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Kapitel IV - Kasia
ОглавлениеNoch am Abend habe ich versucht, unter der angegebenen Nummer jemanden in der Klinik zu erreichen. Vergeblich, was bei der späten Uhrzeit vermutlich zu erwarten war. Dann muss es eben bis nach meinem morgendlichen Sport abwarten.
Ich laufe gerade meine übliche Strecke, als mir eine Gestalt auf einer Bank auffällt. Ich kenne die trainierte Figur, habe sie oft genug mit und ohne Kleidung gesehen. Nie hätte ich mit ihm hier gerechnet.
Seine tätowierten Arme liegen verschränkt vor seiner Brust, der Blick ruht auf der Bucht. Langsam bewege ich mich auf ihn zu, kann nicht so tun, als hätte ich seine Anwesenheit nicht bemerkt.
„Mit dir hätte ich als letztes hier gerechnet“, sage ich anstatt einer Begrüßung. Ich bleibe neben der Bank stehen, warte auf seine Reaktion.
„Kasia!“ Ein Lächeln bildet sich auf seinen vollen Lippen, erreicht aber nicht seine Augen. Langsam steht Vince von der Bank auf, überbrückt die wenigen Schritte zu mir und umarmt mich. Es ist so vertraut zwischen uns, nicht so, als hätten wir uns das letzte halbe Jahr nicht gesehen.
„Was führt dich an die Westküste?“, frage ich, nehme mit Vince zusammen auf der Bank Platz. Seine Haare sind kürzer, als ich es in Erinnerung habe. Seine Haut ist blass, dunkle Schatten liegen unter seinen Augen. Ich habe die Befürchtung, er bekommt nicht genug Schlaf zurzeit.
„Das Wetter, hauptsächlich“, scherzt Vince, doch sein Blick bleibt ernst. Hinter seinem Ohr erkenne ich eine Tätowierung, die es vor sechs Monaten noch gab. Die Freiheitsstatur – das Symbol für Freiheit.
„Und jetzt bitte die Wahrheit.“ Ich schubse leicht gegen seine linke Schulter.
„Ich habe Jersey und New York den Rücken gekehrt. Eigentlich wollte ich nach LA zu meiner Tante, aber ihre Freundinnen aus dem Bridge Club halten nicht viel von tätowierten ledigen Männern. Sie hatten sichtlich Angst vor mir und das wollte ich meiner Tante nicht antun. Ich glaube, sie dachten, ich würde sie ausrauben oder so.“ Ich habe Vince Tante nie kennengelernt, weiß aber, dass die beiden eine große Liebe verbindet. Er ist bei ihr aufgewachsen, als seine Eltern mehr mit den Drogen, als mit ihm beschäftigt waren.
„Ach was, du doch nicht“, lache ich. Vince könnte einem Menschen nie mit Absicht Schmerzen zufügen. Na gut, vielleicht, wenn man ihn schwer reizt, aber das dauert dann doch sehr lange.
Ich entspanne mich, je länger wir neben einander sitzen. Es ist schön, ein vertrautes Gesicht zu sehen. Sicher, ich habe einige Bekanntschaften schon geschlossen, weil ich in einem Studentenhaus wohne, doch sie alle sind nur flüchtige Bekannte. Vince hier zu treffen – als würde ich endlich nach Hause kommen.
„Was machst du hier?“
„Joggen“, antworte ich und lache über mich. „Ich lebe schon einige Monate hier, werde bald mein Studium beginnen.“ Wie wahrscheinlich es ist, nicht den ersten Tag an der Uni anzutreten, sage ich ihm nicht.
„Hauptfach?“
„Psychologie“, sage ich leise. „Im Nebenfach Kunstgeschichte mit Schwerpunkt Körperkunst.“ Ich weiche seinem eindringlichen Blick aus. Meine Wahl ist mir nicht peinlich, aber man könnte meinen, ich würde mich und auch alle anderen tätowierte Menschen analysieren wollen. Steht nicht hinter jeden Tattoo eine Geschichte? Und hinter jeder Geschichte ein Schicksal oder Erlebnis.
„Coole Kombi“, erwidert der Tätowierer neben mir.
Einen Moment genießen wir beide eine angenehme Stille zwischen uns. Beide blicken wir auf die Bucht. „Du fehlst uns drüben im Osten. Besonders Hayley leidet unter deiner Abwesenheit. Dabei könnte sie dich momentan wirklich gut gebrauchen“, flüstert Vince plötzlich.
„Ich weiß“, gebe ich kleinlaut zu. „Erst gestern habe ich mit ihr telefoniert. Aber ich glaube der erste Schock über meinen Umzug hat Hayls überwunden. Ich habe nie ein Geheimnis daraus gemacht, New York irgendwann zu verlassen.“ Kurz überlege ich, was er sonst noch mit seiner Aussage gemeint hat, kann aber nicht mehr nachfragen.
„Vermutlich, weil du nicht dort geboren bist“, mutmaßt mein guter Freund. Vermutlich hat er recht. Keiner meiner Freunde hatte jemals den Wunsch, ihren Geburtsort zu verlassen. Weiter als Jersey ging noch keiner von ihnen. „Ich bin jetzt eine Woche hier, du hast dir eine großartige Stadt ausgesucht. Es ist fantastisch hier. Kein Vergleich zu Manhattan natürlich, aber eben auch ganz gut.“
„Du vergleichst Äpfel mit Birnen.“ Wieder schubse ich leicht gegen seine Schulter. „Es ist hier so anders als in New York. Mein Leben ist plötzlich nicht mehr so hektisch, obwohl hier auch viel los ist.“
Unsere Blicke treffen sich, doch Vince sagt nichts, lässt meine Worte auf sich wirken. Irgendwann löst er den Bann zwischen uns, schaut wieder auf die Bucht. Aus einer spontanen Laune heraus frage ich: „Wollen wir nachher vielleicht etwas zusammen essen gehen?“
Eigentlich sollte ich mich belesen, Informationen sammeln, wie es nun weiter gehen kann. Vince hier zu treffen scheint wie ein Wink des Schicksals. Einen Abend lang die Sorgen vergessen, in Erinnerungen schwelgen, vielleicht noch einmal das Feuer zwischen uns spüren. Ich werde meinem Kopf diese kleine Auszeit gönnen, beschließe ich.
„Gern, ich hol dich um sieben ab“, stimmt Vince mit einem Nicken zu. Ich hole mein Handy aus der kleinen Tasche, die ich immer quer über die Brust trage beim Laufen und zücke mein Handy, um seine Nummer zu speichern. Als ich nach San Francisco kam, habe ich mir ein neues Handy besorgt, dessen Nummer nur Hayley, meine Eltern und Logan haben. Beim Entsperren fällt mein Blick auf die Uhrzeit. Es ist noch nicht einmal Mittag, warum bis heute Abend warten.
„Wenn du Zeit hast, kannst du auch gleich mitkommen“, schlage ich vor. „Es ist noch früh, wir können Mittag essen gehen. Bei der Gelegenheit zeige ich dir gern die Stadt, zumindest die Stellen, die ich ins Herz geschlossen habe.“ Vince nickt, imitiert den Gruß eines Soldaten.
„Sie gehen voraus, Ma’am.“ Lachend hake ich mich bei Vince unter, führe ihn den Weg zu meinem Apartment. Obwohl meine Eltern es ablehnten, dass ich in einem Studentenaus wohne, habe ich mich durchgesetzt. Einmal wollte ich nicht nur das reiche Mädchen sein, sondern einfach Kasia. Nur eines ließen sie sich nicht nehmen – für die Zeit nach dem Studium haben sie mir bereits eine Wohnung gekauft. Wer weiß, ob ich je dort einziehen werde.
„Wollen wir uns nicht doch lieber ein Taxi nehmen?“, quengelt Vince bereits nach wenigen Minuten. Dabei ist der Ausblick auf die Bucht fast den gesamten Heimweg einfach wunderschön.
„Kommt ja gar nicht in Frage“, antworte ich schmunzelnd. „Ich weiß zufällig, dass du immer recht sportlich gewesen bist.“
„Gewesen?“ Fragend schaut Vince mich an, bleibt stehen, greift nach meiner Hand. „Ich bin immer noch sportlich.“
„Mag sein, aber es geht dir nicht gut, das sehe ich. Du bist schlanker als früher, deine Augen erzählen, wie viel Arbeit du in letzter Zeit haben musst.“ Vince lacht überrascht laut auf und nickt nur. „Na dann halt die Klappe und komm.“
Es ist so einfach mit Vince. Vom ersten Augenblick an konnten wir locker und unbefangen miteinander umgehen. Es gab nie merkwürdige Momente zwischen uns. Nicht mal, nachdem wir das erste Mal miteinander geschlafen haben. Allein der Gedanke, wie er mich damals immer packte, macht mich ganz wuschig. Seine starken Arme, die mich sanft halten, seine Hände, wie sie über meinen ganzen Körper wandern. Und dann sein Mund – oh dieser Mund, der so viel in mir anrichten konnte.
Mit heißen Wangen schüttle ich den Kopf, um wieder zurück auf den Gehweg zu kommen. Die Zeiten von Vince und Kasia sind vorbei. Sicher hat er schon längst wieder eine Freundin.
„Warum Lady Liberty?“, frage ich schließlich nur um mich von seinem Körper und seiner Nähe abzulenken.
„Du hast es gesehen“, stellt er trocken fest. „Es ist so klein gestochen, dass es bisher kaum jemanden aufgefallen ist.“
„Mir sofort. Du hast nicht viele vollschwarze Tattoos. Und hinter dem linken Ohr hattest du bisher gar keins. Man muss schon schlecht gucken können, wenn man es nicht sieht.“ Wieder nickt Vince nur. Eine Macke, die mich schon oft der Verzweiflung nah gebracht hat. Mein Freund ist nicht unbedingt für seine großen Rede bekannt. Allerdings kann man sich immer auf ihn verlassen, egal in welcher Lage.
„Wie dem auch sei“, fährt er fort. „Du kennst die Geschichte der Statur?“ Zu meinem Bedauern muss ich den Kopf schütteln. Da habe ich mehr als mein halbes Leben in New York gelebt und kenne die Geschichte des wohl berühmtesten Wahrzeichens des Landes nicht. Auf den zahlreichen Schulausflügen nach Liberty Island habe ich auch nicht wirklich zugehört. „Lady Liberty stellt die römische Göttin Libertas dar. In der Mythologie ist sie die personifizierte Freiheit. Es ist so viel passiert in den letzten Monaten, dass ich gern freier wäre. Ich musste es mir stechen lassen, um mich immer wieder anzumahnen, auch an mich zu denken. Eigentlich sollten sich alle aus meinem Umfeld daran erinnern, wenn sie es sehen. Nur leider ist so viel los, da vergessen sie es. Alle miteinander. Ihnen ist nicht klar, was sie sich gegenseitig eigentlich antun. Freiheit bedeutet doch auch Ehrlichkeit, nur leider ist das auch nur noch eine Phrase. Zumindest zurzeit.“
Verständnislos glotze ich Vince regelrecht an. Was ist passiert in New York? Was habe ich verpasst? Vince seufzt schwer auf. „Sag mir bitte nicht, dass Hayls dich nicht über alles auf dem Laufenden hält.“
„Worüber?“, frage ich heftiger als beabsichtigt. „Was hätte sie mir deiner Meinung nach denn sagen sollen? Ich habe ehrlich gesagt nicht nach dem neusten Stand gefragt, weil ich selbst genug um die Ohren habe.“ Ich bin wirklich eine schreckliche Freundin, wird mir in diesem Moment bewusst. Ich habe Hayley nicht ein einziges Mal gefragt, was bei ihr so los ist.
„Ich kann nicht fassen, dass sie es dir nicht erzählt hat“, blubbert Vince vor sich hin, ehe er mich wieder ansieht. „Lass uns zu dir nach Hause gehen. Ich will nicht auf der Straße mit dir darüber sprechen.“
Zehn Minuten später betreten wir meine Wohnung. Obwohl ich fast vor Neugierde platze, entschuldige ich mich kurz, damit ich aus den engen Sportklamotten rauskomme. Einen Augenblick gönne ich mir Ruhe, setze mich auf mein Bett und schreibe Hayley eine Nachricht.
Rate, wen ich vorhin beim Joggen getroffen habe. Kleiner Tipp: Du kennst ihn. Ich füge eine Zwinker-Emoji an. Kaum habe ich die Nachricht abgeschickt, sehe ich, dass sie online ist und eine Nachricht tippt. Hab mich schon gefragt, wann diese Nachricht kommt. Liebe Grüße an Vince!
Ich lese die Nachricht zweimal, dreimal und ein viertes Mal, doch irgendetwas stört mich an ihren Worten. Wusste sie, dass Vince in San Francisco ist? Vergessen ist die Dusche, die ich nach dem Lauf eigentlich nötig hätte. Wer weiß noch, dass er hier ist? Verwirrt verlasse ich mein Schlafzimmer, gehe zu Vince ins Wohnzimmer. Aus der Küche höre ich die Kaffeemaschine blubbern, offensichtlich hat er uns eine Kanne aufgesetzt.
„Wusste Hayley, dass du nach San Francisco kommen würdest?“, frage ich geradeheraus. Er steht an meinem Fenster, blickt auf die Stadt, doch ich erkenne, dass seine Haltung sich verändert. Nur minimal, für eine fremde Person vermutlich nicht zu erkennen. Aber ich kenne ihn so gut, weiß, wie seine Muskeln arbeiten, wenn er eine bestimmte Bewegung macht. Ich weiß, wie sich sein Körper anfühlt, wenn er erregt, sauer oder zufrieden ist. Langsam dreht er sich zu mir um. Hatte ich gerade noch gehofft, dass mein stummer Vorwurf Einbildung ist, erkenne ich die Wahrheit in seinem Blick. In seinen Augen liegt ein Glanz, der teils entschuldigend wirkt, aber vor allem lese ich Mitleid in ihnen.
„Wusstest du, dass ich diese Strecke üblicherweise laufe?“
Vince sagt noch immer kein Wort, dreht sich weiter zu mir, macht ein paar Schritte in meine Richtung.
„“Bleib stehen“, flehe ich leise. „Bist du meinetwegen hierhergekommen?“ Ein tiefer Schluchzer lässt mich erbeben, Tränen finden ihren Weg aus meinen Augen, ich kann sie nicht daran hindern. Auch ohne eine Antwort seinerseits erkenne ich die Wahrheit.
„Sag mir bitte, dass du nicht dort auf mich gewartet hast. Hat Hayley dir gesagt, wo du mich wahrscheinlich antreffen wirst?“ Sein Blick wirkt plötzlich hilflos. „Verdammt Vince, sag endlich irgendwas!“ Kurz zuckt er zusammen, in ihm scheint es zu arbeiten.
„Ich musste dich einfach sehen“, flüstert er, was mich vollends aus der bahn zu werfen scheint. „Ich … Hayley hat mir geholfen, ja. Aber nicht gern, das kann ich dir sagen. Kasia, du bist einfach verschwunden, hast dich nicht von mir verabschiedet. Du warst einfach weg.“
„Geh“, flüstere ich, doch mein Freund rührt sich nicht vom Fleck. „Verdammt, Vince! Geh einfach!“
Noch immer nichts, als würde es ihn nicht interessieren, was ich sage.
„Kasia, Süße, ich werde nicht gehen. Nicht jetzt“, sagt er ruhig, kommt auf mich zu und schließt mich in seine Arme. Ich versuche ihn von mir zu schieben, doch er ignoriert mich. Im Gegenteil, sein Griff verstärkt sich noch. Die Tränen, die bisher stumm meine Wangen hinuntergeflossen sind, verwandeln sich in bitterliches Weinen. Vince hält mich fest, lässt mich weinen, dann toben und schreien, bis ich schließlich aufgebe und wir gemeinsam zu Boden sinken.