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Das zweite Leben

Mein Wunsch:

Nur noch ein zuständiger Mensch, der außerdem auf die Gesundheit achtet und keine Bücher liest.

Schon gar keine über Katzen.

Das Ergebnis:

Eine bloggende Veganerin.

Erster Eindruck:

Könnte klappen.

Veronika. Mein neuer Mensch hieß Veronika Maria Sophia Meyer. Dass sie diesen Namen loswerden wollte, verstand ich. Warum sie sich VeggieBraut2 nannte, nicht.

Aber gut, dachte ich, jeder hat eben seine Eigenheiten. Und was seltsame Ideen angeht, konnte mich nach dem Altersheim nichts mehr erschüttern.

Die ersten Monate verliefen durchaus harmonisch. Während sie an ihrem Bezee saß und mit den Fingern klopfte, schlief ich auf einem der unzähligen Kissen. Wenn ich Liebe wollte, brauchte ich nur den Kopf an ihrem Bein zu reiben und schon hob sie mich hoch, spielte mit mir oder gab mir Futter.

Nach und nach begann sich unser Leben zu verändern.

An jedem Fenster wucherte Unkraut, die seltsamen Duftwolken, mit denen sich Menschen so gerne einnebeln, verschwanden gänzlich. Ebenso wie der Mann, der so herrlich nach Wurst roch. Definitiv ein Verlust, aber verschmerzbar. Immerhin hatte er nur selten geteilt.

Dass sie unterdessen mehr und mehr Zeit vor dem Bezee verbrachte, kam mir sogar entgegen. Nach dem ersten jugendlichen Überschwang schlafen wir Katzen schließlich gern. Außerdem blieb das Futter tadellos.

Da außer uns beiden niemand die Wohnung betrat, fing sie irgendwann an, mir von ihrem Tag zu erzählen. Vor allem von der ekeligen, dicken Kollegin, die ihr gegenüber saß und ihr ständig was zu essen anbot.

Ihr Problem damit verstand ich zwar nicht, aber als Katze musste ich ja auch kein Mitgefühl heucheln. Ich blieb einfach stoisch liegen und ließ den Redefluss über mich ergehen.

Am liebsten philosophierte sie über die Menschen im Allgemeinen und die Zerstörung der Umwelt im Besonderen. Nach und nach wurde der Tonfall der Vorträge unangenehm. Aufgeregt und schrill, teilweise sogar wild gestikulierend wanderte sie durch die Wohnung. Viel zu anstrengend für einen Kater. Ich verzog mich ins Schlafzimmer und sie sich ins Internet. Dort trieben sich ähnliche Spinner herum, die ihr noch den einen oder anderen Floh mehr ins Ohr setzten.

Allerdings sind Flöhe furchtbar. Das kann euch jede Katze bestätigen.

Dann wurden wilde Pläne geschmiedet. Von zerstörten Fabriken und befreiten Tieren war die Rede – und noch jede Menge weiterer Humbug. Aber abgesehen von dieser eklatanten Ruhestörung war es mir vollkommen gleichgültig, dass sie sich umbenannt hatte und jetzt als FighterforVeggie die Welt retten wollte. Wenn es ihr Spaß machte, bitte sehr. Beste Grüße an die Welt, aber lasst mich in Ruhe schlafen.

An einem verregneten Herbsttag beging sie den einen, entscheidenden Fehler: Sie weigerte sich, mir mein Futter zu kaufen.

Nie wieder wollte sie eine Metzgerei betreten oder tote Tiere in der Wohnung haben. Stattdessen sollte auch ich mich gesund ernähren.

Was, bitteschön, ist für eine Katze gesünder als Frischfleisch? Ich meine, hallo – wir sind Fleischfresser! Eine vegane Katze ist in etwa so sinnvoll wie ein Regenwurm in einer Stepptanzgruppe.

Und kommt mir jetzt bloß nicht mit fleischfressenden Pflanzen. Die haben sich das selbst ausgesucht.

Aber wenn sie einen Kampf haben wollte, konnte sie haben.

Mit den Waffen einer Katze würde ich sie, da war ich mir sicher, rasch in die Knie und zurück zum Metzger zwingen.

Wie es sich für einen Kater gehört, strafte ich den Napf mit Verachtung.

Einen Tag, zwei Tage.

Natürlich wechselte ich kunstvoll ab zwischen lautstarkem Protest und theatralischen ich-kann-mich-kaum-noch-auf-den-Beinen-halten.

Sie blieb eisern.

Ich auch.

An Tag drei begann ich die Tür zum Vorratsraum zu zerkratzen und mit entkräfteter Stimme erbärmlich zu mauzen.

Sie drehte diesen Lärm namens Musik lauter.

Also stellte ich das Schreien ein und fuhr die Krallen aus. Am vierten Tag zerlegte ich systematisch alles, was ihr lieb war.

Am fünften Tag sperrte sie mich ins Bad, wo ich mich tot stellte.

Am sechsten Tag brachte ich mich um.

Versehentlich natürlich. Aber tot bleibt tot, egal wie es dazu kommt.

Das Küchenfenster stand auf Kipp und von draußen zogen herrliche sinnesvernebelnde Gerüche herein. Obwohl ich wusste, dass es eine dämliche Idee war, konnte ich nicht anders.

Ich musste einfach hinaus!

Ihr ahnt es vermutlich schon. Ich rutschte ab, blieb im gekippten Fenster hängen und verreckte dort. Entschuldigt die Wortwahl, aber anders kann ich es nicht nennen. Ersticken ist grausam.

Linus

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