Читать книгу Lavanda - Isabella Kniest - Страница 10

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Scheppernde Teller, klirrende Gläser und lautstark geführte Gespräche zahlreicher Gäste überlagerten eine unmöglich einordenbare Hintergrundmusik. Hinzu gesellte sich das Lachen und Kichern hübsch zurechtgemachter Frauen unterschiedlichen Alters, welche sich vor einer Reihe nicht besetzter Tische aneinanderdrängten. Lavanda bildete das jüngste Glied dieser unförmigen, schnatternden Kette. Siebzehn Jahre alt. Stets war sie die Jüngste in einer Gruppe gewesen – und die Fremde, die nicht Zugehörige.

Im Gegensatz zu diesen beschwingten, wunderschönen, erwachsenen Frauen war ihr nicht unbedingt zum Lachen und Feiern zumute. Sie fühlte sich deplatziert, unerwünscht. Dass man sie wegzuschubsen versuchte, war ein Grund davon. Dass sie nicht hübsch, weiblich und beliebt war, ein weiterer.

Lavanda kannte keine dieser lärmenden, selbstbewusst anmutenden Frauen. Die meisten von ihnen sprachen nicht einmal ihre Sprache, geschweige denn hatte sich eine von ihnen mit ihr unterhalten. Wie üblich war sie die halbe Zeit stumm an ihrem Tisch gesessen und hatte den Gesprächen ihrer Mutter gelauscht und das ihr nicht besonders gemundete Essen hinuntergewürgt.

Bereits während der Fahrt in dieses Oberklasse-Restaurant hatte sie sich ein schnelles Vorüberziehen dieses Abends herbeigesehnt.

Sie ging nicht gerne aus – speziell abends nicht. Da schaute sie lieber fern oder schlief. Wo andere Mädchen es zu feiern und zu tanzen liebten, zog sie lieber Ruhe und Beschaulichkeit vor. Sie brauchte viel Zeit für sich, um über Erlebtes zu reflektieren – sich selbst zu verbessern, Reaktionen ihrerseits auszuwerten und schlechte Charakterzüge abzuschwächen oder gänzlich abzulegen. Nicht zuletzt deshalb verwirrte Lavanda das von der überwiegenden Zahl der Menschheit bekundete ausgeprägte Verlangen nach Abenteuer und Unterhaltung, Extremsportarten, Adrenalinkicks. Gleichermaßen verhielt es sich mit dieser unverständlichen Begeisterung nach allabendlichen Festen und Zusammenkünften, die Besäufnisse, das ohrenbetäubende Getratsche, die unsinnigen Gesprächsthemen …

All dies und noch vieles mehr würde wohl ein lebenslanges unlösbares Mysterium für Lavanda darstellen.

Was sie sich jedoch genauso sehnlichst wünschte wie jeder Mensch, waren aufrichtige Freunde und Bekannte – und einen Freund. Den ersten Freund … Unternehmungen, Kinoabende, der allererste Kuss …

Bald würde Lavanda ihren achtzehnten Geburtstag feiern, und noch kein sympathischer Junge – Korrektur: Gar kein Junge – hatte sich je mit ihr abgegeben. Lediglich über Dritte hatte sie erfahren, dass sich ein Schulkollege für sie interessieren sollte. Ob dies der Wahrheit entsprach, wusste sie nicht. Sie glaubte es ohnehin nicht. Bislang hatte man sich stets über sie lächerlich gemacht, sie großräumig ignoriert, beleidigt oder abgewiesen. Doch gleichgültig, ob dieser schlaksige Bursche Sympathien für sie hegte, sie fühlte sich ausgesprochen unwohl in seiner Nähe. Hätte er sich wenigstens einmal persönlich mit ihr unterhalten und seine Zuneigung ehrlich zugegeben, hätte sich ihre emotionale Gesinnung dahingehend womöglich sogar geändert. Und falls sie dennoch keine Gefühle für ihn aufgebracht hätte, hätten sie vielleicht beste Freunde werden können. Ein derart feiges Verhalten vonseiten des starken Geschlechts allerdings stieß sie geringstenfalls ab. Kein einziges Wort mit ihr in den vergangenen zwei Jahren zu wechseln, keine Nervosität in ihrer Nähe zu zeigen, stattdessen ihr verletzende Spottnamen zu geben, sprach nicht unbedingt von Anstand, Respekt oder aufkeimender Zugewandtheit. Entweder hegte man Interesse an seinem Gegenüber, dann stand man dazu und man suchte die Nähe desjenigen, oder man beließ es dabei – schließlich waren sie keine Volksschulkinder mehr.

Außerdem: Wie verhielte sich ein solcher Kerl erst in einer Beziehung, wenn dieser sich nicht einmal traute ein unbefangenes Gespräch anzufangen?

Nein, eine solche Person war nicht die richtige, um eine erste Beziehung einzugehen. Nach jahrelangem Mobbing und gesellschaftlichen Tiefschlägen brauchte Lavanda Geborgenheit, Sicherheit, Schutz – keine Kinderspielchen. Die Gesellschaft nahm sie ohnehin nicht ernst, dann wollte sie zumindest von einem Freund ernstgenommen und verstanden werden. Wozu sonst ging man eine Beziehung ansonsten ein? Wozu verliebte man sich?

In erster Linie wollte man mit dem meistgeliebten Menschen Zeit verbringen, einander unterstützen … einander lieben. Andere Mädchen wollten wohl ausnahmslos ihre Jungfräulichkeit verlieren, um endlich eine Frau werden zu dürfen. Lavanda hingegen wollte sich einem Mann hingeben, ihm alles überreichen, was sie ausmachte. Sie wollte wahre, echte Liebe empfinden – fehlte diese Voraussetzung, hätte sie niemals mit irgendjemandem intim werden können.

Wie sollte die schönste Sache der Welt auch schön und befriedigend ausfallen, wenn man sich vor seinem Sexualpartner ekelte?

Auf Lavandas vor zwei Jahren getätigte unbedachte Äußerung »beim Sex komme es nicht ausschließlich auf Erfahrung an, sondern vieles sei Instinkt«, erwiderte eine Achtzehnjährige, sie hätte schier keine Ahnung. Ausgelacht hatten die umringenden Frauen sie daraufhin, sie bespottet und mit angewiderten Blicken gemustert.

Natürlich besaß Lavanda keine Erfahrung, nichtsdestotrotz wusste sie: Sex war kein Leistungssport, Sex war die intimste Form, seine Zuneigung zum Ausdruck zu bringen. Eine Vereinigung konnte Herzen brechen oder Herzen stärken. Falls ein Junge nicht reif genug dafür war, dieses kostbare Geschenk auf Händen zu tragen, sollte ein Mädchen besser fünfmal überlegen, ob sie sich seiner hingab …

Und da kam er geflogen … wischte alle ihre Gedankenspiele beiseite.

Eher unauffällig war er – wie sie. Und relativ klein.

Eines Brautstraußes nicht würdig.

Seine elegante Flugrichtung schien Lavandas Position anzusteuern.

Näher und näher kam er, direkt auf sie zu. Sie streckte die Arme aus. Nur noch wenige Zentimeter trennten ihre Finger von dem rundlichen Bouquet mit den schneeweißen und dunkelgrünen Blumen und der glitzernden weißen Schleife –

Ein brutaler Stoß versetzte ihren Körper nach rechts.

Ein ohrenbetäubendes Gekreische ertönte. Sie blickte zu dem Rudel hysterischer Frauen.

Eine dieser anmutigen Schönheiten hatte den Strauß gefangen und hielt ihn triumphierend in die Lüfte. Die sie umringenden Damen feierten sie und überhäuften sie mit Glückwünschen.

Eben gedachte Lavanda zu gehen, da trat eine sich höchstwahrscheinlich in ihren Dreißigerjahren befindliche Frau mit dunkeln Haaren und einem perfekt sitzenden Kostüm zu ihr.

»Tja, da hast du wohl Pech gehabt«, bemerkte diese amüsiert und beäugte Lavanda voller Abscheu – wie einen verdreckten Straßenköter, den man schnellstens von seinem Grundstück verjagte. »Da du den Brautstrauß nicht gefangen hast, bedeutet das, dass du niemals in deinem Leben heiraten wirst.«

Lavanda schenkte der Frau ein erzwungenes Lächeln und eilte zurück zu ihrem Tisch.

Zum ersten Mal in ihrem Leben spürte sie, wie ihre Gesichtsmuskulatur zu zucken begann.

Sie wusste nicht, weshalb. Sie wusste nicht, wodurch diese schlagartige ihr Herz zusammenkrampfende wie durchlöchernde Traurigkeit ausgelöst wurde.

Konnte es stimmen? Würde sie niemals heiraten dürfen?

Ja, wahrscheinlich hatte diese Frau recht … Wahrscheinlich war dieser nicht gefangene Brautstrauß das maßgebliche Zeichen für ein Leben in Einsamkeit.

In ihrem Innersten hatte Lavanda es längere Zeit geahnt, dennoch würde sie in den nachfolgenden Jahren stets eine minimale, törichte Hoffnung, bald Liebe und Zuneigung spüren zu dürfen, tief in sich verborgen halten, welche schrecklicherweise nicht ihr Schicksal zu verändern wusste.

Das Schicksal, auf ewig von Einsamkeit und Kummer gemartert zu werden.

Lavanda

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