Читать книгу Sommertanz & Einhornküsse - Isabella Lovegood - Страница 6
2. Kapitel
ОглавлениеRafael
Ich ließ den Blick über die Gesichter der Gäste schweifen, die aufmerksam der Rede meines Vaters lauschten. Dabei hörte ich nur mit einem halben Ohr zu, weil ich ihren Inhalt ohnehin kannte. Bis jetzt war alles perfekt gelaufen. So ganz konnte ich noch immer nicht nachvollziehen, warum es Lorenzo mit der Hochzeit gar so eilig gehabt hatte. Immerhin waren er und Angelina erst seit wenigen Monaten ein Paar und hatten sich zum Jahreswechsel verlobt. Aber nachdem er es sich in den Kopf gesetzt hatte, zu heiraten, bevor die Touristensaison anfing, in der er als Kellner monatelang voll eingespannt sein würde, war es für mich Ehrensache, die beiden nach Kräften zu unterstützen.
Sogar mit dem Wetter hatten wir Glück. Ende März war es auf Mallorca oft noch wechselhaft, doch an diesem besonderen Tag gab sich auch die Sonne größte Mühe, ihren Teil zum Gelingen des Festes beizutragen. Das große Steinhaus und die Nebengebäude bildeten einen geräumigen, geschützten Innenhof, in dem die Tische und Stühle für knapp dreißig Personen aufgestellt worden waren. Für eine mallorquinische Hochzeit war sie geradezu winzig, üblich war oft die zehnfache Gästeanzahl. Doch das Brautpaar hatte es sich so gewünscht und sie waren schließlich die Hauptpersonen.
Unser Vater kam zum Ende seiner Rede und alle folgten seinem Beispiel und hoben ihre Gläser.
»Auf das Brautpaar«, wiederholten sie die Worte, mit denen er seine Ansprache abgeschlossen hatte. Aller Augen waren dabei auf Angelina und Lorenzo gerichtet, während mein Blick prüfend auf Mamas Gesicht weilte. Ich versuchte, darin zu lesen, und war beinahe verwundert, darin nichts als mütterlichen Stolz und ehrliche Freude über den Anlass dieser Feier zu erkennen. Nun war der Bräutigam an der Reihe. Er schob den Stuhl zurück und stand auf. In seinem dunkelblauen Anzug und dem weißen Hemd, das am Kragen offen stand, machte er eine richtig gute Figur.
»Vielen Dank, lieber Papa, für deine herzlichen Worte. Liebe Familie, liebe Freunde, zum ersten Mal darf ich auch im Namen meiner Ehefrau sprechen.« Das liebevolle Lächeln, mit dem er sie bedachte, war mir mittlerweile bestens vertraut. »Wir freuen uns sehr, dass ihr mit uns feiert und damit diesen Tag perfekt macht. Perfekt ist auch die Location. Danke, Papa! Es bedeutet Angelina und mir sehr viel, dass wir unsere Hochzeit hier auf eurer Finca feiern dürfen.« Dabei nickte er auch Sara lächelnd zu, der zweiten Frau unseres Vaters, die als Hausherrin und ehemalige Restaurantbesitzerin maßgeblich zur Organisation beigetragen hatte. Wieder warf ich meiner Mutter einen prüfenden Blick zu. Ihr Lächeln war zwar verblasst, doch ansonsten wirkte sie erstaunlich gelassen. Ich spürte, wie die Anspannung langsam nachließ, die mich seit Tagen oder sogar Wochen fest im Griff gehabt hatte. Immerhin hatte ich mir geschworen, nicht zuzulassen, dass irgendeine Missstimmung Lorenzos Hochzeit überschattete. Sehr früh hatte ich für meinen kleinen Bruder die Beschützerrolle übernommen und auch als Unternehmer war ich daran gewöhnt, jederzeit alles im Blick zu haben.
Ich nahm einen Schluck aus meinem Sektglas. Hoch über unseren Köpfen raschelten die Wedel der Palmen jetzt etwas lauter. Der Wind hatte ein wenig gedreht und trug den würzigen Duft des Spanferkels herüber, das seit Stunden auf dem großen gemauerten Grill briet. Das wirkte wie ein Stichwort für den nächsten Punkt auf Lorenzos Checkliste, die er für seine Rede vorbereitet hatte.
»Ich freue mich sehr, dass sich mein Chef Matís und meine Kollegen aus dem ›C’an Matís‹ in Portocolom überreden ließen, das Festmahl für uns zuzubereiten und zu servieren. Damit ist sichergestellt, dass wir kulinarisch in den allerbesten Händen sind. Herzlichen Dank euch allen!« Er applaudierte und die Festgäste fielen mit ein. Lorenzo hatte das Talent, die Menschen, mit denen er zu tun hatte, mit seinem natürlichen Charme zu bezaubern. Etwas, das mir nicht in die Wiege gelegt worden war. Ich fand mich selbst eher steif und langweilig. Vielleicht war es aber auch die Verantwortung, die mich so hatte werden lassen.
Wir hatten aufgrund der ständigen Streitereien unserer Eltern eine schwierige Kindheit gehabt und nachdem mein Vater gegangen war, hatte unsere Mutter ihren Frust gerne an Lorenzo ausgelassen. Schon damals hatte mein Gerechtigkeitssinn dagegen rebelliert und ich hatte es als meine Aufgabe gesehen, den Kleinen zu beschützen.
Das hatte ich jedoch nicht vor, in meiner kurzen Rede zu erwähnen, um die mich Lorenzo gebeten hatte. Ich begrüßte Angelina als die Schwester, die ich nie hatte, in der Familie und zog Lorenzo damit auf, dass er nun all seinen Charme auf eine einzige Frau zu konzentrieren hatte, statt ihn gleichmäßig zu verteilen. Schließlich war allgemein bekannt, dass mein Bruder in den vergangenen zwanzig Jahren kein Kostverächter gewesen war. »Aber nun hast du die beste Frau an deiner Seite und ich wünsche euch von Herzen, dass sich alle eure Hoffnungen an diese Ehe erfüllen. Auf Angelina und Lorenzo!«
Als Letzte ergriff Angelinas Freundin das Wort. Ich hatte Inés während der Hochzeitsvorbereitungen flüchtig kennengelernt. Schon damals war sie mir positiv aufgefallen, vor allem wegen ihrer frischen, praktischen Art.
In ihrer heutigen Aufmachung hätte ich sie beinahe nicht wiedererkannt. Mit der Hochsteckfrisur und dem raffinierten Kleid stahl sie der Braut in meinen Augen beinahe die Show.
Inés war keine klassische Schönheit, aber das zarte Gesicht und die großen, braunen Augen mit den schön geschwungenen Brauen wirkten auf mich sehr anziehend. Vielleicht lag das auch ein wenig daran, dass sie mich an meine Exfrau erinnerte.
Man merkte ihren Worten an, wie nervös sie war, aber das konnte ihr niemand verdenken. Schließlich kannte sie die meisten Gäste vermutlich gar nicht. Unversehens war mein Blick an ihrem appetitlich gerundeten Busen kleben geblieben und ich zwang mich, ihn wieder zu ihrem Gesicht zu heben und an ihre bordeauxrot geschminkten Lippen zu heften, der perfekt zu ihrem Kleid passte.
»Dabeizusein, wenn meine beste Freundin heiratet, ist für mich etwas ganz Besonderes«, sagte sie gerade und entblößte beim Lächeln ihre weißen, ebenmäßigen Zähne. »In der Vergangenheit hatten wir uns diesen Tag unzählige Male ausgemalt, doch wenn ich dich nun ansehe, als strahlende Braut an Lorenzos Seite, wage ich, zu behaupten, es kam für dich alles noch viel besser, als wir es uns erträumt hatten. Das freut mich von ganzem Herzen! Liebe Angelina, lieber Lorenzo, ich wünsche euch eine wundervolle Ehe und Partnerschaft, die euch mit jedem weiteren Tag in Respekt, Offenheit und viel Liebe gemeinsam aufblühen und gedeihen lässt. Alles Gute für euch!«
Während wir unsere Gläser ein weiteres Mal hoben, merkte ich, dass mich die Worte berührt hatten. Ich hatte das Gefühl, sie waren nicht nur so dahingesagt. Bisher hatte ich sie nur als hübsche junge Frau mit ansprechender Figur wahrgenommen, nun fing sie an, mich als Mensch zu interessieren.
Matís und seine Mannschaft servierten die Vorspeisen.
»So, jetzt beginnt der gemütliche Teil«, stellte Lorenzo neben mir erleichtert fest, dann beugte er sich näher zu mir und raunte so leise, dass sie es an meiner anderen Seite durch den herrschenden Lärmpegel nicht hören konnte: »Mama hält sich gut, finde ich. Hätte ich ihr nicht zugetraut, wenn ich daran denke, was sie in der Vergangenheit so abgezogen hat.«
»Mit den nötigen Argumenten ist offenbar jeder lernfähig«, antwortete ich ebenso leise und grinste vielsagend, doch als er fragend die Brauen hob, winkte ich ab. »Erzähle ich dir später. Jetzt genießen wir erst mal das leckere Festmahl.« Er nickte zustimmend und schob sich einen Löffel Grünspargelsuppe mit Garnelen in den Mund.
Der Nachmittag ging langsam in den Abend über und bunte Lichterketten und Windlichter mit Kerzen tauchten den Innenhof in warmen, gemütlichen Schein. Für alle Fälle hatte Papa sogar Heizpilze organisiert, doch noch war es warm genug. Drei Freunde von Lorenzo spielten Livemusik und mit zunehmendem Alkoholpegel sanken die Hemmungen, sich auf die Tanzfläche zu begeben. Lorenzo und Angelina zuzusehen, war reines Vergnügen, doch auch Inés stand ihnen in nichts nach. Ihr geschmeidiger Hüftschwung zog meinen Blick magnetisch an.
»Die gefällt dir.« Mein Halbbruder hatte sich von mir unbemerkt auf den Stuhl neben mir fallen lassen und grinste mich von der Seite an. »Heißes Eisen. Warum tanzt du nicht mit ihr, statt sie nur von der Ferne anzuschmachten?«
»Ich schmachte nicht. Inés ist einfach ein angenehmer Anblick.« Gegenüber einem Fünfzehnjährigen zuzugeben, dass ich Hemmungen hatte, weil ich das Gefühl hatte, verglichen mit ihr ein steifer Langweiler zu sein, brachte ich nicht über mich.
»Das auf jeden Fall.« Raúl schnalzte anerkennend mit der Zunge. »Du sag mal, eure Freunde da drüben, Enrique und Florian, sind die echt schwul?«
Ich musste lachen. »Ja, ziemlich echt. Hast du etwa ein Problem damit?« Sein Gesichtsausdruck beantwortete meine Frage eigentlich schon, bevor er noch ein weiteres Wort sagte. Er sah keinesfalls angewidert aus, eher fasziniert und beeindruckt. Hand in Hand betraten die beiden nun die Tanzfläche.
»Nein, ich finde es cool. Oh, wow, ich habe noch nie zwei Männer miteinander tanzen sehen. Gehen sie immer so offen damit um?«
»Den äußeren Umständen angemessen, würde ich es formulieren. Hier sind sie unter Freunden oder zumindest in einem geschützteren Rahmen. Ich denke, selbst wenn es jemanden stört, würde er nicht offen daran Anstoß nehmen.«
Raúl nickte zustimmend. »Wäre nicht ratsam, hier einen auf homophob zu machen, nachdem die beiden zu eurem engeren Freundeskreis zählen.«
»Ich habe nicht so viel mit ihnen zu tun, aber Angelina ist mit den beiden recht eng befreundet und Lorenzo kennt Enrique von Kindheit an. Allerdings wusste bis vor Kurzem niemand, dass er schwul ist.«
»Er hat es geheim gehalten? Das stelle ich mir sehr schwierig vor, oder?«
»Wenn dich das so beschäftigt, frag sie doch mal.«
Raúl ließ den Blick nicht von den beiden und nickte nachdenklich. »Vielleicht mache ich das tatsächlich. Die tanzen aber richtig gut!«
»Enrique ist Tanzlehrer hier in Manacor. Schreib dich doch im Herbst in einen seiner Kurse ein. Gute Tänzer kommen bei den Mädels immer gut an.«
»Das solltest du auch machen, damit du solchen Klassefrauen wie Inés gewachsen bist.« Er stupste mich mit dem Ellenbogen in die Seite und grinste frech. Es wurmte mich zwar, aber so ganz unrecht hatte er nicht. Ich war in jungen Jahren viel unterwegs gewesen, doch jetzt war ich eingerostet, sowohl was das Tanzen, als auch das Flirten betraf. Enrique überließ seinen Tanzpartner nun einer Brünetten, die mir als Eva vorgestellt worden war, und strebte die Bar an, wo sich Angelina mit Inés unterhielt. Erneut konnte ich den Blick kaum von der Frau in dem raffinierten weinroten Kleid abwenden. Als der nächste Song angespielt wurde, gab ich mir einen Ruck und ging hinüber zur Bar.