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Kapitel 6 – Turbulente Veränderungen

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Daniel konnte sich kaum auf seine Arbeit konzentrieren und saß deshalb am späten Nachmittag eher als sonst im Grünen Salon – dem großen Esszimmer seiner Familie. Smithers quittierte seine viel zu frühe Anwesenheit mit hochgezogenen Brauen, ohne nach dem Grund zu fragen, und schenkte ihm seinen Lieblings-Brandy ein.

Nachdem Daniel am Glas genippt hatte, sagte er zu seinem Butler: »Smithers, bitte geben Sie in der Küche Bescheid, dass Mrs Rowland mit mir essen wird.«

»Sehr wohl, Mylord.« Der alte Mann deutete eine leichte Verbeugung an und ließ ihn mit Henry allein, der steif, aber wachsam, neben der Tür stand, falls Daniel weitere Wünsche hatte.

Es dauerte nicht lange, da brachte Becky – eines der jüngeren Hausmädchen – einen Hochstuhl herein, und ein weiterer Angestellter legte zu seiner Linken zwei zusätzliche Gedecke auf: ein normales und eines mit kleinerem Besteck.

Perplex starrte Daniel auf den Kinderstuhl, der davor platziert wurde, und wollte gerade fragen, was das alles hier suchte, als ihm bewusst wurde, dass er Emily nur in Begleitung seiner Tochter bei Tisch haben konnte. Schließlich musste sie sich fortan Tag und Nacht um das Kind kümmern.

Sein Magen verkrampfte sich. Daran hatte er überhaupt nicht mehr gedacht!

Als eine halbe Stunde später die Tür aufging, kam sie mit seiner Tochter auf den Armen regelrecht hereingeschwebt. »Es tut mir leid, falls wir uns etwas verspäten, Lord Hastings«, erklärte sie ihm sanft lächelnd und – wie es abgemacht war – mit förmlicher Anrede –, während sie Sophia in den Hochstuhl setzte. »Der kleine Goldschatz wollte partout die Schürze nicht anziehen.«

Eine von Emilys roten Locken hatte sich aus ihrer Frisur gelöst, sie atmete schneller und ihre Brust hob und senkte sich in einem regen Takt, als hätte sie nicht seine Tochter gebändigt, sondern sich mit einem Mann in den Laken gewälzt.

In Daniels Lenden zog es, woraufhin er sich für seine unanständigen Gedanken tadelte. Wo kamen diese Ideen plötzlich her? In den letzten Monaten hatte er sich schließlich auch nicht für Frauen interessiert.

Während seine Bediensteten um ihn herumhuschten, ihnen je nach Wunsch Wasser, Tee oder Wein einschenkten und Essen auf die Teller legten, versuchte Daniel, Emily nicht die ganze Zeit anzustarren. Eine Weile beobachtete er Sophia, der von einem der Mädchen ein Teller mit weichgekochtem Gemüse und püriertem Fleisch vorgesetzt wurde, und fragte schließlich wie beiläufig: »Wie erging es Ihnen bis jetzt, Em… Mrs Rowland?«

Ihre Augen besaßen schon wieder jenes Strahlen, als sie ihm antwortete: »Die Zeit ist geradezu verflogen. Als Sophia ihren Mittagsschlaf gemacht hat, habe ich meine Sachen ausgeräumt und den ersten Brief an Claire aufgesetzt.« Sie schob der Kleinen ein Karottenstück in den Mund, dann blickte sie wieder zu Daniel. »Meine Freundin besteht darauf, dass ich ihr so oft wie möglich schreibe.« Während sie schnell selbst eine Gabel an den Mund führte und sich kurz über die Lippen leckte, musste Daniel ein Stöhnen unterdrücken. Hoffentlich verbarg die Serviette in seinem Schoß, wie es bald mit ihm stehen würde, wenn er weiterhin so extrem auf sie reagierte.

Was war denn nur los mit ihm? Niemals zuvor hatte es eine Frau geschafft, ihn derart aus der Fassung zu bringen!

Zum Glück schien Emily abgelenkt, denn sie kümmerte sich immer wieder um Sophia, die mit ihrem Löffel lieber auf eine Kartoffel einstach, als sie zu essen.

»Außerdem«, setzte Emily fort, »habe ich mir von Henry das Haus zeigen lassen. Sophia hat die kleine Führung auch gefallen und die Köchin hat ihr sogar einen Keks geschenkt.«

»Eine Führung von Henry?«, sagte er süffisant und warf dem Diener, der ihm gerade Wein nachschenkte, einen warnenden Blick zu. Der junge Mann zuckte unter seiner Musterung kurz zusammen und sein Gesicht lief knallrot an.

Daniel hatte sehr wohl mitbekommen, dass sich zwischen der früheren Nanny Lizzy und Henry etwas angebahnt hatte. Er hatte das nicht unterbunden, weil beide weiterhin ihre Arbeit verrichtet hatten. Doch er wollte dessen Hände auf keinen Fall auf Emily sehen. Sie war zwar älter als Henry, was diesen Burschen aber bestimmt nicht davon abhalten würde, sie verführen zu wollen. Schließlich sah Emily außerordentlich gut aus.

Sie riss ihn aus seinen Gedanken, als sie in lobenden Tönen seine Bibliothek erwähnte. »Ich habe noch nie so viele Bücher an einem Ort gesehen! Sie besitzen eine fantastische Sammlung, Mylord.«

»Die Sie sehr gerne nutzen dürfen, Mrs Rowland«, antwortete er rau und räusperte sich den Kloß aus dem Hals. Verflucht, es machte ihn heiß, wenn sie ihn formell ansprach.

»Vielen Dank, Lord Hastings, das ist sehr großzügig von Ihnen!« Sie streckte die Hand aus, um kurz seine Finger zu berühren, woraufhin es ihm vorkam, als würde ihn ein Schlag durchdringen. Dieses elektrisierende Kribbeln schoss direkt in seine Lenden.

Vielleicht wurde er krank. Nicht einmal Imogen hatte solche Reaktionen bei ihm ausgelöst, und er war den ehelichen Pflichten alles andere als abgeneigt gewesen. Doch diese Gefühle, die er bei Emily verspürte, waren völlig neu für ihn. Neu, aufregend und … absolut unpassend!

Als Sophia ein lautes »Pfff« von sich gab und den Fleischbrei auf ihrem halben Gesicht verteilte, lachte Emily und wischte das Malheur schnell mit der Serviette weg. Seine Tochter reckte ihr Kinn und schüttelte energisch den Kopf.

Nun musste auch Daniel grinsen. Sophia hatte wohl nicht nur viel von Imogen, sondern auch einiges von ihm geerbt. Er hatte als Kind dasselbe getan, wenn er seinen Kopf durchsetzen wollte, zumindest laut den Erzählungen seiner Mutter. Sie war niemals müde geworden, ihren Freundinnen solche Peinlichkeiten zu berichten.

Daniel stutzte. Mutter hatte sich an Vieles erinnert, weil … sie sich täglich eine Stunde für ihn Zeit genommen und manchmal damit für Empörung unter ihren Freundinnen gesorgt hatte, die ihre Kinder kaum fünf Minuten am Tag sahen – so wie er. Dabei war es im Grunde gar nicht so schlimm, seine Tochter bei sich zu haben. Sophia benahm sich auch sofort wieder artig, als Emily ihr ruhig, aber gewissenhaft, zuredete. Es erleichterte Daniel, dass Sophia sie akzeptierte und Emilys Umgang mit ihr routiniert aussah. Offensichtlich hatte sie alles im Griff – sogar sein Personal. Auf einen Wink von ihr hin entsorgte Henry sofort die verschmutzte Serviette und brachte ihr eine neue.

Ob ihr bewusst war, dass ziemlich viel von einer Lady in ihr steckte? Sie besaß vorzügliche Manieren und eine hervorragende Ausdrucksweise. Natürlich gab es auch Nannys, die aus sehr gebildeten Gesellschaftsschichten stammten und deshalb beim Adel begehrt waren, doch Emelys Anwesenheit an seinem Tisch blieb hier natürlich niemandem verborgen. Daniel sollte gleich einmal aufkommende Gerüchte zerstreuen.

Als sein Butler hereinkam, um nachzusehen, ob alles seinen gewohnten Gang ging, sagte Daniel zu ihm: »Smithers, können Sie sich noch an Emily Collins erinnern? Ihre hochgeschätzten Eltern, Sir Richard Collins und Lady Collins, waren einmal unsere Nachbarn.«

»Wie könnte ich die junge Dame vergessen, Mylord.« Sein Butler deutete eine Verbeugung an, wobei ein leicht spöttisches Funkeln in seinen Augen lag. »Sie kamen mir gleich bekannt vor, Mrs Rowland.«

»Ich kann mich auch noch gut an Sie erinnern, Mr Smithers.« Emily grinste plötzlich so spitzbübisch wie damals als Kind. Bloß diesmal hatte dieses Lächeln nichts Kindliches mehr an sich, zumindest nicht für Daniel. Er verschluckte sich an einem Stück Fleisch, sodass ihm die Tränen aus den Augen quollen und ihm Smithers ordentlich auf den Rücken klopfen musste.

»Danke, Smithers, geht schon wieder«, krächzte er und trank gleich noch mehrere kräftige Schlucke Wein hinterher.

Sophia starrte ihn aus großen Augen an, wobei ihre Unterlippe leicht bebte, und Emily erklärte ihr schnell: »Deinem Vater geht es gut. Er hat sich nur verschluckt.« Dann strich sie seiner Tochter zärtlich über den Kopf.

Sofort beruhigte sich Sophia und versuchte wieder, selbst zu essen, was ihr auch meistens gelang. Emily lobte sie dafür, was seine Tochter zu animieren schien, weiterhin eigenständig den Löffel zum Mund zu führen.

Daniel schluckte schwer. Hätte Imogen dasselbe bei ihrem Kind gemacht? Oder hätten er und seine Frau allein am Tisch gesessen, weil sie sich doch der Gesellschaft gebeugt und der Nanny die Erziehungsarbeit überlassen hätten?

Daniel wusste es nicht. Er hätte es aber schön gefunden, wenn sie als Familie hier zusammengekommen wären. Es war auf jeden Fall amüsanter, als allein zu essen.

Emily schob sich eine Kartoffel in den Mund und leckte sich, nachdem sie geschluckt hatte, wieder über die Lippen. Smithers hatte mittlerweile mit Henry den Salon verlassen, um den Nachtisch aus der Küche zu holen. Trotzdem flüsterte Emily: »Denkst du, dein Butler erinnert sich noch daran, dass ich ihn einmal mit Kirschen beworfen habe?«

Daniel schnaubte amüsiert. »Das hat er bestimmt nicht vergessen. Mein Vater musste ihm einen Teil seiner Dienstkleidung ersetzen, weil die Verfärbungen nicht mehr rausgingen.«

Entsetzt riss sie die Augen auf und legte ihre Hand auf seine. »Oh, Daniel! Warum weiß ich davon nichts? Meine Eltern wären sicher für den Schaden aufgekommen und meine Mutter hätte mir bestimmt einen Monat lang Hausarrest gegeben.«

»Ich habe die Schuld auf mich genommen«, krächzte er, wobei er auf ihre Finger starrte, die ihn immer noch berührten.

Schnell zog Emily die Hand weg. »Aber … warum hast du das getan?«

Er erinnerte sich noch gut an den Tag. Einerseits hatte er Emily nicht in die Bredouille bringen wollen, denn er hatte ihre Aktion selbst lustig gefunden und sie mehr oder weniger dazu angestachelt, andererseits … »Weil ich wusste, dass ich dann für den Rest des Tages in meinem Zimmer bleiben und Mutters musikalischen Abend nicht besuchen musste. Der hätte mich nur furchtbar gelangweilt, und ich wollte lieber lesen.«

Emily lachte. »Du warst ein richtiger Rebell, Lord Hastings.«

»Das sagt die Richtige.«

Verschwörerisch beugte sie sich ein Stück zu ihm, sodass er die Ansätze ihrer Brüste sehen konnte. »Und Mr Smithers hat deinen Eltern nicht die Wahrheit gesagt?«

Plötzlich stand der Butler bei ihnen, hüstelte und erklärte gedehnt: »Nein, er hat nichts gesagt, weil der junge Lord ihn auf Knien angefleht hat, über den Vorfall zu schweigen.«

Daniel hatte überhaupt nicht bemerkt, dass Smithers wieder hereingekommen war, weil ihn Emily so sehr ablenkte! Verschmitzt grinste er seinen Butler an. »Ich habe nur den Edelmann gespielt und eine junge Dame beschützt.«

Smithers zwinkerte. »In der Tat.«

Daniel mochte den alten Mann sehr. Er war so etwas wie ein Familienmitglied, loyal und verschwiegen wie ein Grab. Aber leider auch nicht mehr der Jüngste. Daniel hatte ihm schon vor Jahren angeboten, ihn in den Ruhestand zu schicken. Auf seinem Landgut einige Meilen außerhalb von London gab es ein kleines Häuschen, in das er hätte ziehen können. Daniel hätte dort seine Versorgung sichergestellt. Aber Smithers bestand darauf, so lange in seinen Diensten zu bleiben, wie er noch einen Finger rühren konnte.

Das Essen ging erstaunlich schnell vorbei und Daniel war fast ein wenig enttäuscht, als sich Emily für die Einladung bedankte und von ihm verabschiedete.

Als sie seine Tochter aus dem Stuhl hob, fragte er: »Was … habt ihr beiden jetzt vor?«

»Ich wollte mit Sophia in den Garten gehen. Ein wenig die letzten Sonnenstrahlen des Tages genießen, und frische Luft wird ihr auch guttun.« Schnell setzte sie hinzu: »Natürlich achte ich darauf, dass ihr makelloser Teint keinen Schaden nimmt.«

Daniel schmunzelte in sich hinein. Sie dachte wirklich an alles. »Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mitkomme, Mrs Rowland? Ich brauche dringend einen kleinen Verdauungsspaziergang.«

Ein überraschtes Lächeln huschte über ihre Lippen. »Wir würden uns sehr geehrt fühlen, Mylord.«

Da der Grüne Salon zum Garten hin zeigte, öffnete Henry schnell die großen Flügeltüren. Die Spätnachmittagssonne strahlte immer noch auf die geflieste Terrasse, denn das Grundstück war so groß, dass die umstehenden Häuser erst gegen Abend Schatten warfen. Angenehme Wärme strömte ihm entgegen und der Duft von Rosen. Imogen hatte diese Blumen geliebt, deshalb blühten sie fast überall im Garten.

Daniel ließ Emily mit seiner Tochter auf den Armen vorangehen und fragte sich erneut, ob es klug von ihm war, so viel Zeit mit der »Nanny« zu verbringen. Er sollte sich von ihr fernhalten, doch er vermochte es nicht. Irgendetwas zog ihn einfach zu ihr hin. Außerdem wollte er immer noch mehr über ihre Vergangenheit erfahren. Im Garten, fernab der Dienerschaft, würde er sich ungestört mit ihr unterhalten können.

»Warum isst du nicht auf der Terrasse?«, fragte Emily ihn, als sie wieder unter sich waren. Sie setzte Sophia ab und nahm sie an die Hand, wobei sie sich leicht nach vorne beugen musste. Die Kleine zerrte mit wackeligen Beinen an ihr, weil sie offenbar etwas Interessantes entdeckt hatte. Wahrscheinlich lockte sie der Brunnen. Er zeigte den nackten Engel Amor, der mit gespanntem Bogen auf ein Pärchen zielte, das auf dem Brunnenrand saß. Wasser plätscherte dort heraus, wo der Pfeil sitzen sollte.

Daniel zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ich habe seit Imogens Tod nicht mehr draußen gegessen. Sie saß gerne hier im Schaukelstuhl oder mit einem Buch im Garten.«

Direkt an die mit hellen Sandsteinplatten ausgelegte Terrasse grenzte eine akkurat geschnittene Buchsbaumhecke. Zwischen ihr führte ein gepflasterter Weg zu dem Brunnen, den Sophia quietschend ansteuerte.

Imogen hatte oft auf dem Rand gesessen, eine Hand verträumt ins Wasser getaucht und in der anderen ihr Buch gehalten.

Als Emily leise sagte: »Du vermisst sie sehr, hm?«, zuckte er erneut mit den Schultern und murmelte: »Es ist sehr still ohne sie.«

Emily sah im ersten Moment gequält aus, aber dann lächelte sie ihn sanft an. »Du solltest Sophia öfter sehen. Mit ihr ist es niemals still.«

Er wusste genau, was sie vorhatte. Sie wollte ihn aushorchen, herausfinden, warum er seine Tochter kaum anblicken konnte. Gerissenes Biest. Aber er selbst war nicht besser. Schließlich führte er dasselbe mit ihr im Schilde. Doch Emily hielt ihm vor Augen, dass er sich wohl die ganze Zeit selbst belogen hatte: Ja, er vermisste nicht nur Imogens Anwesenheit, sondern auch ihre liebevollen Berührungen, ihr Lächeln, ihre Wärme …

Noch bevor er sich eine Ausrede überlegt hatte, forderte Emily ihn auf, die andere Hand seiner Tochter zu ergreifen. »Dann kann sie leichter laufen.«

Daniel musste sich weiter nach vorne beugen als Emily und nahm die winzigen Finger in seine. Weil er Angst hatte, sie zu zerdrücken, traute er sich nicht, sie richtig anzufassen.

»Sie ist nicht aus Zucker.« Emily grinste so süß, dass in seinem Magen Käfer zu tanzen schienen, doch dann wurde sie wieder ernst. Woran dachte sie gerade? Warum schwankte ihr Gemüt oft zwischen Ausgelassenheit und … wie konnte er es am besten beschreiben … Traurigkeit?

Was sie ihm bisher über ihren Mann erzählt hatte, verleitete ihn zu der Annahme, dass Emily bei ihm wahrlich kein schönes Leben geführt hatte. Außerdem war die Ehe kinderlos geblieben. Ob sie das belastete oder eher erleichterte, weil sie jetzt nur sich selbst durchbringen musste?

Als Sophia stolperte, zogen sich Daniels Finger automatisch fester zu, damit sie nicht hinfiel. Sie lachte und quietschte, bloß weil sie auf den Brunnen zulief.

Daniels Herz zog sich ebenfalls zusammen. Wenn Imogen ihre Tochter bloß sehen könnte!

»Schau nur, wie toll sie schon laufen kann, Daniel!«, sagte Emily begeistert. »Die Kinder meiner Freundin waren wesentlich fauler. Dafür kann sie jetzt fast niemand mehr fangen.« Beinahe entschuldigend blickte sie Daniel an. »Die Tage verrinnen einfach zu schnell. Jeder Moment mit den Kleinen ist kostbar.«

Womöglich hatte Em recht und er sollte etwas Zeit mit seinem Kind verbringen. Im Grunde war er für Sophia ein Fremder. Wollte er das für sie bleiben? Sie musste ohne Mutter aufwachsen, also sollte sich wenigstens ihr Vater ein wenig kümmern. Doch noch war sie zu klein, um sich wirklich mit ihr abgeben zu können. Vielleicht, wenn sie älter war, er ihr ein Kartenspiel beibringen konnte. Er hatte noch Zeit …

Sie liefen mit Sophia weiter, vorbei an Rosenbüschen und bunten Staudenbeeten, und Daniel fragte sich, warum er nicht öfter nach draußen ging. Bis vor einem Jahr hatte er schließlich immer gerne auf der Bank vor der Eibenhecke gesessen oder die kunstvoll geschnittenen Büsche bewundert. Es war schön hier. Sein Gärtner vollbrachte wahre Wunderwerke.

»Da da da!«, rief Sophia und stampfte mit ihren Füßchen auf, als sie vor dem Brunnen hielten.

»Was will sie denn jetzt?«, fragte er.

Emily grinste. »Na, im Wasser plantschen!«

Der Rand war so hoch, dass Sophia nicht hingelangen konnte. Als Emily keine Anstalten machte, seine Tochter hochzuheben, sondern ihn bloß herausfordernd ansah, gab er nach. Er fasste unter die dünnen Ärmchen und hielt die Kleine über den Rand des Brunnens, damit sie ihre Hände hineintauchen konnte. Ihre Begeisterung schien keine Grenzen zu kennen, denn sie zappelte vor Freude so stark, dass Daniel sein Knie anwinkeln und sie darauf absetzen musste. Dabei behielt er auch Emily im Blick, die lächelnd zwischen ihm und Sophia hin und her sah.

Leise räusperte er sich, denn er hatte eine indiskrete Frage an sie, aber er konnte sie nicht länger für sich behalten. »Hat es … bei dir und deinem Mann … nie mit Kindern geklappt?«

Emilys zauberhaftes Lächeln erstarb abrupt, und sie starrte angestrengt auf die kleine Fontäne, die aus dem Bogen des Engels sprudelte.

Verdammt, er hatte wohl einen wunden Punkt getroffen. Er wollte sich gerade für seine Taktlosigkeit entschuldigen, als sie stockend sagte: »Ich … war einmal in freudiger Erwartung, aber es sollte nicht sein. Ich habe mein Ungeborenes im zweiten Monat verloren. Ein Arzt erklärte uns danach, ich könne keine Kinder mehr bekommen.«

»Das tut mir so leid, Em!« Nun verstand er auch ihren zwischendurch ernsten oder traurigen Blick. Solche Nachrichten mussten für eine Frau in ihrem Alter sehr belastend sein.

Ihre wunderschönen Augen blieben zwar trocken, aber sie sah unendlich bedrückt aus. Kurzerhand streckte Daniel einfach einen Arm aus und zog sie an sich. Sie lehnte sich an seine Schulter, und er widerstand dem Drang, seine Nase in ihr Haar zu stecken, um daran zu riechen. Ob es auch nach Zitronen duftete?

In diesem Moment fühlte er sich mit Emily verbunden, und er glaubte sogar, kurz ihre Hand in seinem Rücken zu spüren, bevor sie sich plötzlich wieder straffte, schief lächelte und Sophia mit etwas Wasser bespritzte.

Die Kleine lachte, und dieser unbeschwerte, kindliche Laut lockerte die Anspannung ein wenig.

Da er unbedingt wissen musste, wie Emily zu dem Thema stand, fragte er zögerlich: »Hast du vor, noch einmal zu heiraten?«

»Welcher Mann«, sagte sie leise, ohne ihn anzusehen, »würde denn eine Frau wollen, die ihm kein Kind, keinen Sohn mehr schenken kann?«

In seinem Magen bildete sich ein eisiger Knoten. Verdammt, sie hatte recht! Das würde ihre Chancen auf dem Heiratsmarkt beträchtlich dezimieren – sollte jemand davon erfahren. Außer sie fand einen Mann, der bereits einen Erben aus erster Ehe hatte. Emily war eine wunderschöne Frau. Bestimmt gab es noch genug Liebesgockel, die sich um sie reißen würden.

Einerseits schüttelte sich Daniel innerlich bei dem Gedanken, Emily in den Armen eines Fremden zu sehen. Andererseits wollte er sie abgesichert wissen. Sie sollte nicht arbeiten müssen, auch wenn ihr das offensichtlich Freude bereitete. Zumindest erweckte es bei ihm den Eindruck, dass sie gerne den ganzen Tag mit Sophia zusammen war.

»Würdest du denn noch einmal heiraten wollen?«, flüsterte er.

Sie schnaubte leise und mied seinen Blick. »Ich möchte mich nie mehr von einem Mann abhängig machen.«

In diesem Augenblick war sie von ihm abhängig – doch er wusste, was Emily wirklich meinte, und schwieg. Was war, wenn sie vielleicht auch deshalb keinen Gatten mehr wollte, weil ihr Mann sie schlecht behandelt hatte? Machte es dann überhaupt Sinn, nach einem Ehepartner für sie zu suchen?

Daniel wünschte, er könnte ihr etwas Aufmunterndes sagen, doch alles, was ihm durch den Kopf ging, würde es nicht besser machen. Zum Glück hielt sie Sophia auf Trab und lenkte sie ab.

Als die Kleine Emily ordentlich nass spritzte, sodass der Stoff des Kleides an Emilys Brust leicht durchsichtig wurde, nahm sie ihm Sophia aus dem Arm. »Oh je, ich glaube, wir müssen uns umziehen. Entschuldige uns bitte.«

»Natürlich«, raunte er, und während sie mit seiner Tochter auf dem Arm zurück ins Haus eilte, als wollte sie vor ihm fliehen, marschierte er tiefer in den Garten. Dort setzte er sich auf eine Bank, die von hohen Hecken eingerahmt wurde, und seine Gefühle wirbelten wild durcheinander. Auch sein Herz donnerte hart gegen die Rippen. Emilys Schicksal berührte ihn sehr. Wenn er könnte, würde er sie sofort selbst heiraten. Sie zog ihn an wie keine Frau zuvor.

Als er sich vorstellte, wie sie in ebendiesem Moment vielleicht ihr feuchtes Kleid ablegte, verfluchte er sich abermals. Wieder dachte er nur an körperliches Begehren, dabei fühlte er viel mehr. Daniel sehnte sich nicht nur danach, Emily in seinem Bett zu haben, sondern er wollte auch mehr Zeit mit ihr verbringen, mit ihr gemeinsam essen, reden, lachen, Spaziergänge machen … sie besser kennenlernen.

Schwermütig seufzend stand er auf, schloss die Augen und streckte sein Gesicht der Sonne entgegen. Doch die wärmenden Strahlen brannten Emily natürlich auch nicht aus seinem Gedächtnis. Da würde nur eines helfen: ein geheimes Treffen mit seinen Freunden. Heute Nacht musste er sich dringend verausgaben und diesen immensen Druck loswerden, der sich seit Emilys Ankunft unaufhörlich aufbaute.

Sofort eilte er in sein Arbeitszimmer, um einen Brief an seinen Freund Miles Dunmoore, dem Marquess of Rochford, aufzusetzen, bevor er noch etwas tat, was er später bitterlich bereuen würde.

Ein Lord wie kein anderer

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