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Die Besprechung fand diesmal im Rechtsmedizinischen Institut statt. Hauptkommissar Peter Kraus war zu Harro gefahren, um den aktuellen Bericht des Rechtsmediziners persönlich mit ihm zu besprechen. Hauptkommissarin Marielle Kaiser-Rhön und Kommissar Frank Zauber waren dazugestoßen.

Marielle war froh, dass sie direkt in Harros Büro bestellt worden waren. Sie mochte die Kälte und den Geruch in den Sektionsräumen absolut nicht. Obwohl sie gerne ihren Dienst versah und die Aufklärungsarbeit mit Leidenschaft betrieb, hatte sie sich nie an den Anblick von Leichen gewöhnen können.

Frank entschuldigte sich und rannte Richtung Toiletten.

»Was hat er?« Harro sah ihm hinterher.

»Ihm ist übel. Was Falsches gegessen oder wieder zuviel getrunken. Wer weiß das schon.«

Peter Kraus’ Tonfall war ärgerlich.

Frank Zauber entwickelte sich mehr und mehr zu einem Problemfall unter den Teammitgliedern. Obwohl Zaubers Scheidung Jahre zurücklag, hatte sich der Kommissar immer noch nicht mit dem Scheitern seiner Ehe abgefunden. Er trank seither zuviel und wurde im Umgang mit den Kollegen immer öfter ausfallend. Eine Dienstbeschwerde lag bereits auf dem Schreibtisch des Hauptkommissars, ein Kollege hatte sich über angeblichen Alkoholkonsum Zaubers während einer Razzia beschwert. Kraus musste in den nächsten Tagen ein weiteres ernstes Wort mit Zauber wechseln.

Doch der Mord an Karin Lieberstätt hatte Priorität.

Eine Woche war es jetzt her, dass die Krankenschwester erwürgt im Evangelischen Krankenhaus gefunden worden war. Während die Todesursache sofort geklärt werden konnte, tappten sie bei der Tätersuche im Dunkeln. Die Stimmung im Team war angespannt. Es gab zurzeit keinen Platz für Zaubers private Dauerprobleme.

»In meiner Gegenwart war Frank während Ermittlungen nie betrunken.« Marielle schien einen Teil der Gedankengänge von Peter Kraus erraten zu haben.

»Ist alles okay bei euch im Team?« Harro fixierte Peter Kraus.

Der nickte kurz.

»Dann können wir anfangen.«

Sämtliche DNA-Proben des Krankenhauspersonals waren vom Labor zu Harro geschickt worden, in der Hoffnung, Vergleichsmaterial zu finden. Der Rechtsmediziner deutete auf eine Kanne Tee und übereinandergestapelte Tassen in verschiedenen Farben, die auf seinem Schreibtisch standen.

»Tee, Harro, ist das dein Ernst?« Marielle verdrehte die Augen.

»Wir alle konsumieren zu viel Kaffee.«

»Ich kann auch nach zwei Espressi wie ein Murmeltier pennen.« Peter Kraus war wie Marielle überrascht.

»Heute serviere ich euch eben mal grünen Tee, Leute. Lebt damit. Tine Latisch hat ihn zubereitet, sie sorgt sich um mich. Ich möchte nicht die ganze Kanne allein austrinken müssen.«

»Willa hätte dir deinen Tee um die Ohren gehauen.« Marielle schmunzelte.

»Statt dich zu umsorgen, hätte sie dich mit einem starken Meinl Originalkaffee aus Österreich zugedröhnt.«

Harro lächelte matt. »Kleiner Brauner, großes Brauner, Melange, Einspänner. Die Sorten und noch mehr hab ich von ihr gelernt. Dazu das ›Habe die Ehre‹ und das ›Küss’ die Hand‹.«

Jetzt mussten beide lachen.

Auch Peter Kraus entkam ein Schmunzeln. »Sie war schon eine richtige Marke, das Mädel.«

»Gibt es einen Grund in der Vergangenheit vom Fräulein Ösi zu reden, habe ich etwas verpasst?«

Frank Zauber war zurück und sprengte die gute Stimmung.

»Nein, natürlich nicht.« Harro wurde schlagartig blass. »Sie lebt und sie wird aufwachen.«

»Wie lange bisher?«

»Vierunddreißig Tage und zwanzig Stunden inzwischen. Nicht, dass ich mitzählen würde.«

Harro griff sich die Teekanne mit beiden Händen und begann einzuschenken. Ein paar Tropfen landeten auf der Schreibtischplatte. Er wischte sie mit dem Ärmel weg.

Für eine Weile schwiegen sie.

»Ich möchte auf unseren aktuellen Mordfall zurückkommen.« Peter Kraus ergriff das Wort. »Harro, was hast du für uns?«

Der Rechtsmediziner nahm einen Schluck aus seiner Tasse. »Nach Auswertung aller Spuren am Körper der Toten konnte ich für den Vergleich bereits elf verschiedene DNA-Profile erstellen. Nicht von ihrem Hals, allerdings. Der Täter hat die im Krankenhaus üblichen Latexhandschuhe getragen.«

»Hattest du nicht anhand der Würgemale zuerst auf eine Täterin getippt?« Marielle hatte ihr iPad aus ihrer Tasche geholt und scrollte durch ihre Notizen.

»Das ist richtig. Aber ich nehme das zurück. Die Abmessung der Handflächen und die Länge der Finger könnten durchaus auch zu einem Mann passen, der zartere Gliedmaßen hat. Wie umgekehrt auch Frauen große Hände haben können.«

»Die Kraft, die man bei einer solchen Tat braucht, könnte zusätzlich auf einen männlichen Verdächtigen hinweisen.«

»Nicht unbedingt. Wenn eine Täterin es gewohnt ist, anzupacken, ist das Abschnüren der Luftzufuhr kein großes Problem.«

»Krankenschwestern arbeiten täglich schwer.«

»Krankenschwestern, Pfleger, Ärzte, das gesamte Personal der Klinik.« Frank Zauber meldete sich zu Wort. »Auch die Leute aus der Küche sind es gewohnt, mit ihren Händen zu arbeiten. Das Reinigungspersonal. Außerdem hätte jederzeit ein Außenstehender die Klinik betreten können. Es gibt zwei Hintereingänge …«

»… die von außen nicht zu öffnen sind.« Marielle schnitt Frank das Wort ab. »Durch diese Ausgänge hätte der Täter unbeobachtet ins Freie gelangen können. An den anderen Zutrittsmöglichkeiten sitzen Tag und Nacht Pförtner.«

»Genau das wollte ich sagen.« Frank Zauber brummte. »Dafür hätte er sich aber auskennen müssen, was wieder das Personal in den Mittelpunkt rückt.«

Marielle vertiefte sich erneut in ihr iPad. »Was ist mit den roten Fasern, die du am Hals entdeckt hast, Harro?«

»Fehlalarm. Karin Lieberstätt hat an ihrem Todestag ein rotes Halstuch getragen, als sie zu ihrem Dienst erschienen ist. Zwar nicht zum Zeitpunkt des Mordes, aber die Fasern stammen davon. Sie sind an ihrer Haut haften geblieben. Durch die Strangulation wurden sie tiefer in die Halsfalten gepresst.«

Kraus war der erste, der sich nach Harro etwas von dem grünen Tee genehmigte. »Ich möchte auf die DNA-Profile zurückkommen. Wie sieht es damit aus, Harro? Meiner Meinung nach sind sie unsere beste Chance, dem Täter auf die Spur zu kommen.«

»Auch diese Hoffnung mache ich euch schneller zunichte, als ihr sie aufkommen lassen könntet.«

Harro umrundete seinen Schreibtisch, tippte stehend auf seiner Tastatur und sah auf den Bildschirm.

»Zuerst ein großes Lob an das Labor, das in Rekordzeit die Spuren ausgewertet hat.«

»Lobe auch mich. Ich habe Oberstaatsanwalt Prunk dazu überreden können, dass er einen DNA-Test für die Krankenhausmitarbeiter bei einem Richter durchgeboxt hat.«

»Und ich, lieber Peter, habe alle eure Teststreifen verglichen. Schon allein in der Abteilung des Krankenhauses, in der das Opfer tätig war, sind Dutzende davon zusammengekommen. Leider liegt genau darin unser Problem. Eine Menge Leute hatten mit dem Opfer Körperkontakt. Bei ihrem Beruf als Krankenschwester war das zu erwarten. Neben den Kollegen kommen noch die Patienten hinzu. Ich habe bereits sechs Übereinstimmungen gefunden.«

»Das heißt, meine Idee mit dem DNA-Test hat höchstens Staub aufgewirbelt, sonst nichts?«

»So möchte ich es nicht formulieren, Peter.«

Marielle mischte sich ein. »Hatte sich denn jemand geziert, die Überprüfung mitzumachen?«

Die Köpfe der drei gingen zu Zauber, der sich nun auch Tee eingoss. Er hatte die Stäbchenabgabe überwacht und war zusammen mit zwei weiteren Kollegen vor Ort gewesen.

»Lasst mich nachdenken.«

»Geht es auch einen Ticken schneller, Frank?« Kraus klang ungehalten.

»Mann, was seid ihr heute unangenehm.« Zauber zog die Mundwinkel nach unten. »Wenn sich einer geweigert hätte, wüsstet ihr es längst.«

Die Spannung, die zwischen Kraus und Zauber in der Luft lag, schien kurz vor der Explosion zu stehen.

»Da bin ich mir nicht so sicher, Frank.«

»Willst du damit etwas andeuten, Peter? Dann spuck es aus.«

»Kein Grund sich aufzuregen, ihr beiden. Und kein Grund, Peter, uns deinen Frust spüren zu lassen.« Marielle hob beschwichtigend ihre Hände. »Überlege bitte noch mal, Frank. Es kann sein, dass sich jemand nicht direkt widersetzt, aber gezögert hat?«

Zauber seufzte einmal schwer. »Einer der Ärzte. Dr. Daniels. Der Oberarzt der ganzen Abteilung. Er hat ebenso argumentiert wie du eben, Harro. Meinte, dieses Szenario würde dem Steuerzahler höchstens einen Haufen Kohle kosten. Allerdings hat er sich der Untersuchung selbst nicht widersetzt.«

»Ich weiß, von wem du redest. Der Doktor war mit mir am Tatort.« Harro brachte sich wieder ein.

Zauber nickte. »Er war aber auch davor im Aufenthaltsraum. Sein Assistent, mit dem er die anstehenden Operationen für den nächsten Tag durchgegangen ist, hat es bestätigt. Er fällt als Verdächtiger weg.«

»Dann bleibt uns nichts, außer, dass ich einen Anschiss beim Oberstaatsanwalt wegen Übereifer erhalten werde?« Kraus stieß die Luft mit einem unwilligen Ächzen aus.

Harro zuckte mit den Schultern. »Tut mir leid, Peter, dein Vorstoß war eigentlich eine gute Idee. Ich hätte noch eine.«

»Los, Harro.«

»Die Würgemale. Die Abdrücke. Damit können wir zumindest Handgröße und Fingerlänge vergleichen. Etwas ungenau, aber zumindest eine Art der Auslese.«

»Noch einmal ein Prozedere für das gesamte Personal. Vielleicht verunsichert eine solche Maßnahme den Täter.« Marielle horchte interessiert auf.

Kraus hob die Hand. »Nein. Einen weiteren großen Test werde ich bei der Staatsanwaltschaft nicht durchbekommen.«

»Es geht um den Mord an einer unschuldigen Frau, die noch dazu in einem Beruf gearbeitet hat, der viel Einsatz bei wenig Gehalt verlangt.«

»Marielle, das weiß ich. Wir brauchen aber Verdächtige. Noch haben wir keinen einzigen. Leider.«

»Von den Leuten aus ihrem näheren Arbeitsumfeld könnten wir trotzdem Abmessungen vergleichen.«

»Vielleicht ist das durchzubekommen. Aber nicht von jedem, der in dem riesigen Krankenhauskomplex arbeitet. Schon gar nicht von jedem Patienten oder Angehörigen, der dort einen Besuch abgestattet hat.«

Zauber hustete. »Nadel im Heuhaufen, Leute. Der Täter kann hinein und wieder hinausspaziert sein.«

»Am späten Abend müsste ein Besucher doch auffallen.« Marielle wollte nicht aufgeben.

»Die bisherigen Aussagen haben nichts ergeben.«

»Das gesamte private Umfeld vom Karin Lieberstätt haben wir in unsere DNA-Vergleiche bisher noch nicht einbezogen. Was ist mit ihrem Mann, einem Freund, einem Bekannten, der im Krankenhaus auftaucht, dort seine Tat begeht, um den Verdacht von sich abzulenken.«

»Auch die Überwachungskameras im Wartebereich und der Eingangshalle haben nichts gebracht.« Zauber begann erneut zu husten.

Marielle kam zu ihrem Kollegen und klopfte ihm auf die Schulter. »Da hast du recht. Ich bin durch meine Vernehmungsliste durch. Nicht jeder hat ein wasserdichtes Alibi, was spät abends nachvollziehbar ist. Aber es hat sich leider keine einzige Unstimmigkeit ergeben. Was ist bei dir herausgekommen?«

»Bei mir ebenso – Nichts.«

»Und das Motiv?«, fragte Harro.

»Dabei tappen wir ebenfalls noch im Dunklen.« Marielle seufzte. »Karin Lieberstätt war beliebt. Im Krankenhaus, in ihrem Privatleben. Ein angenehmer, freundlicher Mensch. Sie scheint keine Feinde gehabt zu haben.«

»Einen anscheinend doch.«

»Du sagst es. Wie immer, wenn wir noch am Anfang stehen und uns die Spuren keine eindeutigen Hinweise liefern, müssen wir uns vortasten.«

Kraus’ Handy klingelte. Er holte es aus seiner Jeans.

»Ja? – Am Apparat. Was gibt es?« Er wandte sich seinem Team zu. »Es ist das Krankenhaus.«

Marielle, Frank und Harro schwiegen und lauschten. Doch außer dreimaligen kurzen Nachfragen von Kraus, ließ sich das Gespräch nicht mitverfolgen.

»Ich danke Ihnen. Ja, wir kommen.«

Kraus steckte sein Mobilteil in seine Jeans zurück.

«Was ist?«

Marielle und Frank fragten gleichzeitig.

Der Blick des Hauptkommissars blieb bei Harro hängen.

»Ich weiß nicht, warum die jetzt ausgerechnet mich angerufen haben. Vielleicht, weil sie eine Ermittlerin ist. Es geht nicht um unsern aktuellen Mord, Leute. Es geht um Willa.«

Ein reines Wesen

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