Читать книгу Helene - Иван Тургенев - Страница 5
V
ОглавлениеBis in die Nacht hinein kam Schubin nicht aus seinem Zimmer. Es war schon ganz dunkel geworden, der Mond stand hoch am Himmel, die Milchstraße leuchtete und die Sterne flimmerten, als Berßenjew, nachdem er von Anna Wassiljewna, Helene und Zoë Abschied genommen hatte, an die Thür seines Freundes trat. Er fand sie verschlossen und klopfte an.
– Wer da? ließ sich Schubin‘s Stimme vernehmen.
– Ich bin’s« gab Berßenjew zur Antwort.
– Was willst Du?
– Laß mich ein, Pawel, höre auf zu schmollen; schämst Du Dich nicht?
– Ich schmolle nicht, ich schiefe und sehe im Traume Zoë’s Bild.
– So höre doch auf. Du bist ja kein Kind. Laß mich hinein, ich muß mit Dir sprechen.
– Hast Du Dich denn noch nicht sattgesprochen mit Helene?
– Nun höre endlich auf; laß mich ein!
Schubin stellte sich schnarchend. Berßenjew zuckte die Achseln und entfernte sich.
Die Nacht war warm und ganz besonders still, als ob Alles rings umher aus ein Unbekanntes lauschte und Wache stünde; auch Berßenjew, umfangen von dem unbeweglichen Dunkel, blieb unwillkürlich stehen, lauschte gleichfalls und stand Wache. Ein leichtes Rauschen, dem Rauschen eines seidenen Gewandes vergleichbar, ließ sich von Zeit zu Zeit in den Wipfeln der nächsten Bäume vernehmen und erregte in Berßenjew eine angenehme und beängstigende Empfindung, ja etwas wie Furcht. Ein leichter Schauer überflog seine Wangen, seine Augen wurden von kalten Thränen plötzlich feucht; ihm dünkte, er müsse so leise wie möglich auftreten, sich verbergen, fortschleichen. Da strich ein scharfer Hauch an ihm vorüber: er fuhr zusammen und war fast wie versteinert; ein schläfriger Käfer fiel aus den Zweigen zu seinen Füßen nieder; ein leises Ah! entschlüpfte Berßenjew’s Lippen von Neuem blieb er stehen. Er begann an Helene zu denken, und mit einem Male waren jene zufälligen Eindrücke vermischt: es blieb nur die belebende Empfindung der nächtlichen Kühle und des nächtlichen Spazierganges zurück; das Bild des jungen Mädchens erfüllte ganz seine Seele. Gesenkten Kopfes schritt Berßenjew fort und dachte an ihre Worte und Fragen. Auf ein Mal glaubte er rasche Fußtritte hinter sich zu hören. Er lauschte: es kam Jemand gelaufen, man wollte ihn einholen, ein unterbrochenes Athemholen konnte er schon hören; da tauchte plötzlich aus dem schwarzen Schatten eines großen Baumes, ohne Mütze auf dem zerwühlten Haare, ganz bleich im Lichte des Mondes, Schubin vor ihm auf.
– Es freut mich, daß Du diesen Weg gegangen bist, brachte er außer Athem hervor, – ich hätte die ganze Nacht nicht geschlafen, wenn ich Dich nicht eingeholt hätte. Gieb mir die Hand. Du gehst jetzt nach Hause?
– Ja, nach Hause.
– Ich werde Dich begleiten.
– Ohne Mühe?
– Thut nichts. Ich habe auch das Halstuch abgenommen. Es ist jetzt warm.
Die Freunde gingen einige Schritte weiter.
– Nicht wahr, ich bin heute ein Narr gewesen? fragte Schubin plötzlich.
– Aufrichtig gesagt, ja. Ich habe Dich nicht begreifen können. So habe ich Dich noch nie gesehen. Und worüber bist Du in Zorn gerathen, lohnte sich’s denn! Um solche Kleinigkeiten?
– Hm, murmelte Schubin. Das sagst Du, für mich sind es aber, keine Kleinigkeiten. Siehst Du, setzte er hinzu, – ich muß es Dir bekennen, ich . . . ich . . . denke von mir was Du willst . . . ich . . . nun ja denn! ich liebe Helene.
– Du liebst Helene! wiederholte Berßenjew.
– Nun ja, sagte Schubin mit affectirter Gleichgültigkeit. Das nimmt Dich Wunder? Ich will Dir noch mehr sagen. Bis zum heutigen Abend durfte ich hoffen, daß auch sie mich mit der Zeit lieben werde. Heute aber habe ich die Ueberzeugung gewonnen, daß ich auf nichts zu hoffen habe. Sie hat einen Anderen liebgewonnen.
– Einen Anderen? Wen denn?
– Wen? Dich! rief Schubin aus und gab Berßenjew einen Schlag auf die Schulter.
– Mich?
– Dicht wiederholte Schubin.
Berßenjew that einen Schritt zurück und blieb regungslos stehen. Schubin beobachtete ihn scharf.
– Und das wundert Dich? Du bist ein bescheidener Jüngling. Sie liebt Dich aber doch, darauf kannst Du Dich verlassen.
– Was Du für Unsinn schwatzst! sagte endlich Berßenjew ärgerlich.
– Keinen Unsinn, nein. Doch warum bleiben wir stehen? Laß uns weiter gehen. Es spricht sich besser im Gehen. Ich kenne sie schon lange, und kenne sie gut. Ich kann mich nicht täuschen. Sie hat Geschmack an Dir gefunden. Es war eine Zeit, wo ich ihr gefiel; aber erstens bin ich ihr ein gar zu leichtfertiger junger Bursche, Du hingegen bist ein ernster Kopf, bist moralisch und physisch eine anständige Persönlichkeit, Du . . . warte etwas, ich bin noch nicht fertig . . . Du bist ein gewissenhaft-gemäßigter Enthusiast, Du bist ein wahrer Repräsentant jener Priester der Wissenschaft, auf die . . . nein, nicht auf die . . . auf welche die Klasse des mittleren russischen Adels mit vollem Rechte stolz ist! Und zweitens hat Helene mich neulich ertappt, wie ich Zoë die Hände küßte.
– Zoë?
– Ja wohl, Zoë. Was ist dabei zu machen? Sie hat so schöne Schultern.
– Schultern?
– Nun ja, Schultern, Hände, ist das nicht einerlei? Helene überraschte mich bei dieser freien Beschäftigung nach der Mittagstafel, und vor dem Essen hatte ich über Zoë losgezogen. Helene begreift leider nicht, wie natürlich dergleichen Widersprüche sind. Da kommst Du nun dazu: Du mit Deinem Glauben an . . . ja« an was glaubst Du denn gleich? . . . Du wirst gleich roth, verwirrt, sprichst von Schiller, Schelling (sie ist ja wie versessen aus merkwürdige Männer), nun und der Sieg ist Dein, und ich Unglückseliger versuche zu scherzen und . . . und . . . dabei . . .
Schubin brach plötzlich in Thränen aus, ging auf die Seite, setzte sich auf den Boden und griff mit beiden Händen ins Haar.
Berßenjew trat an ihn heran.
– Pawel, begann er, was soll diese Kinderei? Ums Himmelswillen! Was hast Du denn heute? Der Himmel weiß, was für ein Unsinn Dir in den Kopf gekommen ist, und Du weinst. Wahrhaftig, mir scheint, Du spielst Komödie.
Schubin erhob den Kopf. Im Scheine des Mondes glänzten Thränen auf seinen Wangen, sein Gesicht lächelte jedoch.
– Andrei Petrowitsch, nahm er das Wort, Du kannst von mir denken, was Dir beliebt. Ich will sogar zugeben, daß mich in diesem Augenblicke die Hysterie gepackt hat; ich bin aber, bei Gott, in Helene verliebt und Helene liebt Dich. Uebrigens versprach ich Dir, Dich bis nach Hause zu begleiten, ich muß mein Versprechen halten.
Er stand auf.
– Welch eine Nacht! Wie silberglänzend, wie dunkel, wie jugendfrisch! Wie wohl ist jetzt denen, die geliebt werden! Wie freuen sie sich, nicht zu schlafen! Du wirst schlafen, Andrei Petrowitsch?
Berßenjew gab keine Antwort und beeilte seine Schritte.
– Wohin eilst Du? fuhr Schubin fort. Glaube meinen Worten, eine solche Nacht wird sich in Deinem Leben nicht wiederholen und zu Hause wartet Deiner Schelling. Es ist wahr, er hat Dir heute einen guten Dienst erwiesen; doch laufe deshalb nicht so. Singe wenn Du es verstehst, singe noch lauter, wenn Du es nicht verstehst . . . zieh den Hut ab, wirf den Kopf zurück, lächele die Sterne an. Sie alle blicken Dich an, Dich nur allein; weiter haben sie nichts zu thun, die Sterne, als nur Verliebte anzublicken . . . darum sind sie auch so wunderschön. Du bist ja doch verliebt, Andrei Petrowitsch? . . . Du antwortest mir nicht . . . Warum giebst Du keine Antwort? fuhr Schubin wieder fort. O, wenn Du Dich glücklich fühlst, dann schweige, schweige! Ich, ich schwatze, weil mir’s den Hals zuschnürt, ich werde nicht geliebt, ich bin ein Taschenspieler, ein Artist, ein Possenreißer; aber welch stilles Entzücken zöge ich bei diesem nächtlichen Fächeln, unter dieser Sternendecke, unter diesen Brillanten in mich ein, wüßte ich mich geliebt! . . . Berßenjew, bist Du glücklich?
Berßenjew verharrte in Schweigen und schritt eilig aus dem ebenen Wege weiter. In der Ferne glänzten durch die Bäume die Lichter des Dorfes, in dem er wohnte; es bestand im Ganzen aus etwa zehn kleinen Landhäusern. Ganz im Anfange desselben, rechts vom Wege ab, unter zwei weitästigen Birkenbäumen, befand sich eine kleine Bude mit Hökerwaaren; die Fenster derselben waren alle bereits geschlossen, nur ein breiter Lichtstreifen fiel fächerartig aus der geöffneten Thür auf das zertretene Gras und die unteren Theile der Bäume und beleuchtete grell die weißliche Rückseite des dichten Laubes. Ein Mädchen, dem Anschein nach eine Kammerzofe, stand in der Bude, mit dem Rücken zur Thüre gewandt und handelte um etwas mit dem Krämer; unter dem rothen Tuche, das sie über den Kopf geworfen hatte und mit entblößtem Arme am Kinn zusammenhielt, waren ihre vollen Wangen und ihr schlanker Hals kaum zu bemerken. Die jungen Leute traten in den Lichtkreis; Schubin warf einen Blick in das Innere der Bude, blieb stehen und rief: Annuschka! Das Mädchen wandte sich rasch um. Es zeigte sich ein liebliches, etwas breites, aber frisches Gesicht mit heiteren, braunen Augen und schwarzen Augenbrauen. Annuschka! rief Schubin wieder. Das Mädchen sah ihn forschend an, erschrak, wurde verlegen . . . und, ohne ihren Einkauf zu beschließen, sprang sie die Stufen hinab, schlüpfte gewandt vorbei und ging mit kaum merklichem Seitenblick über den Weg links ab. Der Krämer, ein dicker und für Alles auf der Welt gleichgültiger Mensch, wie es alle Landhöker sind, rief ihr gähnend nach, Schubin aber wandte sich zu Berßenjew mit den Worten: Das . . . das, siehst Du . . . ich habe hier eine bekannte Familie . . . bei ihnen nun . . . glaube Du nur nicht . . . und ohne seine Rede zu Ende zu bringen lief er dem sich entfernenden Mädchen nach.
– Wische doch wenigstens Deine Thränen ab, rief ihm Berßenjew, der sich des Lachens nicht enthalten konnte, nach. Als er aber zu Hause angelangt war, hatte sein Gesicht kein heiteres Aussehen; er lachte nicht mehr. Er hatte den Worten Schubin’s keinen Augenblick Glauben geschenkt, sie waren aber doch tief in seine Seele gedrungen. Pawel wollte mich zum Besten haben, dachte er, . . . einmal wird sie aber doch Jemand lieben . . . Wen wird sie lieben?
Berßenjew hatte in seinem Zimmer ein Clavier, es war nicht groß und nicht neu, doch von weichem und angenehmem, wenn auch nicht ganz reinem Tone. Berßenjew setzte sich an dasselbe und schlug einige Arcorde an. Gleich allen russischen Edelleuten hatte er in seiner Jugend Musik gelernt und spielte auch, wie fast alle unter ihnen, grundschlecht, liebte jedoch leidenschaftlich Musik. Es war, streng genommen, nicht die Kunst, die er an ihr liebte, nicht die Formen, die ihr zum Ausdrucke dienen (Symphonien und Sonaten, ja selbst Opern stimmten ihn traurig), sondern das Element derselben: er liebte jene unbestimmten und angenehmen, jene gegenstandslosen und Alles umfassenden Eindrücke, welche der harmonische Uebergang der Töne in der Seele erregt. Ueber eine Stunde blieb er vor dem Clavier, wiederholte mehrere Male dieselben Acrorde, versuchte sich unbeholfen an neuen und stockte oft, bei den verkürzten Septimen gern verweilend. Sein Herz war schwer und mehr als ein Mal traten ihm Thränen in die Augen. Er schämte sich derselben nicht: er vergaß sie im Dunkeln. Pawel hat Recht, dachte er, ich fühle es: dieser Abend kehrt nicht wieder. Endlich stand er auf, zündete ein Licht an, zog den Schlafrock über, holte von einem Bücherbrette den zweiten Theil von Raumer‘s Geschichte der Hohenstaufen – seufzte ein paar Male und vertiefte sich in seine Lectüre.