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3.

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K.N. Tesboč, von Freunden Nicky genannt, saß am Schreibtisch und strich sich über den Bauch. Er wölbte sich leicht. Die Ernährungs-App, die Tesboč sich auf das Handy geladen hatte, Nicky Tesboč nannte die App Detlef, war wenig hilfreich gewesen. Vielleicht lag es daran, dass Tesboč Detlef mittlerweile ignorierte. Tesboč sah hinüber zu den Plänen, die an der Wand im Zimmer angepinnt waren. Das Internet, eine unerschöpfliche Quelle: Man konnte Anleitungen aller Art und auch Konstruktionspläne herunterladen. Und Tesboč hatte die Quelle ausgiebig genutzt, wusste jetzt, wo der Schuss anzusetzen war, um bei dem Elektromobil aus größerer Entfernung die Bremsen auszuschalten, so dass es auf die Fahrbahn rollen musste. Es sollte wie ein Unfall aussehen, denn Nicky Tesboč hatte noch einiges vor. Es standen bisher drei Namen auf der Liste und dazu benötigte man Zeit. Nicky Tesboč sah auf die Uhr. Noch eine Stunde um sich fertigzumachen und die Position auf dem Dach einzunehmen. Keine Eile, alles war sorgsam geplant, ausgerechnet und vorbereitet. Tesbočs Angst, die Schießkünste wären im Laufe der Jahre ohne Training eingerostet oder gar unwiederbringlich verloren gegangen, erwies sich nach ein paar Übungen in den brandenburgischen Wäldern als haltlos. Die Treffsicherheit kehrte zurück. Jetzt musste nur noch das Opfer mitspielen, und die Ampel. Wenn es nicht gleich beim ersten Versuch klappte, dann beim nächsten. Nicky Tesboč hatte Zeit, viel Zeit, hatte nichts Besseres vor.

Ein 67 Jahre alter Mann, mit verbissenem Gesicht und wulstigen Lippen raste auf seinem Elektromobil den Bürgersteig entlang. Zwei Passanten sprangen fluchend beiseite. Im Märkischen Viertel war er für seine Rücksichtslosigkeit bekannt wie ein bunter Hund. Es scherte ihn nicht. Rücksicht war was für Schwache. Auch wenn vielleicht der Eindruck entstand, dass er auf das Elektromobil angewiesen war. War er nicht! Das war Kalkül. Zwangsläufig brachte er andere damit in die Defensive und dazu, Rücksicht auf ihn zu nehmen. Busfahrer, Verkäufer, Mitmenschen. Und jetzt war er wütend. Er ärgerte sich immer noch maßlos darüber, dass die Schlampe vom Saturn Service ihm den MP3 Player nicht zurückgenommen hatte. Angeblich wegen erheblicher Gebrauchsspuren und über einen Monat alt. Gut, das mit dem Monat stimmte. Aber bei den Gebrauchsspuren war die ganz schön pingelig. Laberte etwas von: nicht mehr im verkaufsfähigen Zustand. Bei ihr hatte die Mitleidstour nichts gebracht. Dabei hatte er sich berechtigte Hoffnung gemacht, weil er mitbekommen hatte, dass die andere, die sonst immer den Servicetresen bewachte und ihn nicht leiden konnte, schon länger fehlte. Krank wahrscheinlich. Aber ihre Vertretung war auch nicht besser. Und der Geschäftsführer war nicht da, was auch blöd war. Letztens hatte es mit dem ganz gut geklappt. Er hatte sogar noch einen Gutschein bekommen für die Unannehmlichkeiten. Wenn der wüsste. Er konnte sich ein Kichern nicht verkneifen. Egal, der Geschäftsführer, Herr Altmann ist morgen wieder da, so lautete die Auskunft. Das roch wieder nach einem Gutschein für ihn. Eigentlich wollte er die eine Station mit dem Bus fahren. War extra über die Straße zur Haltestelle gefahren. Aber eins kam zum anderen, die Busse hatten Verspätung. Er sah auf die Uhr. Es war 18:55 Uhr und es wurde langsam knapp. Um 19:00 Uhr war das Treffen der »Freunde des Märkischen Viertels« anberaumt. Diesmal bei dem Mayer, der wohnte Wilhelmsruher Damm 114. Seit einem halben Jahr traf sich die kleine Gruppe regelmäßig in der Wohnung eines Mitglieds, um zu diskutieren, wie der Zuzug der Ausländer in ihrem Viertel gestoppt werden konnte. Vorher waren sie nur zu viert gewesen. Eine nette Skatrunde, die sich im Western Saloon, der sich neben dem Fontane-Haus befand, kennengelernt hatte. Das war fünf Jahre her. Aber bei den unweigerlich aufkommenden Diskussionen über Merkels Empfangskultur merkten sie, dass sie mehr vereinte als nur das Skatspiel. Ihre kleine Verschwörergruppe wuchs auf sieben Leute an und man beschloss: Es sollten bald Taten folgen. Er war nicht mehr weit weg von der Kreuzung. Die Ampel zeigte noch grün. Er drückte auf die Tube und raste auf sie zu, hoffte, es noch zu schaffen. Als sie auf rot schaltete, war er keine drei Meter mehr entfernt. Da spürte er einen Schlag gegen die Lenksäule, wunderte sich. Er war doch nirgends gegen gestoßen. Er wollte abbremsen. Die Bremse funktionierte nicht. Der Schreck fuhr ihm in die Glieder, lähmte ihn. Er raste auf die Kreuzung zu. Dann auf die Straße. In der Mitte der Fahrbahn erfasste ihn ein Mercedes mit goldenen Radkappen, der gerade den 124er Bus überholte und nicht mehr ausweichen konnte. Rüdiger Funke wurde auf die andere Straßenseite geschleudert und dort von einem Laster, der Weihnachtsbäume transportierte, überrollt.

Nicky Tesboč hatte es vom Dach aus beobachtet und war zufrieden mit dem Resultat. Langsam packte Tesboč das Gewehr in den Koffer, sammelte die Patrone ein. Das ganze verschwand in dem Rucksack. Von weitem waren die Sirenen der Notarztfahrzeuge zu hören. Tesboč sah sich noch einmal um. Nickte zufrieden. Keine Spuren zu sehen. Beim Treppenhinunterlaufen stellte Nicky Tesboč fest, einen Menschen zu töten war gar nicht so schwer. Das Gewissen regte sich jedenfalls nicht. Es hatte etwas Gottgleiches. Leben geben, Leben nehmen. Und irgendwie hatte Nicky Tesboč das Gefühl, seit langer Zeit wieder glücklich zu sein.

Der König ist tot, lang lebe der König

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