Читать книгу Geliebt! Ein Stern für Juan - Isabella Defano - Страница 6
3. Kapitel
ОглавлениеVöllig genervt ging Juan mit schnellen Schritten durch die Gänge des Verwaltungsbereiches. Dabei schimpfte er immer wieder leise vor sich hin. Warum musste Papà ausgerechnet Shana als Praktikantin einstellen?, ging es ihm durch den Kopf. Sie ist doch völlig ungeeignet. Außerdem muss sie doch wirklich nicht arbeiten. Sie kommt aus einer reichen Familie. Aufgebracht erreichte er die Buchhaltung. Nur am Rande bekam er mit, dass ihm die Mitarbeiterin einen schönen Feierabend wünschte. Er achtete aber nicht weiter darauf, denn im Moment musste er sich um andere Dinge kümmern. Das Letzte, was er wollte, war, Shana die nächsten vier Wochen jeden Tag sehen zu müssen. Und wenn er sie schon nicht kündigen konnte, dann würde er wenigstens dafür sorgen, dass sie aus seinem Blickfeld verschwand.
Juan machte sich nicht die Mühe, an Ariadnes Bürotür anzuklopfen. Um diese Zeit würde sie bestimmt keine Besprechung mehr abhalten. Umso überraschter war er, als er den schwarzhaarigen Mann erblickte, der ihr am Schreibtisch gegenübersaß und ihn verwundert ansah.
„Alex“, sagte Juan überrascht und etwas frustriert.
Er hatte nicht damit gerechnet, ausgerechnet ihn hier anzutreffen. Wollten sie nicht alle essen gehen?, fragte er sich selbst. Jetzt musste er sein Gespräch mit Ariadne verschieben. Denn auch wenn er in Shana nur einen Störfaktor sah, würde er dies bestimmt nicht vor dem Rest seiner Familie ausbreiten. Er würde halt am Montag noch einmal versuchen, mit ihr zu reden.
„Tut mir leid“, sprach Juan weiter. „Ich wollte nicht stören.“
Fest entschlossen, den Raum schnell wieder zu verlassen, ging Juan ein paar Schritte zurück. Bevor er jedoch die Tür hinter sich zumachen konnte, war sein Cousin aufgestanden und wandte sich ihm zu.
„Du störst nicht“, sagte Alexander schnell, wobei er Juan mit ernster Miene betrachtete. „Ariadne und ich waren fertig. Außerdem wollte ich sowieso noch mit dir reden.“
„Worüber?“, wollte Juan etwas überrascht wissen, während er im Türeingang stehen blieb.
„Nicht so“, erwiderte Alexander ausweichend und zeigte auf die halb geöffnete Tür. „Unter vier Augen.“ Dann drehte er sich zu Ariadne um. „Kannst du uns kurz alleine lassen?“
Ariadne nickte und griff nach ihrer Handtasche, die neben dem Schreibtisch stand.
„Ich wollte sowieso los“, antwortete sie lächelnd. „Wir sehen uns ja später noch.“
An der Tür blieb sie noch einmal stehen und sah Juan fragend an.
„Das ist doch in Ordnung?“, vergewisserte sie sich bei ihm. „Oder wolltest du etwas Wichtiges mit mir besprechen?“
Juan schüttelte mit dem Kopf.
„Das kann warten“, versicherte er ihr und sie verließ den Raum.
Schweigend schloss Juan die Tür und ging auf seinen Cousin zu.
„Also, was wolltest du mit mir besprechen?“, wollte Juan mit ernster Miene wissen.
„Kannst du dir das nicht denken?“, fragte Alexander schneidend, während seine braunen Augen vor Wut funkelten. „Was ist eigentlich dein Problem?“
Irritiert sah Juan seinen Cousin an. Er verstand nicht, was dieser von ihm wollte. Sie hatten sich bereits seit Monaten nicht mehr gesehen. Und das letzte Mal, als sie miteinander telefonierten, hatten sie über die Firma gesprochen.
„Ich weiß nicht …“
Weiter kam Juan nicht, denn er wurde von Alexander unterbrochen.
„Ronja“, sagte dieser zornig und plötzlich wusste Juan, worum es ging. Mist, ging es ihm durch den Kopf. Ich hätte mich doch entschuldigen sollen.
„Hör mal …“, versuchte er zu erklären, doch wieder schnitt Alexander ihm das Wort ab.
„Wie kannst du dich meiner Frau gegenüber so mies benehmen?“, wollte er zornig wissen. „Mensch, Juan, sie ist hochschwanger, verdammt. Hast du eine Ahnung, was diese Art von Aufregung in ihrem Zustand bedeuten könnte? Sie war außer sich vor Wut, als sie mich angerufen hat. Du …“
„Es tut mir leid“, unterbrach Juan die Vorwürfe seines Cousins. „Ich hatte einen stressigen Tag.“
„Das ist deine Entschuldigung?“, wollte Alexander ungläubig wissen. „Wir alle haben stressige Tage. Doch das ist kein Grund, sich anderen gegenüber so zu verhalten“, stellte er klar. „Auch wenn es dir nicht gefällt, Ronja ist meine Frau. Sie ist ein Mitglied der Familie. Und wenn du damit nicht klar kommst, ist es wohl besser, du hältst dich in Zukunft von uns fern. Auf jeden Fall werde ich nicht noch einmal zulassen, dass du sie mit deinem Verhalten verletzt.“
„Alex …“, begann Juan zu sprechen, doch dieser schüttelte nur mit dem Kopf.
„Ich habe alles gesagt“, sagte Alexander schneidend. „Wenn ich mich entscheiden muss zwischen unserer Freundschaft und meiner Frau, wähle ich sie.“
Kurz darauf war Alexander verschwunden.
Ungläubig sah Juan seinem Cousin hinterher. Er konnte nicht glauben, dass dieser so mit ihm gesprochen hatte. Immerhin waren sie eine Familie. Trotzdem war ihm klar, dass er Alexanders Worte nicht unterschätzen durfte. Es war nicht die Art seines Cousins, leere Drohungen auszusprechen. Wenn er wollte, konnte dieser ziemlich hart sein und würde seine Entscheidung mit Sicherheit durchziehen. Und auch wenn es ihm einen Stich versetzte, konnte er es verstehen. Wenn es um Maya gegangen wäre, hätte er sich nicht anders verhalten. Davon war er überzeugt.
Plötzlich hatte er ein schlechtes Gewissen. Die ganze Zeit war er so mit seinem eigenen Schmerz beschäftigt, dass er gar nicht mitbekommen hatte, wie sehr er andere mit seinem Verhalten verletzte. Und damit meinte er nicht nur Ronja, auch gegenüber Larissa, der Frau von Alexanders Bruder Raphael, war er alles andere als freundlich gewesen. Was hatte sein Bruder noch mal gesagt?
„Sie glaubt, du kannst sie nicht leiden.“
Doch im Grunde stimmte das nicht. Er kannte sie gar nicht gut genug, um sich eine echte Meinung über sie bilden zu können. Denn er hatte nie versucht, sie kennenzulernen. Im Gegenteil, seit dem Tod seiner Frau hatte er es nicht mehr gewagt, andere Frauen auch nur anzusehen. Nur, um auf diese Weise die Erinnerung an Maya lebendig zu halten. Aber wer weiß, vielleicht würde es ihm gelingen, ihnen in Zukunft wenigstens höflich zu begegnen.
Nachdenklich ging er zu seinem Büro. Doch noch bevor er sein Zimmer erreicht hatte, wusste Juan, dass die Konfrontationen an diesem Abend noch nicht zu Ende waren. Mit verschränkten Armen lehnte sein Bruder an der Wand und ließ ihn nicht aus den Augen. Dabei konnte Juan deutlich sehen, dass dieser sich über irgendetwas geärgert hatte.
Heute ist wirklich mein Glückstag, dachte Juan gereizt, als er kurz vor seinem Bruder stehen blieb. Scheinbar wollen mir heute alle die Meinung sagen. Dabei hatte er so gehofft, dass er wenigstens mit Joel die ganze Geschichte bereits abgeschlossen hatte. Aber anscheinend hatte er sich geirrt.
„Sag nichts“, wandte sich Juan auf Italienisch an seinen Bruder. „Alexander hat schon mit mir geredet. Ich werde mich bei Ronja entschuldigen. Zufrieden?“
Genervt ging er an Joel vorbei, hinein in sein Büro. Ohne ein Wort zu sagen, folgte dieser ihm und schloss hinter sich die Tür. Erst als Juan an seinem Schreibtisch Platz genommen hatte, unterbrach Joel sein Schweigen.
„Ich bin nicht wegen Ronja hier“, sagte Joel mit ernster Stimme und sah seinen Bruder wütend an. „Obwohl es mich natürlich freut, dass du Ronja um Entschuldigung bitten möchtest. Es geht um Shana. Wie konntest du sie so angreifen?“, wollte er ungläubig wissen. „Das hat sie doch nicht mit Absicht gemacht.“
Juan stöhnte auf. Auf diese Diskussion hatte er nun wirklich keine Lust. Natürlich war es möglich, dass sie diesen Zusammenstoß nicht geplant hatte. Doch nach allem, was in der Vergangenheit geschehen war, spielte das für ihn keine Rolle.
„Ich kann dir helfen.“
Als Juan an diese Worte denken musste, verkrampften sich seine Hände, und er drängte die Erinnerung zurück. Nein, dachte er zornig. Ich werde jetzt nicht darüber nachdenken. Doch leider war es leichter gesagt, als getan. Seit er Shana damals in der Fabrikküche wiedergetroffen hatte, schienen ihn diese Erinnerungen zu verfolgen. Und dafür hasste er sie.
„Joel, Shana ist eine wandelnde Katastrophe“, rechtfertigte er sich mit ernster Miene vor seinem Bruder. „Egal, wo sie auftaucht, überall verbreitet sie Chaos. Oder muss ich dich erst an ihre Aktion im Sekretariat erinnern?“, wollte er wütend wissen. „Sie hätte fast ein Rundschreiben an unsere besten Kunden rausgeschickt, das nur so vor Fehlern strotzte. Oder die Sache im Versand?“, sprach er weiter. „Weil sie die Aufkleber vertauscht hatte, mussten wir die Lieferungen auf unsere Kosten zurückholen lassen. Wenn du mich fragst, hat sie in unserem Unternehmen nichts zu suchen“, stellte er klar. „Und sei ehrlich, wenn sie nicht Papàs Patentochter wäre, hätten wir sie längst rausgeschmissen.“
„Gut“, gab Joel zu. „Sie hat in der Vergangenheit ein paar Fehler gemacht. Aber daran bist du nicht ganz unschuldig“, warf er seinem Bruder vor. „Ich weiß zwar nicht, was zwischen euch vorgefallen ist, aber du hast sie vom ersten Tag an abgelehnt. Und soweit ich weiß, sind alle Fehler immer dann passiert, wenn du an ihrem Arbeitsplatz aufgetaucht bist.“
„Jetzt ist es also meine Schuld, dass sie nichts auf die Reihe kriegt?“, fragte Juan ungläubig. „Ich habe doch wohl das Recht, in den Abteilungen nach dem Rechten zu sehen.“
„Das spreche ich dir ja auch nicht ab“, erwiderte Joel. „Ich denke nur, dass du sie durch dein Verhalten einschüchterst. Du darfst nicht vergessen, sie ist erst 18.“
„19“, korrigierte Juan seinen Bruder, ohne nachzudenken. „Sie hatte im Januar Geburtstag.“
Irritiert sah Joel ihn an.
„Woher weißt du, wann Shana Geburtstag hat?“, fragte er verwundert.
Juan zuckte mit den Schultern. Er wollte seinem Bruder nicht die Wahrheit sagen. Was sollte das auch bringen? Das alles war schon so lange her, dass er sich kaum noch daran erinnern konnte. Oder besser gesagt, erinnern wollte.
„Aus den Personalunterlagen“, log er daher und hoffte, dass sein Bruder diesen Schwindel nicht durchschaute. „Ich wollte wissen, wer für mich arbeitet. Immerhin bin ich jetzt, wo Papà in den Ruhestand gegangen ist, für alles verantwortlich.“
„Verstehe“, sagte Joel und sah seinen Bruder eindringlich an. „Ist ja auch egal. Trotzdem ist sie noch sehr jung und verletzlich. Sie hat erst vor einigen Monaten ihren Vater verloren und ist noch in Trauer. Also halt dich ihr gegenüber etwas zurück.“
„In Ordnung“, versprach Juan seinem Bruder.
Es würde sowieso zu keinem weiteren Zusammentreffen kommen. Nicht wenn er es verhindern konnte. Zwar wusste er bisher noch nicht, wohin er sie schicken sollte, aber das Fabrikgelände war groß. Im Ernstfall würde er sie halt ins Archiv schicken, damit sie die Ordner nach Alphabet sortierte.
Joel, der nichts von den Überlegungen seines Bruders ahnte, war zufrieden mit dem Versprechen und wandte sich einem anderen Thema zu.
„Wegen der Übergabe“, begann er zu berichten. „Ich habe dir alles Wichtige auf deinen Schreibtisch gepackt, zusammen mit einigen Notizen. Außerdem habe ich dir meine aktuelle E-Mail-Korrespondenz weitergeleitet. Wenn sonst noch etwas sein sollte, kannst du mich ja jederzeit telefonisch erreichen. Oder du sprichst mit Ariadne.“
„Sehr gut“, antwortete Juan, während er die Dokumente durchsah. Joel hat wirklich interessante Ideen, ging es ihm dabei durch den Kopf. Alle Vorschläge waren gründlich recherchiert und mit geringem Aufwand realisierbar. Es war wirklich erstaunlich, wie schnell sich sein Bruder in die Abläufe der Fabrik eingearbeitet hatte. Besonders vor dem Hintergrund, dass dieser in der Vergangenheit eigentlich nie im Familienunternehmen tätig gewesen war.
Am Anfang war Juan skeptisch gewesen, ausgerechnet seinem Zwillingsbruder die Hauptleitung für die Fabrik zu übertragen. Zwar hatte dieser auch Modedesign studiert, doch von seinem Studium nie einen Gebrauch gemacht. Stattdessen war Joel das geworden, was er sich schon als kleiner Junge gewünscht hatte. Ein Maler, der seine Werke in jeder beliebigen Galerie der Welt ausstellen durfte. Wenn seine Fans jetzt sehen könnten, wie er sein Talent dazu verwendete, neue Modekollektionen zu entwerfen, würden sie ihn bestimmt für verrückt halten. Zum Glück war sein Bruder aber von Anfang an nur als Manager aufgetreten und hatte seine Werke unter dem Pseudonym J. D. Lay herausgebracht. Dadurch hatte er sich seine Privatsphäre erhalten und konnte ungestört auch andere Projekte in Angriff nehmen. Wie etwa seine eigene Galerie für unbekannte Künstler in Dornbirn.
„Schön“, sagte Juan schließlich, als er alle Papiere überflogen hatte, und sah seinen Bruder an. „Auf den ersten Blick sieht soweit alles gut aus. Ich werde mich nächste Woche genauer damit befassen. Auf jeden Fall sind ein paar interessante Ideen dabei.“
Plötzlich erinnerte sich Juan an eine andere Geschichte und seine Miene wurde ernst.
„Was ist eigentlich aus der Sache mit Jan Neiger geworden?“, fragte er angespannt. „Gibt es schon etwas Neues?“
Joel nickte.
„Dirk Levert, Alexanders neuer Firmenanwalt, hat mir heute früh eine E-Mail geschrieben, die ich dir weitergeleitet habe“, berichtete er gelassen und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Wie erwartet wurde die Klage auf Abfindung abgewiesen. Alles andere hätte mich auch gewundert. Immerhin wurde er zu keiner Zeit von uns diskriminiert. Im Gegenteil, es war seine freie Entscheidung zu kündigen.“
„Das sind gute Neuigkeiten“, sagte Juan beruhigt.
Nach den Problemen im letzten Jahr, in dem aufgrund von Verleumdungen die Firma einige finanzielle Verluste einstecken musste, war die Klage ihres ehemaligen Mitarbeiters wie ein weiterer Schlag ins Gesicht gewesen. Dieser hatte behauptet, dass er nur aufgrund seines Alters von Valenzo de Luca nicht befördert wurde. Stattdessen hatte man ihm die deutlich jüngere Ariadne Steinmeyer vor die Nase gesetzt, die praktisch gerade erst ihr Studium abgeschlossen hatte. Dass Ariadne für die Leitung der Buchhaltung trotz ihrer geringeren Erfahrung deutlich besser geeignet gewesen war, hatte er nicht sehen wollen. Ebenso wenig wie die Tatsache, dass ihm nicht sein Alter, sondern seine ungenügenden Leistungen die Beförderung gekostet hatten.
„Dann können wir die Sache ja abhaken“, ergänzte Juan zufrieden.
„Hoffentlich“, meinte Joel nachdenklich. „Ich jedenfalls hätte nichts dagegen. Nach allem, was er sich geleistet hat, fand ich es sowieso eine Frechheit, uns auf Abfindung zu verklagen. Ehrlich, ich bereue es richtig, ihn nicht selbst gefeuert zu haben“, sagte Joel zornig.
Verwundert sah Juan seinen Bruder an. Es war nicht leicht, ihn so aus der Ruhe zu bringen. Aber er konnte ihn verstehen. Auch er hätte Jan Neiger gerne die Meinung gesagt. Denn nicht nur, dass er aus Wut auf Ariadne einen Stapel Rechnungen nicht überwiesen hatte, er musste auch noch ihren Vater verleumden. Angeblich hätte dieser gewisse Erwartungen an seine finanzielle Unterstützung geknüpft, als er Ariadnes Studium finanzierte. Eine Äußerung, die von ihnen allen nicht sehr gut aufgenommen wurde. Schließlich waren für dieses private Stipendium nur Ariadnes Leistungen ausschlaggebend gewesen. Die Behauptung, dass ihr Vater sich etwas anderes als eine gut ausgebildete Mitarbeiterin erhofft hatte, war nicht nur falsch, sondern eine Beleidigung.
„Sollte er keine Ruhe geben, sag mir Bescheid. Ich kümmere mich dann darum“, versprach Juan.
„Nicht nötig“, versicherte Joel. „Mit dem werde ich schon fertig! Ich werde nicht zulassen, dass er dem Ruf unserer Firma oder dem meiner Frau schadet.“
„In Ordnung“, sagte Juan anerkennend, dann schüttelte er verwundert den Kopf. „Du klingst immer mehr wie ein Chef. Vielleicht solltest du deinen Leitungsposten doch behalten.“
„Netter Versuch“, erwiderte Joel schmunzelnd. „Aber keine gute Idee. Glaub mir, früher oder später würden wir uns beide wahnsinnig machen. Außerdem werde ich mit meinen Bildern, der Galerie und Ariadne genug beschäftigt sein. Nicht zu vergessen von dem …“
Verwirrt sah Juan seinen Bruder an, als dieser seinen letzten Satz nicht beendete, sondern stattdessen seine Finger verkrampfte. Bevor er jedoch nachhaken konnte, klopfte es an die Tür und seine Schwester kam ins Zimmer. Ohne ein Wort zu sagen, setzte sie sich neben Joel und schenkte Juan einen wütenden Blick.
„Ich hoffe, du hast schon mit ihm geredet“, wandte sie sich an Joel, der kurz mit dem Kopf nickte.
Anders als sein Bruder schien sich Joel über die Unterbrechung zu freuen und Juan fragte sich, was er eigentlich sagen wollte. Es musste etwas Wichtiges sein. Doch wieso machte er dann so ein großes Geheimnis daraus?
„Juan?“
Die Stimme seiner Schwester riss ihn aus seinen Gedanken und er sah sie fragend an.
„Ich wollte wissen, ob du vorhast, dich bei Shana zu entschuldigen“, wiederholte Jade ihre Frage und Juan stöhnte auf.
„Müssen wir das alles jetzt wirklich noch einmal durchkauen?“, erwiderte er gereizt, ohne auf die Frage seiner Schwester einzugehen. „Ich habe wirklich Besseres zu tun.“
Missbilligend sah Jade ihren Bruder an, doch bevor sie etwas erwidern konnte, meldete sich Joel zu Wort.
„Juan hat versprochen, sie in Zukunft in Ruhe zu lassen“, berichtete er seiner Schwester. „So etwas wie heute wird also nicht noch einmal vorkommen.“
„Und du glaubst ihm?“, fragte Jade skeptisch. „Shana arbeitet gerade im Sekretariat. Somit werden sie sich in den nächsten Wochen ziemlich häufig über den Weg laufen.“
„Stimmt“, gab Joel nachdenklich zu. „Daran habe ich noch gar nicht gedacht.“
„Aber ich“, meldete sich Juan zu Wort, worauf ihn seine Geschwister fragend ansahen. „Ihr müsst mich gar nicht so ansehen“, ergänzte er gereizt. „Schließlich gibt es nicht viele Abteilungen, wo man am Abend mit Ordnern in der Hand durch die Gegend rennt. Es ist für mich also keine große Überraschung, dass sie im Sekretariat arbeitet.“
„Verstehe“, erwiderte Joel misstrauisch. „Und was genau hast du vor?“
„Ich wollte mit Ariadne sprechen, ob man sie nicht woanders unterbringen kann“, gab Juan ehrlich zu. „Jedenfalls so lange, bis die Semesterferien vorbei sind und ich nach Wien zurückfahre.“
„Du kannst sie wirklich nicht leiden“, schlussfolgerte Jade und sah ihren Bruder ernst an. „Obwohl ich nicht verstehe, wieso. Aber egal. Ich habe mit ihr gesprochen und wüsste eine Lösung.“
„Wirklich?“, fragte Juan skeptisch. Da bin ich aber gespannt, ging es ihm durch den Kopf.
„Ja“, versicherte sie. „Shana könnte solange in die Produktionsabteilung wechseln. Sie …“
Ohne Vorwarnung begann Juan zu lachen. Ungläubig sahen seine Geschwister ihn an, denn nach dem Tod seiner Frau hatten sie ihn nie wieder auch nur lächeln sehen. Als dieser sich kurze Zeit später beruhigt hatte, sah er zwischen Joel und Jade hin und her. Schließlich schüttelte er den Kopf und lehnte sich in seinem Stuhl zurück.
„Die Produktionsabteilung“, nahm er die Worte seiner Schwester wieder auf, wobei sein Gesicht wieder einen ernsten Ausdruck angenommen hatte, „dann können wir die Fabrik gleich zumachen. Wahrscheinlich wird sie mit ihrem Karma alle Maschinen lahmlegen.“
„Du tust ihr unrecht“, nahm Jade Shana in Schutz. „Gut, sie hatte ein paar Probleme in den anderen Abteilungen, aber dieser Platz wäre genau der richtige für sie. Falls ihr es vergessen habt, ihre Mutter hat früher selbst bei uns als Näherin gearbeitet“, ergänzte sie eindringlich. „Und Shana näht sogar ihre Kleidung selbst. Sie hat Talent. Jetzt sag doch auch mal was“, fuhr sie Joel an.
„Tut mir leid“, sagte er entschuldigend. „Ich muss deinen Vorschlag erst einmal verdauen.“
„Verstehe“, erwiderte Jade wütend. „Du hältst sie auch für eine Versagerin.“
„Natürlich nicht“, stellte Joel klar. „Ich weiß nur nicht, ob Shana ausgerechnet in der Produktion arbeiten sollte. Wir verkaufen hochwertige Designerstücke. Unsere Kunden erwarten eine hohe Qualität und Verarbeitung. Wir können doch keine Anfängerin an die Maschinen setzen.“
„Das habe ich ja auch nicht gesagt“, stellte Jade klar. „Ich dachte eher daran, dass sie bei der Herstellung der Patchworkdecken helfen könnte. Vanessa hat doch oft gesagt, dass sie dafür zu wenig Mitarbeiter hat.“
Schweigend sahen die beiden Brüder ihre Schwester an. Juan konnte praktisch sehen, wie sein Zwillingsbruder angestrengt nachdachte. Wahrscheinlich lässt er sich am Ende wirklich von Jade bequatschen, ging es ihm durch den Kopf. Doch ihm sollte es recht sein. Natürlich war er weiter fest davon überzeugt, dass Shana in der Produktion nichts zu suchen hatte. Jemand, der nicht einmal Geschirr abwaschen konnte, ohne Gläser fallen zu lassen, hatte nichts an den teuren Maschinen zu suchen. Aber auf jeden Fall wäre sie damit nicht mehr länger in seiner Sichtweite. Und was die Arbeit dort anging. Er würde halt mit der Produktionsleiterin Vanessa Holzer sprechen müssen, damit diese Shana im Auge behielt.
„Von mir aus“, gab Joel schließlich nach und Juan verdrehte die Augen.
Ich hab es doch gewusst, ging es ihm durch den Kopf. Sein Bruder war noch nie gut darin gewesen, seiner Schwester etwas abzuschlagen. Als Jade sich kurz darauf wieder ihm zuwandte, zuckte Juan nur mit den Schultern.
„Es ist Joels Abteilung. Wenn er kein Problem damit hat, dass sie dort arbeitet, soll es mir recht sein. Aber wir sollten Vanessa vorwarnen, sonst fällt sie am Montag aus allen Wolken.“
Seine Geschwister nickten. Bevor sie aber festlegen konnten, wer sich mit der Produktionsleiterin auseinandersetzen sollte, fing Joels Handy an zu piepen. Kurz überflog er den Text der SMS, dann wandte er sich wieder den anderen zu.
„Das war Ariadne“, begann er zu erklären, dann sah er seine Schwester an. „Sie möchte wissen, wo wir bleiben.“
„Geht nur“, warf Juan ein, bevor Jade antworten konnte. „Ich rede mit Vanessa. Solange einer von euch Shana übernimmt.“
„Das mach ich“, versprach Jade zufrieden. „Immerhin war es meine Idee.“
„Einverstanden“, sagte Juan und auch Joel nickte zustimmend.
Dann standen Juans Geschwister auf und gingen in Richtung des Fabrikcafés davon, wo Ariadne, Alexander und Ronja schon auf sie warteten.
Als die Tür hinter seinen Geschwistern ins Schloss gefallen war, griff Juan nach dem Telefonhörer und wählte die Durchwahl zur Produktionsabteilung. Natürlich wusste er, dass die Chance, um diese Uhrzeit noch jemanden zu erreichen, sehr gering war, aber er wollte es wenigstens versuchen. Denn was er zu den anderen gesagt hatte, stimmte. Vanessa Holzer, die Betriebsleiterin der Produktion, mochte es gar nicht, wenn sich jemand in ihren Bereich einmischte. Sie teilte dort die Arbeit ein und war für ihre Mitarbeiterinnen verantwortlich. Ihr ausgerechnet Shana aufs Auge zu drücken, würde ihr ganz bestimmt nicht gefallen.
Als nach dem vierten Klingeln immer noch niemand abgenommen hatte, wollte Juan den Hörer schon wieder auflegen, als plötzlich eine Frauenstimme am anderen Ende zu hören war.
„Ich hoffe, es ist wichtig“, sagte Vanessa Holzer völlig außer Atem. „Ich wollte gerade gehen.“
„Keine Sorge, ich halte dich nicht lange auf“, versprach Juan, dann wurde er ernst. „Ich wollte dich nur als Mitglied der Geschäftsführung darüber informieren, dass Shana van de Renne am Montag in deine Abteilung wechseln wird.“
„Shana?“, fragte Vanessa ungläubig. „Das ist nicht euer Ernst.“
„Doch“, erwiderte Juan. „Wir sind der Meinung, dass sie gut in deine Abteilung passt, da ihre Mutter früher selbst als Näherin für uns gearbeitet hat. Außerdem kann sie mit einer Nähmaschine umgehen. Sie könnte also bei der Herstellung der Patchworkdecken helfen.“
„Eigentlich habe ich gehofft, wir würden dafür jemanden mit mehr Erfahrung einstellen“, versuchte Vanessa, Juan umzustimmen. „Shana ist nur Praktikantin und ihr Vertrag läuft bald aus.“
Wirklich? Das wusste ich gar nicht, ging es Juan durch den Kopf. Ich sollte mir dringend mal ihren Vertrag anschauen. Vielleicht werde ich sie doch schneller los, als ich dachte.
„Du bekommst deine neuen Mitarbeiter“, versprach Juan, plötzlich deutlich besser gelaunt. „Aber das geht leider nicht von heute auf morgen. Aus diesem Grund bekommst du jetzt Shana. Du solltest sie aber im Auge behalten“, ergänzte er angespannt. „Nur zur Sicherheit, damit keine Fehler passieren.“
„Gut, ich werde aufpassen“, versprach Vanessa wenig begeistert. „Aber wenn sie Mist baut, dann fliegt sie raus aus meiner Abteilung.“
„Einverstanden“, stimmte Juan der Bedingung zu und legte auf. Dann schaltete er den Computer an, um sich den Praktikumsvertrag von Shana einmal genauer anzusehen.