ist die Laube. Das Zeug hänge ich in meiner Kammer auf und morgen früh ist die Wäsche wieder trocken. Kann sein, dass ich nach einiger Zeit ein „freundliches Seemannsweiß“ habe oder auch ein „freundliches Maurergrau“. Wenn es aber so weit ist, dann kicke ich das Zeug in den nächsten Mülleimer und sage meiner Inge, dass es auf wundersame Weise abhanden gekommen ist. Dann bügle ich noch die Hemden, die bislang in einer der Schubladen schlummerten.


Die Müllentsorgung ist heute anders als Ende der 60er Jahre. Da ging noch vieles über Bord. Heute wird alles sortiert und auf dem Oberdeck in entsprechende Behälter gelegt. An Land wird es dann ordnungsgemäß entsorgt (Sofern alle Länder an einem Strang ziehen!). Geht man nur allein von etwa 90.000 Frachtschiffen mit 600.000 bis 800.000 Besatzungsmitgliedern weltweit aus, dann kommt einiges an Müll zusammen, was nicht über Bord gekippt werden muss. Hinzu kommen dann noch die Abfälle von Passagier - und Küstenschiffen.

Das Einzige, was noch über Bord gekippt werden darf, sind Speiseabfälle. Kleine Speiseabfälle dürfen drei sm von der Küste entfernt entsorgt werden. Größere Abfälle nach zwölf Meilen. Das Zeug vergammelt schnell oder dient als Fischfutter. Kotzen darf man allerdings jederzeit, sogar im Hafen! „Da drückt die Wasserschutzpolizei beide Augen zu.“

Heute Abend werden wir auslaufen. Dann geht es nach Sepetiba/Brasilien, wo wir voraussichtlich am 24. April eintreffen werden. Es liegen etwa 5.100 sm vor uns, also etwa 9.500 km. Das sind immerhin 12 Tage Wasser und nochmals Wasser. Man braucht wohl ein ganz besonderes Verhältnis zur See, um diese „Umgebung/Landschaft“ als nicht eintönig zu empfinden. Ich freue mich auf die „Endlosigkeit“ des Meeres!


Um 21.42 Uhr laufen wir in Le Havre aus. Wir hätten schon etwas früher auslaufen können, aber es mussten noch einmal über 30 Container entladen werden, weil man einen defekten Kühlcontainer mit Frischobst loswerden wollte. Dieser wurde an die Pier gestellt und blieb auch dort. Dann mussten die Container wieder an Bord. Bei regnerischem Wetter verlassen wir Le Havre. Die Annahme, dass in Le Havre noch ein zweiter Passagier einsteigt, ging daneben. Ich bin also weiterhin der Einzige.

Ich habe einmal die Gesamtdistanzen meiner Fahrt errechnet:


Es fängt wieder leicht an zu regnen. Die vier Flügelschrauben meines Fensters drehe ich etwas fester an, denn heute am Morgen musste ich die Fensterbank trocken wischen.

Passagier auf einem Frachtschiff

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