Читать книгу Streiche im Doppelpack - Irina Kostić - Страница 7
ОглавлениеVon Kopf und Topf
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„Anna, ich kann dich sehen!“, ruft Jule ihrer Schwester zu.
„Aber ich bin doch hinter dir. Kannst du mit deinem Rücken sehen?“, wundert sich Anna. Sie trägt einen wunderschönen Topfdeckel als Hut. Dafür muss sie ganz vorsichtig balancieren.
Jule hält einen Topf in den Händen. Er ist silbern. „Ich kann dich hier im Topf sehen“, erklärt sie. „Du spiegelst dich.“
Anna stellt sich neben ihre Zwillingsschwester und sieht auf den schimmernden Topf. „Ist ja eigentlich egal, ob du das bist oder ich. Wir sehen ja sowieso gleich aus“, meint Anna und streckt ihre Zunge raus.
„Weil wir Zwillinge sind“, sagt Jule lachend und streckt ebenfalls ihre Zunge raus. Beide Zungen spiegeln sich im Topf und tatsächlich sieht eine aus wie die andere. Jule berührt den Topf mit ihren Lippen und gibt ihm einen Kuss. „Kalt!“, ruft sie. „Der Topf ist ganz kalt.“
Anna weiß, was zu tun ist: „Wir packen ihn einfach in Papas Bett. Da ist es doch immer schön warm und kuschelig.“
Kurz darauf laufen Anna und Jule, mit Töpfen und Deckeln beladen, den Flur entlang. Sie schlüpfen in das Schlafzimmer und kuscheln die Töpfe und die Deckel unter Papas Kopfkissen. Bestimmt acht Mal müssen die Zwillinge hin und her laufen, bevor der Küchenschrank leer ist.
„Also, mir ist schon warm“, schnauft Jule.
Anna freut sich und klatscht in die Hände. „Wir haben es geschafft. Aber nun ist der Küchenschrank ganz leer.“ Die Mädchen stellen sich vor den leeren Schrank.
Jule knabbert an einem Fingernagel. Plötzlich hat sie eine Idee: „Komm, wir beide spielen Topf und Deckel. Du bist der Topf und ich bin dein Deckel. Und weil uns so warm ist, können wir ja ruhig in den Schrank.“ Schon schiebt Jule ihre Schwester in das Fach für Töpfe. Die Beine muss sie extra reinschieben. Dann klettert Jule hinterher. Sie müssen sich ganz schön zusammenquetschen. Sonst würde Jule gar nicht als Deckel auf Anna draufpassen. Einen Moment halten die beiden inne. Vorsichtig zieht Jule an den Schranktüren. Und tatsächlich klappen die großen Holztüren zu.
„Dunkel!“, stöhnt Anna mit aufgerissenen Augen.
„Das ist nicht schlimm“, klärt Jule auf. „Ein Topf muss schon als kleiner Topf lernen, dass ein dunkler Schrank nicht schlimm ist.“
Anna seufzt: „Und du bist schwer!“
„Das ist auch nicht schlimm“, haucht Jule ihrer Schwester ins Gesicht. „Jeder Topf muss doch seinen Deckel tragen. Das ist doch die Aufgabe vom Topf.“
„Dann will ich auch mal Deckel sein“, jammert Anna.
„Okay“, willigt Jule ein. „Aber heimlich. Wenn Mama merkt, dass ihr Topf auch ein Deckel ist und der Deckel auch ein Topf, wird sie noch verrückt im Kopf.“ Die Mädchen halten sich an den Schultern fest und beginnen, sich im dunklen Schrank zu drehen. Stück für Stück schaffen sie es. Nun liegt auch Anna mal oben.
„Was machen wir eigentlich, wenn Mama in ihrem Topf Nudeln kochen will?“, fällt Anna ein.
„Nix“, antwortet Jule. „Entweder wir spielen richtig Topf und Deckel oder gar nicht. Und ein Topf macht eben nix.“
„Aua!“, hören die Kinder plötzlich jemanden schreien. Es ist Papa. „Was ist denn hier los? Was für eine blöde Idee!“, ruft er und poltert in die Küche.
Auch Mama kommt in die Küche gelaufen. „Was ist denn bloß los, Schatz?“, fragt sie besorgt.
Anna und Jule wundern sich, was man als Topf im Küchenschrank alles mithören kann.
Papa ist ganz aufgeregt: „Seit wann, bitte, lagern wir unsere Töpfe und Deckel im Ehebett? Und dann auch noch auf meiner Seite!“ Er reibt sich den Hintern. „Ich wollte nur mal zehn Minuten Pause machen und auf einmal steckte mein Popo in einem Topf!“
Mama kann es gar nicht glauben. „Aber wenn Töpfe und Deckel in deinem Bett liegen, was ist denn dann im Schrank?“ Sie öffnet vorsichtig die Schranktür und muss fürchterlich lachen.
„Was macht ihr denn da? Habt ihr euch verlaufen?“, fragt Papa ein wenig ernst und geht in die Hocke. So kann er besser erkennen, welches Bein zu Anna und welches zu Jule gehört.
Die Mädchen antworten nicht. Schließlich sind sie ja grade ein Topf und ein Deckel. Die können nicht reden.
Papa sagt: „Ach so, jetzt habe ich erraten, was ihr seid. Man erkennt euch ja sofort.“
„Wenn ihr ein Topf seid, worin soll ich dann bitte schön das Mittagessen kochen?“, fragt Mama.
„Ist dir unser neuer ‚Topf‘ nicht gut genug?“, lacht Papa. „In der Bibel gab es doch auch mal eine Frau, die konnte mit ihrem Topf nicht kochen. Das lag aber daran, dass sie nur noch ein ganz klein wenig Mehl und Öl besaß. Damit war nicht viel anzufangen.“
„Stimmt, bei der Geschichte von Elia kam sie vor, nicht wahr?“, fällt Mama ein.
„Ist sie einkaufen gegangen oder ist sie verhungert?“, fragt Anna besorgt und streicht sich ein paar Haare hinter das Ohr. Die Haare hängen Jule sonst nämlich ins Gesicht und kitzeln sie fürchterlich.
„Gott hatte versprochen, für die arme Dame zu sorgen, und so kam es auch“, beruhigt Mama. „Sie konnte reichlich kochen und sogar noch etwas davon abgeben, trotz ihrer großen Armut.“
„Aber nur, weil Gott geholfen hat und weil die Frau auch einen Topf hatte. Ohne Topf ist Kochen sehr schwierig“, bemerkt Anna.
„Oh, Anna! Du redest die ganze Zeit! Du bist ja gar kein richtiger Deckel!“, meckert Jule. Sie beginnt sich zu drehen, bis beide Mädchen polternd aus dem Schrank kullern. Ganz verzottelt sehen sie aus.
„Gott kümmert sich um eine ganze Menge. Aber um die Töpfe aus meinem Bett solltet ihr beide euch kümmern“, erinnert Papa.
Jule nickt: „Na gut. Komm, Anna. Wir holen unsere Topf-Brüder. Was ist schon ein Topf, wenn niemand etwas hineinfüllen kann? Und da im Schlafzimmer gibt es höchstens kleine Federchen aus den Kissen, die man in den Topf hineintun könnte. Hier in der Küche kann Mama in den Töpfen wenigstens Nudeln kochen. Und dabei wird den Töpfen ja auch wieder warm.“