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ОглавлениеDas dritte Leben
Mein Wunsch:
Eine kleine Gruppe, in der auch auf den Schwächsten Rücksicht genommen wird und es keine Computer gibt.
Das Ergebnis:
Eine Familie mit drei Kindern.
Erster Eindruck:
Hier liegen aber viele Spielsachen herum.
Poppy liebte mich am meisten. Von Anfang an schleppte sie mich mit sich herum, stopfte mich zu sich unter die Decke, schmuggelte mich sogar in der Jacke mit in die Schule. Es war ein bisschen lästig, so geliebt zu werden, aber sie war ja noch ein Menschchen und würde irgendwann größer werden. Darauf hoffend, ließ ich mir alles von ihr gefallen.
Selbst als sie mich in rosa Kleidchen steckte und im Puppenwagen herumfuhr. Vielleicht, so dachte ich in den seltenen ruhig aneinander gekuschelten Momenten, könnte sie sogar der eine Mensch sein, der mich jenseits der Regenbogenbrücke abholen würde.
Aber es kam anders.
Eines Tages brachte Poppys Mutter ein neues Baby mit nach Hause.
Ein hässliches kleines Ding, das ständig schrie und am ganzen Körper rote Flecken hatte. Trotzdem tat es mir leid, da es ständig zum Arzt gebracht wurde. Allein schon bei dem Gedanken an meinen Tierarzt richtete sich mein Nackenfell auf. Und der arme Zwerg hatte noch nicht einmal Haare am Kopf! So konnte er bestimmt keinen Arzt einschüchtern.
Eines Tages riss mich Poppy mitten aus dem schönsten Nickerchen und presste ihr nasses Gesichtchen gegen mein Fell. Eine Zumutung! Aber inzwischen hatte ich gelernt, dass ein nasses Gesicht bei Menschen ein schlechtes Zeichen ist und hielt tapfer still.
Die ganze Nacht ließ mich Poppy kein einziges Mal los. Selbst am Katzenklo kauerte sie neben mir. Etwas irritierend, aber Kinder sind wie alte Menschen. Man muss sie lassen, dann brüllen sie nicht herum.
Als es wieder hell wurde, musste Poppy in die Schule – und ich wurde samt Kratzbaum und Wasserschüssel einfach bei einer fremden Frau abgegeben.
Fassungslos stand ich am Fenster zur Straße und mauzte dem wegfahrenden Auto hinterher. Was hatte ich falsch gemacht? Ich verstand die Welt nicht mehr.
Bestimmt war es ein Missverständnis.
Schließlich hatte ich schon ganz lange, also mindestens einen haben Mondlauf, keine Pflanze mehr ausgegraben und nichts vom Esstisch geklaut. Gut, da lag auch nichts Lohnendes mehr, seit ich einmal mit der Ente abgehauen war.
Aber trotzdem.
Ich war unschuldig!
Beflügelt von der Hoffnung, dass Poppy mein Mensch sein könnte, wurde ich Meister im Ausbrechen. Um danach den Weg nach Hause zu finden, brauchte ich zwar mehr Versuche, als ich Krallen an den Vorderpfoten habe, aber ich schaffte es.
Endlich tauchte das gelb gestrichene Haus mit dem großen Garten vor mir auf. Mit immer schnelleren Sprüngen wetzte ich meiner Poppy entgegen. In einem Satz flog ich über der Mauer. Dann noch im Zickzack um die Büsche herum und hinein durchs offene Küchenfenster. Mein begeistertes Miauen schallte durchs ganze Haus. Nur wenige Herzschläge später würde Poppy die Treppe herunterpoltern, mich in eine ihrer rippenquetschenden Umarmungen schließen und ich wäre endlich wieder zuhause.
Mein Glück, tatsächlich heimgefunden zuhaben, ließ mich total aufgekratzt im Kreis rennen. Ich schrie und schrie und schrie nach Poppy – aber niemand kam.
Langsam fiel die Aufregung von mir ab, der Schwanz sank Richtung Boden, die Pfoten standen still. Dann sah ich mich erst richtig um. Nichts hatte sich verändert – und gleichzeitig alles.
Nicht einen Hinweis gab es mehr, dass ich hier gelebt hatte. Gut, dass meine Spielsachen und die Schüsseln weg sein würden, hatte ich annehmen müssen. Aber warum waren alle Bilder verschwunden? Unzählige Fotos von Poppy und mir hatten an den Wänden gehangen und am Kühlschrank ein Pfotenabdruck.
Ein seltsames Gefühl ließ meine Brust enger werden. Etwas, das ich so noch nie gespürt hatte. Was war hier geschehen?
Geduckt schlich ich ins Wohnzimmer, von dort zum Vorraum und schließlich die Treppe hinauf.
Doch das ganze Haus war menschenleer.
Enttäuscht schlich ich schließlich wieder aus dem Haus heraus und setzte mich draußen vor das Fenster. Meine Heimkehr hatte ich mir anders vorgestellt. Aber Aufgeben stand nicht zur Diskussion. Entschlossen richtete ich mich wieder auf. Noch war nichts verloren. Bilder konnten wieder aufgehängt und Schüsseln neu aufgestellt werden. Ich musste nur etwas Geduld haben, bis Poppy aus der Schule kam. Bestimmt hatte sie heute nur länger dort bleiben müssen und würde jeden Augenblick kommen.
Tatsächlich dauerte es noch eine ganze Weile. Die Sonne wanderte übers ganze Haus und näherte sich schon dem Hügel, hinter dem sie immer unterging. Mein Magen knurrte entsetzlich, doch ein ungutes Gefühl hinderte mich daran, mir rasch eine Maus zu fangen. Es kam mir so vor, als hinge mein Schicksal davon ab, dass ich hier sitzen blieb.
Vollkommener Blödsinn.
Aber das wusste ich naiver Kater damals noch nicht.
Damals dachte ich noch das Beste von den Menschen. Trotz der Episode mit Oscar. Und Veronika war im Grund auch nett gewesen. Sie hätte halt ein, zwei Bücher – ja, Bücher! – über Katzen lesen sollen. Mit dem richtigen Futter ausgestattet, hätten wir gut miteinander auskommen können.
Endlich öffnete sich das Gartentor – sogar das elende Quietschen erschien mir wie ein Willkommensgruß – und die Frau kam mit dem Baby herein. Enttäuscht duckte ich mich. Poppy sollte die Erste sein, die mich zu sehen bekam.
Müde vom Warten rollte ich mich unter den Büschen zusammen. Ich würde es ja hören, wenn sie das Türchen öffnete.
Wie erwartet riss mich das Quietschen aus dem Schlaf und ich sprang erwartungsvoll auf die Pfoten. Kam jetzt Poppy?
Sie war es!
Und wie sehr sie sich freute! Wir Katzen sind nur mäßig gut darin, die Mimik der Menschen zu entschlüsseln, aber dieses Lachen war eindeutig.
Sie rief sogar: „Endlich! Ihr seid wieder da!“
Das ‚ihr‘ hätte mich stutzig machen sollen, aber in diesem Moment war mein Ego größer als ein Schäferhund. Mit weiten Sprüngen wetzte ich Poppy entgegen – und wurde fast über den Haufen gerannt. Fassungslos sah ich, wie Poppy an mir vorbei lief und im Haus verschwand.
Vielleicht wollte sie mir was zu fressen holen?
Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt und so trabte ich ihr noch immer einigermaßen zuversichtlich hinterher. Ihr wisst ja, Kinder und alte Leute …
Drinnen folgte die nächste Enttäuschung – und von da an ging es Schlag auf Schlag.
Poppy kniete am Boden und herzte das Baby, wedelte mit einem Spielzeug vor dem feisten Gesicht herum und steckte Kekse in das Sabbermaul.
Das musste ich erst einmal verdauen.
Etwas unvorsichtig tappte ich rückwärts und stieß prompt gegen eine Vase. Es klirrte furchtbar, das Baby brüllte los und als sie mich entdeckten, schrien auch Poppy und die Mutter. Allerdings nicht vor Wiedersehensfreude. Im Gegenteil.
Statt Leckerlis und Kuscheleinheiten gab es eine zusammengerollte Zeitung, eine Fliegenpatsche, ein riesiges Handtuch und schließlich einen engen, dunklen Pappkarton ohne Löcher.
Dieses Mal stand ich in meinem Exil-Zuhause nicht am Fenster, um dem wegfahrenden Auto nachzusehen.
Der Rest ist schnell zusammengefasst.
Die neue Frau fand einen Mann. Sie bekamen Nachwuchs und ich strenge Regeln. In die Küche durfte ich nicht, in das Kinderzimmer sowieso nicht und in die Nähe des Babys schon mal gar nicht. Irgendwann begannen sie, mich in den Garten zu lassen. Angeblich, damit ich ein schönes Leben hätte. In Wirklichkeit wollten sie mich wohl eher loswerden. Die versprochene Katzenklappe gab es jedenfalls nie und als der Herbst kam, musste das ehemals offene Fenster natürlich geschlossen werden. Immer öfter saß ich vor der Terrassentür, vorsichtig mit der Pfote kratzend und leise um Einlass mauzend. Drinnen liefen die Menschen hin und her, spielten mit dem Kind, aßen, tranken – und ignorierten mich.
Um auf mich aufmerksam zu machen, grub ich alle Blumen aus, warf den Wäscheständer um, verschleppte Stofftiere, pinkelte in die Sandkiste. Aber nichts half. Sie hörten sogar auf, mir das Futter rauszustellen. So, als gäbe es mich gar nicht mehr.
Schließlich hörte ich, wie sie anderen erzählten, ich sei halb verwildert und wolle nicht mehr rein. Da wusste ich, dass ich keine Chance mehr hatte.
Auf der Suche nach einem neuen Zuhause oder wenigstens etwas zu Fressen durchstreifte ich das ganze Viertel. Aber es war vergeblich. Hier lebten so viele Katzen, dass es noch nicht einmal mehr genug Beutetiere gab, geschweige denn Menschen, die uns alle durchfüttern wollten.
Im zweiten Winter überfuhr mich ein Auto. Ich war noch nicht einmal traurig deswegen.