Читать книгу Adlerholz - Irene Dorfner - Страница 7
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Оглавление„Nein danke, ich möchte nichts essen. Sag mir endlich, was du von mir willst,“ sagte Werner Grössert genervt. Seine Mutter hatte ihn um ein dringendes persönliches Gespräch gebeten, was bis dato nur sehr selten vorgekommen war. Vor allem bestand sie auf einen neutralen Ort weit außerhalb von Mühldorf am Inn, wo sie jeder kannte. Werner schlug den Biergarten am Rande von Altötting vor, wo er tags zuvor mit seiner Frau gewesen war und vorzüglich gegessen hatte. Werners Mutter war hier im Biergarten in Altötting in ihrem sündhaft teuren Kostüm, dem vielen funkelnden Schmuck und der ganzen Erscheinung völlig fehl am Platz, ebenso wie der 39-jährige Werner Grössert selbst, der auch zur Arbeit bei der Mordkommission Mühldorf am Inn immer korrekt gekleidet im Anzug erschien, auch an solch heißen Tagen wie heute. Das Gewitter der letzten Nacht hatte keinerlei Abkühlung gebracht, denn es war hier in der Gegend mit Donner und Blitz nur vorbeigezogen. Knapp dreißig Kilometer weiter hatte das Unwetter hingegen riesige Schäden angerichtet. Die Landkreise Mühldorf und Altötting waren beinahe komplett verschont worden, aber die tropischen Temperaturen der letzten Tage setzten sich nun unvermittelt fort. Die Bedienung brachte Wasser in Bierkrügen, was Frau Grössert mit einem Naserümpfen zur Kenntnis nahm. Sie hasste es, aus solchen Gläsern zu trinken, aber das war jetzt nicht wichtig.
„Ich möchte zuerst klarstellen, dass das Gespräch hier unter uns bleibt. Auch zu deinem Vater kein Wort,“ sagte Frau Grössert bestimmt, während sie sich den Schweiß von der Stirn tupfte und sich dabei nervös umblickte. Sie saßen an diesem heißen Augusttag völlig alleine hier in der Ecke und konnten ungestört reden.
„Meinetwegen.“
„Gut, dann verlasse ich mich darauf. Meine Zeit ist knapp und ich komme daher gleich auf den Punkt. In den letzten Wochen werden dein Vater und ich terrorisiert.“ Sie atmete tief durch und ließ die Worte wirken. Werner Grössert schien keineswegs beeindruckt oder erschreckt, sondern musste schmunzeln.
„Übertreibst du da nicht ein wenig?“
„Keineswegs. Dein Vater bekommt seit geraumer Zeit merkwürdige Post. Aber was viel schlimmer ist: Jemand hat uns die Steuerprüfung auf den Hals gehetzt. Stell dir das vor: Die Steuerprüfung in unserer Kanzlei! Wenn sich das herumspricht!“
Die Rechtsanwaltskanzlei Grössert wurde bereits in der dritten Generation in Mühldorf geführt und genoss einen ausgezeichneten Ruf. Natürlich war das Ehepaar Grössert, beide Juristen, nicht glücklich darüber gewesen, als ihr einziger Spross Werner seinerzeit nicht Jura studieren wollte, womit die Nachfolge der Kanzlei gesichert wäre, sondern eine Karriere bei der Polizei vorzog. Frau Grössert hatte ihren Sohn sogar angefleht, diese Entscheidung zu überdenken und rückgängig zu machen, bis sie schließlich aufgab und nur noch einen losen Kontakt zu ihrem Sohn pflegte. Seitdem ließ sie ihn bei jeder Gelegenheit deutlich spüren, wie enttäuscht sie von ihm war. Dr. Grössert war noch drastischer mit seiner Reaktion. Er sprach seitdem nicht mehr viel mit seinem Sohn, mied ihn, wo er nur konnte, und behandelte ihn wie einen Fremden.
„Nun mal langsam. Du sagtest, Vater bekommt merkwürdige Post. Seit wann erlaubt dir Vater, dass du seine Post liest?“
„Das tut doch jetzt hier nichts zur Sache. Mein Gott, verstrick dich doch nicht in Kleinigkeiten, sondern fokussiere dich auf das Wesentliche. Ich habe die Post aus dem Papierkorb gefischt und grob überflogen. Kein Wort davon zu deinem Vater, du hast es mir versprochen! Ich sehe, dass du mich noch nicht ganz verstanden hast, denn um diese Post geht es nicht primär. Das war nur eine Information am Rande, damit du den Ernst der Lage verstehst und mir glaubst, dass es jemand auf uns abgesehen hat.“
„Raus mit der Sprache, was willst du von mir?“
„Du bist doch bei der Polizei - tu etwas und hilf uns! Wende diese Steuerprüfung von uns ab!“ Frau Grössert nahm den riesigen Bierkrug mit beiden Händen und trank ein Schluck Wasser. Sie war völlig aufgebracht, die ganze Sache nahm sie sehr mit.
„Wie stellst du dir das vor, Mutter? Ich bin bei der Mordkommission. Wie sollte ich eine Steuerprüfung aufhalten?“
„Aber du bist Polizist und kannst deinen Einfluss geltend machen. Du hast doch meines Wissens nach sogar einen Freund beim Finanzamt. Dieser Bernd Sowieso arbeitet doch dort und hat es trotz seiner niederen Herkunft ziemlich weit gebracht, wie ich gehört habe. Ich dachte, du hast in den letzten Jahren durch deine Arbeit bei der Polizei darüber hinaus eventuell Menschen kennengelernt, die in diesem Falle helfen können. Natürlich würden wir uns das einiges kosten lassen.“
„Moment! Du willst, dass ich Menschen besteche, um diese Steuerprüfung abzuwenden? Bist du jetzt vollkommen verrückt geworden?“ Werner Grössert war wütend und enttäuscht, denn das, was seine Mutter hier verlangte, kam für ihn auf keinen Fall in Frage. Er war nicht bestechlich und würde auch niemals auf die Idee kommen, irgendjemanden zu bestechen.
„Versteh doch, Junge! Wir können es uns in unserer Position nicht leisten, dass Interna aus unserem Privatleben oder sogar aus unserer Kanzlei in falsche Hände gelangen. Man weiß doch, wie so etwas läuft. Wenn Behörden eine Durchsuchung vornehmen, finden die immer irgendetwas, auch wenn es nur Kleinigkeiten sind. Ich möchte gar nicht an das Getuschel der Leute denken, die ganz bestimmt Wind von der Sache bekommen, irgendjemand quatscht doch immer! Außerdem ist Mühldorf im wahrsten Sinne des Wortes ein Dorf. Hier geschieht doch nichts, ohne dass es gleich die Runde macht. Nicht auszudenken, wenn auch noch die Presse auf uns aufmerksam wird. Es gibt viele Neider, die nur auf eine Gelegenheit warten, um uns zu schaden. Nein, Junge, du musst etwas unternehmen, und zwar umgehend. Wir sind doch eine Familie und müssen in schweren Zeiten zusammenhalten.“
„Wo sind diese Briefe, von denen du gesprochen hast?“
„Natürlich wieder da, wo sie hingehören: Im Müll.“
„Was genau stand darin?“
„Nichts Besonderes und darum geht es auch nicht. Vergiss doch endlich diese Briefe, Herrgott nochmal! Kümmere dich um diese Steuerprüfung, darum geht es. Hörst du mir eigentlich zu? Verstehst du überhaupt, worum es geht und was auf dem Spiel steht?“
Werner Grössert sah seine Mutter an und schüttelte den Kopf.
„Dir als Juristin dürfte klar sein, dass ich da überhaupt nichts machen kann. Wie soll ich eine Steuerprüfung abwenden? Diese Befugnisse habe ich nicht. Und Schmiergelder werde ich auf keinen Fall anbieten, das kannst du vergessen. Aber gut, dir zuliebe werde ich Bernd kontaktieren, obwohl ich das sehr ungerne mache. Ich kann nur darauf hoffen, dass ich irgendwelche Details erfahre. Aber mehr kann ich nicht tun.“
„Das ist alles? Sei mir nicht böse, aber ich dachte, dass du mehr Möglichkeiten hast.“
„Tut mir leid. Wie gesagt, bin ich bei der Mordkommission und habe mit Steuern und Ähnlichem nichts zu tun. Warum hast du so große Angst? Ihr habt euch doch nichts vorzuwerfen?“
„Natürlich nicht.“
„Dann wird bei dieser Prüfung auch nichts rauskommen. Beruhige dich, das wird sich alles aufklären. Aber wenn nochmals Post in der von dir angesprochenen Art bei euch ankommt, informierst du mich umgehend, verstanden? Denn so etwas fällt in meine Zuständigkeit und da habe ich jede Menge Möglichkeiten.“
Sie nickte nur, obwohl sie genau wusste, dass ihr Sohn niemals diese Briefe in die Hände bekommen dürfe, denn was darin stand, würde für Werner Schockierendes offenbaren.
Werner Grösserts Handy klingelte.
„Es tut mir leid, Mutter, ich muss zur Arbeit.“
Beide hatten die junge Frau nicht bemerkt, die abseits stand und sie beobachtete. Sie konnte zwar kein Wort verstehen, aber schon allein an der Gestik der beiden und an dem Ort des Treffens konnte sie ahnen, dass es um ihre Briefe ging, die sie Dr. Wilhelm Grössert anonym zukommen ließ. Die Gedanken an die Texte ihrer Briefe ließen sie schmunzeln, denn sie hatte es natürlich darauf angelegt, den Empfänger zu schockieren und ihm Angst einzujagen, was ihr offenbar gelungen war. Schon seit einigen Tagen war sie dem Ehepaar Grössert auf Schritt und Tritt gefolgt, hatte nicht nur vor dem Privathaus, sondern auch vor der Kanzlei stundenlang gestanden und nur beobachtet - und endlich hatte sie ihn mit eigenen Augen gesehen: Das war also Werner Grössert! Bislang kannte sie ihn nur von alten Fotos und von Erzählungen und wusste nicht, wie sie ihn finden konnte, denn bei seinen Eltern ließ er sich die letzten Tage nicht blicken, und im Telefonbuch stand er nicht. Sie kannte nun sein Aussehen, die Nummer seines Wagens mit Mühldorfer Kennzeichen – und sie brauchte nicht mehr lange zu warten und sie würde herausbekommen, wo und wie er lebte und was er beruflich machte. Anwalt war er jedenfalls nicht geworden, das hatte sie bereits recherchiert, denn unter dem Namen Werner Grössert gab es im Landkreis Mühldorf und weit darüber hinaus keinen Anwalt und keine Kanzlei. Sie war davon ausgegangen, dass Werner längst in die Kanzlei seiner Eltern eingestiegen war, aber das hatte sich mit nur einem Anruf als Irrtum herausgestellt.
Sie war sehr aufgeregt und freute sich darauf, Einzelheiten über das Leben von Werner Grössert herauszufinden und war sehr gespannt und wahnsinnig neugierig.
Die nächste Phase ihres Planes war bereits eingeleitet und sie würde von jetzt an Werner Grössert nicht mehr aus den Augen lassen!