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2. Kapitel

Nächtlicher Ausflug

„Rrrrrr!“, machte der Wecker. Noch eine halbe Stunde bis Mitternacht. Verschlafen zogen Anna und Isabell sich an und schlichen auf Zehenspitzen aus der dunklen Wohnung.

Mit jedem Schritt wich ihre Müdigkeit und die beiden wurden immer aufgeregter. Im Hausflur herrschte Totenstille und die Mädchen flüsterten lieber nur.

„Lass uns den Aufzug nehmen, dann sind wir schneller.“ Die Aufzugtür glitt mit leisem Summen auf. Sie huschten hinein.

Dass jemand im Aufzug war, bemerkten sie erst gar nicht. Die Tür schloss sich wieder, als sie ein Geräusch hörten. Erschrocken drehten die Mädchen sich um und sahen es: Etwa zehn Zentimeter über dem Boden schwebte eine knallgelbe Banane. Sie hatte wundersamerweise ein Gesicht, zwei kleine Ärmchen und trug einen kleinen weißen Schlafanzug mit roten Punkten.

Isabell fasste Annas Hand und die zwei drückten sich vor Schreck an die Rückwand der Aufzugkabine. Beschwichtigend hob das Wesen die kleinen Arme und lächelte sie freundlich an.


„Hallo ihr beiden, keine Angst! Ich tue euch nichts“, rief die kleine Gestalt mit heller Stimme.

Anna und Isabell hatten ihre Sprache immer noch nicht wiedergefunden, als das bananenähnliche Ding schon kichernd fortfuhr: „Wenn ich mich vorstellen darf, ich bin das Banambam. Ich habe euch heute Nachmittag beobachtet und gesehen, dass ihr die Gabe habt. Ihr kommt genau im richtigen Moment!“

„Das verstehe ich nicht“, stammelte Anna.

Isabell setzte hinzu: „Wer oder was bist du? Träumen wir?“

„Nein, nein, ihr seid hellwach! Ich dachte, ihr wüsstet Bescheid. Aber wenn das so ist, will ich es euch näher erklären: Ihr seid zwei der wenigen Menschen, welche zwischen die Dinge schauen können. Normalerweise leben wir ungesehen, aber es gibt immer wieder ein paar, mit denen wir Kontakt aufnehmen können. In eurer Welt würdet ihr mich sicher als eine Art Gespenst bezeichnen.“

„Ein Gespenst!“, staunte Anna. Hektisch spielte sie mit den Anhängern an ihrer Kette. Isabell trat nervös von einem Fuß auf den anderen.

„Wie heißt ihr beiden denn?“

„Oh, entschuldige! Wir sind Anna und Isabell“, sagte Anna und deutete auf ihre Freundin, während sie ihren Blick nicht von Banambam lösen konnte. „Wobei sollen wir dir helfen?“

„Ich habe euch beobachtet, wie ihr in das Ladenlokal geschaut habt. Dort wohne ich schon seit vielen Jahren zusammen mit meinen Freunden.“

„Wir haben jemanden im alten Laden gesehen, aber das kannst du nicht gewesen sein“, sagte Isabell etwas gefasster. Anna nickte.

„Nein, das war Blaukronus.“

„Wer ist Blaukronus?“

„Er ist ein Störenfried! Ein Lump! Er hat sich bei uns breitgemacht. Außerdem hat er meine Freunde in seiner Gewalt.“ Vor Wut färbte sich das Gesicht des kleinen Wesens rötlich. Banambam hatte die Fäuste geballt und seine Augen blitzten.

„Was hat er mit deinen Freunden gemacht?“, fragte Isabell besorgt.

„Der alte Herr hat uns im Laden wohnen lassen. Auch als er weg ging, durften wir hierbleiben. Es war unser Laden – bis Blaukronus alles an sich riss. Eines Nachts tauchte er plötzlich auf, zusammen mit seinem düsteren Kumpanen Nachtschatten, und sperrte alle meine Freunde in den Keller. Nur mich hat er nicht erwischt. Seitdem habe ich sie nicht mehr gesehen. Ich glaube, sie müssen dort unten für ihn arbeiten und er verkauft oben im Laden all den Plunder. Gestern hat der Laden eröffnet. Ich mache mir Sorgen. Das kann so nicht weitergehen!“

Die Mädchen lauschten gespannt der Geschichte des kleinen Wesens, von dem sie vor ein paar Minuten nicht einmal gewusst hatten, dass es existierte. Trotz der kurzen Zeit war ihre Angst verschwunden und sie hatten keine Bedenken mehr, sich auf die ungewöhnliche Situation einzulassen.

„Und dann seid ihr mir heute über den Weg gelaufen. Als ich merkte, dass ihr alles seht, habe ich euch beobachtet und bin euch zum Spielplatz und dann hierher gefolgt. Es tut mir wirklich leid, dass ich euch so überrumpele. Ihr müsst mir einfach helfen, meine Freunde zu befreien!“

Anna und Isabell blickten sich an. „Wir hatten vor, uns den alten Laden während der Öffnungszeiten bei Nacht mal etwas genauer anzuschauen“, berichtete Anna.

Isabell flüsterte ihrer Freundin ins Ohr: „Ich glaube, wir können ihm vertrauen. Meinst du nicht, dass wir helfen sollten?“

Anna nickte und lächelte. „Wir sind dabei!“

„Ja, wir helfen dir!“, sagte Isabell und trat einen Schritt näher.

Banambams Freude war nicht zu übersehen. Es machte einen kleinen Salto. „Hast du einen Plan?“, fragte Anna aufgeregt.

„Ja“, erwiderte es und zupfte seinen Pyjama zurecht. „Wir haben noch ein wenig Zeit, Blaukronus ist gerade unterwegs. Pünktlich um Mitternacht wird er wohl wieder da sein. Im Moment ist nur Nachtschatten im Laden. Wir könnten diesen finsteren Gesellen mit Licht überlisten. Je heller es wird, desto langsamer werden seine Bewegungen. Unseren leuchtenden Freund Irrlicht hat Blaukronus genau aus diesem Grund in eine Kiste gesperrt. Ich allein habe nicht genug Kraft sie zu öffnen. Wir müssen Nachtschatten mit Licht in Schach halten. Dann können wir meine Freunde befreien.“

„Wir könnten unsere Taschenlampen mitnehmen“, schlug Anna vor. „Tolle Idee“, quiekte Banambam. „Mal schauen, was wir bei euch sonst noch Nützliches finden. Am besten packt ihr meinen Freunden ein wenig Proviant ein. Sie haben sicher lange nichts mehr zu Essen bekommen.“

Anna betätigte den Türknopf und die drei stiegen auf Isabells Etage wieder aus. Während die Mädchen vorsichtig die Wohnungstür öffneten, erkundigte sich Banambam: „Habt ihr eine Glühbirne? Das wäre am wirksamsten. Blaukronus hat wegen Nachtschatten im Laden alle herausgedreht.“

„Ja, ich hole eine aus dem Kabuff“, flüsterte Isabell und schlich auf die Vorratskammer zu.

Fünf Minuten später standen Anna, Isabell und Banambam auf der stillen Straße und blickten durch das dunkle Schaufenster des alten Ladens. Die drei besprachen noch einmal ihre nächsten Schritte.

„Auf geht's!“ Banambam schwebte über den Köpfen der Mädchen vor der Tür. Sie nickten entschlossen und drückten die Tür einen Spalt weit auf. Bevor das kleine Glöckchen läuten konnte, hatte Banambam es schon in den Händen und hielt den Klöppel fest. Anna und Isabell schlüpften hinein. Leise schlossen sie die Tür hinter sich.

Die Luft war erfüllt von einem moderigen und schwefeligen Geruch. Aus dem Keller drangen seltsame Geräusche. Die Regale waren mittlerweile bis oben hin gefüllt.

Anna und Isabell hätten sich gerne noch ein wenig umgeschaut, doch Banambam drängte zur Eile. Es flüsterte: „Da oben ist die Lampe, die ich meinte.“

Isabell fischte die Glühbirne aus ihrem kleinen Rucksack. Banambam schwebte nach oben, wo es sogleich anfing, sich um die eigene Achse zu drehen und so die Glühbirne in die Fassung zu schrauben. Die Mädchen zückten ihre Taschenlampen und Anna stellte sich dicht neben den Lichtschalter. Isabell versteckte sich hinter einer großen Truhe, auf der „Leuchtnebel“ geschrieben stand. Nachdem Banambam sich in einem Regal verborgen hatte, konnte es losgehen.

Es klirrte und splitterte, als Banambam ein großes Glas mit Glühwürmchen vom Regalbrett schubste. Sofort war der ganze Raum erfüllt von einem Surren und grün leuchtenden Punkten. Es dauerte nur ein paar Sekunden, dann war ein näherkommendes Schlurfen zu hören. Jemand kam die Kellertreppe herauf. Anna drückte sich zitternd an die Wand, während Isabell sich an ihre Taschenlampe klammerte.

Eine finstere Gestalt erschien grummelnd im Treppenaufgang. Sie war mannshoch und schien aus einer Art dunklem Nebel zu bestehen. Der Nachtschatten besaß weder Augen noch Mund. Trotzdem sah er das Chaos im Laden und schrie erbost auf: „Zappalot! Was ist den hier passiert?“ Er schlich langsam auf die Scherben zu.

Annas Hände waren schweißnass. Nun kam es auf den richtigen Moment an. Der Nachtschatten schien noch keines der Mädchen bemerkt zu haben und schlurfte an Anna vorbei. Dabei stiegen von seinem Kopf dunkle Wölkchen auf. Er wirkte sehr wütend. Isabell konnte beobachten, wie einige Glühwürmchen einfach durch seinen nebelartigen Körper hindurchschwirrten. Ihre Knie wurden weich, während der Nachtschatten immer näher kam. Gleich hatte er die Raummitte erreicht und würde dann genau unter der Lampe stehen.

Annas Hand schwebte kurz vor dem Lichtschalter, da überkam sie mit einem Mal ein furchtbarer Hustenreiz. Überall um sie herum waberten die Wutwölkchen des Nachtschattens und die Luft war erfüllt vom einem pfeffrigen und beißenden Dunst.

Sofort hielt Anna sich die Hände vor den Mund und versuchte den Reiz zu unterdrücken. Doch es half nichts: Ein leises Hüsteln durchfuhr die Stille.

Der Nachtschatten hatte es gehört und wirbelte herum. Anna war vor Schreck erstarrt. Auch Isabell stand da wie angewurzelt und warf Banambam einen hilflosen Blick zu. Es schrie: „Das Licht, macht das Licht an!“

Dann ging alles ganz schnell. Als der Nachtschatten den Blick von Anna abwandte, um in Banambams Richtung zu schauen, schlug sie mit aller Kraft auf den Lichtschalter. Gleichzeitig durchflutete der Lichtkegel von Isabells Taschenlampe den Raum und Nachtschatten stand bewegungslos, im Licht gefangen da. Banambam klatschte in die Hände und schwebte vom Regal herunter.

Die Mädchen husteten und lachten gleichzeitig, während die Gestalt des Nachtschattens langsam blasser wurde.

„Haltet die Stellung. Ich befreie meine Freunde und dann nichts wie weg!“, rief Banambam erleichtert und schwebte in den Keller.

Der alte Laden

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