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Raqqa im Libanon

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Die Bewohner von Raqqa sind einfache Menschen. Die meisten von ihnen sind in Landwirtschaft und Handel tätig oder arbeiten in der städtischen Verwaltung. Viele besitzen außerdem ein eigenes Stück Land, mehr oder weniger groß, auf dem sie im Sommer und im Winter die Saat ausbringen.

Doch sind in den letzten Jahren die Erträge immer weiter gesunken. Sie reichen nicht mehr aus, um eine Familie zu ernähren. Dürreperioden sind eine Ursache, ebenso wie gestiegene Preise für Kraftstoff, Saatgut und Dünger. Ihre Ernte müssen sie an den Staat verkaufen, der jedoch die Preise bewusst drückt. Seine Erzeugnisse selbst auf dem Markt anzubieten, ist verboten. Wer doch dabei erwischt wird, muss mit empfindlichen Geldbußen rechnen. Den Bauern bleibt nichts anderes übrig, als sich dem Diktat von oben zu fügen.

Um sich das teure Saatgut leisten zu können, müssen sie sich wiederum vom Staat Geld leihen, ein Kredit, der bereits innerhalb eines Jahres zurückzuzahlen ist. Wem dies nicht gelingt, dessen Land wird vom Staat beschlagnahmt und weiter verkauft, ein Teufelskreis. Dieses Schicksal ist auch meinem Großvater widerfahren, als er seinen Kredit erst nach fünf Jahren tilgen konnte.

So bleibt vielen Landwirten keine andere Möglichkeit, als in andere Regionen wie Damaskus oder Latakia auszuweichen oder sogar ins Ausland zu gehen, um dort den Lebensunterhalt für sich und ihre Familie zu verdienen.

Viele Männer gehen zum Beispiel in den Libanon. Manchmal ziehen auch ganze Familien um. Sie nehmen harte Arbeit in Kauf, um über die Runden zu kommen und ihren Kindern eine gute Ausbildung bieten zu können.

Ich bin selbst viele Male in den Libanon gefahren, zuerst 2001 nach Tarablus, auch Tripoli genannt, die zweitgrößte Stadt des Landes. Damals besuchte ich noch die 11. Klasse, und es war das erste Mal überhaupt, dass ich meine Stadt verließ, um in den Sommerferien dort auf dem Bau zu arbeiten. Auch andere Mitglieder meiner Familie waren schon oft zuvor zu diesem Zweck in den Libanon gegangen. Bis dahin kannte ich nur den Namen unseres Nachbarlandes und die Erdnüsse, die die Verwandten jedes Mal von ihren Reisen dorthin mitbrachten.

Nun war es an mir, diese Erfahrung zu machen. Zu der Zeit lebten dort bereits drei meiner fünf Geschwister: ein älterer Bruder und meine zwei Schwestern. Mein Bruder arbeitete als Maler bei einer Baufirma, wo er einen Ferienjob für mich gefunden hatte. Meine beiden Schwestern waren Erntehelferinnen. Wir lebten alle vier zusammen in einer kleinen Holzbaracke. Sie stand, gemeinsam mit vielen anderen, auf einem großen, unbefestigten Grundstück, gleich neben der Hauptstraße von Tarablus. Die Lage war zwar sehr zentral, doch die Wohnverhältnisse waren miserabel, so wie für alle Syrer, die dort unsere Nachbarn waren. Auf etwa 40 x 40 Metern drängten sich hier rund zwanzig Hütten. Ihre Dächer bestanden nur aus einer Plastikplane, und wenn es nachts regnete, war das das Prasseln der Regentropfen so laut, dass man nicht schlafen konnte.

Jede Hütte war in einzelne Bereiche unterteilt, nur durch Stoffbahnen voneinander getrennt: eine behelfsmäßige Küche, eine Ecke, die als Bad diente sowie der eigentliche Wohnbereich, wo wir auch schliefen. Ich erinnere mich noch an die kleine Lampe, die in der Mitte des Raumes am Stützbalken hing und wild hin- und herschaukelte, wenn wieder einmal der Wind durch die Bretter pfiff. Es waren nicht mehr als 17 Quadratmeter, für die wir dem Vermieter dieser Hütten jeden Monat 200.000 Libanesische Lira zahlten, also etwa 125 Euro.

Meine Aufgabe in der Baufirma bestand darin, die Wände vor dem Auftragen der Farbe ordentlich abzuschleifen. Nach meinem ersten Tag waren Haare, Gesicht und Kleidung vollkommen von weißem Staub überzogen. Die Arbeit begann um sieben Uhr morgens und dauerte bis sieben Uhr abends. Für zwölf Stunden harter Arbeit gab es gerade einmal neun Dollar.

Ich höre immer noch das Hupen des Transporters, der meine zwei Schwestern jeden Morgen um vier Uhr abholte und sie gemeinsam mit anderen Arbeiterinnen und Arbeitern von der Stadt auf die Felder fuhr. Zum Glück konnten ich und mein Bruder noch zwei Stunden weiterschlafen, doch jeden Morgen hörte ich, halb noch im Schlaf, die schweren Schritte meiner Schwestern wie der anderen Frauen und Männer draußen auf dem Kies. Ihre täglichen Strapazen waren eines der ‚Geschenke‘, welche das Assad-Regimes seinen Menschen machte, die anders kaum genug zum Überleben verdient hätten.

Raqqa an Rhein

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