Читать книгу Geliebt! Ein Stern für Juan - Isabella Defano - Страница 3

Prolog

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Wie erstarrt sah Shana auf den Sarg ihres Vaters, während der Pfarrer die Trauerrede hielt, doch die gewählten Worte konnten sie nicht trösten. Die Lobeshymnen auf seine beruflichen Erfolge und die Geschichten über ihn als aufopfernder Mensch fühlten sich für Shana völlig falsch an. Nicht mit einem Wort wurde erwähnt, wer ihr Vater wirklich gewesen war. Ein gefühlloser Mensch, der seine zehnjährige Tochter ins Internat abgeschoben hatte, nachdem seine Frau bei einer Routineoperation gestorben war. Ein Despot, der mit aller Macht versucht hatte, sie mit seinem Geschäftspartner zu verheiraten. Und zwar, ohne auf ihre Wünsche Rücksicht zu nehmen.

Tief atmete Shana durch und versuchte weiter, ihre Gefühle zu unterdrücken. Sie durfte nicht zulassen, dass einer der Anwesenden ihre wahre Stimmung erkannte, denn niemand würde es verstehen. Keiner von ihnen konnte begreifen, warum der Tod ihres Vaters ihr so gleichgültig war. Oder besser gesagt, sie sogar glücklich machte. Sie verstand es ja selbst kaum. Er war ihr Vater gewesen. Der einzige Mensch, der ihr von ihrer Familie noch geblieben war. Eigentlich müsste sie doch Trauer empfinden. Aber immer wenn sie an ihn dachte, fielen ihr seine letzten Worte wieder ein und jedes Gefühl von Zuneigung oder Liebe verschwand. Denn das Letzte, was sie von Hannes van de Renne zu hören bekommen hatte, waren Drohungen.

„Du wirst tun, was ich dir sage, Tochter. In drei Tagen wirst du Leon heiraten, oder du kannst zusehen, wie weit du ohne mein Geld kommst.“

Als eine Hand ihre Schulter berührte, wurde Shana aus ihren Erinnerungen gerissen. Verwirrt sah sie zu dem dunkelhaarigen Mann hoch, der sie aus braunen Augen mitfühlend ansah. Sofort verzogen sich ihre Lippen zu einem schwachen Lächeln. Er hat es doch noch geschafft, ging es ihr durch den Kopf.

„Danke, dass du gekommen bist“, sagte Shana leise und ließ sich von ihm in den Arm nehmen.

„Es tut mir so leid, Kleines“, flüsterte er zurück. „Ich wollte schon früher kommen, doch so kurzfristig konnte ich die Fabrik nicht verlassen.“

Shana nickte nur. Sie wusste, wie beschäftigt er war. Als Besitzer und Leiter einer eigenen Designfabrik trug Valenzo de Luca eine große Verantwortung. Trotzdem hatte sie sich auf ihn, anders als auf ihren Vater, immer verlassen können. Nie hatte er einen ihrer Geburtstage vergessen oder war zu beschäftigt, um sich ihre Sorgen und Probleme anzuhören. Im Grunde war er in den letzten Jahren viel mehr ein Vater für sie gewesen als der Geschäftsmann Hannes van de Renne, der sich nur selten bei ihr gemeldet hatte. Dazu kam, dass Shana seit ihrem 12. Geburtstag die Sommerferien immer bei ihm in Dornbirn verbracht hatte und dort von Valenzo und Sophia de Luca, wie ein Familienmitglied behandelt worden war. Kein Wunder also, dass sie sich nicht nur einmal gewünscht hatte, wirklich ein Teil dieser Familie zu sein.

„Amen.“

Als der Pastor die Bibel zuschlug, aus der er vorgelesen hatte, wurde Shana aus ihren Gedanken gerissen und wandte sich wieder der Beerdigung zu. Inzwischen hatten vier schwarz gekleidete Männer damit begonnen, den Sarg in den Boden hinabzulassen. Plötzlich musste Shana schlucken und Tränen liefen ihr über die Wangen. Nur zu deutlich erinnerte sie dies, an die Beerdigung ihrer Mutter vor fast acht Jahren. Nur schwer hatte sie begreifen können, dass ihre geliebte Mutter, von einem Tag auf den anderen, nicht mehr nach Hause kam. Immer wieder hatte Shana nach ihr gefragt, bis es ihr Vater nicht mehr ausgehalten hatte und sie nach Bayern zu den Kreuzschwestern ins Internat abschob. An diesem Tag war etwas in ihr zerbrochen. Es war eine Kluft entstanden, die mit den Jahren immer größer geworden war. Bis schließlich ihr Vater nicht mehr für sie war als ein Fremder.

Starke, tröstende Arme brachten Shana in die Gegenwart zurück und sie wischte sich die Tränen mit einer Hand fort.

„Komm“, sagte Valenzo de Luca leise und führte Shana zum Grab ihres Vaters.

Erst jetzt bemerkte sie den Kübel, der neben dem Loch stand und mit schwarzer Erde befüllt war. Mit zitternden Händen griff sie nach der kleinen Schaufel und warf etwas davon neben den Sarg ihres Vaters. Nachdem Valenzo de Luca es ihr nachgemacht hatte, nahm er ihre Hand und führte sie fort. Wieder liefen Shana Tränen über die Wangen. Jetzt bin ich ganz allein, ging es ihr durch den Kopf.

„Frau van de Renne.“

Als Shana den hochgewachsenen Mann mit blonden Haaren und Schnurrbart erkannte, der auf sie zukam, erstarrte sie. Im ersten Moment dachte sie daran, einfach wegzulaufen, denn der Anwalt ihres Vaters war der letzte Mensch, den sie heute sehen wollte. Doch ihr Patenonkel, der immer noch ihre Hand hielt, machte eine Flucht unmöglich.

„Herr Novak“, sagte Shana leise, als dieser vor ihr stand, während sich ihr ganzer Körper anspannte.

Sie hatte nicht vergessen, welche Rolle er in den letzten Wochen in ihrem Leben gespielt hatte. Statt ihren Vater zur Vernunft zu bringen, hatte dieser Hannes van de Renne noch dabei unterstützt, sie zu dieser Hochzeit zu zwingen. Ja, er hatte sogar gemeint, sie könne froh sein, so einen guten Ehemann zu bekommen. Dass ihr Leon Ritter völlig unsympathisch und noch dazu zu alt war, hatte ihn ebenso wenig interessiert wie ihren Vater.

„Mein Beileid“, sagte er ernst und reichte Shana die Hand, welche sie nur widerwillig ergriff. „Dieser Unfall ist ein schwerer Verlust für uns alle. Ihr Vater war ein sehr bedeutender Mann.“

Wohl eher ein skrupelloser, dachte Shana verbittert, doch dies würde sie nie laut aussprechen. Was sollte es auch bringen? Ihr Vater war immer sehr gut darin gewesen, sich in der Gegenwart anderer zu verstellen.

„Da könnten Sie recht haben“, sagte sie stattdessen und ließ seine Hand los. „Sie kannten ihn besser als ich.“

„Stimmt“, gab Joachim Novak zu und sah sie mit seinen braunen Augen eindringlich an. „Ihr Vater war einer meiner ältesten Freunde. Wirklich schade, dass er und Ihre Mutter so früh sterben mussten.“

Shana musste schlucken. Durch die Erinnerung an ihre Mutter kamen ihr erneut die Tränen.

„Bitte entschuldigen Sie uns“, mischte sich Valenzo de Luca in das Gespräch ein, als er die Tränen in Shanas blauen Augen sah. „Shana braucht jetzt etwas Ruhe. Sie hat in den letzten Tagen sehr viel durchgemacht.“

Dankbar sah Shana ihren Patenonkel an und wollte sich von ihm fortführen lassen. Doch noch bevor sie ein paar Schritte gegangen waren, hielt Joachim Novak sie zurück.

„Ich fürchte, das ist nicht möglich“, sagte er bedauernd, doch für Shana fühlte es sich aufgesetzt an. „Ich habe von meinem Freund Hannes van de Renne klare Anweisungen bekommen, was im Falle seines Todes passieren soll. Daher muss ich Frau van de Renne bitten, mich zur Testamentseröffnung zu begleiten.“

Shana zuckte zusammen, denn sie hatte kein gutes Gefühl dabei. Währenddessen sah Valenzo den Anwalt wütend an.

„Jetzt?“, fragte er erbost. „Kann das nicht warten?“

„Nein“, sagte Joachim Novak entschieden. „Ich habe klare Vorgaben. Eine davon ist der Zeitpunkt der Testamentseröffnung. Mein Freund wollte, dass sie am Tage seiner Beerdigung stattfindet, sollte seine Tochter bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht verheiratet sein.“

Valenzo schüttelte ungläubig den Kopf, während sich Shanas Hände zu Fäusten ballten. Noch nicht verheiratet, dachte sie wütend. Als würde ich seinen Geschäftspartner jetzt noch heiraten. Plötzlich wurde ihr ganz kalt. Der Tod ihres Vaters war ein Unfall gewesen. Er hatte nicht wissen können, dass Shana bei seiner Beerdigung noch unverheiratet sein würde. Warum hat er dann diese Anweisung in seinem Testament hinterlassen?, fragte sich Shana verwirrt. Das ergibt doch keinen Sinn.

Bevor Shana ihre Frage laut stellen konnte, sprach Joachim Novak weiter.

„Ich habe bereits alles vorbereitet und in der Gaststätte, wo die Trauerfeier stattfinden soll, ein Zimmer reserviert.“ Dann wandte er sich Valenzo zu. „Sobald wir fertig sind, können Sie sich gerne um Frau van de Renne kümmern.“

„Das können Sie vergessen“, sagte Valenzo entschieden und zog Shana an sich. „Shana ist erst 18. Ich werde sie nicht alleine lassen. Sie hat ein Recht darauf, dass jemand bei ihr ist, dem sie vertraut.“

Ein schwaches Lächeln huschte über Shanas Lippen und sie sah ihren Patenonkel dankbar an. Auf ihn kann ich mich wirklich verlassen, dachte sie glücklich. Wieso kann er nicht mein Vater sein? Kurz darauf wandte sie sich dem Anwalt ihres Vaters zu, der Valenzo wütend ansah. Bevor dieser aber etwas sagen konnte, ergriff Shana das Wort.

„Ich stimme meinem Onkel zu“, sagte sie ernst. „Entweder darf er mich begleiten oder es findet heute keine Testamentseröffnung statt.“

„Shana, Ihr Vater …“

„Mein Vater ist tot“, unterbrach sie ihn mit zitternder Stimme. „Er wird also kaum etwas dagegen sagen können. Oder hat er verfügt, dass ich bei der Testamentseröffnung alleine sein muss?“

„Nein“, erwiderte Joachim Novak angespannt. „Doch ich weiß nicht, ob es Ihrem Vater gefallen hätte, dass ein Fremder anwesend ist.“

Bestimmt nicht, dachte Shana traurig. Schließlich soll doch niemand erfahren, wie wenig Hannes van de Renne für seine einzige Tochter übrig hatte. Doch es war ihr egal. Sie würde sich von ihrem Vater nicht länger manipulieren lassen. Schließlich hatte er sich auch nie für ihre Gefühle oder Wünsche interessiert.

„Das ist mir egal“, erwiderte Shana und sah den Anwalt ihres Vaters mit ernster Miene an. „Entweder wir beide oder keiner.“

„Außerdem bin ich kein Fremder, sondern ihr Patenonkel“, ergänzte Valenzo de Luca entschieden. „Ich habe ihrer Mutter versprochen, mich um sie zu kümmern. Und genau das werde ich tun.“

„Wie Sie meinen“, gab sich Joachim Novak geschlagen. „Dann kommt Ihr Patenonkel eben mit.“

Mit diesen Worten drehte er sich um und ging in Richtung der Gaststätte davon. Schweigend folgten Shana und Valenzo ihm.

Als Shana das provisorische Büro, in dem Gasthaus betrat, glaubte sie, ihren Augen nicht zu trauen. Leon Ritter, dachte sie ungläubig. Das glaube ich jetzt nicht.

„Was will er denn hier?“, fragte Shana verwirrt, als sie den Geschäftspartner ihres Vaters am Tisch sitzen sah.

„Ich dachte, es geht um die Testamentseröffnung von Hannes van de Renne“, meldete sich auch Valenzo de Luca zu Wort, als er den braunhaarigen Mann erblickte. „Er gehört wohl kaum zur Familie.“

„Das ist so nicht ganz richtig“, stellte Joachim Novak klar. „Als Geschäftspartner von Herrn van de Renne ist Herr Ritter ebenfalls von dem Testament betroffen. Doch vielleicht sollten wir uns alle hinsetzen, dann können wir alles Weitere besprechen.“

Schweigend folgten alle Anwesenden der Aufforderung und nahmen an dem Tisch Platz. Gleich darauf holte Joachim Novak einen verschlossenen Brief aus seiner Tasche, öffnete ihn und begann zu sprechen.

„Heute ist ein trauriger Tag, daher möchte ich es kurz machen“, sagte er ernst. „Im Grunde sind die Bedingungen von Hannes van de Renne klar, daher werde ich nur das Wichtigste zusammenfassen. Leon, Sie sollen sich als Geschäftsführer weiter um die Firma kümmern. Hannes´ Anteile sowie das Haus und das Privatvermögen gehen jedoch an seine Tochter Shana. Aber das Erbe ist an eine Bedingung geknüpft“, ergänzte er und sah Shana an. „Ihr Vater war der Meinung, dass Sie zu jung sind, um allein mit so viel Geld umzugehen. Aus diesem Grund hat Hannes verfügt, dass Sie verheiratet sein müssen, um das Erbe antreten zu können. Solange wird das Privatvermögen eingefroren.“

Ungläubig sah Shana den Anwalt ihres Vaters an. Nein, schrie alles in ihr. Das kann er mir doch nicht antun. Schlimm genug, dass ihr Vater sie vor seinem Tod mit dieser Hochzeit unter Druck gesetzt hatte. Nun tat er es auch noch aus dem Grab heraus. Bevor sie aber etwas sagen konnte, nahm Valenzo de Luca ihre Hand und sah den Anwalt wütend an.

„Diese Bedingung ist unverschämt. Wie konnten Sie so etwas zulassen? Er kann Shana doch nicht zu einer Heirat zwingen.“

„Ich weiß nicht, warum Sie sich so aufregen“, ergriff Leon Ritter das Wort. „Das alles geht Sie doch gar nichts an. Außerdem spielt der Zusatz keine Rolle mehr, da wir sowieso in zwei Tagen heiraten werden.“

„Nein“, sagte Shana mit zitternder Stimme und strich sich eine ihrer hellblonden Strähnen aus dem Gesicht. „Ich habe nicht vor, Sie zu heiraten. Das habe ich meinem Vater nicht nur einmal gesagt.“

„Das liegt natürlich bei Ihnen“, warf Joachim Novak ein. „Doch wenn Sie nicht innerhalb von einem Jahr verheiratet sind, geht Ihr gesamtes Erbe an eine Stiftung. Sie würden dann nur den Pflichtteil bekommen. Außerdem ist es Ihnen während dieser Frist nicht gestattet, im Haus Ihres Vaters zu wohnen. Sie müssten sofort ausziehen. Sie sollten es sich also gut überlegen, ob …“

„Hören Sie auf“, unterbrach Valenzo den Anwalt, als er sah, wie Shana immer blasser wurde. „Sie werden mein Patenkind nicht weiter unter Druck setzen. Wie Sie schon sagten, es ist ihre Entscheidung.“ Dann wandte er sich an Shana. „Du kommst mit mir nach Dornbirn. Dort kannst du in Ruhe nachdenken, was du tun möchtest.“

Shana nickte nur stumm, während sie gegen ihre Tränen ankämpfte. Wie konnte er mir das antun?, dachte sie verzweifelt. Ich bin doch seine Tochter. Das werde ich ihm niemals verzeihen.

Geliebt! Ein Stern für Juan

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