Читать книгу Der König ist tot, lang lebe der König - J. U. Gowski - Страница 16
6.
ОглавлениеMeyerbrincks Handy klingelte. Charlotte, seine Frau warf ihm einen warnenden Blick zu. Er nahm es trotzdem in die Hand. Er konnte nicht anders. Meyerbrinck sah auf das Display und runzelte die Stirn, als er die Nummer vom LKA Chef erkannte. Charlotte schüttelte zaghaft den Kopf, wusste aber, der Abend war gelaufen, wieder mal. Er würde rangehen. Sie kannte ihren Tom zu gut.
»Hallo Herr Van Bergen«, grüßte Meyerbrinck.
Van Bergen hielt sich nicht lange mit einer Erwiderung auf. »Ich kann Koslowski nicht erreichen, wo steckt der Kerl?« Van Bergens Stimme klang verärgert.
Meyerbrinck sah auf seine Armbanduhr. Sie zeigte 21:00 Uhr. »Vermutlich im Union Jack auf ein bis drei Feierabendbiere. Ist sein zweites Zuhause.«
»Tolles Zuhause«, unterbrach ihn Van Bergen unwirsch. »Holen sie ihn da ab und dann fahren sie mit ihm ins Märkische Viertel. Wilhelmsuher Damm 114. Die Spurensicherung ist schon da. Ich komme auch dort hin.« Ohne eine Antwort abzuwarten, legte Van Bergen auf.
Meyerbrinck starrte auf sein Smartphone. Soweit er sich erinnern konnte, hatte ihn Van Bergen noch nie auf seiner Privatnummer angerufen. Auch nicht, wenn er Koslowski nicht erreichen konnte. Es musste schon etwas Gravierenderes passiert sein als nur ein simpler Mord.
Charlotte sah ihn schmollend an und sagte: »Geh schon. Muss ich eben allein ins Bett. Mit einem Buch.«
So wie sie es sagte und dabei mit den Wimpern klimperte, wurde ihm schlagartig klar, dass Charlotte etwas anderes für diesen Abend geplant hatte. Es fiel ihm wie Schuppen von den Augen, ihre gemeinsame Tochter Helena, genannt Heli war diesen Abend nicht zu Hause, übernachtete bei Freunden. Wie kann man nur so blöd sein, dachte Meyerbrinck und hätte sich am liebsten in den Allerwertesten gebissen.
Koslowski saß mit Uwe, dem Besitzer des Union Jacks an seinem Stammtisch, als Meyerbrinck hereingestürmt kam und mit ihm ein Zug kalter Luft. Uwe erkannte ihn sofort an dem roten Haarschopf.
»Dein Kollege. Sieht aus, als ob dein Job dich ruft. Die Rechnung machen wir später, Sal«, sagte er und klopfte ihm dabei auf die Schulter. Dann stand er auf und ging hinter den Tresen. Dabei nickte er Meyerbrinck zu.
Koslowski sah mürrisch zu Tom Meyerbrinck, als der sich vor ihm postierte.
»Was treibt dich denn her, Tom?«
»Was wohl? Jedenfalls nicht die Sehnsucht nach dir.«
»Bist du dir da sicher?« Koslowski grinste schief. »Also rück raus mit der Sprache.«
»Vermutlich ein Mord.«
»Ja und?«
»Keine Ahnung. Van Bergen hat dich nicht erreicht. Dafür mich, und auch gleich in die Spur geschickt. Wäre schön, wenn du dein Handy mal dabei hättest.«
»Hab ich doch?« Zum Beweis zog er das Klapphandy aus der Parkajacke, die neben ihm an der Wand hing.
Meyerbrinck warf einen kurzen Blick darauf und sagte: »Vielleicht solltest du es auch anschalten, macht sonst wenig Sinn.«
Koslowski klappte es auf und sah auf das dunkle Display. Tom hatte recht. Es war ausgeschaltet, oder der Akku war alle. Gleichgültig zuckte er mit der Schulter. »Ich hasse diese Dinger.«
Er griff sein halbvolles Pint Murphys Red und trank es in einem Zug aus. Das Glas stellte er neben die leere Chili con Carne Schüssel, rülpste herzhaft und nahm sich seine Parkajacke und das Basecap vom Stuhl. Die Jacke überziehend stapfte er an Meyerbrinck vorbei in Richtung Ausgang. Dabei setzte er sich das Basecap auf. Im Vorbeigehen winkte er Uwe nochmal zu, der gerade dabei war, drei jungen Touristen in englischer Sprache die Unterschiede einzelner Whiskys zu erklären. Uwe winkte ohne ihn anzusehen zurück. Auf der Straße empfingen Koslowski Dunkelheit und Kälte. Meyerbrinck schloss hinter sich die Kneipentür und zeigte auf den Volvo, der in der zweiten Reihe stand. Er hatte nicht abgeschlossen. Sie stiegen ein und fuhren los. Von der Schlüterstraße in Charlottenburg bis zum Wilhelmsruher Damm in Wittenau war es ein ganz schönes Stück durch das weihnachtlich geschmückte Berlin. Tom Meyerbrinck tippte auf eine halbe Stunde Fahrzeit. Es wurden 15 Minuten mehr. Er hatte nicht mit den vielen Baustellen gerechnet, die Berlin immer wieder lahmlegten. Kurt-Schuhmacher-Platz, Ollenhauer Straße. Die Berliner Verkehrsbaupolitik, ein Albtraum.
»Na haben wir es auch endlich geschafft«, stellte Van Bergen schmallippig an Stelle einer Begrüßung fest. Er stand an der offenen Wohnungstür, das kantige Kinn vorgereckt. Koslowski und Meyerbrinck waren gerade aus dem Fahrstuhl gestiegen. Man musste ihm wohl gesagt haben, dass sie unterwegs nach oben waren. Koslowski vermutete, es war einer der beiden Kollegen aus dem Streifenwagen, der am Hauseingang gestanden hatte. Es war inzwischen 22:15 Uhr. Koslowski sah Van Bergen finster an und wollte schon fragen, wo das Problem liege, als er einen Mann im Schatten des Wohnungsflurs stehen sah. Er kannte ihn nicht. Das ganze Auftreten des Mannes strotzte vor Selbstsicherheit und trotzdem wirkte er für Koslowski so fehl am Platz, wie ein anzugtragender Schlipsträger auf der Trainerbank beim 1. FC Union. Koslowski musterte den Mann ungeniert. Schlanke Gestalt. Vielleicht Ende vierzig, Anfang fünfzig. Sportlicher Typ. Van Bergen bemerkte Koslowskis Blick und sagte: »Ach ja, ein Kollege von der Staatsanwaltschaft.«
»Ja sicher«, erwiderte Koslowski geringschätzig. Dabei warf er einen Blick auf das Namensschild an der Klingel. Mayer mit »ay« stand da drauf. Dann stapfte er an Van Bergen vorbei. Van Bergen sah ihm missmutig hinterher. Tom Meyerbrinck folgte Koslowski. Im selben Moment trat Natascha Will, die Teamchefin der Spurensicherung aus dem hinteren Zimmer und sagte vorwurfsvoll: »Da sind sie ja endlich. Wir sind hier schon eine Weile fertig.«
Koslowski rollte entnervt mit den Augen. »Und was haben sie?«
»Kommen sie.«
Sie drehte sich um und ging wieder ins Zimmer. Koslowski und Meyerbrinck folgten ihrer Aufforderung, der Mann von der Staatsanwaltschaft auch. Er hatte den beiden zur Begrüßung kurz zugenickt. Koslowski hatte es ignoriert.
Als sie das Zimmer betraten, es war nicht sehr groß, sah Koslowski den dicken Mann auf der Couch. Er war zur Seite gesunken und ein Teil seines Schädels fehlte. Knochensplitter hatten sich, mit Blut und Hirnmasse, seitlich an der Wand und im Weihnachtsbaum verteilt.
Koslowski betrachtete das Farbfoto, das aufgestellt in der Schrankwand stand. Der Tote, nur wenig jünger, war mit einer Frau am Meer zu sehen. Sie war eindeutig sehr viel jünger als der Mann. Er deutete auf das Foto.
»Tochter oder die Ehefrau?«
»Ehefrau. Sie ist jetzt im Krankenhaus, hat einen Schock.«
Koslowski nickte verstehend.
Natascha Will räusperte sich. »Also der Schuss kam vermutlich von dem Dach dort gegenüber.« Sie zeigte zum Fenster mit dem Einschussloch. »Jedenfalls deuten Eintrittswunde und Fundort des Projektils daraufhin.« Sie wies auf die Wand mit den blutigen Resten der Schädelhälfte.
»Vom Dach? Welchen Zugang hat er benutzt?«
»Sind wir noch dabei zu überprüfen. Die Wohnblöcke sind miteinander verbunden. Wir tippen auf die Hauseingänge 118 oder 120.«
»Ist jemand von unseren Leuten auf dem Dach da oben?«, fragte Meyerbrinck. Er schaute zum Fenster..
»Ja, mein Team ist schon dort. Ich habe es vor zehn Minuten hingeschickt, nachdem wir hier fertig waren.«
»Irgendeine Ahnung, was die Mordwaffe betrifft?«, wandte sich Koslowski an die Will.
»Vermutlich ein Gewehr. 9mm«, und nach einer kurzen Pause ergänzte sie: »Das Projektil hatte einen Stahlkern. Wir hatten ganz schön zu tun es aus der Betonwand zu bekommen.«
Koslowski sah Natascha Will neugierig an, fragte sich, ob noch weiterführende Erklärungen von ihr kommen würden. Kamen aber nicht. Dafür meldete sich der Unbekannte, der hinter ihnen in den Raum getreten war. »Panzerbrechende Munition.«
Koslowski ignorierte den Einwurf. Er wandte sich an Natascha Will. »Und noch irgendetwas?«
»Ja, diesen Zettel.«
Sie ging zur Anrichte. Von dort griff sie einen beschrifteten Asservatenbeutel, wie ihn die Spurensicherung verwendete. Darin befand sich ein Zettel. Sie reichte Koslowski den Beutel. Der warf einen Blick auf den Zettel und las die kurze Mitteilung, die darauf stand: Heute wirst du sterben! Sie war an einem Computer geschrieben und ausgedruckt worden. Er runzelte die Stirn und reichte ihr den Beutel zurück.
»Hier sind sie also fertig?«, fragte er.
Natascha Will nickte, wobei ihr kurzer grauhaariger Zopf hin und her wippte.
»Gut, dann würde ich sagen, sie gesellen sich zu ihrem Team aufs Dach. Tom wird sie begleiten. Ich komme gleich nach.«
Er drehte sich um und ließ sie stehen, um sich das Fenster genauer zu betrachten. Natascha Will sah empört zu Meyerbrinck. Der zuckte nur mit der Schulter und deutete mit dem Kopf zur Tür. »Gehen wir.«