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VORWORT

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von Ilija Trojanow

Es ist eine der wesentlichen Aufgaben der Literatur, Erinnerung zu wahren und Zukunft zu imaginieren. Das motiviert jede Erzählung, auch diese von Jabbar Abdullah. „An jeden Winkel (...)habe ich Erinnerungen. Sie zwicken mich immer wieder im Kopf, als wollten sie mir sagen: ‚Wir sind noch da! Vergiss uns nicht!‘“

Aus literarischer Sicht sind diese aufdringlichen Erinnerungen zugleich eine Herausforderung, weil sie andere, weniger traumatische, weniger einschneidende Erinnerungen überschatten oder gar auslöschen. Schreiben ist stets auch ein Bemühen, die Fragmente der eigenen beziehungsweise der gemeinsamen Erinnerung zusammenzufügen. Nichts anderes tut Jabbar Abdullah, auch wenn er als Flüchtling, der in einer vor wenigen Jahren ihm noch fremden Sprache schreibt, besonders widrige Umstände zu bewältigen hat: „Sie haben meinen Lieblingstisch in Flammen gesetzt, an dem ich so oft mit Papier und Stift gesessen hatte.“ Er muss einführen in eine fremde Welt, er muss die Details des Alltags beschwören, um die untergegangene Normalität zu vergegenwärtigen.

„Raqqa am Rhein“ ist ein Bericht über das Ausgeliefertsein gegenüber der Macht und der Gewalt. „Assads Regime hat meine Schule zerstört, und der IS hat die andere Schule geschlossen (...) unser Leben war schwarz geworden. Niemand konnte mehr den Blick in die Zukunft richten.“ Ohne sichtbare Zukunft herrscht eine unerträgliche Ohnmacht, die es zu überwinden gilt, mit einfachen Formen des Widerstands, seien sie auch so vordergründig hilflos wie das Besprühen der kleinstädtischen Mauern mit revolutionären Parolen gegen die Diktatur und ihre Propaganda. Auch wenn die Parolen schon am nächsten Tag entfernt werden, die Schrift an der Wand ist Ausdruck einer Gegenposition, einer anderen Erzählung, einer widerspenstigen Haltung. Und davon muss immer wieder berichtet werden.

Unvergesslich etwa die Beschreibung einer spontanen Demonstration an der Universität von Aleppo, die von Soldaten und Geheimdienstagenten in Zivil niedergeschlagen wird. Ein kurzer Atemzug der Freiheit, gefolgt von der Brutalität der Macht, die nicht einmal einen Hauch von Hoffnung zulassen will, zulassen darf.

Allerdings weiß ein leidgeprüfter Autor, der Zeugnis ablegt, von seiner Verpflichtung gegenüber den vielen anderen Erinnerungen: „Sie haben nicht nur meine Erinnerungen, sondern auch diejenigen der Millionen von Menschen, die dort gelebt haben, bombardiert.“ Deswegen richtet er seinen Blick, durchaus überraschend mitten in der Erzählung, auf zwei weitere Schicksale, so als könne der Einzelne dem Geschehenen mit eigener Stimme nicht gerecht werden, so als müsste die einzelne Stimme zu einem Chor erweitert werden, weswegen die bemerkenswerten Geschichten der Männer Moomin und Hussam zu vernehmen sind.

Jabbar Abdullahs Bericht endet mit einem Hoffnungsschimmer, der zärtlich ist (Euphrat und Rhein verschmelzen) und zugleich zutiefst politisch, denn seine Rettung ist Folge einer zivilisatorischen Errungenschaft (Asylgesetze, Flüchtlingskonvention, Willkommenskultur), die von xenophoben Teilen unserer Gesellschaft angegriffen, dämonisiert wird. Ohne diese humanen Rahmenbedingungen wäre dieses Buch nicht entstanden, könnte sein deutscher Autor mit syrischem Namen nicht am Ende schreiben: „Ich hoffe, dass das Leben wieder zu uns zurückkehrt .“

Die Hoffnung auf eine Rückkehr des Lebens hält einen am Leben. Wer diese Hoffnung anderen Menschen wegnimmt, der tötet.

Raqqa an Rhein

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