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Nach den Sternen greifen

Space calling


Als ich etwa acht oder neun Jahre alt war, machten wir mit der Familie Ferien in den Bergen. Eines späten Abends, auf dem Rückweg vom Essen, war der Himmel über uns besonders klar und zeigte sich mit all seinen leuchtenden Sternen von seiner schönsten Seite. Mein Vater begann, uns einige Sternbilder zu zeigen. Es war bereits frisch geworden, aber wir kannten das Spiel und schauten brav nach oben, als mein Vater uns aufgeregt das Kassiopeia-Bild, diese Sternenkonstellation in Form des Buchstaben »W« zeigte Und nicht nur das: Die Nacht war so klar, dass Papa uns auf einen kleinen, verschmierten Lichtfleck direkt unterhalb der Kassiopeia aufmerksam machte. Was das wohl sein mag, fragte er uns. Mir war klar: Es ist kein Stern, kein Planet, denn die konnte ich erkennen und unterscheiden Aber was dann? Mein Vater erklärte uns, dass es sich dabei um die Andromedagalaxie handelte – die einzige andere Galaxie und das fernste Objekt, das man von der Erde aus regelmäßig mit bloßem Auge erkennen kann.

Es dauerte ein wenig, bis ich realisierte, welche Tragweite dieser Lichtfleck hat: Moment mal, eine andere Galaxie?! Meinem achtjährigen Ich war zwar schon bewusst, dass wir in einem Sonnensystem mit – damals noch – neun Planeten leben, und auch dass sich dieses in einem der äußeren Arme der spiralförmigen Milchstraße befindet. Aber bisher war mir nie in den Sinn gekommen, dass es mehr als eine Galaxie im Universum geben könnte. Mein eigenes kindliches Universum dehnte sich in diesem Moment gewaltig aus. Mit dieser Expansion kamen im Laufe der Zeit mehr und mehr Fragen. Fragen, auf die ich auch heute noch keine Antwort habe: Welchen Platz haben wir in diesen unendlichen Weiten? Wo sind wir genau? Warum sind wir hier? Gibt es noch anderes Leben da draußen? Selbst wenn ja, erklärte mein Vater später, können wir es nicht wissen. Denn das Licht, das uns von dieser Galaxie erreicht, ist zweieinhalb Millionen Jahre alt. Es könnte also durchaus sein, dass irgendjemand dort draußen möglicherweise gerade ein Buch liest und sich dabei ganz ähnliche Fragen stellt.

Dieser Moment legte sicherlich einen Grundstein für mein Interesse am Weltall im Allgemeinen und der Raumfahrt im Speziellen. Ich wollte den Weltraum erforschen und verstehen, welchen Platz die Erde – und wir auf ihr – im Universum haben. Wenn man dann noch wie wir im Umfeld der NASA aufwächst, scheint der Beruf »Astronautin« gewissermaßen zum Greifen nahe. Ganz selbstverständlich bekam ich immer mehr mit, wie Astronauten trainieren, und so wuchs auch mein Interesse daran. Ganz besonders spannend fand ich, dass man Einblick in so viele Wissenschaftsbereiche bekommt – und auch dass man an seine physischen und psychischen Belastungsgrenzen herangeführt wird. Durch solche Grenzerfahrungen entwickeln wir Menschen ja ein immer besseres Gespür dafür, wer wir eigentlich sind und wozu wir in der Lage sind. Und das ist oft weit mehr, als man ursprünglich für möglich gehalten hätte. So kam es, dass ich mit der Zeit immer »Astronautin« antwortete, wenn ich nach meinem Berufswunsch gefragt wurde.


In vielen öffentlichen Auftritten kehrt eine Frage mit so schöner Regelmäßigkeit wieder, dass sie vermutlich ohne langes Abzählen einen sicheren Platz auf dem Podium der drei am häufigsten gestellten Fragen erreicht: Warum wollten Sie/warum wolltest du Astronaut werden? »Warum«-Fragen sind wichtig: Warum ist der Himmel blau? Warum summt die Biene? Warum geht jeden Morgen die Sonne auf? Und abends unter? Diese Fragen scheinen nur auf den ersten Blick naiv und setzen sich später in immer anderer Form, anderen Zusammenhängen fort und gipfeln vielleicht in der Frage: Warum gibt es mich überhaupt?

Warum sind »Warum«-Fragen so wichtig? Sie zeugen von unserer Neugierde, also der Gier, etwas Neues zu lernen, zu erfahren. Dabei mag das Wort Gier irritieren, wird es doch gern durch das Wort »maßlos« noch weiter negativ befrachtet, doch trifft auch das Verständnis des heftigen, des aufrichtigen Verlangens in diesem Kontext zu. Und das Verlangen, der Drang, Neues zu lernen, ist ein Wesenszug des Menschen, insbesondere in seinen jüngeren Jahren. Vielleicht ist die Behauptung nicht zu weit gegriffen, dass nur der Mensch jung bleibt, der auch in den späteren Lebensjahren immer noch dazulernt. Das Wort »Warum« prägt uns und kann uns ein Leben lang begleiten.

Es gibt »Warum«-Fragen, die nicht beantwortet werden können, und zwar prinzipiell nicht beantwortet werden können. Die Frage »Warum wolltest du Astronaut werden?« gehört in diese Kategorie Das sieht man schon daran, dass die Antworten darauf ganz unterschiedlich ausfallen, je nachdem, wen man fragt Ganz ähnlich verhält es sich mit der Frage, warum ich mich gerade in diese Frau verliebt habe und nicht in jene andere? Egal, welche Antworten wir auf solche Fragen versuchen zu formulieren: Wir stellen schnell fest, dass einzelne Erklärungen unbefriedigende Antwortversuche bleiben müssen Es ist auch gar nicht wichtig, eine wirklich alles überzeugende und überprüfbare Antwort auf diese Art der »Warum«-Fragen zu finden Wirklich wichtig ist zu wissen: Ich will Astronaut werden, ich bin in diese Frau verliebt. Warum? Das ist völlig zweitrangig Im Leben ist es oft wichtiger zu wissen, was man will, ohne dass man immer genau weiß, warum man genau diesen Wunsch hat und keinen anderen.

Bei mir wurde das entscheidende Samenkorn für die Liebe zur Raumfahrt vermutlich durch den Start der Gemini 3 gelegt. Ich bin 1953 geboren, acht Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Das Umfeld, in dem wir aufgewachsen sind, ist heute zum Glück für viele gar nicht mehr vorstellbar. Ich komme aus keinem begüterten Elternhaus, das Geld reichte gerade so eben für die sechsköpfige Familie. Meine Eltern mussten sich gewaltig nach der Decke strecken, um uns den Besuch des Gymnasiums zu ermöglichen. Die Ausbildung für die Kinder wurde dabei nie infrage gestellt. Erst 1965 leisteten sich meine Eltern das erste Fernsehgerät. Einen kleinen grauschwarzen Kasten, der in einer Ecke des Esszimmers stand und den wir Kinder allenfalls aus respektvoller Entfernung ansehen, aber auf keinen Fall anfassen durften Damals war ich noch keine zwölf Jahre alt. Wie das so ist: Wenn man etwas Neues besitzt, dann ist das ganz besonders spannend. Und so lief der Fernseher jeden Abend, beim Abendessen begleitete uns eine Förstersendung des Vorabendprogramms. Bis meine Mutter schnell erkannte: »Dieser Kasten macht jegliche Kommunikation kaputt, der bleibt ab sofort aus.« Zum Glück hatte sie diese Erkenntnis spät genug, ich konnte noch den Start von Gemini 3 sehen.

Gemini 3

Der erste Flug eines US-amerikanischen Zwei-Mann-Raumschiffs startete am 23. März 1965 und dauerte vier Stunden und 52 Minuten. Die Astronauten Gus Grissom und John Young drehten drei Runden um die Erde, bis die Bremsraketen wieder gezündet wurden. Für Aufregung sorgte ein Sandwich, das Young für Grissom mit an Bord gebracht hatte: Die Brösel flogen in der Schwerelosigkeit herum.

Die Bilder, die in unser Esszimmer geflimmert sind, schwarz-weiß und leicht verwackelt, waren nichtsdestotrotz spektakulär. Gus Grissom und John Young stapften in ihren weißen Raumanzügen zur Rakete, in ihrer Hand ein kleines ebenso weißes Köfferchen. Die Titan-II-Rakete war nur etwas mehr als dreißig Meter hoch, doch auf mich wirkte sie unwirklich groß, gewaltig, überdimensional. Vermutlich saß ich mit offenem Mund vor dem Fernsehgerät, und während ich nicht wirklich verstand, was da gerade passierte, ahnte ich doch, dass es etwas ganz Besonderes sein musste. Das war meine erste Begegnung mit der Raumfahrt.

Seitdem verschlang ich alles, was mit dem Weltraum zu tun hatte. Die übliche Kinder- oder Jugendliteratur – Fehlanzeige, mit Ausnahme von Karl May. Diese ausgeprägte Vorliebe für alles, was nur im Entferntesten mit dem Weltraum oder der Raumfahrt zusammenhing, war für meine Eltern vermutlich auch anstrengend. Dafür hatten sie es an Weihnachten einfacher: Der neueste Band von »Das Neue Universum« lag regelmäßig unter dem Tannenbaum. Ebenso »Das große Jugendbuch«, bei dem ich mich vor allem auf die Abenteuergeschichten konzentrierte. Und die Rätselaufgaben, die für den Kopf mit Vorliebe für abstraktes Denken eine willkommene Herausforderung waren.

Die Zahlenwelt übte schon früh einen großen Reiz auf mich aus, wie mir sehr viel später mein Vater einmal erzählte. Ich war vier Jahre alt, meine Eltern waren bereits ins Bett gegangen, aber aus dem Kinderzimmer, in dem mein Bruder und ich schliefen, drang immer noch leises Gemurmel. Als mein Vater hereinkam, um für Ruhe zu sorgen, war er auf meine Antwort nicht gefasst: »Ich bin jetzt bei 3487, jetzt kann ich einschlafen.« Da hatte ich in diesem jungen Alter also schon ganz schön weit gezählt Diese Neigung für Abstraktes begleitet mich mein ganzes Leben. Noch heute ist der Begriff des Abstrakten für mich mit dem Schönen verbunden. Und dem Einfachen. Was sich auch in der Kunst zeigt: Miró begeistert mich, Mark Rothko berührt mich, insbesondere seine Gemälde in der Rothko-Kapelle in Houston, und das Fenster von Gerhard Richter im Kölner Dom ist einfach genial. Natürlich liebe ich nicht nur abstrakte Kunst, vielleicht ist der Zugang zu ihr einfach ein besonderer. Nicht anders ist es in der Musik. Ich liebe die minimalistische Musik von Steve Reich, und Philip Glass versetzt mich mit »Dance« jedes Mal aufs Neue in eine andere Welt.

Als Jugendlicher hätte ich mir ein Fernrohr gewünscht, doch das konnten wir uns unmöglich leisten. Meine Mutter hatte da einen sehr praktischen Sinn, meine romantischen Schwärmereien passten nicht zu dem alltäglich Notwendigen. Wohl auch deswegen haben wir unseren beiden großen Kindern Insa und Tjark zur Konfirmation je ein Teleskop geschenkt. Auch wenn wir es gemeinsam eher selten genutzt haben – jedes Mal ergeben sich beim Blick durch das Fernrohr ganz besondere Momente. Bei Insa steht das Teleskop heute im Wohnzimmer und ist schnell auf dem Balkon aufgebaut. Einfach so die Ringe des Saturn oder die Monde des Jupiters anschauen können, das hat schon was.

Astronaut*in werden


Nach der Schule ging es für mich erst einmal zur Marine, doch mein Berufswunsch war Astronom. Am liebsten hätte ich gleich nach meiner Zeit bei der Bundeswehr Astronomie studiert, doch als reines Studienfach gab es das nicht. Nur als Nebenfach wurde es an einigen wenigen Universitäten angeboten: in München, Tübingen, Göttingen, Heidelberg, ich glaube, auch in Bonn. Von diesen Städten hat mich München am meisten gereizt, und so habe ich dort Physik studiert. Mit Nebenfach Astronomie, obwohl das eigentlich erst nach dem Vordiplom vorgesehen war. Gleich im ersten Semester habe ich dort die ersten Astronomievorlesungen belegt, ein Fehler, den ich heute nicht mehr machen würde. Einer der Astronomieprofessoren, der natürlich seine Pappenheimer kannte und die Erstsemester sofort identifiziert hatte, sagte: »Wenn Sie Erstsemester sind, dann will ich Sie aus meiner Vorlesung nicht rauswerfen, aber ich empfehle Ihnen, das nächste Mal nicht mehr zu kommen. Es reicht völlig, wenn Sie sich nach dem Vordiplom mit Astronomie beschäftigen. Lernen Sie erst einmal die physikalischen Grundlagen. Nehmen Sie sich alle Zeit, die Sie jetzt haben, lernen Sie die Physik, und steigen Sie nicht gleich in die Astronomie ein.« Dieser gut gemeinte Rat ging leider völlig an mir vorbei. Heute sage ich mir selbst: »Hättest du mal etwas besser zugehört.« Bis heute fehlen mir in einigen Bereichen der Physik Grundlagen, die ich früher hätte besser lernen können.

Meine Diplomarbeit schrieb ich über ein sogenanntes »Infrarotphotometer«. Alle Informationen, die Sterne uns zusenden, bekommen wir ausschließlich über elektromagnetische Wellen, von denen das Licht ein Teil ist – der, den wir sehen können. Aber es gibt auch noch Strahlung in höheren und in tieferen Frequenzen, die uns erreicht. Direkt an den langwelligen Bereich im Sichtbaren, das ist die Farbe Rot, schließt sich das für uns unsichtbare Infrarot an, das fühlen wir zum Beispiel als Wärme. Dieser Wellenlängenbereich ist in der Astronomie interessant, weil er unter anderem aus Sternentstehungsgebieten stammt. Junge Sterne sind sehr heiß und heizen den umgebenden Staub auf, von einer Weltalltemperatur von minus 70 bis minus 100 °C oder noch kälter auf plus 1000 °C oder mehr. So kann man indirekt, wenn man diese Gebiete untersucht, sehr viel über Sternentstehungsprozesse lernen: Wie Sterne sich formieren, was die Bedingungen dafür sind. Darüber habe ich 1981 am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg mit unserer Arbeitsgruppe ein Messgerät entwickelt, das diese Strahlung messen kann.


Mein Vater und ich haben dieses Buch in einem interaktiven Prozess erstellt. Deshalb habe ich erst beim Lesen seiner Zeilen hier festgestellt, dass wir uns ähnlicher sind als gedacht: Meine Facharbeit in der 12. Klasse schrieb ich in Physik. Thema? »Infrarotphotometer und deren Nutzung in der Astronomie.« Dass Papa dazu seine Diplomarbeit geschrieben hatte, wusste ich gar nicht! Auch ich habe Astronomie im Nebenfach belegt – einmal an der Harvard University während einer Sommerschule dort, später auch im Studium.

Aber so ging es öfter: Ich schreibe mich an der Universität Bonn für Meteorologie ein, und erfahre erst zwei Jahre später, dass mein Vater in Ozeanografie promoviert hat – die Bereiche sind sich extrem ähnlich, sodass er tatsächlich die meisten Antworten zu meinen Vordiplomsprüfungsfragen wusste. Einfach so! Ich hatte dafür wochenlang gelernt. Ist das ernüchternd? Definitiv.

Charakter – Wie sind Astronaut*innen denn so?


Trotz aller Vorliebe für das Abstrakte habe ich auch einen Hang zur Romantik, am besten verbunden mit dem Neuen, dem Unbekannten, mit dem, wo man sich ausprobieren kann. Es war klar, dass ich nach der Schule zur Bundeswehr gehen und mich für zwei Jahre verpflichten würde, um zum Reserveoffizier in der Marine ausgebildet zu werden. Zum Ersten dauerte die Wehrpflicht Anfang der 70er-Jahre des letzten Jahrhunderts noch 18 Monate. Eine zweijährige Dienstzeit war also nur ein halbes Jahr länger, als der normale Wehrdienst ohnehin gedauert hätte. Zum Zweiten begann das Physikstudium im Wintersemester, ich hätte nach dem regulären Wehrdienst ohnehin noch ein halbes Jahr auf den Studienbeginn warten müssen. Aber das Entscheidende war die Aussicht, auf dem Segelschulschiff der Marine, der »Gorch Fock«, mitzufahren.

Zwei Tage vor dem Auslaufen aus dem Heimathafen in Kiel wurde ich auf die »Gorch Fock« abkommandiert. Meine Crewkameraden hatten bereits zwei Wochen intensiver Ausbildung hinter sich, mir wurde in einer Art Schnelldurchgang das Notwendigste beigebracht. Da ich ganz gut klettern konnte, weil ich leicht war und einigermaßen flink, schnitt ich bei den Kletterübungen im Masten, dem Aufentern, wohl ganz gut ab Jedenfalls bekam ich meine Wunschsegelstation. Großroyal, also die oberste Rah am mittleren Mast, dem Großmasten.

Es war eine romantische Vorstellung, auf der »Gorch Fock« zu segeln Eine Seefahrt mit Wind, Wasser und Wellen ist etwas ganz anderes als eine mit Motoren. Diese romantische Veranlagung in mir hat mich möglicherweise ein Stück weit dazu beflügelt, mich nach den Sternen zu strecken.

Sport hat mir großen Spaß gemacht, solange ich zurückdenken kann. Schon als Kind habe ich erst auf der Straße und dann auf dem Bolzplatz Fußball gespielt. Allerdings war ich nie ein guter Techniker, mit meinen jüngeren Brüdern Thomas und Martin konnte ich nicht Schritt halten, mit Martin erst recht nicht. Meine Stärke waren Ausdauer und Unermüdlichkeit. Aufgeben? Ein Fremdwort. Wenn man so will, war ich immer Herbert »Hacki« Wimmer, nie Günter Netzer. Beide waren prägende Spieler der Mannschaft Borussia Mönchengladbach Mitte der 60er- und Anfang der 70er-Jahre. Die »Fohlenmannschaft«, wie sie wegen ihres frischen unbekümmerten Fußballes allen Fußballfans bekannt war. Das galt sogar für junge Anhänger von Bayern München wie mich. Netzer war der Mann für die genialen Pässe und die genialen Momente Und Hacki Wimmer war der, der hinter ihm aufgeräumt und Netzer ermöglicht hat, genial zu sein Der Arbeiter, der viel gelaufen ist. Löcher zugestopft hat. Hacki Wimmer war nicht der Mann für das Glamouröse, aber ohne ihn wäre das Glamouröse nicht möglich gewesen.

Da sehe ich durchaus Parallelen zu mir. Ich bin eher der, der schaut, wo es gerade nicht läuft oder hakt, der Löcher stopft. Es kommt darauf an, das Ganze im Blick zu behalten. Was ist jetzt gerade notwendig? Und auch dabei gelingt hin und wieder ein genialer Pass, wo man sich verwundert die Augen reibt und fragt, wie das denn möglich war.

Manche fragen, ob Insa und mich besondere Charaktereigenschaften vereinen, die der Astronautentätigkeit zuträglich sind. Die Frage ist naheliegend. Aber ich zögere mit einer Antwort. Denn hinter der Frage steckt die Annahme, es gäbe einen ganz bestimmten Charakterzug oder zwei, die notwendig sind, um Astronaut*in zu werden – und wenn man die nicht hat, dann kann man eben nicht Astronaut*in werden. Ganz so ist es aber nicht Wir Menschen suchen gern nach einfachen Erklärungen. Natürlich gibt es Dinge, die Insa und ich gemeinsam haben. Aber vieles ist eben auch unterschiedlich. Sowohl Insa als auch meine Frau haben beide die Fähigkeit, Abläufe sehr organisiert und strukturiert anzugehen – und trotzdem flexibel zu reagieren, wenn es dann doch anders kommt. So schaffen sie es, jeweils ein enormes Pensum an Aufgaben zu bewältigen. Ich hingegen lasse die Dinge eher auf mich zukommen.


Wie uns während der Auswahl erklärt wurde, geht es als Astronautin nicht darum, in jedem Bereich die absolute Spitzenleistung zu erzielen – wichtig ist, dass in allen Bereichen keine Leistung unterdurchschnittlich ist. Eine Kandidatin also, die auf einer Skala von 1 bis 9 in jedem Test eine 5 oder darüber erzielt, ist einer Kandidatin vorzuziehen, die zwar in fast allen Tests eine 8 oder 9 erreicht, in anderen aber nur eine 1 oder 2. Das trifft sich in meinem Fall ganz gut. Auch wenn ich es in der Schule immer recht leicht hatte, war ich mehr in der Breite gut als in der Tiefe. Das hat sich im Studium so fortgesetzt: Ich kannte zwar die notwendigen Beweise, um meine Lineare-Algebra-Aufgaben zu lösen, aber es war mir vollkommen gleich, ob man diese durch Anwenden bestimmter noch zu entdeckender Prinzipien vielleicht verbessern könne.

Genauso gibt es sicherlich nicht »die eine« Charaktereigenschaft, die eine Astronautin oder ein Astronaut besitzen muss. Aber was ich bei vielen der mir im Laufe meiner Kindheit bekannt gewordenen Astronauten bemerkt habe, ist eine Mischung aus Entschlossenheit und Hartnäckigkeit mit einem gewissen Hang zum Pragmatismus, die perfekt durch das englische Wort »determination« wiedergegeben wird.

Manchmal wird das Wort auch mit »Ehrgeiz« übersetzt. Dabei würde ich meinen Vater und mich nicht als besonders ehrgeizig bezeichnen, zumindest nicht, wenn es darum geht, sich mit anderen zu vergleichen. Ob mein Gegenüber eine bessere Note oder eine bessere Leistung erzielt, ist mir meistens vollkommen gleichgültig. Aber wenn es darum geht, mir selbst etwas zu beweisen, kann ich gar nicht ehrgeizig genug sein. Diesen Sommer konnte ich aufgrund der Schwangerschaft nicht mehr viel laufen und war deshalb auf der Suche nach einer neuen Sportart. Naheliegt natürlich das Schwimmen, aber die letzten 35 Jahre bin ich hervorragend mit meiner leichten Aversion gegen Schwimmbäder durchs Leben gekommen – Wasser ist einfach nicht mein bevorzugtes Element. Was muss, das muss – mir war aber klar, dass es nicht einfach werden würde, meinen inneren Schweinehund zu bekämpfen. Meine Kinder machen gerade die Schwimmabzeichen, und so kam ich auf die Idee, das Goldabzeichen für Erwachsene zu machen. Mit so einem Ziel schaffe ich es sogar, mich freiwillig ins kalte Wasser zu stürzen und 40 Bahnen zu ziehen. Ansonsten würde ich vermutlich allein beim Gedanken daran auf dem Sofa sitzen bleiben. Tatsächlich ist dieses Abzeichen für untrainierte Schwimmer wie mich gar nicht so leicht: 100 Meter in 2:10 Minuten sind ohne die richtige Technik nicht machbar. Also habe ich gleich noch Schwimmunterricht dazugebucht und endlich mal Kraulen gelernt – das konnte ich noch nie. Jetzt macht es mir sogar Spaß, auch wenn ich Schwimmbäder immer noch wenig reizvoll finde.

Vater-Tochter-Gespräch: Star Wars oder Star Trek?


Ich bin kein Science-Fiction-Fan. Zu Star Wars bin ich gekommen wie die Jungfrau zum Kind. Kevin, unser Commander, hat kurz vor unserer Mission herausgefunden, dass ich noch nie Star Wars gesehen hatte. Sein Verdikt war klar und deutlich: »Niemand betritt mein Raumschiff, ohne vorher Star Wars gesehen zu haben.«

Und während der letzten drei Tage Quarantäne in den Crew Quarters im Kennedy Space Center stand auf meinen Dienstplan tatsächlich: Star Wars 4, Star Wars 5, Star Wars 6. Nicht nur das! Neben meinem Namen standen einmal Mamoru und zweimal Janet, weitere Kollegen der Mission. Wohl als Aufpasser, damit ich nicht nur die Videokassette reinschiebe und dann heimlich den Raum verlasse.


So, wie ich früher meine Blockflötenstücke auf Kassette aufgenommen habe, und wenn ich üben sollte, diese laut abgespielt habe, während ich daneben ein Buch las.


Hast du?! Jedenfalls hat mir Star Wars gefallen, ich habe mich auf Teil sieben gefreut und mir dann auch eins, zwei und drei angesehen. Heute habe ich ein etwas ambivalentes Verhältnis dazu, weil es uns offensichtlich nicht gelingt, diese außerirdischen Welten anders zu denken als nur in Zwietracht und Kampf.


Kennst du Star Trek?


Kaum


Star Wars ist mir zu viel Krieg und Schießerei. Mir gefällt Star Trek deutlich besser. Als Kind durften wir ja nur »Die Sendung mit der Maus« und die »Augsburger Puppenkiste« gucken. Bei meiner Freundin allerdings, da hat der große Bruder immer Star Trek geschaut. Dort habe ich oft mitgeguckt. Star Trek ist divers und – wie ich in späteren Jahren schätzen gelernt habe: Die Frauen spielen dort ausgearbeitete, verantwortungsvolle Rollen. Auch als Wissenschaftlerin findet man bei Star Trek viele Charaktere, mit denen man sich gut identifizieren kann.


Neben dem offiziellen Fernsehprogramm der Familie Thiele muss es auch ein inoffizielles gegeben haben. Das haben wir herausgefunden als Tjark in der 5. Klasse auf die Frage nach seiner Lieblingssendung »Tatort« in sein Hausaufgabenheft geschrieben hat. Während wir sonntagabends tanzen gingen, schauten sich die beiden Großen zu Hause heimlich den Krimi an. Allerdings nie bis zum Ende, weil wir immer eine Viertelstunde vorher nach Hause kamen Ich möchte nur wissen, wie ihr damit leben konntet, nicht zu wissen, ob der Bösewicht auch zur Strecke gebracht worden ist.

Deine Einschätzung von Star Wars teile ich, Insa. Das ist genau das, was mich daran zunehmend stört. Teil sieben fand ich noch ganz okay, von Teil acht war ich dann wirklich enttäuscht, um ehrlich zu sein. Trotzdem möchte ich natürlich das Ende der Geschichte erfahren. Deswegen werde ich mir auch Star Wars Teil neun ansehen, aber den besten Star Wars insgesamt, nach vier, fünf, sechs, war für mich eindeutig »Rogue One«. Der weicht etwas von den üblichen Klischees ab Vielleicht machen wir ja mal einen gemeinsamen Star-Trek-Filmabend?

Astronauten

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