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2. Teil

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Als Erstes brachte sie mittags den anonymen Wisch zum Polizeiposten. Elmer studierte die Botschaft. »Scheint keinen Sinn zu ergeben. Da ist nur die Verbindung mit dem toten Fisch. Es sei denn, der Täter ist der Meinung, dass Sie gegen den Strom schwimmen. Könnte sich auf Ihren Beruf beziehen. Aber das hilft uns nicht weiter. Vielleicht ist es schlicht ein Psychopath, der Ihnen einen toten Fisch schickte, weil der leichter aufzutreiben ist als ein Kalbskopf. – Entschuldigung«. Valerie war zusammengezuckt. »Ich werde auch dieses Papier auf Spuren untersuchen lassen. Einstweilen bitte ich Sie, die Sache nicht zu sehr auf die leichte Schulter zu nehmen. Passen Sie auf sich auf.«

Na, vielen Dank, dachte Valerie etwas unzufrieden, als sie davonzog. Sie drehte mit dem Hund eine Runde im Quartier. Seppli schnupperte hingebungsvoll an einem undefinierbaren Fleck auf dem Asphalt. Valerie ließ ihn gewähren. Sie hatte es nicht eilig, sie wollte auch nicht nachdenken, sondern für eine halbe Stunde so tun, als wäre es ein ganz normaler Tag, ein Spaziergang wie jeder andere. In diesem Viertel gab es zum Teil verkehrsberuhigte Straßen mit älteren Mietshäusern, Genossenschaftsgebäuden mit günstigen Wohnungen für Familien mit kleineren Einkommen, für alleinerziehende Mütter mit ihren Kindern, Wohngemeinschaften, ältere Leute mit kleiner Rente. Es war ein eher ruhiges Viertel, zwar mit gemischter Bevölkerung, aber ohne angesagte Bars und Szenetreffpunkte. Die verschiedenen Gemeinschaften pflegten wenig Kontakt. Die orthodoxen Juden blieben für sich, die muslimischen Familien aus den Balkanländern und der Türkei ebenfalls und die Schweizer guckten wohl den Frauen mit Kopftüchern und langen Regenmänteln oder den Männern mit den Zapfenlocken ein bisschen skeptisch nach, kümmerten sich aber um ihre eigenen Angelegenheiten.

Gut drei Jahre war Seppli nun bei Valerie. In ihrem Bekanntenkreis waren eher Katzen die angesagten Haustiere. Hunde, behaupteten ihre Freunde, seien eher etwas für einsame alte Leute, vielleicht für Familien, bei denen es neben zwei unordentlichen Kindern auf einen Hund nicht mehr ankam, oder für die Hundesportler, die ihre belgischen Schäfer militärisch dressierten. Zu guter Letzt gab es noch die Zuhältertypen und verantwortungslosen jungen Loser, die ihr Image mit einem Kampfhund aufpeppten, den sie nicht im Griff hatten. Aber Valerie mochte Katzen nicht. So sehr auch ihre Bekannten das Loblied auf die Unabhängigkeit und Eigenwilligkeit ihrer Katzen sangen und dies geringschätzig der Unterwürfigkeit und Unselbstständigkeit von Hunden gegenüberstellten, sie mochte diese Tiere einfach nicht und solche Charakteranalysen fand sie schlicht dumm.

Sie hatte sich ihren Hund aus einem Tierheim geholt. Was für eine Mischung er war, wurde nicht klar, auch seine Geschichte blieb im Dunkeln. Jedenfalls war er eine Zeit lang obdachlos gewesen und sehr geschickt im Organisieren von Futter. Leider, dachte Valerie seufzend, hatte er diese Eigenschaft bis jetzt nicht abgelegt, obwohl zuverlässig jeden Morgen ein gefüllter Fressnapf vor ihn hingestellt wurde. Die ersten Wochen mit ihm waren nicht einfach gewesen. Er war zwar stubenrein, gutartig und bellte nicht oft, hatte aber ein unerschöpfliches Kontakt- und Kommunikationsbedürfnis. Valerie lebte zu diesem Zeitpunkt seit einem Jahr allein, und zwar gerne. Und sie merkte mit einem leichten Erschrecken, dass sie jetzt nie mehr wirklich allein sein würde. Egal, was sie tat, stets waren zwei große Augen auf sie gerichtet. Wenn sie ins Bad ging, setzte sich der Hund dicht vor die Tür und wimmerte. Wenn sie nach drei Minuten wieder herauskam, war seine Freude einfach zu groß für den banalen Anlass. Nach ein paar Tagen ertappte sie sich bei dem Gedanken, dass sie gerne wieder einmal einen Abend für sich hätte. Aber mit der Zeit hatte man sich aneinander gewöhnt. Seppli gehörte zum Laden und auf beiläufig angenehme Art zu ihrem Leben.

Sie zog den Hund energisch weg von dem interessanten Fleck auf der Straße und bog mit ihm um die Ecke. Es war die Straße, in der ihr Konkurrent Paul Schiesser seinen Laden hatte. Schiesser konnte sie nicht leiden. Valeries Vater und er hatten jahrzehntelang in einer distanzierten Koexistenz gelebt, keiner grub dem anderen groß das Wasser ab. Valerie hatte ihn als Kind gekannt und er war damals nett zu ihr gewesen. Aber der frische Wind, den die erwachsene Valerie ins Business brachte, schreckte Schiesser auf. Als das größere Ladenlokal an der Schmiede Wiedikon ausgeschrieben gewesen war, hatten sich beide beworben. Valerie hatte den Zuschlag erhalten. Sie konnte es Schiesser also nicht verdenken, dass er nicht gut auf sie zu sprechen war. Sie wusste, dass er bei Lieferanten und Konkurrenten über sie lästerte. Er hatte die Entwicklung im Velobusiness einfach verschlafen, während Valerie genau im richtigen Moment ins Geschäft eingestiegen war und ihre Chancen genutzt hatte. Man grüßte sich knapp, wenn man sich zufällig traf.

Valerie wechselte die Straßenseite, sie musste ja nicht gerade an seinem – übrigens schlecht dekorierten – Schaufenster vorbeistolzieren. Der Mann hatte keine Ahnung von Gestaltung. Er hatte offenbar sein halbes Lager im Schaufenster aufgetürmt, damit die Kunden sahen, was bei ihm alles im Angebot war. Mit dem Resultat, dass man gar nichts wahrnahm, nicht mal Lust hatte, einen zweiten Blick zu riskieren.

Aber nun sah Valerie doch genauer hin. Denn die Ladentür wurde aufgerissen und sie hörte Schiesser laut und wütend, mit sich fast überschlagender Stimme brüllen: »Hauen Sie bloß ab und lassen Sie sich hier nie wieder blicken!«

Aus seinem Geschäft stürzte Hugo Tschudi. Was, hier verkehrt der auch?, wunderte sie sich. Dann sah sie Hugos Gesicht. Sein überlegenes, verschlagenes Lächeln. Sie ging rasch weiter. Womit hatte Tschudi Schiesser wohl so in Rage gebracht? Jedenfalls, daran zweifelte Valerie nicht, hatte er es genossen. Nein, dachte sie, Hugo Tschudi war nicht nur ein eigenbrötlerischer Mensch, er war ein sehr unsympathischer Mensch, der in ihr Unbehagen auslöste. War er darüber hinaus ein Dieb? Sie wünschte, er würde FahrGut und ebenso ihren Mechaniker in Ruhe lassen. Ihn einfach ein für alle Mal rauswerfen konnte sie nicht, dafür hatte sie keinen handfesten Grund und dafür war auch der Streit mit Angela Legler noch nicht lange genug her. Die Sache lag ihr ein wenig im Magen. Man hatte ja schließlich einen Ruf zu verlieren.

Valerie ging weiter. Eine Frau fuhr auf einem Rad an ihr vorbei. Angekoppelt war ein kleiner, mit durchsichtiger Folie bedeckter Anhänger, in dem ein kleines Kind saß. Der wurde bei mir gekauft, registrierte Valerie beiläufig. Aber sie hat dem Kind den Helm ja ganz falsch aufgesetzt. Sie erinnerte sich an eine SUVA-Werbung für Velohelme. Eine ganze Familie, alle mit Helmen ausgestattet – und jeder einzelne saß falsch. Hatte keinen Wert, sich darüber aufzuregen.

Schrottreif

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