Читать книгу Papakind - Isolde Kakoschky - Страница 9

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»Willkommen in der 8. Klasse! Ich hoffe, ihr hattet alle schöne Ferien.« Herr Kollberg begrüßte seine Schüler mit freundlichen Worten zum neuen Schuljahr.

Franziska und Verena saßen wieder einträchtig nebeneinander. In den Ferien hatten sie zwei Wochen jeden Tag gemeinsam im Schwimmbad verbracht oder waren mit den Rädern unterwegs gewesen. Verena hatte tapfer ertragen, dass sich Heiner gelegentlich zu ihnen gesellte, denn sie hoffte, dass sich das ‚Problem Heiner’ alleine klären würde, wenn Heiner nun zur Oberschule gehen würde. Zumindest in der Schule hatte sie dann Ruhe vor ihm und Franzi wieder für sich alleine.

Verena hatte versucht, aus Franzi raus zu kriegen, was an dem Morgen passiert war, als sie zum Ausflug fahren wollten. Sie war ja so erschrocken gewesen, als der Bus an ihrer Haltestelle ankam und Franzi nicht da war. Und dann hieß es, sie liegt im Krankenhaus! Aber die Freundin konnte sich selbst kaum erinnern und erklären konnte sie sich ihren Zusammenbruch so wenig, wie früher ihre Angst vor Zügen und Straßenbahnen. Doch ein paar Tage später war es ihr wieder gut gegangen und nun war das Ereignis für sie abgehakt.

Ihre Gedanken gingen in die Zukunft. In diesem Jahr würde entschieden, wer aus der Klasse zur Oberschule wechseln durfte. Das war natürlich Franzis großes Ziel, schon allein deshalb, weil Heiner jetzt dort war. Zwar hatte sie im Ferienlager einen anderen Jungen kennen gelernt, an den sie manchmal dachte, aber der war jetzt noch weiter weg als Heiner.

Franzi war auch wieder bei den Großeltern gewesen. Doch der Opa hatte diesmal für sie gar keine Zeit gehabt. Die ganze Woche über hatte er in der Gartenanlage geholfen, einen neuen Zaun zu setzen. Seine Erfahrungen als Schlosser kamen dabei gut an. Das Seltsame war nur, dass er ja dort gar keinen Garten hatte. Ihre Freundin Gabi konnte es auch nicht erklären, aber sie verriet ihr, was sie von den Eltern gehört hatte. »Der Paul ist schon ein alter Schwerenöter!«, hatte die Mutter zum Vater gesagt. Nur was das war, wusste das Mädchen auch nicht.

»Weißt du, was ein Schwerenöter ist?« schrieb Franzi auf einen Zettel und schob ihn Verena zu. Verena las die Frage und grinste. Dann schrieb sie groß »JA« drunter und schob den Zettel wieder zurück. »Und was ist es denn nun?« tuschelte Franzi der Freundin zu. Da stand Herr Kollberg neben ihnen. »Es reicht, Franziska und Verena, ihr könnt in der Pause weiter schwatzen, jetzt ist Unterricht!« Die Freundinnen guckten schuldbewusst und Franzi ließ blitzschnell den Zettel in der Hosentasche verschwinden.

Als es zur Pause klingelte, zog Franziska die Freundin in eine Ecke. »Und was denn nun?« Sie wollte das jetzt wissen. Verena grinste schon wieder. »Du hast wohl gar keine Ahnung! Das ist ein Kerl, der gleich mehrere Freundinnen hat.«

Franzi guckte ungläubig. »Das kann nicht sein. Mein Opa ist doch mit Oma verheiratet, der hat nicht mehrere Freundinnen!«

»Na dann glaubst du es eben nicht! Frag doch wen anders!« Verena war beleidigt. Da war sie einmal schlauer als die kluge Franzi und dann glaubte die ihr nicht!

Im Herbst feierte Franziska ihren 14. Geburtstag. Das war so ein bisschen wie erwachsen werden. Kurz vorher hatte sie ihren ersten Personalausweis bekommen. Nun war sie ganz offiziell ein eigenständiger Mensch, nicht mehr das bei Vater und Mutter eingetragene Kind. Die Geldböse aus echtem Leder, die ihr der Vati geschenkt hatte und in die auch der Ausweis hineinpasste, trug sie von nun an immer bei sich. Von Heiner hatte sie einen Pralinenkasten bekommen. Auch da fühlte sie sich ganz als Frau, das war doch was anderes als Milchschokolade mit Sandmannbild drauf!

Da sie sich nun in der Schule ja nicht mehr sahen, trafen Franzi und Heiner sich oft am Nachmittag, entweder zum Schwimmen oder beim Zeichenkurs, manchmal aber auch in dem kleinen Wäldchen am Rande der Stadt. Sie liefen dann Hand in Hand hinunter zum Teich und fütterten die Enten.

Eines Tages gingen sie einen schmalen, wenig benutzten Pfad, als Heiner plötzlich stehen blieb und Franzi festhielt. Im ersten Moment glaubte sie, er wolle ihr etwas zeigen. Hier gab es mitunter Milane zu sehen, die auf den nahen Feldern auf Mäusejagd gingen. Doch Heiner zog sie mit festem Griff ganz nah an sich heran. Franzi wusste später selbst nicht mehr, ob sie versuchte, sich gegen das zu wehren, was er vorhatte, doch wahrscheinlich war sie viel zu überrascht, als er seine Lippen auf ihre drückte. Sie spürte seine nasse Zunge und presste ihren Mund fest zusammen. Da hatte es schon ab und zu Zärtlichkeiten gegeben, ein Küsschen auf die Wange oder Streicheln, aber das, was er da jetzt mit ihr tat, das wollte sie nicht, noch nicht. Franziska riss sich los und lief den Berg hoch so schnell sie konnte.

»Franzi! Warte doch!«, rief Heiner ihr hinterher. Aber um nichts in der Welt hätte sie jetzt gewartet. Sie rannte, bis sie auf der belebten Hauptstraße angekommen war. Als sie die Bushaltestelle erreichte, kam ein Linienbus, sie sprang hinein, ohne zu wissen, in welche Richtung er eigentlich fuhr. Ihr war jede Richtung recht, wenn es nur von hier weg war. Am nächsten Morgen in der Schule berichtete sie Verena, was passiert war.

»Da siehst du es«, bekräftigte die Freundin ihre Meinung, »der Kerl ist ein Schwein! Du wirst ihn doch jetzt nicht wieder treffen?« Verena sah Franzi fragend an.

»Ich weiß nicht«, druckste Franzi rum. Eigentlich fehlte er ihr ja jetzt schon. Aber ein bisschen musste er schmoren, damit er wusste, dass er sie nicht ohne ihren Willen zu etwas zwingen durfte.

Am Nachmittag kam Alexander aus der Schule und brachte einen Brief mit.

»Für dich«, sagte er zu seiner Schwester. »Den hat mir so ein Typ von der Oberschule gegeben.« Alexanders Schule grenzte direkt an die Oberschule

an. »Der hat gefragt, ob ich dein Bruder bin und gesagt, ich soll den Brief nur dir geben und keinem was sagen.«

»Danke, Alex!« Franziska drückte ihrem Bruder ein Bonbon in die Hand. »Lässt du mich mal kurz allein?«

»Klar doch, ich bin ja nicht von gestern«, erwiderte Alex und stapfte in Richtung Garten.

Franzi öffnete den Brief. Sie wusste, dass er nur von Heiner sein konnte und las: »Liebe Franzi, bitte entschuldige, was gestern war. Ich wollte dich nicht erschrecken. Ich möchte dir nur gerne so nahe wie möglich sein. Aber ich kann auch noch warten, wenn du das nicht willst. Aber bitte sei mir nicht mehr böse. Ich warte am Sonnabend im Hallenbad auf dich. Ich habe dich sehr gern! Dein Heiner« Franzi faltete das Blatt wieder zusammen und schob es unter ihre Matratze. Es wäre sicherer gewesen, den Brief in den Ofen zu werfen, aber sie wollte ihn nicht vernichten, er war so lieb geschrieben, dass es in ihrem Bauch kribbelte, wenn sie ihn las. Aber die Eltern mussten das nicht unbedingt wissen.

Als Franziska und Heiner sich am Sonnabend im Bad trafen, da war die Welt fürs Erste wieder in Ordnung.

»Wie hast du denn meinen Bruder gefunden?«, wollte Franzi wissen.

Heiner rückte nicht gleich mit der Sprache raus.

»Ich, ich habe euch mal gemeinsam in der Stadt gesehen.«

»Beobachtest du mich etwa?« Schon war Franzi wieder misstrauisch.

»Nein, es war Zufall. Aber ich wusste auch nicht, ob ich dich ansprechen sollte, wenn du nicht allein warst.«

Franzi sah Heiner an und dachte an ihre Eltern. Irgendwann würden sie es doch erfahren.

Am letzten Schultag vor den Winterferien wurden die Halbjahreszeugnissen ausgegeben. Auch in der neuen Klasse hatte Franziska ihre Position erfolgreich verteidigt. Auch wenn nun neben den Einsen ein paar Zweien standen, so war sie doch eine sehr gute Schülerin und wieder Klassenbeste.

Herr Kollberg hatte eben das letzte Zeugnis ausgeteilt und nicht mit mahnenden Worten gespart, weil es einige gab, die sich bemühen mussten, das Klassenziel zu erreichen. Doch nun kam er noch zu den erfreulicheren Mitteilungen.

»Jugendfreunde«, sprach er seine Schüler an.

»Nun lüfte ich noch das Geheimnis, wer ab der 9.

Klasse zur Oberschule wechseln wird. Es sind zwei junge Damen, die es geschafft haben: Franziska Zandler und Susanne Rosen. Ich gratuliere euch! Aber erst mal bleibt ihr uns ja noch ein Halbjahr erhalten. Allen wünsche ich schöne Ferien!«

Franzi lächelte in sich hinein, als sie nach Hause ging. Sie würde nicht allein sein an der Oberschule. Mit Susanne hatte sie bisher nicht so viel zu tun gehabt, die wohnte ganz woanders und hatte ihre Freundinnen aus der Grundschule gehabt. Aber sie schien nett zu sein. Doch viel wichtiger war, dass sie dann endlich wieder mit Heiner in einer Schule war. Sie würden sich in den Pausen sehen können! Franzi hüpfte vor Freude auf und ab.

Alexander war schon zu Hause, als sie kam. Er strahlte über das ganze Gesicht, weil die Mutter sein Zeugnis gelobt hatte.

»Ich nehme an«, mutmaßte die Mutter, »es sieht gut aus bei dir.«

»Es sieht prima aus«, strahlte nun auch Franzi,

»ich habe die Empfehlung für die Oberschule!«

Die Mutter nickte. »Es war zu erwarten.« Und das Lachen auf Franzis Gesicht erstarb für einen Moment.

»Hast du es geschafft?« Fragend stand der Vater in der Tür.

»Ja, Vati!« Nun jubelte sie wieder.

»Ach, bin ich stolz auf dich! Meine Tochter eifert ihrem Vater nach, macht Abitur, wird studieren!« Doch als der Vater Franzi hoch heben und küssen wollte, da drehte sie sich weg. »Vati, ich bin kein Kind mehr!«

Franz strich seiner Tochter übers Haar und leise sagte er mehr zu sich selbst: »Nun werden wohl bald andere Männer kommen und dich küssen.«

»Darf ich heute Abend ins Kino gehen?« Franziska sah ihre Eltern fragend an.

»Was, am Abend?« Die Mutter schüttelte den Kopf.

»Bitte Vati, sag, dass ich darf!«, bettelte Franzi.

»Mit wem möchtest du denn gehen, wer geht denn noch mit?« wollte der Vater wissen.

»Na alle«, kam die wenig konkrete Antwort.

»Alle können es ja wohl nicht sein«, hielt die Mutter dagegen. »Wer noch nicht 14 ist, darf gar nicht in die 19-Uhr-Vorstellung.« Sie wusste, wie genau es die Kontrolleurin im Kino nahm. Kein Ausweis, keine Abendvorstellung. Und sie wusste auch, dass Verena noch nicht 14 Jahre alt war.

Franz sah seine Frau an. »Morgen ist Sonntag, da kann sie ausschlafen, lassen wir sie gehen.« Und zu seiner Tochter gewand: »Aber um 9 bist du wieder zu Hause!«

»Ja Vati, ich verspreche es.« Franzi fiel ihrem Vater um den Hals.

»Aber bitte enttäusche mich nicht, ich vertraue dir!«, legte er nun noch einmal seiner Tochter ans Herz.

Franziska sprang über den Flur in ihr Zimmer, um sich umzuziehen. Sie wollte besonders hübsch aussehen, auch wenn das im dunklen Kino kaum zu sehen sein würde.

Ehe die Stubentür hinter ihr ins Schloss fiel, hörte sie noch die Stimme der Mutter. »Ach ja, du vertraust ihr also. Na hoffentlich fällt der Apfel nicht zu nahe am Stamm!«

Der Satz dämpfte Franziskas Freude, doch darüber nachdenken wollte sie jetzt nicht. Ob der Vati mal die Mutti belogen hatte? Ach, es war jetzt nicht wichtig.

Im Kino lief der Film »Der grüne Bogenschütze«. Bei den spannenden Szenen kuschelte sich Franzi eng an Heiner und sie ließ es zu, dass er sie auf die Wange küsste. Und sie dachte, es war so gut, dass der Vati ihr den Kinobesuch erlaubt hatte. Wie schade wäre es gewesen, hätte Heiner vergeblich auf sie gewartet.

»Ich bringe dich noch nach Hause«, sagte Heiner nach dem Ende des Films zu Franzi. Der Weg vom Kino bis zum Haus der Eltern war nur kurz, doch Franzi widersprach ihm nicht.

»Machs gut dann!«, verabschiedete sich Franzi von Heiner an der Haustür. Franzi schloss die Tür und stieß im Flur mit den Eltern zusammen.

»Ich bin pünktlich«, verkündete sie.

»Und wer war das?« wollte die Mutter wissen.

»Das war Heiner, mein Freund.« Jetzt war es raus! Die Eltern sahen sich an. Nun war es endgültig vorbei mit dem kleinen Mädchen. Ihre Franzi wurde zur jungen Frau, sie mussten es akzeptieren.

Der Frühling hatte begonnen. Und wieder einmal stand ein Klassenausflug auf dem Plan. Franzi hatte sich schon lange vorher Gedanken gemacht, was sie dazu anziehen konnte. Die Gedanken an den Unfall im letzten Jahr hatte sie verdrängt.

»Du hast doch deinen Übergangsmantel«, machte die Mutter einen Vorschlag.

»Aber Mutti, wer zieht denn noch so was an?« Franzi zog eine Grimasse.

»Dann musst du eben die Strickjacke nehmen.« Viele Alternativen gab es nicht.

Doch Franzi hatte längst eine andere Idee.

Am Nachmittag lief sie rüber zu ihrer Oma Klara. Die hatte eine Nähmaschine. Das gute Stück hatte sogar schon einen Elektromotor. Der Mann von Oma Klara war Mechaniker gewesen und hatte den Motor bereits vor vielen Jahren angebaut. Franzi hatte den Opa nicht mehr kennen gelernt, weil er schon vor ihrer Geburt gestorben war. Seit dem lebte die Oma alleine, aber sie hatte ja Franzis Familie in der Nähe. Und Franzi war froh darüber, die Oma in der Nähe zu haben.

»Oma, darf ich mal die Nähmaschine benutzen?« bat Franziska ihre Oma.

»Aber Kind, kannst du überhaupt damit umgehen?« fragte die Oma verwundert.

»Ja, die Frau Zöllner, unsere Handarbeitslehrerin aus der Grundschule, hat es mir gezeigt. Sie hat gesagt, ich bin talentiert. Und ich habe das auch ganz rasch verstanden. Darf ich, Oma? Bitte!«, bettelte Franzi weiter.

»Was willst du denn nähen?«, wollte die Oma nun wissen.

»Ich möchte aus diesem hässlichen Mantel eine moderne Windjacke nähen!« Franziska legte den Mantel auf den Tisch.

»Hier schneide ich das ab und den Gürtel nähe ich als Bund wieder an.«

»Ach du lieber Himmel«, stöhnte die Oma. »Deine Mutter trifft der Schlag, wenn sie das sieht. Und den Ärger haben wir alle beide!«

»Aber Oma, ich kann nicht mehr mit diesem Ding rumlaufen! Du musst mir helfen, bitte!«

»Na gut, du lässt ja doch nicht locker.« Schweren Herzens erklärte sich die Oma bereit, Franzi an die Maschine zu lassen und ihre Pläne in die Tat umzusetzen.

Am nächsten Tag war es vollbracht. Stolz drehte sich Franzi vor dem großen Spiegel im Schlafzimmer. So konnte sie sich sehen lassen!

»Franziska, was ist das? Was hast du da an?« Die Mutter war ins Zimmer gekommen und sah ihre Tochter entgeistert an.

»Ist das nicht gut geworden?« Franzi wartete keine Antwort ab. »Das war mal mein Mantel.«

»Ja, das sehe ich. Aber wer hat den abgeschnitten?«

»Na ich!« Franzi strahlte.

In dem Moment kam der Vater hinzu.

»Sieh dir das an, das Kind hat den guten Mantel abgeschnitten!« Die Mutter teilte die Begeisterung ihrer Tochter in keiner Weise.

»Zeig mal her! Das sieht aber doch richtig gut aus. Und modern ist es auch.« Der Vater versuchte zwischen Mutter und Tochter zu vermitteln.

Gudrun sah ihren Mann an. »Du musst ihr wieder mal alles durchgehen lassen!«

Franziska bewegte sich langsam auf die Tür zu. Wenn das jetzt ein Streit zwischen den Eltern werden würde, wollte sie lieber nicht dabei sein.

Das Letzte, was sie noch hörte, war der Vater:

»Wahrscheinlich ist Talent doch erblich.«

Franzi überlegte. Wen meinte der Vati? Von wem kam ihr Talent? Von der Oma? Bestimmt!

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