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3. Rückblicke

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Es konnte immer schlimmer kommen.

So geschehen in den darauffolgenden Tagen.

Alsbald die Anzeige herein trudelte, wurde er von seinem Chef beurlaubt. Ein psychisch instabiler Mann war trivialerweise nicht diensttauglich.

Psychisch instabil.

Das musste man sich auf der Zunge zergehen lassen!

Er und ein Psycho?!

Noch nie hatte er sich etwas zu Schulden kommen lassen. Grundsätzlich war er es, der Schichten übernahm, wenn niemand sonst Zeit erübrigen konnte. Er war es, der seinen Urlaub verschob, wenn Kollegen durch private Krisen nicht in der Lage waren, ihren Dienst anzutreten. Und er war es, der sich nie darüber beschwerte.

Bestenfalls in seinen Gedanken.

Dann platzte ihm einmal der Kragen – lediglich ein Gott verdammtes Mal –, und zack, wurde er als psychisch instabil abgestempelt!

Tracey atmete tief durch.

Mit dem rechten Unterarm gegen die schneeweiß verflieste, kühle Wand gelehnt, schloss er die Lider und versuchte sich auf das heiße, dampfende Wasser zu konzentrieren: Wie es auf sein Haupt prasselte, weiter über Rücken, Hintern, Ober- und Unterschenkeln floss.

Es fühlte sich gut an – beruhigend, entspannend, reinigend.

Wasser – sein Element. Obschon er nicht gerne schwamm, liebte er es zu duschen und zu baden.

Tracey fuhr sich durchs nasse Haar. Es war weich und dicht. Er mochte dieses Gefühl. Genauso wie das langer weicher seine Haut kitzelnder Frauenhaare …

Es erregte ihn ungemein, wenn Frauenhände behutsam durch sein Haar glitten, es zärtlichst kraulten und streichelten …

Er seufzte.

Wie sehr sehnte er sich nun nach etwas Geborgenheit. Nach jemandem, der ihn in den Arm nahm … hinter ihm stand … ihm Trost und Liebe spendete.

Doch da war niemand.

Wie immer.

Nun, zumindest etwas Gutes lag in seiner beschissenen Situation: Endlich hatte er seinen wohlverdienten Urlaub erhalten.

Erschöpft lenkte er seine Aufmerksamkeit zurück zum wohltuenden Wasser, und wie dieses jeden einzelnen seiner verspannten Muskeln auflockerte. Es umarmte und verwöhnte ihn, verbannte seine trüben Gedanken. Dessen Wärme erinnerte an die Umarmung seiner ersten großen Liebe, die – wie alles im Leben – nicht einmal richtig begonnen, wieder beendet war.

Zu sehr hatte er ihre Umarmungen genossen … die Küsse und Berührungen, das Fallenlassen, das Vereinigen ihrer Körper – eins werden, nichts mehr um sich herum wahrnehmen außer den Herzschlag und die glühende Hitze des jeweils anderen.

Es war Poesie. Es war Liebe – jedenfalls hatte er es angenommen. Die gepackten Koffer vollgestopft mit seinen Habseligkeiten im Vorzimmer ihrer gemeinsamen Wohnung hatten ihm einen anderen Sachverhalt dargelegt. Sie hatten ihm verdeutlichten, wie blind und pueril er gewesen war.

Bedingungslose Liebe … grenzenloses Vertrauen …

Pah!

An solche stumpfsinnigen Ideale festgehalten zu haben, war längst peinlich genug gewesen! Dann allerdings aufgrund eines aufgepumpten Machos von der Frau rausgeworfen und verlassen zu werden, welche er mehr geliebt hatte als sich selbst, war der Gipfel der Blöße!

Verzweifelt hatte er sie nach einem Grund gefragt. Die Antwort kam klatschend und rauborstig: »Du bist einfach nicht mein Typ. Ich steh auf Südländer.«

Wo waren wir denn, im Kindergarten?!

Selbst nach all den Jahren konnte er es nicht fassen.

Weshalb waren sie zusammengezogen? Weshalb war sie mit ihm in die Kiste gesprungen? Weshalb hatte sie ihm süße Worte der Liebe ins Ohr gesäuselt?

Er stand knapp davor, in Tränen auszubrechen.

Unvermittelt und ihm zage Hitzewallungen entfesselnd sah er die Frau des Pussywagon vor sich.

Die strahlenden Augen, ihre stolze Selbstsicherheit – und ihre plötzliche Gehemmtheit.

Wie wirkte sie doch verloren in seinen Armen! Er musste sich eingestehen, er hätte sie am liebsten nicht mehr losgelassen.

Dabei wollte er sie kurz zuvor noch verprügeln!

Er schüttelte den Kopf.

In solch einer aggressiven Verfassung hatte er sich noch nie zuvor befunden. Emotional aufgewühlt: sicher, oft genug. Derart instabil: niemals.

Welche Ahndung erwartete ihn? Haft? Schmerzensgeld? Oder eine fünfjährige Bewährungsstrafe?

Wie auch immer es ausgehen möge, seinen Job konnte er an den Nagel hängen – gleichermaßen wie eine erfolgversprechende, rosige Zukunft.

Diese kalte ihn übermannende Gewissheit wand sich um seine Seele und sein Herz, drückte erbarmungslos zu, raubte ihm sämtliche Kraft, lähmte seine Muskeln und trieb ihm letztendlich heiße Tränen aus seinem gebrochenen Innersten empor.

Er hatte sein Leben weggeworfen – aufgrund der Provokation einer blöden Schnepfe!



Erwärmt und mäßig entspannt verkroch er sich ins Bett. Weder wollte er sich einen Film zu Gemüte führen noch etwas essen oder die Wohnung verlassen. Alles, was er sich herbeisehnte, war ein tiefer, angenehmer, ihn für die nächsten acht oder neun Stunden seiner Sorgen beraubender Schlaf.

Stattdessen wurde er von ebendiesen nagenden Sorgen gequält. Wie die letzten Tage drehte Tracey sich gefühlte tausendmal von einer Seite zur anderen. Und tausendmal spielte sein Gehirn dieselben Gedankengänge und Erinnerungen ab: das Aufeinandertreffen mit der Schnepfe, seine verfickten Ex-Freundinnen, die traumatisierten Erfahrungen und Schicksalsschlägen seiner Kindheit, die Panik vor einer jahrelangen unbedingten Haftstrafe …

Irgendwann zeigte Gevatter Schlaf dann doch erbarmen und legte sich halbherzig über ihn – und wie jedes Mal träumte Tracey wirres Zeugs, durch welches sein ohnehin bröckeliger Gefühlszustand stärker ins Wanken geriet.

Es war eine einzige Tortur.



Des Morgens erwachte er – wie konnte es anders sein? – erschöpfter, als er sich die Abende zuvor gefühlt hatte.

Wie in den vergangenen Tagen versuchte er sein emotionales Gleichgewicht zurückzuerlangen, indem er eine Stunde lang durch Klagenfurt joggte, dabei die Sonne beobachtete, wie diese sich träge über die von Raureif überzogenen Dächer und qualmenden Kamine der Altbauwohnungen und zu Tode renovierten Vorkriegsvillen emporschob. Er beobachtete die Futter suchenden und von jungen Mietern unbarmherzig verscheucht werdenden Tauben, atmete den Geruch von Verbrennungsmotoren ein, fühlte den schneidenden Wind – ein letztes trotziges Aufbegehren, ein Sich-am-Leben-Festklammern des unweigerlich dahinsterbenden Winters … Ein Äquivalent zum Lebenswillen des menschlichen Greises. Selbst im Anblick des Todes sah Tracey ihn in ihren bleichen Gesichtern: den Unglauben, den Schock, die Verdrängung, die Leugnung.

Wenn die Kraft nachließ, das Atmen und die Augenlider schwerer wurden, der Körper gnadenlos verfiel – gleichgültig eines wachen, steten Geistes.

Irgendwann kam der Augenblick, dann musste man loslassen. Loslassen von all dem Irdischen, dem Fleischlichen, dem Bedeutungslosen. Dann, in dieser letzten Stunde des Todes, begannen viele zu bereuen – die unversuchten Dinge, die unversöhnten Streitigkeiten, die nicht genutzten Chancen.

Ich will leben – in zweierlei Hinsicht –, dies wurde ihm immer wieder geklagt.

Aber was bedeutete zu leben?

Highlife? Über die Stränge zu schlagen, zu prassen, zu feiern? Jede freie Sekunde außer Haus zu verbringen, um ja nichts zu verpassen?

Bullshit!

Ein bewusstes Leben gab dir mehr, als tausend Partys oder falsche Freunde und Luxuskarossen. Ein bewusstes Leben im Sinne von Genuss, Akzeptanz, Dankbarkeit, Demütigkeit und Understatement. Kein iPhone der Welt, kein Bentley, keine Rolex, kein Maßanzug schenkte dir Liebe, Zufriedenheit, Gesundheit und Geborgenheit. Erst wenn das Gewöhnliche, das Alltägliche, das Selbstverständliche zu etwas Besonderem, Schätzbarem wurde, lebte man.

Geschmeidig sprang Tracey über fünf Steinstufen hinab zum Lendkanal, zapfte sämtliche Energien an und sprintete die letzten zwei Kilometer Richtung Wohnung zurück. Anschließend genehmigte er sich eine kurze heiße Dusche und ein englisches Frühstück. Doch kein Moment verging, und die ihm in die Knie zwingenden Fragen begannen ihn abermalig zu geißeln, zu unterdrücken, zu zermalmen: Verliere ich meine Arbeit? Muss ich in den Knast? Wie viel Strafe werde ich zahlen müssen? Wenn die Gerichtsverhandlung vorüber ist, wird noch irgendjemand etwas mit mir zu tun haben wollen?

Und ebenso oft geisterte der Anblick der Pussywagon-Fahrerin durch seinen kruden Verstand.

War seine Wut in den ersten drei Tagen noch grenzenlos gewesen, schlug dieser Umstand allmählich in Neugier um. Wer war diese Frau, die einerseits bewundernswerte Selbstsicherheit an den Tag legte, andererseits völlig hilflos und unischer wirken konnte?

Solch harte Gegensätze – vereint in einer Persönlichkeit.

Er trank sein Glas mit Orangensaft aus, packte seine dunkelblaue Trainingstasche, zog sich Turnschuhe an und machte sich auf den Weg zum Fitnesscenter.

Zwei Stunden gelang es ihm, seinen Kopf abzuschalten und sich auszupowern. Jedoch bedurfte es bloß einen Schritt aus dem quadratischen Objekt mit der überheblichen ›Fitness for all! – gestalte dein Leben vitaler!‹-Aufschrift und die wunderhübsche rothaarige Frau mit den intensiven blauen Augen schlich sich zurück in sein Bewusstsein.

Wenngleich er es absolut nicht wollte, entwickelt er Sympathie für sie. Und zwei Tage später musste er sich eingestehen: Sie lag im Recht.

Er hatte auf sie einschlagen wollen, er hatte sein Ego über die StVO erheben wollen, er hatte die Nerven verloren.

Was war da mit ihm los gewesen?

Nahezu pausenlos grübelte er über diesen Vorfall, seinen Aussetzer und die daraus resultierende Begegnung. Und zu welchem Stolz ankratzenden Ergebnis brachte es ihn? Niemals hätte er auf diese beschämende, asoziale Weise reagiert, hätte das Mädchen nicht eine derart große äußerliche Ähnlichkeit zu seiner verschissenen Ex aufgewiesen! Dies wiederum verdeutlichte ihm: Sein Chef hatte ebenfalls recht. Er hatte vollumfänglich und über die Maßen irrational und gemeingefährdend gehandelt.

Aber was brachte es schon zu grübeln und sich schuldig zu fühlen? Weder konnte er seine Tat gutmachen noch die Zeit zurückdrehen.

Es war geschehen.

Genauso wie es geschah, dass er sich immer öfter fragte, wie das Zusammentreffen mit dieser rothaarigen Schönheit vonstattengegangen wäre, hätten sie sich in einem Lokal, bei einem Spaziergang, im Kino oder im Fitnessklub begegnet.

Zum Teufel!

Wohin drifteten seine ziellosen Gedanken ab?

Außer Atem erhob er sich vom dunklen Parkettboden seiner Zwei-Zimmer-Wohnung.

Sein Herz raste, seine Muskeln schmerzten.

Wie viele Push-ups hatte er absolviert?

Er war sich nicht mehr sicher. Lediglich eines wusste er: nicht genug, um sein verfluchtes rastloses Gehirn abzuschalten und Ruhe zu finden! Und diese vermaledeite Frau zu vergessen, ihren betörenden Blick zu vergessen, dieses Gefühl zu vergessen, diese Einigkeit zu vergessen …

Verfickt noch einmal!

Er konnte sich beim besten Willen nicht erinnern, von einer fremden Frau jemals auf eine solche intensive Weise angesehen worden zu sein. Freilich, in der Vergangenheit hatte er einige selbstbewusste und ebensoviele schüchterne Damen kennengelernt – sie dagegen spielte in einer völlig anderen Liga.

Tracey atmete stoßweise tief durch, dann fing er mit Kniebeugen an. Sein Blick aus dem Fenster gerichtet, welches ihm die ewig deprimierende Aussicht auf die angrenzenden Wohnblöcke zeigte, deren abblätternden ockerfarbenen Außenfassaden eher an eine russische Siedlung aus den Achtzigern erinnerten als an einen modernen Vorort Klagenfurts des einundzwanzigsten Jahrhunderts, zogen seine Gedanken weitaus größere Kreise.

Läge diese Frau in seinen Armen, würde sie ihn auf dieselbe verbindende Weise betrachten?

Wie sähe sie ihn an, wenn sie sich ihm hingäbe?

Seine letzte Freundin hatte einen unaussprechlich erregenden Gesichtsausdruck gezeigt, wenn sie miteinander intim geworden waren. Insbesondere, wenn er sie mit seinen Händen verwöhnt hatte.

Im Augenblick der höchsten Lust, würde sie ihre Augenbrauen wölben oder senken, die Lider schließen oder minimal angehoben halten?

Welch Wunder läge in ihren tiefblauen Augen, wenn er in sie eindrang – Zentimeter um Zentimeter, ihr zierliches Becken fest in seinen Händen haltend, ihre schlanken Beine um seine Hüften geschlossen?

Wie fühlte sie sich an?

Ihr ekstatischer, glühender, nasser Unterleib … ihre Brüste, deren Knospen sich ihm hart entgegenstreckten?

Harmonische Stöße … seelenverschmelzende Küsse … ihr nackter Oberkörper an seinen gepresst …

Er hielt inne.

Himmel, Arsch! Verfickt noch einmal!

Sie hatte ihn angezeigt!

Vermutlich würde er sie allerhöchstens in der Gerichtsverhandlung antreffen – und er dachte an ungezügelten Sex mit ihr?!

Es wurde tagtäglich schlimmer mit ihm!

Wohin würde sein Geisteszustand ihn noch führen?

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