Читать книгу Sommertanz & Einhornküsse - Isabella Lovegood - Страница 7
3. Kapitel
ОглавлениеInés
Ich genoss den Abend in vollen Zügen. Um genau zu sein, konnte ich mich gar nicht mehr daran erinnern, wann ich mich zum letzten Mal so unbeschwert gefühlt hatte. Es war auf jeden Fall Jahre her, schon lange bevor ich mit Luca schwanger geworden war.
Erhitzt vom Tanzen trat ich an die Bar.»Hast du die Sangria schon probiert?«, fragte mich Angelina, die soeben ein Glas davon in Empfang nahm. »Sichere dir noch rasch etwas. Auch die anderen wissen, dass sie extrem lecker ist.«Ich nickte dem Kellner zustimmend zu, der mich abwartend ansah, damit er mir ebenfalls etwas davon gab.Angelina nahm einen Schluck, dann fragte sie mich: »Geht´s dem Kleinen gut? Ich hab dich vorhin telefonieren sehen.«»Was du alles bemerkst. Du solltest heute nur Augen für deinen Ehemann haben!« Ich grinste sie an. »Ja, er und meine Mama hatten viel Spaß und jetzt schläft er friedlich. Sie arbeitet sich gerade durch meine DVD-Sammlung und genießt es, dass niemand ihr vorschreibt, was sie ansehen darf.« Ich seufzte. »Ehrlich, wenn meine Wohnung um wenigstens ein Zimmer größer wäre, ich würde versuchen, sie zu überreden, zu mir zu ziehen. Ihre Stimme klingt gleich ganz anders, wenn sie meinen Vater nicht im Nacken hat.«»Es wird dir nicht gefallen, aber das habe ich bei dir auch beobachtet, als du noch mit Manuel zusammen warst.«Es war die Wahrheit, trotzdem hatte ich daran zu schlucken. Aber dafür hatte man Freunde, oder? »Ich weiß. Jetzt ist mir das auch bewusst und ich habe mir geschworen, lieber für immer allein zu bleiben, als mich wieder mit einem Typen einzulassen, der nicht gut für mich ist.«»Was macht ihr denn für ernste Gesichter?« Enrique legte beide Arme um unsere Schultern und sah uns liebevoll-forschend an. »Ist etwas nicht in Ordnung?«Rasch korrigierte ich meine Miene und lächelte ihn an. »Doch, alles bestens. Wir haben uns nur gerade über meinen Ex unterhalten und der ist kein angenehmes Thema.«»Dann vergiss ihn möglichst schnell. Ist dir übrigens schon aufgefallen, dass Lorenzos Bruder dich ständig beobachtet? Ich glaube, der steht auf dich. Magst du reifere Männer?«Natürlich hatte ich es bemerkt. Seine Blicke ließen ein aufregendes Prickeln über meine Haut tanzen, aber das würde ich meinen Freunden nicht auf die Nase binden.Angelina prustete los. »Gut, dass er das jetzt nicht gehört hat! Na, okay, ein paar Jahre ist er schon älter als wir, aber er ist ein toller, lässiger Chef!«»Nur weil er ein angenehmer Vorgesetzter ist, heißt das noch lange nicht, dass er als Partner etwas taugt«, argumentierte Enrique. Beide sahen nun zu Rafael hinüber, der sich gerade mit Raúl unterhielt, und ich fand das ziemlich peinlich.»Geht’s noch auffälliger?«, zischte ich und nahm den Strohhalm meiner Sangria zwischen die Lippen. Sie schmeckte köstlich und ich stöhnte genießerisch. »Herrlich! Auf jeden Fall eine Sünde wert.«Enrique drehte sich erstaunt zu mir um und ich musste lachen.»Die Sangria meine ich. Ehrlich, es ist ja lieb, dass du dir um mein Liebesleben Gedanken machst, aber im Moment fühle ich mich als Single sehr wohl. Ich brauche keinen Mann zum Glücklichsein.« Es war mir bewusst, dass das nicht ganz stimmte, da schüttelte Enrique auch schon den Kopf.»Das sagst du nur, weil du noch nicht den Richtigen gefunden hast. Ich weiß, wovon ich rede.« Der Blick, den er Florian sandte, glühte vor Liebe und ich wunderte mich fast, dass er nicht als Laserstrahl sichtbar wurde. Dabei bemerkte Florian ihn nicht einmal, weil er gerade mit seiner Cousine tanzte.Enrique nahm eine geöffnete Flasche Rotwein und eine mit Wasser in Empfang und kehrte zu seinem Tisch zurück.»Zumindest hat sich Rafael beim Alkohol im Griff«, stellte Angelina fest. »Damit hätte er ja schon einen Pluspunkt bei dir, oder?« Sie zwinkerte mir zu.»Willst du mich jetzt allen Ernstes mit deinem Schwager, Schrägstrich Chef verkuppeln?« Ich zog ungläubig die Augenbrauen zusammen.»Guck nicht so, das macht Falten.« Angelina grinste. »Wäre doch nicht so abwegig, oder? So viel ich gehört habe, ist er zumindest kein weiteres Exemplar der Kategorie Mistkerl, die du sonst so an Land ziehst.«»Autsch, das war jetzt aber gemein.« Auch wenn sie leider damit recht hatte, gefiel es mir nicht. Entgegen meiner eigenen Beobachtung setzte ich etwas patzig hinzu: »Nachdem er noch kaum mehr als ein paar Worte mit mir gesprochen hat, scheint er ohnehin kein Interesse zu haben.«»He he, dachtest du? Er kommt gerade zu uns herüber.«Augenblicklich erhöhte sich meine Herzfrequenz. Ich verstärkte den Griff um mein Glas und verbot mir, mich zu ihm umzudrehen, um ihm entgegenzusehen.Rafael trat neben mich und bat den Kellner um ein Glas Rotwein, dann wandte er sich uns zu. »Amüsiert ihr euch gut?«»Auf jeden Fall«, erwiderte Angelina stellvertretend für uns beide und lächelte strahlend. »Und du? Tanzt du nicht gerne?«»Doch, aber ich bin etwas aus der Übung, fürchte ich. Mein jüngster Bruder hat mir bereits aufgetragen, bei Enrique einen Tanzkurs zu belegen.« Er grinste und nahm mit einem dankbaren Nicken sein volles Glas in Empfang. »Aber das ist erst im Herbst möglich. Vielleicht hilft es ja, mit einer hervorragenden Partnerin zu tanzen, um wieder in Schwung zu kommen?« Er sah mir in die Augen und unter dem bittenden und gleichzeitig schalkhaften Ausdruck darin fing ich an dahinzuschmelzen.Angelina beobachtete uns amüsiert und hob ihm ihr Glas entgegen. »Auf einen wunderbaren Abend.« Wir stießen miteinander an, dann ließ sie uns stehen, um zu Lorenzo zurückzukehren, der mit ihren Eltern plauderte.»Also, würdest du mir die Ehre erweisen, mit mir zu tanzen?« Rafael grinste selbst über seine altmodische Ausdrucksweise.»Ich hätte nichts dagegen, aber gib mir bitte ein paar Minuten, um meine Füße auszuruhen«, gab ich eher trocken zurück, um zu überspielen, wie sehr ich mich darauf freute. »Du wirst mir doch hoffentlich nicht drauf treten?«Er lachte. »Ich kann es nicht garantieren, halte es aber doch für eher unwahrscheinlich.«»Das ist beruhigend.« Ich kehrte mit ihm zu seinem Platz zurück und setzte mich auf den mit einer weißen Husse überzogenen Stuhl des Bräutigams. Einen Augenblick beobachteten wir stumm die Tanzenden und nippten an unseren Gläsern.»Ich nehme an, du kennst Angelina schon lange?«»Ja, seit beinahe zwanzig Jahren. Unglaublich.« Unwillkürlich verzog ich das Gesicht bei dem Gedanken. »Mehr als mein halbes Leben.«»Ich hatte gar nicht mehr damit gerechnet, dass Lorenzo überhaupt jemals heiraten würde. Und dann so schnell«, sinnierte Rafael.Dunkel erinnerte ich mich daran, dass Angelina erwähnt hatte, dass er selbst bereits einmal verheiratet gewesen war, aber etwas Genaueres wusste sie darüber nicht. Oder sie sollte es mir nicht erzählen. Verstohlen betrachtete ich seine Hände. Lange, schlanke Finger mit gepflegten Fingernägeln glitten beinahe zärtlich über den Stiel des Weinkelches und für einen Moment fragte ich mich, wie sie sich wohl anfühlen würden, wenn sie so über meine Haut strichen. Ein leichter Schauer überlief mich prickelnd und plötzlich freute ich mich darauf, sie beim Tanzen auf meinem nackten Rücken zu spüren. Er war ein attraktiver Mann, keine Frage, und ein ganz anderes Kaliber als Manuel. So elegant war der nie gewesen und ab dem Zeitpunkt, an dem wir ein Paar geworden waren, veränderte er sich sehr zu seinem Nachteil. Nun war von dem jungen Mann, in den ich mich verliebt hatte, kaum etwas übriggeblieben und ich hatte die Hoffnung aufgegeben, dass er die Kurve noch kriegen würde. Dass ich geseufzt hatte, merkte ich erst, als mich Rafael darauf ansprach.»Hast du Sorgen? Ich weiß, wir kennen uns kaum, aber ich bin ein guter Zuhörer.«»Nein, schon gut.« Keinesfalls würde ich ihm von meinen Beziehungsflops erzählen. Ganz im Gegenteil, ich wollte mich ihm von meiner starken, unabhängigen Seite präsentieren, an der ich arbeitete, seit mir klar geworden war, was für Loser ich in der Vergangenheit angezogen hatte. Unwillkürlich straffte ich Schultern und Rücken und hob das Kinn.Mit dem langstieligen Löffel fischte ich die Früchte aus meinem Glas und zerkaute sie genussvoll, auch wenn manche das für ein No-Go hielten. Rafael schmunzelte und nahm einen Schluck von seinem Rotwein.»Ich muss dich warnen: Ich bin nicht nur mit dem Tanzen aus der Übung, sondern auch beim Flirten. Trotzdem muss ich dir unbedingt sagen, wie toll du aussiehst. Für mich bist du eindeutig die attraktivste Frau hier, auch wenn das Angelina als Hauptperson vermutlich nicht gern hören würde.« Er blickte mir lächelnd in die Augen und mir fiel auf, wie dunkel und tiefgründig sie wirkten. Meine Wangen wurden warm, aber das konnte ich ebenso gut auf den Alkohol schieben.»Danke. Keine Sorge, ich verrate es ihr nicht. Und ich kann dich beruhigen: Für Gesülze habe ich ohnehin nichts übrig.«»Ah, gut zu wissen.« Sein Lächeln vertiefte sich und in den Augenwinkeln bildeten sich feine Fältchen, die sein charmantes Aussehen verstärkten. Aus der Nähe betrachtet, wirkte sein Mund sinnlich und ich musste mich zwingen wegzusehen, bevor es peinlich wurde.Hölle, wieso war mir nicht früher aufgefallen, wie sexy Angelinas Boss aussah? Oder hatte ich ihn mir schön getrunken? Nein, so viel hatte ich noch nicht intus. Hoffentlich war er tatsächlich eine Niete beim Tanzen, wie er angedeutet hatte, damit sein Konto zum Ausgleich endlich mal einen Minuspunkt sammelte. Ich trank den letzten Rest der Sangria aus und deutete mit einer Kopfbewegung zur Tanzfläche. »Bereit?«»Auf jeden Fall!«Während wir die Tischreihe entlang gingen, fühlte ich seine Hand auf meinem Rücken. Sie blieb jedoch auf dem Stoff des Kleides und ließ ihre Wärme auf angenehme Weise hindurchströmen.Am Rand blieben wir stehen und warteten auf den Beginn eines neuen Songs. Er verblüffte mich, als er mit schief gelegtem Kopf lauschte. »Langsamer Walzer?« Noch bevor ich auf sein Murmeln antworten konnte, brachte er uns in die entsprechenden Tanzhaltung und setzte im richtigen Moment ein.Anfangs beschränkten wir uns auf den Grundschritt, und ich merkte, dass er sich darauf konzentrierte, nicht aus dem Takt zu kommen, dann kamen einfache Drehungen hinzu. Bald hatte ich das Gefühl, in seinen Armen dahin zu schweben.»Du bist ein Tiefstapler!«Ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen. »Ich hatte Glück, das ist mein Lieblingstanz.« Wie zur Bekräftigung führte er mich in eine weitere Figur. »Und wir harmonieren gut.« Ich konnte meinen Blick kaum von seinen Augen abwenden, die funkelnd auf mir ruhten, doch auch sein Mund übte eine faszinierende Wirkung auf mich aus. Wenn mir schon seine Hand auf meinem bloßen Rücken ein wohliges Prickeln durch den Körper schickte, wie würde es erst sein, diese Lippen auf mir zu spüren? Rasch verdrängte ich den verwirrenden Gedanken, bevor ich Gefahr lief, diejenige zu sein, die ihm auf die Füße trat.Als Nächstes war ein Foxtrott an der Reihe. Hier merkte ich dann doch die eine oder andere Unsicherheit, aber meine Zehen waren niemals in Gefahr.Danach folgte ein richtiger Schmusesong. Dazu konnten auch diejenigen tanzen, die sich sonst nicht sicher genug fühlten. Entsprechend voll wurde die Tanzfläche, doch wir brauchten ja auch nur wenig Platz. Um ehrlich zu sein, bekam ich nicht allzu viel mit, was sich um mich herum abspielte, nur dass sich Rafaels Vater mit Sara, Angelinas Onkel mit ihrer Tante und ihre Eltern rund um uns im Takt wiegten. Was mir jedoch viel mehr auffiel, war das, was sich da hin und wieder ziemlich hart an meinen Bauch drückte, als wir uns eng umschlungen zur Musik bewegten. Seine Wange lag an meiner Schläfe und ich bemerkte, wie unglaublich gut Rafael roch, obwohl ein langer Tag hinter uns lag. Ich fühlte mich leicht und abgehoben, als ob er meine Sinne vernebelte. Bisher hatte ich mich immer die ›Frühestens-beim-dritten-Date-Regel‹ gehalten, aber nun erschien es mir zum ersten Mal extrem verlockend, eine Ausnahme zu machen. Doch dann wurde mir schlagartig etwas klar, das mich wieder auf den Boden der Tatsachen holte: Rafael war der Schwager meiner besten Freundin und ich würde ihm immer wieder begegnen. Deshalb war es unmöglich, mich mit ihm auf einen One-Night-Stand einzulassen, auch wenn mir das in diesem Moment noch so reizvoll erschien. Ich versuchte, unauffällig etwas Abstand zwischen uns zu bringen, und er gab mir sofort so viel Raum, wie ich brauchte. Das rechnete ich Rafael hoch an und hätte mich um ein Haar neuerlich dazu veranlasst, mich an ihn zu schmiegen. Was für ein toller, verlockender Mann!Nach diesem Tanz war ich total durch den Wind, mein Herz raste und in meinem Unterleib kribbelte und pochte es wie verrückt vor Sehnsucht nach mehr. Ich wollte ihn küssen und eine Menge unanständiger Dinge mit ihm tun. Und das, obwohl er mir praktisch fremd war! Irgendetwas musste in der Sangria gewesen sein, das meine Libido so auf Touren brachte, dass ich mich selbst kaum mehr kannte. Bevor ich mich an ihm rieb wie eine rollige Straßenkatze, bat ich ihn um eine Pause. Mir fiel auf, dass er dicht hinter mir blieb, als wir an die Bar traten, um uns eine Flasche Wasser zu besorgen.Lorenzo saß am Tisch und wirkte ebenfalls etwas erhitzt. Mit einem liebevollen Lächeln beobachtete er Angelina, die mit ihrem Onkel tanzte.Ich trank gierig von dem kalten Wasser und hoffte, dass es schnell in meine überhitzten Zellen vordrang, bevor es irgendwo einen Kurzschluss gab und ich mich Rafael an den Hals warf oder mich auf seinen Schoß setzte.Auch er schien sich um ein unverfängliches Thema zu bemühen, das ihn abkühlte, als er sich an seinen Bruder wandte. »Ich kann Mama nirgends entdecken.«»Sie ist vorhin gegangen. Weil sie kein großes Aufsehen erregen wollte, hat sie sich nur bei mir und Angelina verabschiedet und mir an alle anderen Grüße aufgetragen und das kann ich verstehen. Sich bei Papa und Sara für den Abend zu bedanken, wäre doch zu viel von ihr verlangt gewesen. Mich wundert ohnehin, dass sie so friedlich war.«Rafael lachte. »Nicht ohne Grund. Ich hatte im Vorfeld ein ernsthaftes Gespräch mit ihr.«Angelina hatte mir von ihrer Schwiegermutter erzählt, die ihren Ehemann, den Vater der Brüder, systematisch mit falschen Anschuldigungen und Psychoterror fertiggemacht hatte, bis er vor ungefähr zwanzig Jahren keinen anderen Ausweg mehr gewusst hatte, als auf dem Festland unterzutauchen. Erst seit ungefähr einem Jahr lebte er wieder auf Mallorca und hatte Sara und Raúl mitgebracht. Er hatte sich mit seinen erwachsenen Söhnen ausgesprochen und augenscheinlich hatten sie eine gute Beziehung zueinander aufgebaut, was ich unter diesen Umständen bemerkenswert fand. Dass sie nun aber auch die rachsüchtige Mutter dazu ins Boot geholt hatten, war geradezu unglaublich. Gespannt hörte ich der Unterhaltung zu.Lorenzo hob erstaunt die Brauen und Rafael zuckte mit den Schultern. »Was blieb mir anderes übrig? Niemals hätte ich zugelassen, dass sie Angelina und dir die Hochzeit verdirbt.«»Wir waren uns des Risikos bewusst, aber sie einfach nicht einzuladen, war eine Möglichkeit, die uns auch nicht gefallen hätte.«Sein älterer Bruder nickte zustimmend. »Immerhin ist sie unsere Mutter. Deshalb habe ich sie darum gebeten, sich hier ordentlich zu benehmen und ihren Groll hinunterzuschlucken.«»Und das hat sie einfach so hingenommen?«»Nicht so ganz. Ich habe sie vor die Alternative gestellt, entweder die alten Geschichten ruhen zu lassen und sich mit Papa und Sara auf zivilisierte Weise zu verständigen, oder ...«, er machte eine kunstvolle Pause, »in Zukunft auf uns und ihre künftigen Enkelkinder verzichten zu müssen. Das will sie offenbar doch nicht.«»Stimmt, das war ein kluger Schachzug. Erinnerst du dich an damals? Sie war ganz aus dem Häuschen, als ihr ...« Lorenzo stoppte abrupt und setzte rasch mit einem anderen Satz fort. »Ich hoffe, sie versucht nicht wieder eines ihrer krummen Dinger.«»Ich habe sie mit dem konfrontiert, was uns Papa erzählt hat, und ihr versichert, dass sie es sich mit uns unwiderruflich verscherzt, falls sie versucht, ihm, Sara oder Raúl Probleme zu machen.«»Wow, sehr mutig von dir, noch dazu, wo du immer ihr erklärter Liebling. Wie hat sie reagiert?«Rafael schnaubte. »Was denkst du? Sie hat versucht, alles zu leugnen und zu verdrehen, also habe ich Anstalten gemacht, zu gehen. Da hat sie es mit der Angst gekriegt. Ich denke, sie hat kapiert, dass wir keine kleinen Jungs mehr sind, denen man ungestraft solchen Mist erzählen kann.«Lorenzo nickte und der sonst so unbeschwert auftretende Mann wirkte plötzlich ungewohnt hart und unnachgiebig. Deutlich spürte ich die Wunden, die das Verhalten der Mutter bei den beiden geschlagen hatte.Er legte Rafael die Hand auf die Schulter und drückte sie. »Danke, großer Bruder, schon wieder hast du dich für mich eingesetzt. Du hättest das nicht alleine durchziehen müssen.«»Ja, ich weiß, aber alte Gewohnheiten sind schwer abzulegen.« Die Männer sahen sich in die Augen und die Verbindung zwischen den beiden war beinahe greifbar. Die emotionale Stimmung verursachte einen Kloß in meinem Hals. Hastig trank ich etwas Wasser und musste prompt husten. Es schien, als ob sich die Brüder erst jetzt wieder meiner Anwesenheit bewusst wurden.»Entschuldige bitte, dass wir dich hier in unsere Familienangelegenheiten hineinziehen.« Rafael legte seine Hand leicht auf meinen Arm und die Berührung jagte ein Kribbeln nach oben bis in meinen Nacken, wo sich die feinen Härchen aufstellten.»Kein Problem, irgendwie ist es immer tröstlich, zu hören, dass auch andere Familien nicht perfekt sind.«Lorenzo lachte trocken. »Das ist die Untertreibung des Jahres, aber vermutlich gibt es noch ärgere.«Ich nickte. »Ganz bestimmt. Überall verstecken sich dunkle Flecken und schwarze Schafe, oder nicht?«Rafaels Blick ruhte für einen Moment ernst und forschend auf mir, als ob er sich fragte, was denn die meiner Familie waren. Natürlich hatte ich keinerlei Absichten, darüber zu sprechen und die Gelegenheit zu fragen, verstrich, als sich Angelina auf den Platz neben mir fallen ließ und mit der Mineralwasserflasche ihre erhitzten Wangen kühlte.»Ach, macht das Spaß! Wir müssen unbedingt öfter tanzen gehen«, verkündete sie euphorisch und strich sich mit dem Handrücken eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie trug ihr Haar offen, so wie es sich Lorenzo gewünscht hatte. Nur ein paar winzige Spangen mit glitzernden, weißen Kunstblümchen zierten die dunkle Haarpracht. »Enrique hat mir gerade etwas sehr Interessantes erzählt. Seine Tanzschule wird in diesem Sommer erstmals offene Abende veranstalten, an denen jeder gegen einen kleinen Beitrag teilnehmen kann. Also so ähnlich wie eine Party, aber mit dem Hauptaugenmerk auf gut tanzbare Musik. Am nächsten Wochenende geht es schon los mit dem ›Sommertanz‹. Ist das nicht toll?« Ihre Augen blitzten vor Unternehmungslust.»Und mit wem gedenkst du da hinzugehen, liebe Ehefrau?«, fragte Lorenzo und ihr Lächeln verblasste.»Oh, du musst ja arbeiten!«»Enrique und Florian sind doch bestimmt mit dabei«, warf ich ein. »Da braucht Lorenzo wenigstens nicht eifersüchtig zu sein.«»Ich bin gerade auch wieder auf den Geschmack gekommen. Wie ist es mit dir?« Rafael sah mich an und sein Interesse schmeichelte mir, als mir klar wurde, dass er sich offenbar mit mir verabreden wollte.Doch so gerne ich zugesagt hätte, ich konnte es nicht. »Ich habe vermutlich keine Zeit.«»Das ist schade.« Er klang ehrlich enttäuscht.»Aber vielleicht könnte ...«, fing Angelina an, verstummte jedoch, als ich sie mit dem Knie anstieß. Ich hatte keine Lust, hier und jetzt darüber zu spekulieren, ob meine Mutter als Babysitter einspringen würde. Diese Nacht, in der sie mir ermöglichte, unbeschwert zu feiern, war etwas Besonderes für mich. Sie zwei Wochenenden hintereinander einzuspannen, damit ich meinem Vergnügen nachgehen konnte, wäre mir falsch erschienen. Erstrecht, ohne sie vorher zu fragen.»So wie du das eben geschildert hast, sollen diese Tanzpartys ja regelmäßig stattfinden«, kam mir Lorenzo zu Hilfe, der offenbar spürte, was in mir vorging. »Vielleicht passt es ja ein andermal für dich, Inés.«Ich nickte erleichtert und griff nach meinem Wasserglas, um einen kräftigen Schluck zu trinken.»Was haltet ihr denn davon, wenn wir uns etwas Süßes vom Buffet holen?«Angelinas Vorschlag stieß auf allgemeine Zustimmung. Es gab Obstsalat, Cremetörtchen mit Beeren, und kleine Schälchen mit Vanillecreme und Schokoladenmousse.Nachdem wir uns gestärkt hatten, begaben wir uns wieder auf die Tanzfläche. Objektiv betrachtet war Lorenzo der geübtere und geschmeidigere Tänzer, trotzdem brachte nur sein Bruder mein Herz dazu, schneller und unregelmäßig zu schlagen. Danach forderte mich Enrique auf.Wir hatten uns erst im Zuge der Hochzeitsvorbereitungen kennengelernt, aber ich mochte ihn auf Anhieb und fühlte mich bei ihm sicher. Entspannt und souverän führte er mich durch komplizierte Figuren.»Wow, das macht Spaß!«, stellte ich lachend fest, als ich nach einer Drehung wieder in seinen Armen landete.»Du hast ein sehr gutes Rhythmusgefühl.« Er verstärkte sein Lob mit einem charmanten Lächeln, dann zwinkerte er mir zu. »Rafael hat auch Potenzial, aber zu wenig Übung. Vielleicht könntet ihr das gemeinsam ausloten.«»Versuchst du gerade, Werbung für die Tanzschule zu machen, oder willst du uns verkuppeln?«Er lachte. »Vielleicht beides. Was hältst du davon?«»Ich habe leider nicht oft Gelegenheit auszugehen.«»Ja, das verstehe ich, aber vielleicht kannst du es möglich machen. Es gibt Menschen, die förmlich aufblühen beim Tanzen. Du gehörst dazu.«Darüber musste ich einen Moment nachdenken, dann nickte ich. »Du hast recht! Ich fühle mich ganz leicht und der Alltag weicht zurück. Das ist mir noch nicht einmal selbst aufgefallen.«»Ich bin lange genug Tanzlehrer, um einen Blick dafür zu entwickeln. Es täte dir gut, dich hin und wieder frei zu tanzen.«Unwillkürlich seufzte ich sehnsüchtig auf.Enrique lächelte verständnisvoll. »Es ist nicht leicht, ein Kind allein aufzuziehen.« Als ich überrascht die Augenbrauen hochzog, ergänzte er: »Angelina hat es vorhin erwähnt. Gerade deshalb solltest du versuchen, hin und wieder deine Batterien aufzuladen, und ich denke, das Tanzen wäre eine gute Möglichkeit für dich.« Das Musikstück war zu Ende und er begleitete mich galant zu meinem Tisch zurück.