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4.
ОглавлениеLeo und Hans fuhren auf den Gnadenhof bei Winhöring und wurden sofort von drei Eseln und einem alten Gaul begrüßt, die neugierig ihre Köpfe über den Holzzaun reckten. Aus dem alten Bauernhaus trat ein älterer Mann zu ihnen. Hans und Leo wiesen sich aus.
„Ich bin Stephan Koch, ich führe den Gnadenhof zusammen mit drei Mitarbeitern und acht Freiwilligen. Was will die Kriminalpolizei? Hat uns wieder jemand angezeigt?“
„Nicht, dass ich wüsste. Wir sind aus einem anderen Grund hier. Ist Ihnen in letzter Zeit irgendetwas Merkwürdiges aufgefallen? Bekamen Sie seltsame Post? Wurde irgendwo ein Zettel angebracht?“
„Deshalb sind Sie hier? Dann war dieser Zettel, den ich gestern an der Haustür fand, doch kein dummer Scherz?“
„Haben Sie den noch?“
„Habe ich in die Mülltonne geworfen. Wenn ich gewusst hätte, dass sich die Polizei dafür interessiert…“
„Wo ist die Mülltonne?“
„Dort hinten. Wollen Sie die etwa durchsuchen?“
„Es wird uns nichts anderes übrig bleiben.“
Stephan Koch sah den beiden Kriminalbeamten hinterher. Obwohl sein Job auf dem Gnadenhof ein richtiger Knochenjob war, der nie endete, beneidete er die beiden Polizisten nicht um ihren Job; er kannte den Inhalt der Mülltonne.
Leo und Hans wühlten mit Handschuhen in der stinkenden, randvollen Mülltonne. Beide schimpften und fluchten, denn die Leute hier benutzten keine Müllbeutel, sondern warfen alles ohne Verpackung in die Tonne.
„Ich habe ihn,“ rief Leo, der schon mehrmals mit einem Würgereiz zu kämpfen hatte. Er hielt einen mit Essensresten und sonstigen undefinierbaren Stoffen durchtränkten Zettel in die Luft. Hans nahm eine Tüte und beide versuchten, den Zettel ohne Schaden darin zu verstauen.
„Da kann man kaum etwas lesen,“ sagte Hans und hob den Zettel in der Luft hin und her. „Vielleicht kann Fuchs was damit anfangen.“
Leo informierte Tatjana.
„Da habt ihr ja Glück gehabt, Werner und ich sind völlig umsonst nach Landshut gefahren. Dazu mussten wir uns von dem unfreundlichen Personal auch noch dumm anquatschen lassen. Die haben uns für vollkommen verrückt gehalten und haben uns beschimpft. Es hätte nicht viel gefehlt, und sie hätten uns vom Hof gejagt.“ Werner hörte die Worte seiner Kollegin Tatjana und schüttelte den Kopf. Wenn sie nicht so plump und unfreundlich vorgegangen wäre, hätte das Personal ganz sicher anders reagiert. Tatjana hatte die Angewohnheit, immer mit der Tür ins Haus zu fallen und alle vor den Kopf zu stoßen, was nicht jedem gefiel. Sie war selbst schuld an dem Verhalten!
„Wir bringen den Zettel zu Fuchs,“ sagte Hans, der sich in seinen stinkenden Klamotten sehr unwohl fühlte.
„Auch wenn es schon spät ist, schlage ich vor, dass wir uns die Freunde von Jacob Winzl vornehmen.“
„Meinetwegen. Wie sollen wir vorgehen?“
„Ich nehme an, dass wir die meisten in dieser Münchner Disco antreffen. Der Rest dürfte zuhause sein, es sind Semesterferien. Ich würde freiwillig die Disco übernehmen.“ Tatjana hatte sich noch keine Gedanken darüber gemacht, welchen Part sie übernehmen wollte, es war ihr auch egal. Befragungen sind alle gleich, wobei die Lokalität keine Rolle spielte.
Hans widersprach sofort. Tatjana konnte er sich beim besten Willen nicht in einer Nobeldisco vorstellen.
„Die Disco würde ich zusammen mit Leo übernehmen,“ sagte Hans. „natürlich nur, wenn du nichts dagegen hast. Leo und ich stinken wie die Pest und müssen uns erst restaurieren. Dann fahren wir in aller Gemütsruhe nach München. Vor 23.00 Uhr dürfte im Point X nicht viel los sein. Das wird eine kurze Nacht.“
Tatjana wollte anfänglich protestieren. Sie mochte es nicht, wenn man ihr widersprach. Aber warum sollte sie sich freiwillig die Nacht um die Ohren schlagen?
„Einverstanden. Ich klappere mit Werner die hiesigen Adressen ab. Du rufst mich auf jeden Fall an, wenn ihr in München fertig seid. Ich bin gespannt, was euch erwartet. Viel Spaß in München!“
„Versprochen. Auch euch viel Glück!“
Krohmer hatte nach seiner Rückkehr sofort das Kennzeichen des Motorrollers überprüfen lassen. Er gehörte einem Miguel Sanchez, 31 Jahre alt, gebürtiger Brasilianer und seit elf Jahren in Deutschland; er wurde bisher polizeilich nicht auffällig. Er arbeitete in dem Delikatessengeschäft Ried in Ampfing. Für Krohmer lag auf der Hand, dass der junge Mann der Liebhaber von Lotte Winzl war. Warum sonst hätte Frau Winzl dessen Anwesenheit verschweigen sollen? Und warum sonst parkte der Motorroller hinter dem Gebüsch? Nicht, dass Krohmer etwas dagegen hätte oder das Verhältnis verurteilte. Das war Privatsache und musste jeder für sich entscheiden, das ging ihn nichts an. Aber er war sauer, dass Frau Winzl kein Wort darüber verlor und ihm heute dreist ins Gesicht gelogen hatte. Und das, obwohl seine Leute mit Hochdruck nach ihrem Sohn suchten. Er fühlte sich veräppelt und dazu musste er sich die feine Dame nochmals vornehmen. Aber das konnte bis morgen warten, für heute hatte er genug. Er sehnte sich nach einem ruhigen Abend mit seiner Frau vor dem Kamin bei einem guten Glas Rotwein, was leider noch warten musste. Sein letzter Weg für den heutigen Tag führte ihn zur Spurensicherung, denn Fuchs hatte sich bezüglich des Laptops und des Notizbuches noch nicht gemeldet. Fuchs war erstaunt, als Krohmer sein Büro betrat.
„Sie können sich vorstellen, warum ich hier bin?“
„Der Laptop und das Notizbuch,“ maulte Fuchs, der beides bereits untersucht, den Bericht aber noch nicht fertig hatte. Konnte der Chef nicht warten?
„Was haben Sie,“ stöhnte Krohmer müde und setzte sich auf den alten Stuhl, der fast unter seinem Gewicht zusammenbrach. Mehrfach hatten sich Mitarbeiter über die marode Ausstattung des Büros mokiert, aber Fuchs befand eine Renovierung als vollkommen überflüssig. Für ihn war das Büro ein Ort des Schaffens und keine Wellness-Oase.
„Jacob Winzl hat offensichtlich ein Faible für das weibliche Geschlecht, die Foto-Datenbank ist voller junger Mädchen; keine Namen oder Adressen. Auf der Festplatte befinden sich Arbeiten für die Uni, die gelinde gesagt sehr dürftig sind.“ Fuchs machte keinen Hehl daraus, dass ihm die stümperhaften Arbeiten des Studenten missfielen. So etwas hätte er bei seinen Mitarbeitern nicht durchgehen lassen. Jacobs Arbeiten waren einfach verfasst, voller Fehler und persönlicher Meinungen. Aus vielen Themen hätte man sehr viel mehr machen können. Aber den Inhalt zu bewerten war nicht seine Aufgabe. „Außer der Liste der Freunde, die Ihnen bereits vorliegt, gibt es Adressen und Nummern von vier Ärzten. Diese Liste hier dürfte für Sie von Interesse sein.“ Fuchs übergab seinem Chef das aufgeschlagene Buch. Nummern und dahinter Geldbeträge. Krohmer runzelte die Stirn.
„Das sieht so aus, als ob Jacob nebenher Geschäfte getätigt hatte.“
„So sehe ich das auch. Wobei wir nicht von größeren Geschäften sprechen, die Beträge gehen jeweils kaum über 200 € hinaus. Meist sind sie nur im zweistelligen Bereich.“
„Sonst noch etwas?“
„Das war’s, mehr gibt es nicht.“ Was hatte sich der Chef gedacht? Dass er ihm die Lösung des Falles auf dem Silbertablett servierte? Fuchs nahm das Notizbuch wieder an sich und schrieb seinen Bericht weiter. Er hoffte darauf, dass der Chef selbst bemerkte, dass er mit seinen Ausführungen zu Ende war.
Krohmer wartete noch. Das war tatsächlich alles? Junge Leute arbeiteten heute doch nur noch mit Handys und Computern und speicherten darauf alles Mögliche ab. Nur Jacob nicht. Warum? Er war enttäuscht, er hatte sich weit mehr versprochen.