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08. April (00.Tag) HH-Burchardkai und Abschied
ОглавлениеDie „MV Santa Rosa“ sollte ursprünglich bereits am 7. April um 10 Uhr in Hamburg sein. Die Ankunft verzögerte sich allerdings, weil im „Englischen Kanal“ (oder auch „Ärmelkanal“) ein Unwetter tobte. Die weiteren Gründe der Verzögerung sind mir nicht bekannt. Laut meiner Information aus dem Internet legte das Schiff am 08. April um 1.15 Uhr am „Burchardkai“ an.
Von meiner Reederei, der „Hamburg-Süd“, will ich wissen, ob sich etwas am Zeitplan geändert hat. Wann kann ich an Bord gehen? Nein, es bleibt beim Zeitrahmen 14 bis16 Uhr am 08. April. Tags zuvor schickte ich noch eine Mail an die Reederei und fragte nach, ob auch meine Nichte, Anna Lina, noch an Bord darf. Schade – Absage. Ich musste dann meine Inge, meine Schwägerin Maria und ihren „Göttergatten“ Volker im Vorfeld mit vollständigen Namen, Geburtsdatum und Ausweisnummer anmelden. Diese Anmeldung ging an den Pförtner am „Burchardkai“. Ohne Anmeldung gibt es keinen Zugang zum Schiff! Das ist keine typische deutsche Bürokratie, wie ich in späteren Häfen feststellen konnte.
Zu meiner Seefahrtszeit war es noch einfacher. Da stand meine Familie bereits an der Pier und kam die Gangway hoch, sobald das Schiff festgemacht hat. Was sollen jetzt die ganzen Umstände? Wenn man aber später vor Ort ist, dann kommt schnell die Selbsterkenntnis, dass es keine „Umstände“ sind! Die Notwendigkeit von Sicherheitsmaßnahmen ist heute viel größer als vor über vierzig Jahren.
Volker machte auf dem Amt etwas früher Feierabend, um uns an Bord zu bringen. Wir fahren dann sofort los und haben alle Zeit der Welt. Es geht durch eine der vier Röhren des Elbtunnels und danach gleich die erste Abfahrt von der Autobahn herunter. Wir haben Glück, dass der Elbtunnel um diese Zeit noch relativ wenig befahren ist. Nach GPS sollen wir nach 11 Minuten am Ziel sein. Wie es aber so ist: Durch den Elbtunnel läuft es prima, was sollte jetzt noch passieren? Die Zufahrt zum „Burchardkai“ und sonstigen Terminals ist jedoch stark befahren. Die Trucks mit ihren mit Containern beladenen Trailern reihen sich hintereinander auf wie an einer Perlenkette. Aus den 11 Minuten wird locker nahezu eine halbe Stunde. Es ist aber nicht schlimm, denn wir haben ja Zeit und stellen fest, dass der Hafen eine eigene und besondere Welt ist. Selbst Volker und Maria, die in Hamburg geboren sind und hier leben, sind von dieser eigenen „Welt“ überwältigt. Es ist eben nicht die Ostdorfer Landstraße. (Kleiner Scherz!)
Am „Burchardkai“ angekommen, wird erst einmal überprüft, ob uns die „Hamburg-Süd“ angemeldet hat. Jawohl, hat sie. Dann füllt jeder ein Anmeldeformular aus. Ein „Shuttle-Bus“ bringt uns zur „MV Santa Rosa“. Das Schiff hätten wir in diesem Gewirr von Containern, Beladefahrzeugen und sonstigen Fahrzeugen niemals gefunden. Man könnte sich ja durchfragen? An wen aber will man sich wenden? Fußgänger gibt es nicht und da halte mal ein schnell vorbeihuschendes Fahrzeug an! Nach knapp fünf Minuten hält der Shuttle vor einer riesengroßen roten Wand an. Das muss die „Santa Rosa“ sein. Bingo – 100 Punkte.
Ich wuchte meinen 24 kg schweren Koffer sowie den Alu-Koffer aus dem Fahrzeug und sehe ein Problem auf mich zukommen. Ich fühle mich mit meinen 65 Jahren wohl noch stark und knackig. Aber meinen Koffer die Gangway hoch schleppen? Bevor ich mich dieser Kraftprobe unterziehe, gehe ich die Gangway erst einmal allein hoch und vielleicht habe ich Glück, dass es einen Kran gibt. Es sind ja immerhin 55 abgerundete steile Stufen. Und das mit einem Koffer? Oben erwartet mich der 1. Offizier oder „Chief Mate“ (Kurz: „Chief“), wie er auf dem Schiff angesprochen wird. Mit unschuldiger Miene sage ich ihm, dass ich noch einmal herunter muss, um meinen Koffer zu holen. Ein kräftiger Matrose hat sich inzwischen meinen Koffer auf die Schulter gepackt und marschiert die Gangway hoch, als trüge er Inges Handtasche.
Anschließend werde ich dem Kapitän (hier: „Master“) vorgestellt. Er ist Pole und fährt seit 12 Jahren zur See. Ich würde sagen, dass er die 30 Jahre mal gerade überschritten hat. Er entschuldigt sich, dass er als Kapitän nicht zu erkennen ist. Der Grund dafür ist, dass er selbst gerade erst an Bord gekommen ist und seine allererste Fahrt auf der „Santa Rosa“ macht. Er spricht nur Polnisch und Englisch, aber ich komme gut mit ihm klar. Nachdem er meinen Reisepass und meinen Impfpass entgegengenommen hat, mache ich mich wieder vom Acker, denn ich merke, dass er zu tun hat. Die Reederei hatte mir schon vor Tagen empfohlen, möglichst rechtzeitig an Bord zu kommen, denn man hat vor dem Auslaufen wenig Zeit für einen Passagier. Nun, ich habe auf einem Frachter angeheuert und auf keinem Kreuzfahrtschiff! Auf einem Frachter geht das Ladegut vor, auf einen Passagier kann man da nur bedingt Rücksicht nehmen.
Dann wird uns meine „Behausung“ für die nächsten sieben Wochen gezeigt. Es ist die Kammer des „Super Cargo“. Wir sind angenehm überrascht. Die Kammer (ohne Koje) misst 4,50 m x 4,50 m= 20,25 m2, der Nassbereich noch ein-mal 1,20 m x 2,00 m= 2,4 m2. Auf Frachtern spricht man von „Kammern“ statt von „Zimmern“ und diese hier verfügt über Fernseher, Radio, Videogerät, Sofa, Schreibtisch, Kühlschrank und viel Stauraum.
Im Hafen, so sagt der 1. Mate, sollte die Kammer stets verschlossen sein. Er zeigt uns die Brücke. Sie ist riesig und mit Technik vollgestopft. Danach ist der Maschinenraum interessant. Mann, Maschinenraum? Dieser geht über acht Stockwerke und ist von seiner Größe kaum zu beschreiben. Der 1. Mate will mit uns eine lange steile Treppe hinuntergehen. Inge und Maria streiken. Volker und ich folgen ihm. Er saust in einem Tempo herunter, dass wir kaum nachkommen. Er ist eben über 35 Jahre jünger als wir!
Wir gehen dann noch allein durch alle Decks. Angefangen vom „upper deck“ (Das sog. „Oberdeck“.), auf welchem wir das Schiff zuerst betreten haben, über die Decks von A bis G. Dann kommt noch das Navigationsdeck, das „Wheelhouse“ oder auch „Brücke“ oder „Kommandobrücke“, wie auch immer man diese Einrichtung nennen will. Meine Kammer befindet sich auf dem F-Deck. Wenn ich zum Essen gehe, dann muss ich vier Decks runter zum B-Deck. Es gibt auf den einzelnen Decks viel zu sehen. Das Schiff verfügt über zwei Fitnessräume und einen Innenswimmingpool. Er ist klein, aber fein! Außerdem gibt es eine Waschküche mit der Möglichkeit zum Bügeln, eine Sauna sowie einen Raum für Tischtennis und für Tischfußball.
Die Zeit des Abschieds ist gekommen. Wir gehen die Gangway hinunter, machen einige Fotos und dann, nun ja: „Gute Reise!“. Mit leichtem Bauchweh verabschiede ich mich von Schwager und Schwägerin. Der Abschied von Inge dauert etwas länger. Als sie sich mit dem Shuttle von mir entfernen, bekomme ich leicht schwitzige Augen. Sollte ich wirklich sieben Wochen für mich allein sein? Es ist nun zu spät und die Würfel sind gefallen. Ich muss nun an Bord und meine Zeit so genießen, wie Inge es von mir möchte. Soll ich mich jetzt schon auf das Wiedersehen freuen? Knallhart gesagt: Jetzt geht es nach Belgien, Frankreich, Brasilien, Argentinien, Uruguay, Brasilien, Marokko, Holland, England, auf der Elbe am „Willkommen-Höft“ vorbei und dann bin ich wieder bei meiner Inge, den Söhnen, den Enkelkindern und in meiner alten Umgebung.
Morgen früh legt das Schiff ab. Ja, mir ist flau im Magen und ich habe leichte Schuldgefühle, die mir meine Inge die letzten Tage ausreden wollte. Sie hat aber Recht: „Ingo, es ist ein Jahrzehnte währender Traum. Wenn nicht jetzt, wann dann? Mensch Ingo, in sieben Wochen bist du ja wieder da!“
Zwischen 17.30 und 18.30 Uhr ist „Dinner Time“. Mit dem Kapitän sitze ich allein in der Offiziersmesse. Nach einem kurzen Gespräch muss er an Deck. Die letzten Tage habe ich mich nur von Fischbrötchen ernährt, obwohl Schwägerin Maria stets etwas Leckeres in der Pfanne hatte. Es ist aber nun einmal so: Wenn ich in Hamburg bin, dann schaue ich mir die Innenstadt und den Hafen an. Dann trödele ich an den Landungsbrücken vorbei und schlappe noch einmal über „de RRReeperbahn“, die immer mehr zu einem Ort des Abgewöhnens wird. Dann geht es noch ein Mal über die Mönckebergstraße und zur Innen- und Außenalster. Zwischendurch werden einige Heringsfischbrötchen oder eine dicke Bockwurst, der sog. „Hamburger Lümmel“ konsumiert.
Bei meinen Hamburg-Touren bin ich in der Regel zwischen sechs und acht Stunden unterwegs. Es war auch schon mal länger, aber niemand kommt auf die Idee, deswegen eine Vermisstenanzeige aufzugeben. Maria und Volker können es wohl nicht immer nachvollziehen, dass man so lange freiwillig durch die Botanik schleicht. Aber auch sie kennen es inzwischen von mir nicht anders. Immerhin waren wir bereits drei Mal gemeinsam im Urlaub. Volker ist inzwischen infiziert. Auch er schlappt mit mir inzwischen zwei oder gar drei Stunden auf Mallorca durch die Gegend. Wenn ich erst wieder zurück in Hamburg bin, werde ich tief durchatmen und dann fliegen wir anschließend für 14 Tage auf diese „Putzfraueninsel“. Volker übernimmt inzwischen die Planung für diese Reise und sucht die Ziele aus, zu denen wir dann hinmarschieren werden.
Ich laufe auf der Pier von achtern zum Bug und mache einige Fotoaufnahmen. Von verschiedenen Decks aus beobachte ich später die Verladung. Danach schaue ich nochmals ins Internet und nasche dabei eine Tüte Süßigkeiten.
Nach zehn Minuten ist mir schlecht, worauf ich einen Rotwein trinke. Um 22 Uhr falle ich müde in die Koje. Morgen früh sollen wir um 5 Uhr auslaufen.