Читать книгу Helene - Иван Тургенев - Страница 8
VIII
ОглавлениеAm Abend desselben Tages saß Anna Wassiljewna in ihrem Empfangszimmer und sammelte sich zum Weinen. Im Zimmer befanden sich außer ihr ihr Gatte und ein gewisser Uwar Iwanowitsch Stachow, ein weitläufiger Oheim Nikolai Artemjewitsch’s, Cornet außer Diensten, sechzig Jahre alt, ein Mann, der sich vor Feistheit kaum bewegen konnte, mit kleinen, schläfrigen, gelben Augen und farblosen dicken Lippen im gelben und fetten Gesicht. Seit seinem Austritt aus dem Dienste lebte er beständig in Moskau von den Zinsen eines kleinen Capitals, das ihm seine Frau, eine Kaufmannstochter, hinterlassen hatte. Er trieb nichts und dachte wohl nicht mehr, und was er je dachte, behielt er für sich. Nur einmal in seinem Leben war er in Aufregung gerathen und hatte Thätigkeit entwickelt; er hatte nämlich in der Zeitung von einem neuen Instrumente auf der londoner Ausstellung, einem »Contra-bombardon« gelesen, den Wunsch geäußert, sich dies Instrument kommen zu lassen und sich sogar erkundigt, an wen das Geld adressirt und durch welches Comptoir es abgesandt werden müsse. Uwar Iwanowitsch trug einen weiten Oberrock von Tabakssarbe und ein weißes Halstuch, aß häufig und viel und machte in allen schwierigen Fällen, das heißt jedes Mal, wenn es an ihm gewesen wäre, seine Meinung über etwas zu sagen, in der Luft convulsivische Bewegungen mit den Fingern der rechten Hand, anfangs vom Daumen zum kleinen Finger, dann vom kleinen Finger zum Daumen, wobei er mit Anstrengung hinzusetzte: »Man müßte . . . irgendwie, so . . . oder so . . .«
Uwar Iwanowitsch saß in einem Lehnstuhle am Fenster und athmete schwer. Nikolai Artemjewitsch ging mit großen Schritten im Zimmer auf und ab, die Hände in den Taschen; sein Gesicht drückte Unzufriedenheit aus.
Er blieb endlich stehen und schüttelte den Kopf. Ja, begann er, zu unserer Zeit waren die jungen Leute anders erzogen. Junge Leute erlaubten sich nicht gegen ältere zu manquiren. Er sprach die Sylbe »man«, nach Art der Franzosen, durch die Nase.) Jetzt aber sperre ich vor Erstaunen die Augen weit auf. Vielleicht haben sie und nicht ich Recht; vielleicht. Ich habe aber doch auch meine persönlichen Ansichten; ich bin doch nicht als Dummkopf auf die Welt gekommen. Was halten Sie davon, Uwar Iwanowitsch?
Uwar Iwanowitsch sah ihn blos an und ließ seine Finger spielen.
– Helene Nikolajewna zum Beispiel, fuhr Nikolai Artemjewitsch fort, Helene Nikolajewna begreife ich freilich nicht. Ich bin für sie nicht hoch genug. Ihr Herz ist so weit, daß es die ganze Natur umfaßt, bis auf die kleinste Schabe, den kleinsten Frosch, mit einem Worte Alles, ihren leiblichen Vater ausgenommen. Nun schön; ich weiß es und mische mich nicht hinein. Da kommen die Nerven und die Gelehrsamkeit und das Schweben in den Lüften, von allem dem verstehen wir nichts. Daß aber Herr Schubin . . . und wenn er auch ein merkwürdiger, außerordentlicher Künstler ist, wogegen ich nichts zu sagen habe, wenn er sich gegen einen älteren Mann vergißt, gegen einen Mann, dem er doch, man kann wohl sagen, viel zu verdanken hat . . . das, muß ich gestehen, kann ich dann dans mon gros sense nicht zugeben. Ich bin von Natur nicht geneigt. zu viel zu verlangen, gewiß nicht; es giebt aber in allen Dingen ein Maß.
Anna Wassiljewna schellte mit Aufregung. Ein Dienstbursche trat herein.
– Warum kommt Pawel Jakowlewitsch nicht? fragte sie. Ich rufe, ich rufe – und er kommt nicht!
Nikolai Artemjewitsch zuckte die Achseln.
– Weshalb aber, ich bitte Sie, wollen Sie ihn rufen lassen? Ich fordere es durchaus nicht, wünsche es nicht einmal.
– Sie fragen weshalb? Nikolai Artemjewitsch! Er hat Ihnen Unruhe verursacht; vielleicht Ihnen in Ihrer Brunnencur Nachtheil gebracht. Ich muß mit ihm sprechen. Ich will wissen, wodurch er sich Ihren Zorn zugezogen hat.
– Ich sage Ihnen, ich verlange es nicht. Und warum müssen Sie . . . devant les domestiques . . .
Anna Wassiljewna erröthete leicht.
– Sie thun mir Unrecht, wenn Sie so reden, Nikolai Artemjewitsch. Ich werde niemals . . . devant . . . les domestiques . . . Geh Feduschka, daß Du mir sogleich Pawel Jakowlewitsch herrufst.
Der Junge entfernte sich.
– Das ist Alles ganz und gar nicht nöthig, sagte Nikolai Artemjewitsch durch die Zähne und begann wieder im Zimmer umherzugehen. Das lag ja durchaus nicht in meinen Worten.
– Aber ich bitte Sie, Paul muß sich bei Ihnen entschuldigen.
– Aber ich bitte Sie, wozu brauche ich seine Entschuldigungen? Und was heißt denn Entschuldigung? Das sind nichts als Phrasen.
– Wozu? fragen Sie. Er muß eine Zurechtweisung erhalten.
– Die mögen Sie ihm selbst ertheilen. Ihnen wird er eher gehorchen. Ich habe nichts gegen ihn.
– Nein, Nikolai Artemjewitsch, Sie sind heute, seit Sie hierher gekommen sind, nicht gut bei Laune. Mich däucht, Sie haben in dieser letzten Zeit sogar etwas abgenommen. Ich befürchte, die Cur schlägt bei Ihnen nicht gut an.
– Ich bedarf durchaus dieser Cur, bemerkte Nikolai Artemjewitsch; meine Leber ist nicht in Ordnung.
In diesem Momente trat Schubin herein. Er schien ermüdet. Ein leichtes, fast spöttisches Lächeln schwebte um seine Lippen.
– Sie haben nach mir gefragt, Anna Wassiljewna? sagte er.
– Ja, gewiß habe ich nach Dir gefragt. Aber Paul, ich bitte Dich, das ist ja schrecklich. Ich bin sehr unzufrieden mit Dir. Wie hast Du Dich gegen Nikolai Artemjewitsch vergessen können?
– Nikolai Artemjewitsch hat bei Ihnen über mich geklagt? fragte Schubin und warf mit demselben spöttischen Lächeln einen Blick aus Stachow. Dieser wandte sich ab und senkte die Augen zu Boden.
– Ja, er hat über Dich geklagt. Ich weiß nicht, was Du gegen ihn verschuldet hast, Du mußt ihn aber gleich um Entschuldigung bitten, seine Gesundheit ist jetzt sehr zerrüttet und dann müssen wir Alle, so lange wir jung sind, unseren Wohlthätern Achtung erweisen.
– Oh Logik! dachte Schubin und wandte sich gegen Stachow. Ich bin bereit, Sie um Entschuldigung zu bitten, Nikolai Artemjewitsch, sagte er mit einer kurzen, höflichen Verbeugung, wenn ich Sie wirklich durch irgend etwas beleidigt hätte.
– Ich hatte . . . durchaus nicht, entgegnete Stachow immer noch den Blicken Schubin‘s ausweichend. Ich verzeihe Ihnen übrigens gern, denn Sie wissen, ich bin gar nicht difficil.
– Oh, das unterliegt durchaus keinem Zweifel! sagte Schubin. Erlauben Sie mir aber die Frage, ist es auch Anna Wassiljewna bekannt, worin mein Vergehen besteht?
– Nein, ich weiß Nichts, bemerkte Anna Wassiljewna, und streckte neugierig den Hals vor.
– O mein Gott! rief ungeduldig Nikolai Artemjewitsch: wie viele Male habe ich schon gebeten, gefleht, wie viele Male gesagt, wie verhaßt mir alle diese Erklärungen und Scenen sind! Kommt Unsereiner ein Mal nach langer Zeit nach Hause und glaubt auszuruhen, – man spricht ja immer von: Familienkreis, intérieur, Familienvater, – gleich giebt es Scenen und Unannehmlichkeiten. Keine Minute Ruhe! Man mag wollen oder nicht, man fährt in den Club oder . . . oder sonst irgend wohin. Der Mensch ist ja ein lebendes Wesen, er hat doch physische Bedürfnisse, und da will man . . .
Und ohne seine Rede zu Ende zu bringen, verließ Stachow rasch das Zimmer und warf die Thür zu. Anna Wassiljewna folgte ihm mit dem Blicke. In den Club? sagte sie mit bitterer Miene leise, – es ist nicht der Club, wohin Sie fahren, flatterhafter Mensch! Im Club giebt’s Niemand, dem man Pferde aus dem eigenen Gestüte schenkt – noch dazu Grauschimmel! Meine liebste Farbe. Nein, nein, leichtfertiger Mann, setzte sie schon lauter hinzu, – nicht in den Club fahren Sie. Und Du, Paul, fuhr sie fort und erhob sich von ihrem Sitze, – schämst Du Dich gar nicht? Du bist doch kein kleines Kind. Da habe ich wieder Kopfweh bekommen. Wo ist Zoë, weißt Du nicht, wo sie ist?
– Sie ist, glaube ich, oben auf ihrem Zimmer. Das schlaue Füchslein verkriecht sich bei solchem Unwetter immer in seinen Bau.
– Oh, bitte, bitte! – Anna Wassiljewna tastete suchend rings um sich her. Mein Gläschen mit geriebenem Meerrettig, hast Du es nicht gesehen? Paul, thue mir den Gefallen, ärgere mich in Zukunft nicht mehr.
– Wie könnte ich das, Tantchen? Lassen Sie mich Ihr Hündchen küssen. Den Meerrettig habe ich im Cabinet, auf dem Tischchen gesehen.
– Die Darja läßt ihn auch immer irgendwo stehen, seufzte Anna Wassiljewna, und rauschte in ihrem seidenen Kleide ab.
Schubin wollte ihr folgen, blieb jedoch stehen, als er hinter sich die träge Stimme Uwar Iwanowitsch’s vernahm.
– Dich . . . Gelbschnabel . . . sollte . . . man . . . anders . . . abfertigen; sagte in gebrochener Rede der Cornet außer Diensten.
Schubin trat zu ihm. Und weshalb sollte man mich, abfertigen, ehrenwerther Uwar Iwanowitsch?
– Weshalb? Bist jung, mußt ehrerbietig sein, Ja.
– Gegen wen?
– Gegen wen? Das versteht sich von selbst. Ja, grinse nur.
Schubin kreuzte die Arme über einander.
– Oh, Sie Repräsentant des Chors in der Tragödie, rief er aus, – Sie Schwarzerdenproduct, Sie Grundfeste des gesellschaftlichen Baues!
Uwar Iwanowitsch ließ seine Finger spielen.
Genug, mein Junge, laß ab.
– Da sitzt er, fuhr Schubin fort, an Jahren offenbar kein junger Edelmann mehr, und wie viel glücklichen, kindlichen Glauben birgt er noch in sich! Achtung haben! Wissen Sie aber auch, Sie Elementarmensch, weshalb mir Nikolai Artemjewitsch zürnt? Ich habe den ganzen heutigen Morgen mit ihm bei seinem deutschen Liebchen zugebracht; wir haben heute unser drei: »Verlaß mich nicht, gesungen; das hätten Sie hören müssen. Das zieht bei Ihnen, denke ich, ja auch. Wir sangen also, mein bester Herr, und sangen, – nun, das wurde mir langweilig; ich sehe, es wird nicht gut, die Zärtlichkeit wird zu arg. Ich begann die Beiden zu necken. Da ging es los! Zuerst wurde sie auf mich böse, dann auf ihn; dann wurde er auf sie böse, und sagte ihr, nur zu Hause fühle er sich glücklich und dort sei sein Paradies; sie aber erwiederte, er habe keine Moral, und ich fügte auf deutsch hinzu: »Ach!« Er ging davon; ich blieb da. Da ist er nun hergekommen in sein Paradies, und es wird ihm ganz übel darin. Darum brummte er auch jetzt. Wohlan, rund heraus, wer ist schuld?
– Natürlich Du, erwiederte Uwar Iwanowitsch.
Schubin blickte ihn scharf an. – Darf ich mir die Freiheit nehmen, ehrenhafter Ritter, die Frage an Sie zu richten, – sagte er mit unterwürfiger Stimme, – waren die räthselhaften Worte, die Sie so eben auszusprechen geruhten, das Ergebniß irgend einer Kombination Ihrer Denkfähigkeiten, oder der Ausdruck eines momentanen Bedürfnisses, eine Lufterschütterung, einen sogenannten Schall hervorzubringen?
– Laß mich in Ruhe, stöhnte Uwar Iwanowitsch.
Schubin lachte auf und lief hinaus. – He, rief eine Viertelstunde später Uwar Iwanowitsch, bringt mir . . . ein Gläschen Branntwein.
Ein kleiner Diener brachte auf einem Präsentirteller Branntwein mit dem zugehörigen Imbiß. Uwar Iwanowitsch nahm langsam das Glas mit Branntwein vom Präsentirteller und heftete seinen Blick lange mit gespannter Aufmerksamkeit darauf, als ob er im Zweifel sei, was er eigentlich in der Hand habe. Dann blickte er den Jungen an und richtete die Frage an ihn, ob er nicht Waßka heiße. Dann machte er eine betrübte Miene, trank das Glas aus, aß etwas dazu und zog sein Schnupftuch aus der Tasche. Der Junge hatte schon längst Teller und Branntwein an seinen Ort zurückgestellt und die Ueberreste von Hering aufgegessen, war auch schon, auf einen Paletot der Herrschaft niedergekauert, eingeschlummert, als Uwar Iwanowitsch immer noch sein Taschentuch mit gespreizten Fingern vor sich hielt und mit der gleichen angestrengten Aufmerksamkeit bald zum Fenster hinaus, bald auf den Fußboden und die Wände stierte.