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VII

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Am folgenden Tage, gegen zwölf Uhr, fuhr Berßenjew mit einem Retourwagen nach Moskau. Er hatte Geld auf der Post zu heben, wollte sich einige Bücher kaufen und bei dieser Gelegenheit Inßarow besuchen, mit dem er Einiges zu besprechen hatte. Während der letzten Unterhaltung mit Schubin war Berßenjew der Gedanke gekommen, Inßarow zu sich aufs Land einzuladen. Er fand denselben jedoch nicht sogleich; Inßarow war aus seiner früheren Wohnung in eine andere übergezogen, zu welcher der Zutritt nicht leicht war; die Wohnung befand sich auf dem hinteren Hofe eines häßlichen, steinernen Hauses, das in petersburger Geschmack, zwischen dem Arbat und der Powarskaja erbaut war. Vergeblich schleppte sich Berßenjew von einer der schmutzigen Aufgangstreppen zur anderen, vergeblich war sein Rufen nach dem Hausknecht oder »sonst Jemandem.« Schon die Hausknechte Petersburgs entziehen sich nach Möglichkeit den Blicken der Fremden, in Moskau erst vollends; Niemand antwortete auf Berßenjew‘s Rufen; ein einziger neugieriger Schneider, in Hemdärmeln und Weste, ein Gebind grauen Zwirns um den Hals, streckte schweigend sein fahles, unrasirtes Gesicht mit blau geschlagenem Auge zum hohen Luftloch hinaus; eine schwarze Ziege ohne Hörner, die auf einem Misthaufen stand, drehte mit kläglichem Gemecker den Kopf und setzte mit vermehrter Hast ihr Wiederkäuen fort. Endlich erbarmte sich eine Frau in alter Saloppe und abgetretenen Stiefeln Berßenjew‘s und wies ihm die Wohnung Inßarow’s. Berßenjew traf ihn zu Hause. Er bewohnte ein Zimmer bei jenem Schneider, der so gleichgültig aus dem Luftloche Berßenjew‘s Verlegenheit angesehen hatte . . . das Zimmer war groß, fast leer, mit dunkelgrünen Wänden, drei viereckigen Fenstern, einem kleinen Bett in der einen, einem kleinen ledernen Divan in einer anderen Ecke und einem großen leeren Käfige hart an der Decke, den vor Zeiten eine Nachtigall bewohnt hatte. Inßarow trat dem Gaste an der Schwelle entgegen; aber nicht mit einem »Ah« Sie sind es!« oder »Ach Du mein Gott! durch welchen Zufall?« er sagte ihm nicht einmal »Guten Tag« sondern drückte ihm einfach die Hand und führte ihn zum einzigen Stuhl, der sich im Zimmer befand.

– Setzen Sie sich, sagte er, und nahm selbst auf einer Ecke des Tisches Platz.

– Es ist bei mir noch Alles in Unordnung, wie Sie sehen, fuhr Inßarow fort, indem er auf einen Stoß Papiere und Bücher auf dem Fußboden deutete; ich habe mich noch nicht gehörig eingerichtet. Es hat mir an Zeit dazu gefehlt.

Inßarow sprach das Russische vollkommen richtig, betonte jedes Wort fest und rein; doch lag in seiner Kehlstimme, die übrigens angenehm klang, etwas Fremdartiges. Inßarow’s ausländische Herkunft (er war Bulgare) bekundete sich noch auffallender in seinem Aeußeren; er war ein junger Mann von fünfundzwanzig Jahren, hager und sehnig, mit eingefallener Brust und starkgelenkigen Fingern; die Gesichtszüge waren scharf, er hatte eine gebogene Nase, schwarzes, ins Blaue schillerndes, straffes Haar, eine niedrige Stirn, kleine starrblickende, tiefliegende Augen und dichte Augenbrauen; wenn er lächelte, kamen herrliche weiße Zähne auf einen Augenblick hinter den feinen, harten, gar zu scharfgeschnittenen Lippen zum Vorschein. Er hatte einen abgetragenen, aber reinlichen, bis an den Hals zugeknöpften Rock an.

– Warum haben Sie Ihre frühere Wohnung verlassen? fragte ihn Berßenjew.

– Diese ist billiger; sie liegt auch der Universität näher.

– Jetzt sind aber Ferien . . . Und wie kann es Ihnen Vergnügen machen, im Sommer in der Stadt zu wohnen! Sie hätten sich auf dem Lande einmiethen sollen, da Sie doch Ihre Wohnung aufgaben.

Inßarow erwiederte auf diese Bemerkung nichts und bot Berßenjew eine Pfeife an, indem er hinzufügte: Entschuldigen Sie, ich habe weder Papyros noch Cigarren.

Berßenjew zündete die Pfeife an.

– Ich habe es so gemacht, fuhr er fort, habe mir ein Häuschen bei Kunzowo gemiethet. Sehr billig und sehr bequem. Es ist sogar oben ein überflüssiges Zimmer da.

Inßarow antwortete wieder nichts.

Berßenjew that einen Zug aus der Pfeife.

– Es ist mir der Gedanke gekommen, fuhr er dann fort, indem er den Rauch als dünnen Strahl wieder ausstieß, wenn sich zum Beispiel Jemand fände . . . der Lust hätte, zum Beispiel Sie, habe ich gedacht . . . oder sich dazu verstehen wollte, sich’s dort oben bei mir bequem zu machen . . . wie wäre das schön! Was meinen Sie dazu, Dmitri Nikanorowitsch?

Inßarow blickte ihn mit seinen kleinen Augen an.

Sie machen mir den Vorschlag, bei Ihnen auf dem Lande zu wohnen? – Ja; ich habe dort oben ein Zimmer übrig.

– Danke sehr, Andrei Petrowitsch; ich glaube jedoch, meine Mittel werden es mir nicht erlauben.

– Was heißt das . . . nicht erlauben?

– Sie erlauben mir nicht auf dem Lande zu wohnen. Zwei Wohnungen kann ich nicht bestreiten.

– Ich meinte ja . . . fing Berßenjew an und stockte. Es würde Ihnen keine weiteren Kosten verursachen, fuhr er fort. Diese Wohnung hier, wollen wir sagen, würden Sie behalten; dafür ist nun Alles dort sehr billig; wir könnten es zum Beispiel so machen, so einrichten, daß wir gemeinschaftlichen Tisch hielten.

Inßarow schwieg. Berßenjew wurde verlegen.

– Besuchen Sie mich wenigstens bei Gelegenheit, begann er nach einer kleinen Pause. Ganz in der Nähe von mir wohnt eine Familie, mit welcher ich Sie gern bekannt machen möchte. Was für ein herrliches Mädchen da ist, wenn sie wüßten, Inßarow! Auch wohnt dort ein guter Freud von mir, ein Mensch von großem Talent; ich bin überzeugt, Sie werden einander gefallen. (Der Russe ist sehr gastlich und liebt es, mit seinen Bekanntschaften aufzuwarten.) Wirklich, kommen Sie. Aber noch besser, ziehen Sie herüber zu uns, wahrhaftig. Wir könnten zusammen arbeiten, lesen . . . Sie wissen, mein Fach ist Geschichte, Philosophie. Alles dies interessirt Sie, ich habe eine Menge Bücher.

Inßarow stand auf und ging im Zimmer umher. Darf ich wissen, fragte er endlich, wie viel zahlen Sie für Ihr Landhaus?

– Hundert Rubel Silber.

– Und wie viel Zimmer sind im Ganzen dort?

– Fünf.

– Folglich würde, wohlgerechnet, ein Zimmer zwanzig Rubel kosten?

– Wohlgerechnet . . . Aber bedenken Sie nur, es ist mir ganz überflüssig. Es steht ganz leer.

– Das kann sein; hören Sie aber, setzte Inßarow mit einer entschiedenen und dabei gutmüthigen Bewegung des Kopfes hinzu, ich kann nur in dem Falle auf Ihren Vorschlag eingehen, wenn Sie einwilligen, laut Berechnung Zahlung von mir anzunehmen. Zwanzig Rubel bin ich im Stande zu zahlen, um so mehr, da Ihrer Aussage nach ich an anderen Dingen werde sparen können.

– Freilich; aber in der That, ich mache mir ein Gewissen daraus . . .

– Anders geht es nicht, Andrei Petrowitsch.

– Nun, wie Sie wollen; sind Sie aber eigensinnig!

Inßarow antwortete auch hieraus nichts.

Die jungen Männer bestimmten den Tag, an welchem Inßarow überziehen sollte. Es ward der Wirth gerufen; er schickte jedoch zuvor sein Töchterchen, ein Kind von sieben Jahren, mit einem großen, bunten Tuche auf dem Kopfe; aufmerksam, fast mit Schrecken, hörte sie Alles, was ihr Inßarow sagte, an, und entfernte sich schweigend; gleich nach ihr erschien ihre Mutter, hochschwanger und gleichfalls mit einem Tuche, aber einem ganz kleinen, auf dem Kopfe. Inßarow erklärte ihr, er fahre aufs Land in die Umgebung von Kunzowo, behalte indessen die Wohnung und übergehe alle seine Effekten ihrer Aufsicht; die Schneidersfrau schien ebenfalls in Schreck zu gerathen und ging hinaus. Endlich kam der Wirth; dieser schien anfänglich Alles begriffen zu haben und sagte blos nachsinnend: In die Umgebung von Kunzowo? nachher aber riß er plötzlich die Thür auf und rief: Behalten Sie die Wohnung? Inßarow beruhigte ihn. Man muß es doch wissen, wiederholte der Schneider barsch und verschwand.

Berßenjew kehrte, sehr zufrieden mit dem Erfolge seines Vorschlages, wieder zurück. Inßarow gab ihm, mit einer in Rußland wenig gebräuchlichen, liebenswürdigen Höflichkeit das Geleite bis an die Thür, legte, als er allein geblieben war, sorgfältig seinen Rock ab und begann seine Papiere zu ordnen.

Helene

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