Читать книгу Love's Direction - Isabella Kniest - Страница 9
2. Pussywagon
ОглавлениеWas für’n verdammter Scheißtag!
Sein Urlaub war gestrichen worden – wieder einmal. Dabei wollte er lediglich eine einzige verfickte Woche Auszeit!
Wer hingegen bekam sofort und ohne Diskussionen zwei Wochen Urlaub? Sämtliche Kollegen, die sich Eltern nennen durften!
Wie immer.
Hatten Singles in dieser verfluchten Welt kein Anrecht mehr auf Erholung und Privatzeit? Musste er erst Vater werden, um von Vorgesetzten und Kollegen ernstgenommen zu werden?
»In den Energieferien hat die Schule geschlossen. Dementsprechend sind die Kinder zu Hause, Tracey«, äffte er die pathetischen Worte seines Chefs nach. »Da benötigen die Eltern ebenfalls Urlaub. Sei nicht herzlos. Denke lieber einmal an die fürchterlichen Probleme mit der Unterbringung der Kinder, wenn Mama und Papa arbeiten müssen!«
Dann hätten diese verfickten Scheißleute keine verfluchten Kinder zeugen sollen! Wer war auch derart gehirnamputiert und setzte in diese verrottete, egoistische Welt Nachwuchs?
Höchstwahrscheinlich all die arbeitsunwilligen Frauen, die auf Lasten des ehrlichen Steuerzahlers Familienbeihilfe und Steuervergütungen abkassieren wollten. Oder damit deren machomäßige Ehegatten prahlen konnten, sie hätten ihre Weibsbilder erfolgreich geschwängert – in etwa: Ich bin potent und der Leitrammler unseres Viertels … ich kann es meiner Frau anständig besorgen, das sieht man an ihrer fetten Babykugel, die sie süffisant herausdrückt und mit enggeschnittenen Kleidern zusätzlich ekelhaft in Szene setzt …
Und was erwartete dem Nachwuchs dieser Zeit?
Mobbing.
Kapitalismus.
Facebook.
Traceys Blutdruck schoss explosionsartig in die Höhe.
Diese Bastarde!
Er hatte diesen verfickten Urlaub vor einem halben Jahr eingetragen! Sollten diese Pseudoeltern ihren genetischen Sondermüll doch bei deren Großeltern abliefern!
Verfluchtes Leben!
Er empfand große Lust, gegen das Lenkrad zu schlagen, andererseits war der alte VW ebenso wenig für diese seine Situation verantwortlich wie er selbst.
Er rieb sich über die Nase, schluckte seinen Groll hinunter und bog in die Feldkirchnerstraße ein.
Zum Glück fiel der Nachmittagsverkehr heute nicht allzu zäh aus. Schleichende, die zweite Spur blockierende Autofahrer waren das Letzte, mit dem er sich nun herumärgern wollte – zumal er heute bereits dreimal damit zu kämpfen gehabt hatte.
Just drängte sich ein rot lackierter zweihundertvierziger Mercedes Benz Kombi zwischen ihn und den vor ihm fahrenden dunkelgrünen Skoda Octavia. Soviel er erkennen konnte, saß in dem Neunzigerjahre-Mercedes ein alter Sack samt Hut am Steuer – der, sich eben eingereiht, logischerweise sofort das Tempo verringerte.
»Na ganz fein!«, polterte Tracey. »Nicht noch einmal!«
Er blickte auf den Tacho: Vierzig.
Dieser halb tote Sack fuhr tatsächlich vierzig!
Verfluchte Senioren!
Was hatten diese sabbernden, inkontinenten, senilen Flachwichser hinter einem Lenkrad verloren?! Das waren tickende Zeitbomben – gleichzusetzen mit alkoholisierten oder unter Drogeneinfluss stehenden Lenkern! Die sollten sich besser in ihre Stammkneipe oder den örtlichen Seniorenklub verziehen, Bingo spielen und ›Willkommen Österreich‹, ›Klingendes Österreich‹ oder ›Mei Liabste Weis‹ glotzen.
Weitere dutzende gedankliche Schimpftiraden später ordnete Tracey sich zur Ruhe. Es half nichts, durchzudrehen. Es half nichts. Und wer wusste, war dieser Pensionist bald einer seiner nächsten Kundschaften …
Sein erhitztes Gemüt ein winziges bisschen abgekühlt, erhöhte er den Abstand zum schleichenden Mercedes und schaltete das Radio an. ›Umbrella‹, ein Song, der ihn an Fingernägel erinnerte, welche über eine Schultafel kratzten, drang blechern aus den alten Boxen.
Innerlich fluchend tat er das einzige Vernünftige: Er schaltete wieder ab.
Ja, die Sache mit dem Urlaub … Wenn es dabei bloß geblieben wäre! Der Gipfel dieses beschissenen Tages bildete jedoch der neue Dienstplan: Sein Chef hatte ihn die nächsten Wochen für die vormittäglichen Krankentransporte eingeteilt! Die Dienstzeit war zwar klasse – immerhin kam er jeden Abend um siebzehn Uhr nach Hause –, alte jammernde Leute von einem Arzt zum nächsten zu kutschieren stellte allerdings nicht unbedingt die befriedigende berufliche Herausforderung für ihn dar.
Noteinsätze waren es, für die er lebte.
Das Gefühl, der Allgemeinheit helfend unter die Arme zu greifen bedeutete schlichtweg alles für ihn.
Selbstverständlich fielen alltägliche Krankentransporte ebenso in dieselbe Rubrik, dessen ungeachtet lasteten solche Aufgaben ihn nicht aus. Krankentransporte langweilten, ja unterforderte ihn regelrecht. Tracey wollte helfen, anpacken, etwas verändern – notleidenden Menschen in ihrer ausweglosen Stunde zur Seite stehen. Er wollte ihnen Sicherheit vermitteln … und jetzt saß er hinter dem Lenkrad und wurde von Schleichern ausgebremst!
Scheiße!
Nun, zumindest ein Gutes hatte es: Sein dunkelhaariger Kollege Franz, den er nicht eben zu seinen besten Freunden zählte, durfte hinten sitzen und sich die langweiligen Geschichten der zittrigen Greise anhören.
Jetzt ebenfalls.
Er konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.
Die ihn jäh fürchterlich blendende, tief stehende Frühlingssonne riss ihn aus seinen Grübeleien.
Abermals fluchte er – dieses Mal zur Abwechslung gut hörbar –, hatte er doch seine Sonnenbrille daheim vergessen.
Was, zur Hölle, lief heute eigentlich nicht schief?
Da erinnerte er sich an eine weitere klitzekleine Bedeutungslosigkeit zurück: Die demenzkranke Rentnerin, die ihn von oben bis unten vollgekotzt hatte.
In aller Früh.
…
Scheiß Drecksmontag!
Den Mercedes nachkriechend, der vermutlich ebenso altersschwach war wie dessen Fahrer, bog Tracey in die Rosentalerstraße ein.
Wann würde dieser Vollidiot endlich von der verfickten Straße verschwinden?!
Eben wollte er zum Überholvorgang ansetzen, da schwenkte das Opamobil ebenfalls nach rechts – ohne optische Vorwarnung, sprich den Blinker zu betätigen.
»Ja, hat der sonst keine Probleme, oder was?!«, keifte Tracey. »Verfluchte Pensionisten!«
Nicht mehr lange, und er würde ernsthaft durchdrehen …
Nun … zum Glück war endlich die Straße frei geworden.
Er atmete tief durch und beschleunigte.
Bloß noch Mr. Herzkrank zu Hause abliefern, dann war Schluss für heute.
Eine sanfte Vorfreude breitete sich in ihm aus.
Alsbald er den Krankentransporter zurück zur Basis gebracht hätte, würde er heimfahren, sich heiß duschen, eine Bretterljause richten und sich einen knallharten Actionfilm reinziehen.
Vielleicht einen Van Damme? Oder einen Stallone? Nein, einen Seagal!
Hinter einem grässlich pink lackierten Wagen hielt Tracey an. Dieser wartete, wie dutzende weitere PKWs, links und rechts neben, vor und hinter ihm, an der vorletzten Kreuzung des Klagenfurter Randbezirks.
Er betrachtete die schief angeschraubte Nummerntafelhalterung, die verbeulte pinkfarbene Stoßstange, das mit Rostbeulen übersäte Heck …
Was für eine blonde Schnepfe saß da wohl hinter dem Steuer? Sicherlich eine ohne Job …
Die Ampel sprang auf Grün und der Pussywagon fuhr an.
Wohl rief das Auto Augenkrebs und Bindehautentzündungen hervor, doch zumindest würgte die Fahrerin den Motor nicht ab.
Wenn man dermaßen viel Zeit wie Tracey auf der Straße verbrachte – insbesondere in der Stadt –, wurde man zwangsläufig Zeuge von Erlebnissen, die man nicht einmal in einem durchgeknallten Quentin-Tarantino-Film zu sehen bekam. Beispiele gefällig? Vor rund drei Jahren hatte er einen italienischen Fahrer angetroffen, dessen Fahrzeug weder Rücklichter noch Seitenscheiben besessen hatte. Zudem gelang es dem Trottel nicht ein einziges Mal, die Kupplung vernünftig zu betätigen. Dies bedeutete, alsbald der Fahrer in den nächst höheren oder niedrigeren Gang wechselte, sprang die schrottreife Kiste einen halben Meter weit nach vorn. Ein andermal hatte Tracey sich gegen rücksichtslose GTI-Fahrer zur Wehr setzen müssen. Diese hatten in einer unübersichtlichen Kurve zu einem Überholmanöver angesetzt. Auf gleicher Höhe mit ihm tauchte logischerweise ein entgegenkommendes Fahrzeug auf, womit diese verkackten Piefke sich schneidend vor ihn hatten drängen müssen. Ähnlich brutal verhielten sich sämtliche slowenischen Staatsbürger. Da wurde geschnitten, gedrängt und mit wahnsinniger Geschwindigkeit drei, vier oder fünf Wagen gleichzeitig überholt – verständlicherweise in ähnlich unübersichtlichen Kurven wie bei der zuvor erwähnten GTI-Vollpfosten-Geschichte.
Wer nun dachte, lediglich verrückte Ausländer stellten Straßenrowdys dar, der irrte: Fahrunfähige Österreicher gab es ebenfalls zu Genüge! Ausgesprochen waghalsige Raser stellten sämtliche verschissenen Wiener dar, die vorzugsweise mit präpotenten PS-Schleudern aka BMWs durch die Stadt preschten. Spittaler und Klagenfurter teilten sich den zweiten Platz, wenn es um überhöhte Geschwindigkeiten und eine schneidende, drängelnde Fahrweise ging.
Woher all diese unterbelichteten, die Allgemeinheit gefährdenden Dreckskrüppel ihren Führerschein erhalten hatten – gerade einparken, Blinker benützen und sich den Witterungsverhältnissen anpassen, war für all diese erwähnten Idioten ein Ding der Unmöglichkeit –, fragte er sich nahezu tagtäglich. Er begnügte sich mit der Ansicht, dass wohl mehrere Fahrschullehrer bestochen worden waren.
Der vor sich hin tuckernde Pussywagon vor ihm brachte ihn ins Hier und Jetzt zurück.
Er schaute auf den Tacho.
Dreißig.
Was zur Hölle?!
Einunddreißig.
Zweiunddreißig.
Dreiunddreißig.
Was sollte das werden, wenn es denn jemals fertig werden würde?
Nachdem der Pussywagon selbst nach zweihundert Metern nicht auf die erlaubte Höchstgeschwindigkeit beschleunigt hatte, erreichte Traceys schlechte Laune einen neuen Tiefstpunkt.
Was war heute los?! Wieso gab diese blöde Kuh nicht endlich vernünftig Gas?
Eine weitere rote Ampel nötigte den Pussywagon abermals zum Halten – und in weiterer Folge den seinen.
»Alter! Das gibt’s nicht!«
»Was ist los?«, rief Franz von hinten.
»Da ist abermals so eine elendige Tusse vor mir, die nicht vernünftig fahren kann!«
»Reg dich ab. Wir sind eh gleich da.«
Ja, ja … du hast gut Reden! Du musst dich nicht mit diesen behinderten Linkswichsern rumärgern!
Die Ampel schaltete auf Grün, und der pinke Wagen beschleunigte erneut so schnell wie eine Weinbergschnecke.
Verfickt noch einmal!
…
Er blendete auf.
Immerhin fuhr er ein verschissenes Rettungsfahrzeug! Diese impertinente Tante sollte ihren fetten Arsch von der verdammten Straße wälzen und seinetwegen irgendwo in der Pampa umher kreisen und Almöhis auf den Sack gehen!
Sie hingegen wurde weder schneller, noch bog sie ab oder wechselte die Spur.
Konnte das die Möglichkeit sein?
»Ist die blind, oder was?!«
Erneut betätigte er das Aufblendlicht.
Keine Reaktion.
»Zum Teufel! Jetzt reicht’s!«
Er fuhr knapp zu ihr auf, machte sie dreimal hintereinander mit der Lichthupe darauf aufmerksam, die verfickte Seite zu wechseln …
Und was tat sie? Sie wurde … langsamer!
Sein Blutdruck musste in diesem Moment eine jede kritische Skala gesprengt haben – da schwenkte der Pussywagon endlich nach rechts.
Er fuhr in gleicher Höhe auf …
Blicke trafen sich.
Kalt, verächtlich und belehrend der ihre.
Jäh dämmerte es ihm: Es war pure Absicht gewesen! Dieses Miststück hatte es exakt darauf angelegt … hatte ihn demütigen wollen!
Diese verfluchte Nutte!
Die sich schnell nähernde Tankestelleneinfahrt rückte in sein Blickfeld. Ehe er weiter nachzudenken in der Lage gewesen wäre, lenkte er zu dem ekelhaften Ungetüm eines PKW.
Erst reagierte die Frau gar nicht, dann setzte ein Hupkonzert ein. Letzten Endes nutzte ihr dies aber rein gar nichts und er nötigte sie dazu, in die Tankstelle einzubiegen.
Sie hielt an.
Er hielt an.
Während er den Wagen verließ, hörte er noch, wie Franz ihm ein »Was wird denn das jetzt?« nachrief.
Tracey reagierte nicht mehr darauf. Zu fixiert war er auf das bevorstehende Aufeinandertreffen: Drecksschnepfe gegen Krankentransportfahrer.
»Sind Sie noch ganz dicht?!«, keifte die junge Gitsche und näherte sich ihm schnellen Schrittes. »Was soll der Scheiß?!«
In Tracey brodelte eine derartige Wut, beinahe hätte er das atemberaubend elegante Outfit der Lenkerin übersehen. Dabei liebte er es für gewöhnlich, hübsch gekleidete Frauen genauestens anzusehen.
Dies hatte ihm seit jeher imponiert – selbstbewusste Frauen in perfekt sitzenden Businesskleidern oder Hosenanzügen. Dazu eine gepflegte Frisur, High Heels, ein eleganter Mantel, vielleicht noch eine große Sonnenbrille …
Frauen in schönen Gewändern hatten schlichtweg etwas ausgesprochen Ästhetisches und Betörendes an sich, dessen er sich um nichts in der Welt zu entziehen vermochte.
Doch heute? Da sah er alleinig Rot – im wahrsten Sinne.
Der Bruchteil einer Sekunde war nötig, um die Dreckschnepfe in die korrekte Kategorie einzuordnen: Vorzimmerdrachen … und Ex-Freundin.
Meine Fresse!
Sie zeigte tatsächlich eine verblüffende Ähnlichkeit mit seiner vermaledeiten, verfickten Verflossenen namens Klara, welche ihn vor einem Jahr verlassen hatte. Das rote Haar, die großen runden, dunkelblauen Augen und die ewig langen, in feine Netzstrümpfe gehüllten Beine – verflucht, die beiden hätten Geschwister sein können. Und seine Dreckschlampe von Ex war die schlimmste Hexe, die ein Mann sich auszumalen imstande war!
»Sie glauben wohl, Ihnen gehört die verdammte Straße?!«, polterte Pseudo-Klara. Ihre Stimme hatte einen herrischen wie tiefen Klang – satt, selbstbewusst, emanzipiert.
Ergo: ein gänzliches Flintenweib.
Sein Zorn verwandelte sich in brachialen Hass. Dieser wiederum rief grauenhafte Erinnerungen seiner mauerverbeißenden Ex ab.
Mit ziemlicher Sicherheit beharrte dieses vor ihm stehende Prachtexemplar einer Giftspritze ebenfalls auf dieses bescheuerte Gendern und pfändete sie ihren Ex-Freund angesichts einer ungewollten Schwangerschaft bis aufs Blut!
Solche Weiber – nein, alle Weiber – waren dieselben!
Ausnahmslos!
Anstatt der Gewitterziege zu antworten, wartete er drauf, welchen unsinnigen Scheiß diese noch von sich zu geben getraute. Doch eines war klar: Würfe sie ihm bloß ein einziges Gott verdammtes falsches Wort an den Kopf, würde er ihr eine scheuern, dass sie sich dreimal im Kreise drehte!
Sie traten zueinander – und sie zeigte ihm fidel einen Vogel. »Gehst’s eigentlich noch?! Sie haben wohl zu viele Actionfilme angeschaut!«
In ihrem makellosen Gesicht lag so viel Wut und Hass – wahrscheinlich ähnlich viel wie in seiner eigenen Seele.
Wie alt mochte das Flittchen wohl sein?
Zwanzig? Achtzehn?
»Ich werde das der Polizei melden!«
Polizei?
Er lachte. »O nein, Schätzchen! Du wirst dich selbst anzeigen! Einen Rettungswagen zu behindern ist die Oberfrechheit!«
»Sie elendiger Drecksack! Was bilden Sie sich überhaupt ein?!«
…
Drecksack?!
…
…
Etwas Dumpfes … Schmerzliches legte sich vor sein Sichtfeld – und sämtliche Vorwürfe Klaras hallten in seinen Ohren wider.
»Du elendiger Drecksack! Fünf Monate meines Lebens habe ich mit dir vergeudet! Wie willst du mir diese verlorene Zeit zurückzahlen? Scheißkerl!«
»Du bist ein Versager von hinten bis vorn! Hast nicht einmal einen vernünftigen Job mit fixen Arbeitszeiten. Wie willst du mir da ein anständiges Leben ermöglichen?«
»Langweiliger geht’s mit dir wirklich nicht mehr! Erst deine biederen Vorstellungen einer Beziehung … dann dein mich anödender Blümchensex … und jetzt willst du nicht einmal mit mir in Urlaub fahren?!«
»Wärst du wenigstens flexibel oder selbstbewusst, spontan und nicht so eine penetrante Spaßbremse! Aber bei dir, ernsthaft, da ist Hopfen und Malz verloren!«
…
Irgendein Schalter in ihm kippte um.
Seine Gedanken kamen zum Erliegen. Die Szenerie um ihn herum verwandelte sich in ein graues Einerlei.
Er holte aus –
Und sie blockte ab, schlug ihm in den Magen und verpasste ihm einen Tritt gegen seinen rechten Oberschenkel.
Professionelle Kampfkunst, schoss es durch seine adrenalindurchtränkten Gehirnwindungen. Reagiere. Reagiere!
Sie schlug nochmals zu. Nun war jedoch er es, der abwehrte und ihre offene Deckung benutzte, um sie zu Boden zu bringen, indem er ihr seine rechte Faust in ihren angespannten Bauch pfefferte, und sein rechtes Bein zwischen ihre hakte.
…
Von einer Tusse niedergeschlagen zu werden – das hätte noch gefehlt!
…
»Scheiß elendiges Drecksweib! Diese Scheiße reicht mir allemal!«
Er wollte nochmals zuschlagen, da wurde er von jemandem gepackt und zurückgezogen.
»Hey! Spinnst du?!«, drang ein von weit her anmutendes Geschrei in seine Ohren. »Was machst du denn?!« Falls er sich nicht komplett irrte, gehörte die Stimme zu Franz, der ihn – so schien es jedenfalls, genau konnte er dies aufgrund seines Wutanfalls nicht beurteilen – von hinten fixierte. »Das geht doch nicht!«
Er wollte sich von ihm losreißen, dadurch wurde Franz’ Griff bedauerlicherweise bloß fester.
Dies erinnerte ihn einmal mehr daran, weshalb er diesen Typen beim Tode nicht ausstand!
Franz musste in allem besser sein.
Mit Karate beispielsweise hatten sie gleichzeitig begonnen. Und wer legte eine Prüfung nach der anderen bravourös ab? Genau. Franz. Und wer angelte sich jedes sympathische, gut aussehende, intelligente, witzige Weib? Genau. Franz. Und wem wurde der Urlaub nächste Woche nicht gestrichen? Genau. Franz!
Es war zum Kotzen!
»Verflucht! Die Frau liegt am Boden und du willst noch einmal zuschlagen? Geht’s dir noch gut?!« Sein Kollege drehte ihn zu sich um. »Was ist los mit dir? Willst du dir etwa eine Anzeige wegen Körperverletzung aufbrummen lassen?«
Diese Worte sowie des Kollegen bestürzter Gesichtsausdruck hatten eine gewisse Wirkung, welche dieses hartnäckige rote Tuch von seinen Augen zog.
Schwer atmend drehte Tracey sich zur Tusse zurück.
Nach wie vor lag diese auf dem trockenen Asphaltboden, die Beine halb abgewinkelt aneinandergepresst, die Augen in Schock weit aufgerissen, ihre zierlichen Arme schützend an ihren Oberkörper gedrückt.
Ein Gefühl, vergleichbar mit dem einer eiskalten Dusche, vernichtete letzte Verwirrtheitszustände und brachte ihn gänzlich zur Besinnung zurück.
Was zur Hölle hatte er da verbockt?! Er war doch kein Schläger! Noch nie zuvor hatte er einem Menschen Gewalt angetan. Nicht einmal seiner Drecksfotze von Ex, die ihm dreimal fremdgegangen war und ihn wie einen Bittsteller und Außenseiter behandelt hatte!
»Scheiße«, gelang es ihm hervorzuwürgen.
»Geht’s dir jetzt besser?«, fragte sein Kollege barsch-entnervt.
»Ja … ja.« Er brauchte noch einige sich endlos anfühlende Sekunden, bis er seinem sich neu entflammenden Emotionschaos Herr wurde – allen voran nagende Gewissensbisse – und er Franz Instruktionen erteilen konnte. »Kümmer du dich um unseren Fahrgast. Ich regle diese Sache.«
Sein Kollege sah von diesem Vorschlag nicht eben begeistert aus. »Kann ich dich ernsthaft alleine lassen? Wirst du sie wohl nicht noch einmal angreifen?«
»Nein, werde ich nicht!«, versprach Tracey und verkniff sich einen frechen Konter, um nicht noch unprofessioneller zu erscheinen.
»In Ordnung.« Zögerlich und die Stirn gekraust, trat Franz den Rückweg an.
Tracey setzte sich ebenfalls langsam in Bewegung, geradewegs auf die apathische, ihn angsterfüllt musternde Frau zu.
»Lassen Sie mich in Ruhe!«, keuchte Letztgenannte und erhob sich unbeholfen.
Ein zweiter eisig-stechender Adrenalinausstoß stob durch seine Adern.
Verdammt nein, verdammt nein!
»Warte!«
Sie war eben auf den Beinen, da klappte sie ohne Vorwarnung nach vorn.
Kreislaufkollaps.
Noch einmal verdammt!
Er sah bereits, wie sie mit ihrem hübschen Gesicht voran auf die Asphaltfläche schlug. Ehe es dazu kam, vollführte er jedoch einen beherzten Sprung und fing sie auf.
Sie war leicht wie eine Feder, zierlich wie eine Tänzerin, zerbrechlich wie Kristallglas … Eine Prinzessin … stolz, stark, selbstbewusst – doch hilflos ohne ihren Mann an ihrer Seite …
Was zum Geier dachte er da?!
Kopfschüttelnd verdrängte er die verstörenden Gedankenfetzen und ließ die Frau behutsam zurück auf den Boden sinken.
Ihren Kopf in seinem linken Arm gebettet, strich er ihr die offenen langen feuerroten Haare aus dem Gesicht.
Das junge Ding war kreidebleich und zu allem Übel nicht ansprechbar.
Er gab ihr einen sanften Klaps auf die Wange. »Hey, Mädchen. Aufwachen.«
Sie rührte sich nicht.
Noch ein Klaps.
Weiterhin keine Reaktion.
Er gedachte, sie zum Krankenwagen zu bringen, da hob sie zögerlich die Lider.
Und seine in Schatten und Kälte liegende Welt blieb abrupt stehen.
Durch die grellen Strahlen der Sonne mutete das Dunkelblau regelrecht zu glühen an. Es erinnerte ihn an die Farbe des Ozeans: tief, beruhigend, umschließend, hypnotisierend. Er tauchte in sie ein, sank tiefer und tiefer … bis zum Grund – in des Mädchens Seele, empfing dessen wirbelnde Emotionen … Aufgebrachtheit, Unsicherheit, Geborgenheit, Angekommensein.
Es war unbeschreiblich. Unvergleichlich. Unheimlich.
Der tollpatschige Versuch des zierlichen Geschöpfs, sich aus seinen Armen zu befreien, riss ihn aus seiner Trance.
Die empfundenen Emotionen verschwanden allerdings nicht. Weiterhin krallten sie sich an seinen Seelenwänden fest, trübten seine Wahrnehmung.
»Lassen … Sie mich los«, nuschelte die junge Frau mit einer ungesund klingenden dünnen, aber vor allem eingeschüchterten Stimmlage.
Gegangen war das vorhin noch überschäumende Temperament – verschwunden alle Kraft und jeglicher Widerstand.
Sie wirkte gebrochen.
Es tat ihm im Herzen weh.
»Lassen … lassen … Sie mich los.«
»Nein. Nicht so schnell.« Zärtlich schloss er seinen linken Arm um ihre schlanke Taille. »Du warst eben ohnmächtig. Stündest du nun auf, wirst du garantiert nochmals zusammenbrechen.« Seine rechte Hand glitt unter ihre Kniekehlen. »Ich werde dich hochheben, in Ordnung? Im Anschluss daran trage ich dich zum Krankenwagen, um dir eine Infusion zu setzen, die dir deinen Kreislauf stabilisiert. Schling deine Arme um meinen Hals.«
»Einen Scheißdreck … werde ich tun.« Irgendwie gelang es dieser sturen Pute tatsächlich, sich aus seiner Umarmung zu drehen.
Sichtlich zittrig, nichtsdestoweniger stolz und erhaben erhob sie sich.
Und vor ihm tauchten sofort allerlei frisch-vergnügte Horrorszenarien auf, die ihm seinen Herzschlag in die Höhe trieben.
»Verdammt noch einmal! Wieso seid ihr Weiber andauernd solchermaßen verbissen?! Willst du dir deinen Kopf aufschlagen? Bist du scharf drauf, auf den Asphalt zu knallen und dir eine Gehirnerschütterung zuzuziehen?«
»Niemand fasst mich an!«, bildete ihre raubauzige Antwort.
Taumelnd stakste sie zu ihrem grässlichen Wagen, öffnete die von Rostblasen verzierte Fahrertür, ließ sich auf den Sitz plumpsen, drehte sich zur Beifahrerseite und griff nach ihrer Tasche. Falls er es richtig erkannte, kramte sie etwas herum. Plötzlich zog sie ein Handy hervor – und machte ein Foto. Erst von ihm, darauffolgend vom Krankentransportfahrzeug.
Na noch besser!
»Was soll der Scheiß?«
Allmählich füllten sich ihre Augen mit dieser bekannten Eiseskälte. »Sie wollten auf mich eindreschen! Das bringe ich zur Anzeige. Ich lasse mich nicht mehr runtermachen! Von keinem mehr!« Lautstark knallte sie die Tür zu, startete den Motor und fuhr los.
Gänsehaut und schneidend-stechende Panik nahmen ihm kurzzeitig die Luft.
Tausendmal verdammt!