Читать книгу Lavanda - Isabella Kniest - Страница 9

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Kitzelnde Sonnenstrahlen fielen zwischen strahlend bunte Blätter auf saftig grüne, vom morgendlichen Herbstnebel befeuchtete glitzernde Wiesen. Restliche Nebelschwaden entschwanden in den dunkelblauen wolkenlosen, hoffnungsfrohen Himmel. Viele frostige Nächte hatte es bereits gegeben, noch unzählige mehr würden sehr bald folgen. Die angezuckerten sie umringenden Berggipfel deuteten auf einen langen Winter hin.

Lilian wandte sich ihr zu – diesem bildhübschen Mädchen.

Marina.

Ein dunkelroter knielanger dicker Stoffmantel mit einem breiten Gürtel, enge Jeans, eine schwarze Baskenmütze und edel aussehende Stiefel – seit längerer Zeit fragte er sich, woher sie diese tollen Klamotten bekam. Weder die Mädchen in seiner noch in der Parallelklasse waren so stylish gekleidet.

Er überlegte zurück.

Seit der Volksschule kannten sie sich. Viel miteinander gespielt hatten sie nie, gemocht jedoch hatte er sie seit dem ersten Augenblick. In der Hauptschule wurden sie getrennt, sie kam in die Parallelklasse. Glücklicherweise hatte man sie in zwei Leistungsgruppen gleich eingestuft, womit es ihm wenigstens in diesen Stunden erlaubt war, mit ihr in einem Raum sitzen zu dürfen.

Heute, insgesamt sieben Jahre später, war Lilians einstige anfängliche Zuneigung zu seiner wahrscheinlich ersten großen Liebe herangewachsen. Jedenfalls vermutete er dies.

Was wusste er mit seinen dreizehn Jahren schon von Liebe? Und doch fühlte es sich wunderschön an, Marina in seiner Nähe zu wissen – dann schlug sein Herz wahnsinnig schnell, seine Hände wurden feucht und manchmal gelang es ihm nicht einmal mehr, irgendetwas Vernünftiges zu erklären oder zu berichten, derart durcheinander brachte sie ihn mit ihrer Anwesenheit. Ihre seltenen gemeinsamen Gespräche hatten ihr Übriges dazu beigetragen.

»Ich mag dich sehr gern«, gestand Lilian ihr unvermittelt – und wunderte sich selbst über seine ruhige Stimmlage. »Möchtest du mit mir zusammen sein?«

Sein physischer Zustand hingegen deutete auf einen baldigen Kollaps hin: Seine Muskeln waren bis aufs Äußerste angespannt; er litt unter Kurzatmigkeit, welche er durch gelegentliches Luftanhalten zu kompensieren versuchte; seine Hände bebten, weshalb er sie in die Taschen seiner schwarzen Jacke steckte; und sein Mund fühlte sich wie ausgetrocknet an.

Er hasste das.

Weshalb musste sein Körper dergestalt reagieren? Es handelte sich um eine einfache Frage, keinen Abschlusstest!

Marinas emotionsloser Blick ihrer dunkelbraunen Augen traf ihn mitten ins Herz.

Er begriff nicht, weshalb dieser Ausdruck ihn verletzte. Sie sah ihn bloß unverbindlich an. Noch keine Abweisung, Beleidigung oder Belustigung hatte ihren Mund verlassen …

»Tut mir leid … du bist echt lieb … aber –« Sie zuckte die Achseln. Der leichte Herbstwind spielte beschwingt mit ihrem schwarzen glatten Haar. »Ich bin nicht interessiert an so etwas. Und weil du mehr willst, kommt auch eine Freundschaft zwischen uns nicht in Frage. Ich halte das strikt getrennt. Und meine Eltern wollen das genauso.«

Es fühlte sich wie ein Schlag an. Nein – es war ein Schlag. Tief in seinem Herzen ging irgendetwas zu Bruch. Etwas, – solcherweise dumm es sich in diesem Moment anhörte – das niemals mehr zusammengefügt werden konnte.

Auf eine grauenhafte Weise erinnerte ihn dieser Schmerz an den durch seine Mutter tagtäglich ausgelösten.

Lange würde es dauern, bis Lilian begriff, was diese Empfindung konkret bedeutete, wie schwer es war, dieser zu entfliehen, und schlussendlich würde diese neue Facette des Lebens ihm einen beträchtlichen Teil seiner Freunde und Zuversicht rauben.

»Oh … okay.« Er schniefte. »Dann bis Montag in der Schule.«

Das wunderschöne Mädchen verabschiedete sich und entfernte sich in die gegengesetzte Richtung. Das rückenlange, glänzende Haar wehte dabei weiterhin sorglos und unbekümmert hinter ihr her.

Im Gegensatz zu Marina war Lilian nun selbst dieser letzte winzige von seiner Mutter noch nicht vernichtete Rest kindlicher Sorglosigkeit für immer abhandengekommen.

Wohin würde sein Leben nunmehr einschlagen? Wohin würde sein Lebensweg ihn führen?

Er begann sich zu fürchten.

Sollten womöglich alle positiven Dinge, nach welchen er strebte oder sich sehnte, niemals in Erfüllung oder unvermeidlich verloren gehen?

Lilian blickte zu den hochgewachsenen Bäumen, deren sonnengelbe und feuerrote Blätter durch gelegentliche Windböen von Zweigen gerissen und durch die Lüfte gewirbelt wurden – und eine furchtbare, ihn bis dahin unbekannte Trauer überfiel ihn.

Bestand das Leben hauptsächlich aus Beschimpfungen, Sorgen, Streit und Abweisungen?

Offenkundig.

Und was würde aus ihm werden, wenn Papa starb? Er war der einzige Mensch, mit welchem er über alles unbefangen sprechen durfte.

Diese fremdartige seinen Brustkorb zusammenziehende Pein verstärkte sich zusehends, und Besorgnisse legten sich bedrohlich über ihn.

Mamas Distanziertheit, Papas ständige Traurigkeit … sein eigenes Unwissen hinsichtlich seiner Berufswahl …

Monatlich schien sein Leben komplizierter zu werden, fröhliche Tage nahmen sukzessiv ab.

Noch eine lange Weile betrachtete Lilian das Farbenspiel des angrenzenden Waldes, lauschte dem beruhigenden Rauschen des durch die noch üppige bunte Belaubung sausenden Windes und dem in weiter Ferne ertönenden kratzigen Rabengeschrei. Mit einem jeden durch die Lüfte gewehten Blatt schien ein kleines Stück seines Herzens abzufallen und die Umgebung sich zu trüben.

Eine seltsame Frage bildete sich in seinem Verstand: Wie lautete diese eine Strophe des bekannten Herbstgedichts?

Wer jetzt alleine ist, wird es lange bleiben …

Lavanda

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