Читать книгу GEFANGEN - Irene Dorfner - Страница 10

5.

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„Verdammter Mist!“, rief Zeitler aus, als er die Auswertung der Geschwindigkeitsmessungen, die er selbst vorgenommen hatte, vor sich hatte. Wieder und wieder besah er sich die Fotos, auf denen die Sportwagen und die dazugehörigen Nummernschilder deutlich zu sehen waren. Er kontaktierte die Kollegin Ravelli, die zwei der Sportwagen übernahm. Dann rief er Leo an, der in Christines Gästezimmer ungeduldig auf den Anruf gewartet hatte. Er war in den letzten Stunden dazu verdonnert worden, untätig rumzusitzen und nichts zu tun. Wiederholt hatte er Doktor Grössert angerufen, der aber bezüglich Ursulas Verhaftung noch keinen Schritt weitergekommen war. Der Anwalt versprach aber, an der Sache dranzubleiben. Er klang zuversichtlich, denn er hatte Kontakte in die höchsten Kreise.

Leo wurde immer unleidlicher, wobei ihm Christine keine große Hilfe war. Sie drängelte und machte ihm Vorwürfe, obwohl sie sehr gut wusste, dass ihm die Hände gebunden waren. Es gab nur die Spur nach dem vermeintlichen Sportwagen, nach denen Zeitler seit Stunden suchte. Endlich rief der Ulmer Polizeichef an.

„Es gibt drei helle Sportwagen, die in den zeitlichen Rahmen fallen. Zwei davon sind in Ulm gemeldet, um die kümmert sich die Kollegin Ravelli, wobei ich sie selbstverständlich begleiten werde.“

„Und der dritte?“ Leo spürte, dass es damit etwas Besonderes auf sich hatte.

„Den dürfen Sie gerne übernehmen. Allerdings bitte ich, äußerst diskret vorzugehen.“

Leo wurde hellhörig und immer ungeduldiger. Warum druckste Zeitler so rum?

„Ein Diplomaten-Kennzeichen.“

„Scheiße! Aus welchem Land?“

„Aus dem Kongo.“

„Sie verarschen mich doch.“

„Nein! Der Sitz der Botschaft ist in Berlin und das Kennzeichen, sowie der Wagen, sind dort gemeldet.“

„Und was macht dieses Fahrzeug in Ulm?“

„Das gilt es, herauszufinden.“

„Wo soll ich ansetzen? Das ist die Suche nach der berühmten Nadel im Heuhaufen.“

„Lassen Sie sich etwas einfallen. Wir von unserer Seite dürfen nichts in diese Richtung unternehmen, geschweige denn recherchieren. Schon allein die Überprüfung der beiden anderen Sportwagen ist äußerst riskant, aber das können wir mit dem hohen Messergebnis erklären. Suchen Sie diesen Sportwagen und schließen Sie aus, dass der Wagen etwas mit der Kollegin Kußmaul zu tun hat. Denn wenn das der Fall sein sollte, dann Gnade uns Gott.“

Leo lehnte sich mit einem Seufzer zurück. Mit einem Diplomaten hatte er zum Glück noch nie zu tun gehabt. Er wusste, dass er nicht den Hauch einer Chance hatte, wenn es sich bei dem Gesuchten um einen solchen handelte, denn die waren unantastbar. Wie sollte er jetzt vorgehen? Wie sollte er den Wagen finden?

Ihm fiel sein Freund Georg Obermaier ein, der in Berlin lebte und arbeitete.

„Georg? Ich bin es, Leo. Ich brauche deine Hilfe.“

„Leo? Wie schön, dass du dich meldest. Du brauchst Hilfe? Ich befürchte, dass ich dir nicht helfen kann. Ich bin momentan in Ägypten.“

„Was machst du in Ägypten?“

„Urlaub, was sonst. Ich habe mich von meiner Frau getrennt. Ich liege am Strand und trinke, um meinen Kummer zu vergessen.“

„Es tut mir leid, das zu hören. Wann kommst du zurück?“

„Machst du Witze? Ich bin heute erst angekommen, ich liege erst seit zwanzig Minuten hier. Ich habe noch fast die ganzen zwei Wochen vor mir.“

Leo sprach zwanzig Minuten mit seinem Freund und versuchte, ihn zu trösten. Er mochte Georg sehr und wusste, wie sich eine Trennung anfühlte, zumal er selbst eine hinter sich hatte.

„Genieße deinen Urlaub. Und versprich mir, dass du es mit dem Alkohol nicht übertreibst.“

„Versprochen. Wir hören uns.“

Georg klang nicht gut, trotzdem musste sich Leo auf die Suche nach Ursula konzentrieren. Was jetzt? Wie sollte er an Informationen dieses Diplomaten-Autos kommen? In seiner Verzweiflung rief Leo seinen Freund und Kollegen Hans Hiebler an, der schon einmal mit einem Diplomaten zu tun hatte, was vor seiner Zeit in Mühldorf war.

„Leo? Solltest du nicht mit einem Cocktail irgendwo am Strand liegen?“

„Ich bin in Ulm.“

„Naja. Ein besseres Urlaubsziel ist dir wohl nicht eingefallen, oder?“

„Ich brauche deine Hilfe. Kannst du reden?“

Der fünfundfünfzigjährige Hans spürte, dass etwas passiert sein musste.

„Ich bin allein. Was ist los?“

Leo erzählte ihm alles, was er wusste. Auch das, was ihm der Zeuge Häberle erzählt hatte. Damit verstieß er zwar gegen Zeitlers Anweisung, aber er musste irgendwie weiterkommen, wobei ihm Hans vielleicht helfen konnte. Auf ihn konnte er sich blind verlassen.

„Ich verstehe. Georg ist nicht in Berlin und Viktoria ist in Mühldorf, damit bist du auf dich allein gestellt. Du suchst nach einem Fahrzeug, das dir eigentlich nicht hilft, wenn du es gefunden hast.“

„Richtig.“

„Du sagtest, dass Ursula in Stadelheim sitzt?“

„Das ist die momentane Informationslage, die offiziell noch nicht bestätigt wurde.“

„Was für eine wirre Geschichte. Schade, dass ich hier nicht wegkann, ich würde dir gerne helfen. Lass mich überlegen, was ich tun kann. Wenn Diplomaten im Spiel sind, ist das immer beschissen. Ich kann mich noch gut an damals erinnern und könnte mich noch heute darüber aufregen. Allerdings hat das alles auch etwas Gutes. Ich habe ein paar Leute kennengelernt, die jetzt behilflich sein könnten.“ Hans erinnerte sich an seine Kontakte. „Ich sehe zu, was ich machen kann und melde mich wieder bei dir. Übrigens: Tatjana ist seit gestern wieder zurück. Sie sieht blendend aus, die Kur hat ihr sehr gutgetan.“

Hans war vorsichtig mit seiner Formulierung. Die Wiederkehr der genesenen Tatjana Struck bedeutete auch, dass die Vertretung durch Viktoria Untermaier überflüssig geworden war und sie nun wieder gehen konnte.

Leo schluckte. Seine frühere Kollegin und Lebensgefährtin hatte die Vertretung übernommen, wovon er nicht begeistert gewesen war. Erst in den letzten Wochen verstanden sie sich besser und näherten sich langsam wieder an.

„Viktoria ist wieder in Berlin?“, flüsterte er.

„Noch nicht. Der Chef gibt heute Abend einen aus, wozu er auch dich einladen wollte. Wir wussten nicht, dass du in Ulm bist.“

Werner Grössert wusste es, aber der hatte offenbar nichts gesagt. Warum sollte er?

„Ich würde gerne dabei sein, aber ich kann hier nicht weg.“

„Kann ich verstehen. Soll ich Viktoria etwas ausrichten?“

„Nein, danke. Was die Sache mit dem Sportwagen betrifft, bitte ich um absolute Diskretion. Sollten wir hier richtig liegen, hat Ursulas Verhaftung eventuell damit zu tun. Kein Wort zu irgendjemandem.“

„Du kannst dich auf mich verlassen.“

Leo rief all seine Kontakte in Deutschland und im benachbarten Ausland an, denen er vertraute. Dasselbe machte Hans parallel. Die beiden waren keine Anfänger und hatten über die Jahre viele Kontakte knüpfen können. Die Gespräche waren mühsam, denn beide mussten vorsichtig vorgehen. Kein Detail, das Ursula und der Suche nach ihr schaden könnte, durfte an die Oberfläche kommen.

Leo hatte bei dem Schweizer Polizisten Lukas Jäger endlich Glück. Der junge Polizist aus Appenzell war sehr ehrgeizig und Leo konnte sich noch gut an die problemlose Zusammenarbeit mit ihm während eines komplizierten Falles in den Schweizer Bergen erinnern, bei dem er selbst körperlich in Mitleidenschaft gezogen wurde.

„Wenn Sie möchten, kann ich für Sie Informationen einholen“, bot Lukas Jäger an.

„Sie haben verstanden, dass es sich um ein Fahrzeug mit Diplomatenkennzeichen handelt?“

„Ja, das habe ich verstanden. Wir Schweizer sehen diesen Status nicht ganz so eng. Wenn man in unser schönes Land kommt, muss man sich an unsere Gesetze halten, ob nun Diplomat oder nicht. Ihr Deutschen seid in dieser Beziehung viel zu ängstlich. Ich werde mich gerne für Sie umhören, Kollege Schwartz, zumal ich immer noch sehr in Ihrer Schuld stehe. Meine damalige Mitarbeit zusammen mit der Verhaftung haben mir eine Beförderung eingebracht, an der Sie maßgeblich beteiligt sind.“ Lukas Jäger konnte kaum glauben, dass ihn Leo Schwartz persönlich anrief. Er war ein regelrechter Fan des riesigen Schwaben, der sich mit einer Bitte an ihn wandte. Nie im Leben hätte er ihn abgewimmelt, auch wenn er momentan kaum Zeit hatte und die Sache nicht ganz so einfach war, wie er vorgab. Es war klar, dass er sich umgehend um die Angelegenheit kümmern wollte.

Leo musste schmunzeln, als er auflegte. Der Schweizer war eine Frohnatur, von denen es in dem Beruf nicht viele gab. Hatte er den Mann in Schwierigkeiten gebracht, indem er ihn bat, ihm zu helfen?

Hans hatte sich noch nicht gemeldet, aber Lukas Jäger hatte nach drei Stunden ein Ergebnis auf dem Tisch liegen.

„Der Wagen gehört zum Fuhrpark der Botschaft der Republik Kongo, die in der deutschen Hauptstadt Berlin ansässig ist. Dass Neacel Magoro der aktuelle Botschafter ist, dürfte Ihnen bekannt sein. Der Wagen, nach dem Sie suchen, wird hauptsächlich von einem Mann namens Temuera Achebe gefahren. Ich habe mich umgehört, auch bei uns in der Schweiz ist Achebe kein Unbekannter. Er fiel mehrfach wegen diverser Verkehrsdelikte auf. Offenbar denkt der Mann, dass man auch die Schweizer Autobahnen als Rennstrecke verwenden darf, wie es in Deutschland der Fall ist. Wir haben Geschwindigkeitsbeschränkungen, Ihr Land nicht, was diverse Raser-Spinner auf den Plan ruft. Aber das führt jetzt zu weit, zurück zu Achebe. Nach den Protokollen zu urteilen pochte Achebe bei Kontrollen auf seinen Diplomatenstatus, zu Anhörungen ist er nicht einmal erschienen. Sollte er in der Schweiz nochmals auffällig werden, blüht ihm die volle Härte der strafrechtlichen Verfolgung, denn bei uns ist das Maß schneller voll, als in Deutschland. Vielleicht sollte ich erwähnen, dass Achebe offensichtlich im Rotlicht-Milieu kein Unbekannter ist. Dafür habe ich keine Beweise vorliegen, ich bekam hierzu lediglich einen Hinweis eines Kollegen. Ich schicke Ihnen die Unterlagen zu. Wie hätten Sie es denn gerne? Fax? Email?“

„Am liebsten wäre es mir, wenn Sie mir alles an meine private Email-Adresse senden. Ist das möglich?“

„Normalerweise nicht, aber bei Ihnen mache ich eine Ausnahme.“ Lukas Jäger war zufrieden, als er die Unterlagen an Leos private Mailadresse sandte. Er hatte helfen können und war auch stolz auf das, was er in der kurzen Zeit herausgefunden hatte. Jäger lehnte sich zurück. Auf was hatte sich der Kollege Schwartz jetzt schon wieder eingelassen? Der Diplomatenstatus an sich war schon nicht ohne, dazu noch Achebe, der ihm auf einem Polizeifoto entgegengrinste. Ein arroganter, unangenehmer Zeitgenosse, mit dem Jäger nichts zu tun haben wollte. Die Tatsache, dass Leo Schwartz die Unterlagen an seine private Mailadresse geschickt haben wollte, unterstrich Jägers Vermutung: Das war eine ganz üble Sache, mit der sich der Schwabe beschäftigte. Aber das war zum Glück nicht mehr sein Problem, seine Arbeit war erledigt.

Leo war aufgeregt. Hatte Jäger das Rotlichtmilieu erwähnt? Wenn dieser Achebe damit zu tun hatte, würde er es herausfinden. Dazu brauchte er sich nur mit Tatjana Struck in Verbindung setzen, deren Vater kein Unbekannter im Rotlichtmilieu war.

Noch bevor er Tatjana kontaktierte, bekam er die Unterlagen von Jäger zugesandt. Auf dem Display lächelte ihm das Gesicht eines Mannes entgegen: So sieht er also aus, Temuera Achebe.

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