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III
ОглавлениеEs war Daylights Nacht. Er war der Mittelpunkt, das Haupt der Lustbarkeit, unersättlich in seiner Laune, ein Ansteckungsherd von Frohsinn. Er vervielfältigte sich und damit den Trubel. Kein Streich, den er vorschlug, war zu ausgelassen für sein Gefolge, und ihm folgten alle bis auf die, die als singende Idioten auf dem Schlachtfeld blieben. Aber nie kam es zu Ausschreitungen. Es war am Yukon bekannt, dass an den Abenden, wenn Burning Daylight losgelassen war, Zank und Streit verpönt waren. Früher war es wohl einmal vorgekommen, aber da hatten die Leute zu spüren bekommen, was wahrer Zorn war, und zwar auf eine Weise, wie nur Burning Daylight es verstand. Wenn er Feste gab, mussten die Leute lachen und froh sein oder nach Hause gehen.
Daylight war unermüdlich. In einer Tanzpause bezahlte er Kearns die zwanzigtausend in Goldstaub und übertrug ihm seine Rechte auf Moosehide. Den Postkontrakt mit Billy Rawlins ordnete er ebenfalls und traf seine Vorbereitungen zur Abreise. Er schickte nach Kama, seinem Hundetreiber, einem Tananaw-Indianer, der seinen Stamm verlassen hatte, um in die Dienste der Weißen zu treten. Kama betrat das Tivoli, groß, mager, muskulös, in Felle gekleidet, ein Auserwählter seiner barbarischen Rasse, und doch selbst ein Barbar, der sich durch die ihn umtobenden Gäste nicht stören ließ, als Daylight ihm seine Befehle erteilte.
»Hm«, sagte Kama und zählte seine Aufträge an den Fingern her. »Briefe bei Rawlins abholen. Schlitten aufladen. Proviant bis Selkirk – du meinst viel Hundefutter, halten in Selkirk?«
»Viel Hundefutter, Kama.«
»Hm. Schlitten um neun Uhr herbringen. Schneeschuhe bringen. Kein Zelt bringen. Vielleicht das kleine Zelt bringen?«
»Nein, kein Zelt«, antwortete Daylight entschieden.
»Hm, sehr kalt.«
»Wir reisen mit leichtem Gepäck – savvy? Wir bringen viele Briefe hin, viele zurück. Du bist ein starker Mann. Sehr kalt, lange Reise – schön!«
»Ja, schön«, beschied Kama sich. »Sehr kalt, schert sich den Teufel drum. Fertig um neun Uhr.«
Er wandte sich auf den Hacken der Mokassins um und schritt hinaus, unerschütterlich, gleich einer Sphinx, ohne zu grüßen, ohne nach rechts oder links zu schauen. Die Jungfrau zog Daylight in eine Ecke »Hör', Daylight,« sagte sie leise, »du bist fertig.«
»Bis auf den letzten Cent.«
»Ich hab' achttausend in Macs Tresor« – begann sie.
Aber Daylight unterbrach sie. Die Schürzenbänder waren drohend nahe, und er schlug aus wie ein Füllen, das den Sattel spürt.
»Macht nichts,« sagte er, »so wie ich jetzt bin, bin ich auf die Welt gekommen, und so bin ich seither die meiste Zeit gewesen. Komm, lasse uns tanzen.«
»Aber hör' doch,« fuhr sie fort, »mein Geld arbeitet nicht. Ich möchte es dir leihen – um Proviant zu kaufen«, fügte sie schnell hinzu, als sie die Alarmzeichen auf seinem Gesicht bemerkte.
»Mich braucht niemand zu verproviantieren«, war die Antwort. »Ich sorge selbst für mich, und mache ich dann mal einen Treffer, dann bin ich sicher, dass mir auch alles gehört. Nein, ich danke dir, Mädel. Es ist sehr nett von dir. Ich verschaffe mir meinen Proviant, indem ich die Post hin und zurück fahre.«
»Daylight«, murmelte sie vorwurfsvoll.
Aber in einer plötzlichen Aufwallung zog er sie in den Tanzsaal, und während er sie im Walzer herumschwang, grübelte sie über die Hartnäckigkeit des Mannes, der sie in seinen Armen hielt und all ihrer List widerstand.
Um sechs Uhr stand er, von Whisky brennend, aber immer noch seiner mächtig, am Schanktisch und drückte jedem die Hand herunter. Das ging so vor sich, dass zwei Männer sich einander gegenüberstellten, während ihr rechter Ellbogen auf dem Schanktisch ruhte. Dann griffen sie sich bei der rechten Hand, und jeder versuchte, die des andern herunterzupressen. Einer nach dem andern kam an die Reihe, aber keiner konnte ihn bezwingen, und selbst Olaf Henderson und der Franzosen-Louis konnten nicht gegen ihn aufkommen. Da sie behaupteten, dass es ein Trick, ein eingeübter Griff war, forderte er sie zu einer anderen Probe heraus.
»Seht her, Leute!« rief er. »Ich will zweierlei tun: erstens meinen Beutel wiegen, und zweitens um alles wetten, dass ich zwei Mehlsäcke mehr heben werde als der Stärkste von euch.«
»Bei Gott – angenommen!« übertönte die Stimme des Franzosen-Louis das Getöse.
»Halt!« rief Olaf Henderson. »Ich bin wohl ebenso gut wie du, Louis. Ich übernehme die Hälfte der Wette.«
Als Elam Harnish' Beutel auf die Waagschale gelegt wurde, zeigte es sich, dass sein Gewicht vierhundert Dollar entsprach, und Louis und Olaf hielten jeder die Hälfte gegen ihn. Fünfzig-Pfund-Säcke wurden aus MacDonalds Vorratsraum geholt. Zuerst erprobten ein paar andere Männer ihre Kräfte daran. Sie stellten sich auf zwei Stühle, und die Mehlsäcke wurden unter sie auf den Fußboden gelegt und zusammengebunden. Viele von ihnen konnten auf diese Weise vier- oder fünfhundert Pfund heben, und mancher brachte es sogar auf sechshundert. Dann machten sich die beiden Hünen dazu, indem sie mit siebenhundert begannen. Der Franzosen-Louis legte nun noch einen Sack dazu und hob siebenhundertundfünfzig Pfund vom Boden. Olaf wiederholte die Leistung, aber bei achthundert versagten beide. Immer wieder versuchten sie es, der Schweiß stand ihnen auf der Stirn, ihre Glieder knackten. Beide konnten das Gewicht lüften, aber heben konnten sie es nicht.
»Bei Gott, Daylight, diesmal hast du dich verrechnet!« sagte der Franzosen-Louis, indem er sich aufrichtete und von den Stühlen sprang. »Das kann nur ein Mann aus Eisen, Hundert Pfund mehr – Freundchen, keine zehn Pfund mehr.«
Die Säcke wurden auseinandergebunden und noch zwei dazugestellt, aber da erhob Kearns Einwand.
»Nur einen Sack mehr.«
»Zwei!« schrie einer. »Zwei gilt die Wette «
»Sie haben die letzten nicht gehoben«, protestierte Kearns. »Sie haben nur siebenhundertundfünfzig gehoben.«
Aber Daylight machte der Verwirrung ein großartiges Ende.
»Wozu das Gerede? Was ist ein Sack mehr? Kann ich. nicht drei Säcke mehr heben, dann sicher auch keine zwei. Nehmt beide.«
Er stellte sich auf die Stühle, hockte nieder und beugte sich vor, bis seine Hände den Strick gefasst hatten. Dann änderte er seine Fußstellung ein wenig, spannte prüfend die Muskeln und versuchte, die Stellung zu finden, die seinem Körper die beste Hebekraftverlieh. Der Franzosen-Louis betrachtete ihn zweifelnd.
»Los, Daylight, los! Den Deubel noch mal!« schrie er. Daylights Muskeln strafften sich zum zweiten Mal, und diesmal im Ernst, mit aller Energie, über die sein prachtvoller Körper verfügte, und ganz unmerklich, ohne Ruck, ohne Anstrengung, hob er die umfangreiche Last von neunhundert Pfund vom Boden und schwang sie wie ein Pendel zwischen seinen Schenkeln hin und her.
Olaf Henderson schöpfte tief und hörbar Atem. Die Jungfrau, die sich unbewusst mit gestrafft hatte, bis ihr die Muskeln schmerzten, erschlaffte, während der Franzosen-Louis ehrerbietig murmelte:
»M'sieur Daylight, Salut! Ich bin ein großer Säugling. Du bist ein großer Mann!«
Daylight ließ die Last fallen, sprang vom Stuhl und stürzte an den Schanktisch.
»Abwiegen!« schrie er und warf seinen Beutel dem Wäger zu, der vierhundert Dollar aus den Beuteln Hendersons und Louis' in den seinen tat.
»Alle Mann her!« rief Daylight. »Sagt, was ihr haben wollt! Der Gewinner bezahlt.«
»Heut ist meine Nacht!« jauchzte er zehn Minuten später. »Ich bin der Einsiedlerwolf und habe dreißig Winter gesehen. Es ist mein Geburtstag, mein einziger Festtag im ganzen Jahr, und ich kann euch alle zusammen schmeißen. Kommt an, alle Mann! Ich will euch alle in den Schnee werfen. Kommt an, ihr Chechaquos (Weichlinge) und Sour-dougs (etwa: alte Jungens), ihr sollt eure Taufe kriegen!«
Die ganze Rotte bis auf die Kellner und die singenden Bacchanten strömte zur Tür hinaus. Der Wunsch, seine Würde zu wahren, mochte MacDonald durch den Kopf fahren, denn er näherte sich Daylight mit ausgestreckter Hand.
»Wie? Du zuerst?« lachte Daylight und ergriff seine Hand, wie zur Begrüßung.
»Nein, nein«, widersprach der Wirt schnell. »Ich will dir nur zum Geburtstag gratulieren. Dass du mich in den Schnee werfen kannst, weiß ich. Was kann ich gegen einen Mann machen, der neunhundert Pfund hebt?«
MacDonald wog hundertundachtzig Pfund, und Daylight hatte nur seine Hand ergriffen; aber durch einen plötzlichen Ruck riss er ihn um und warf ihn kopfüber in den Schnee. Dann kam der nächste an die Reihe, und ihm folgte schnell ein halbes Dutzend. Widerstand war nutzlos. Sie flogen Hals über Kopf und landeten in den groteskesten Stellungen im Schnee, ohne doch zu Schaden zu kommen. Bei dem dunklen Sternenlicht war es nicht leicht zu unterscheiden, wer von ihnen schon geworfen war und wer noch darauf wartete, dass die Reihe an ihn kam, und so begann er, ihre Rücken und Schultern zu befühlen, um zu erkennen, wer schon mit Schnee bestäubt war. »Schon getauft?« war die ständige Frage, wenn er seine schreckliche Hand ausstreckte.
Eine ganze Reihe lag schon im Schnee, während andere in komischer Demut vor ihm knieten, Schnee auf ihren Kopf streuten und behaupteten, die Zeremonie überstanden zu haben. Eine Gruppe von fünf Männern stand jedoch aufrecht – Hinterwäldler und Grenzer, die darauf brannten zu zeigen, dass sie es mit jedem, sogar mit Daylight aufnehmen könnten. Aber wenn sie auch die härteste Schule hinter sich hatten und Veteranen mancher harten Schlacht, Männer von Blut, Schweiß und Ausdauer waren, so fehlte ihnen doch eines, das Daylight in hohem Maße besaß – nämlich die beinahe vollkommene Zusammenarbeit von Gehirn und Muskeln. Das war an und für sich ganz einfach und nicht sein Verdienst. Diese Eigenschaft war ihm angeboren. Seine Nerven reagierten rascher als die ihren, seine Muskeln gehorchten dem Willen schneller, sie glichen explosivstem Sprengstoff. Alle Kraft in seinem Körper schnappte sofort ein wie die Stahlfeder einer Falle. Und dazu besaß er einen Überschuss an Kraft, wie ihn nur einer unter Millionen besitzt – eine Kraft, die nicht von Körpergröße, sondern von einer seltenen organischen Überlegenheit des Muskelgewebes abhing. So konnte er Wirkungen erzielen, ehe der Gegner sich überhaupt darüber klar war, was es galt und wie er Widerstand leisten konnte. Andererseits erkannte er einen gegen ihn selbst gerichteten Angriff so schnell, dass er rechtzeitig widerstehen und einen blitzartigen Gegenangriff machen konnte.
»Es hat keinen Zweck, dass ihr dort stehenbleibt, Leute«, wandte sich Harnish an die wartende Gruppe. »Ihr könnt euch ebenso gut gleich werfen lassen und eure Taufe kriegen. An einem anderen Tag könnt ihr mich vielleicht schmeißen, aber an meinem Geburtstage will ich euch zeigen, dass ich der Stärkste bin. Ist das Pat Hanrahan, der so erwartungsvoll dasteht? Komm an, Pat.«
Pat Hanrahan, früherer Meisterschaftsringer und eine Kapazität in der Kunst des Raufens, trat vor. Die beiden Männer stürzten aufeinander los, doch ehe der Irländer zur Besinnung gekommen war, fand er sich in der unbarmherzigen Zange eines »Halfnelson«, der ihm Schultern und Kopf in den Schnee presste. Joe Hines, früherer Holzhauer, flog mit einer Macht wie ein zweistöckiges Gebäude – sein Purzelbaum wurde von einem Schlag auf den Hintern begleitet – er war geliefert, ehe er sich überhaupt hatte zurechtstellen können.
Das alles schien Daylight nicht im Geringsten anzustrengen. Er bedurfte keiner Vorbereitungen. Sein Körper explodierte plötzlich und mit furchtbarer Kraft, um im nächsten Augenblick wieder zu erschlaffen. So wurde Doc Watson, der graubärtige, eiserne Mann ohne Vergangenheit, der sich selbst ein Schrecken war, den Bruchteil einer Sekunde vor seinem eigenen Angriff geworfen. Als er zum Sprunge ansetzte, war Daylight schon über ihm, und mit so gefährlicher Schnelligkeit, dass er rücklings in den Schnee flog. Olaf Henderson wollte den Augenblick ausnutzen und stürzte sich seitwärts auf Daylight, der noch mit ausgestreckter Hand dastand, um Doc Watson wieder auf die Beine zu helfen. Aber Daylight ließ sich auf Hände und Knie fallen, so dass Olafs Knie an seiner Seite landeten. Olaf nahm das Hindernis, indem er der Länge nach auf die Nase fiel. Ehe er sich erheben konnte, hatte Daylight ihn auf den Rücken gedreht, schrubbte ihm Gesicht und Ohren mit Schnee und stopfte ihm ganze Hände voll in den Nacken.
»Ich bin ebenso stark wie du, Daylight!« sprudelte Olaf hervor, als er wieder auf die Füße gekommen war; »aber bei Gott, einen solchen Griff hab' ich noch nicht gesehen.«
Franzosen-Louis war der letzte der fünf, und er hatte genug gesehen, um vorsichtig zu sein. Er umkreiste Daylight eine ganze Minute, ehe er es zum Zusammenstoß kommen ließ; und eine ganze Minute rangen sie miteinander, ohne dass einer das Übergewicht erhielt. Aber dann, gerade als der Kampf interessant zu werden begann, machte Daylight einen seiner blitzschnellen Griffwechsel und ließ gleichzeitig seine Muskeln explodieren. Der Franzosen-Louis wehrte sich, dass sein riesiger Körper krachte, und dann wurde er langsam in den Schnee gepresst.
»Der Gewinner bezahlt!« schrie Daylight, indem er auf die Füße sprang, und eilte ins Tivoli zurück. »Alle her, Leute! Hier geht's zur Giftbude!«
Sie stellten sich in einer zwei bis drei Mann tiefen Reihe an dem langen Schanktisch auf und stampften sich den Frost aus den Füßen, denn es waren sechzig Grad Kälte draußen.
Bettles, der selbst der Tüchtigsten einer war und manche Heldentat vollbracht hatte, unterbrach sein Lied von der »Sassafras-Wurzel« und kam herübergeschwankt, um Daylight zu gratulieren. Aber mitten drin fühlte er den Drang, eine Rede zu halten, und erhob seine Stimme:
»Ich sag' euch, Kameraden, ich bin verdammt stolz drauf, dass ich Daylight meinen Freund nennen darf. Wir haben manche Schlittenreise zusammen gemacht, und er ist achtzehnkarätig von den Mokassins aufwärts – verdammt soll er sein, die alte Haut! Er war ein Dreikäsehoch, als er ins Land kam. Aber als ihr in seinem Alter wart, wart ihr noch nicht mal trocken hinter den Ohren. Er war nie ein Säugling. Er ist als ausgewachsener Mann auf die Welt gekommen. Und ich sag' euch, damals musste man ein Mann sein. Damals gab es noch keine marklose Zivilisation wie jetzt.« Bettles hielt einen Augenblick inne und schlang seinen Arm wie eine Bärentatze um Daylights Nacken. »Als wir beide in der guten alten Zeit den Yukon heraufkamen, regnete es keine Suppe, und es gab kein Tischlein-deck-dich-Wirtschaften. Unser Lagerfeuer wurde angezündet, wenn wir unser Wild gejagt hatten, und die meiste Zeit lebten wir von Lachsfährten und Kaninchenbäuchen – stimmt das?« Nachdem der Lachsturm sich gelegt hatte, den diese Umkehrung erregt hatte, zog Bettles seine Bärentatze zurück und wandte sich aufgebracht gegen die Menge. »Lacht nur, ihr räudigen Gelbschnäbel, lacht nur! Aber ich sage euch mit einfachen Worten, dass der Beste von euch nicht würdig ist, Daylight die Mokassins zu schnüren. Stimmt das nicht, Campbell? Stimmt das nicht, Mac? Daylight ist einer von der alten Garde, ein richtiger alter Bursche. Und in jenen Tagen gab es keine Dampfer und keine Poststationen, und wir mussten zusehen, wie wir mit Lachsbäuchen und Kaninchenfährten fertig wurden.«
Er sah sich triumphierend um, und in den Beifall, der jetzt folgte, mischten sich Rufe nach einer Rede von Daylight. Er gab seine Bereitwilligkeit zu erkennen. Ein Stuhl wurde gebracht, und man half ihm hinauf. Er war nicht nüchterner als die ganze Schar, die er jetzt überragte – ein wilder Schwarm in ungeschlachten Kleidern, mit Mokassins oder Muclucked (wasserdichte Eskimostiefel aus Walroßhaut), mit um den Hals hängenden Fäustlingen und hochgeklappten Ohrenklappen, dass sie den Flügelhelmen der alten Wikinger glichen. Daylights schwarze Augen funkelten, und die Glut der schweren Getränke verdunkelte seine Wangen. Er wurde mit herzlichen Beifallsrufen von der Menge begrüßt, was eine verdächtige Feuchtigkeit in seine Augen steigen ließ, obwohl viele der Stimmen unartikuliert und undeutlich waren. Und doch hatten Männer seit Anbeginn der Welt es so gehalten, hatten mit Schlägerei und Trinken Feste gefeiert und gezecht. Wie die Helden vergangener Zeiten waren diese Männer, die Begründer des arktischen Reiches; sie prahlten, tranken und lärmten und suchten in wenigen wilden Augenblicken Vergessen der rauen Wirklichkeit.
»Schön, Jungens. Ich weiß zwar nicht, was ich euch sagen soll«, begann Daylight stockend, denn er musste erst die Herrschaft über sein wirres Gehirn wiedergewinnen. »Ich glaube, ich will euch eine Geschichte erzählen, Leute. Ich hatte einmal einen Partner, unten in Juneau. Er kam aus Nordcarolina und pflegte mir diese Geschichte zu erzählen.
Es war bei einer Hochzeit in den Bergen seiner Heimat. Die Familie und alle ihre Freunde waren versammelt. Der Pfarrer legte gerade die letzte Hand ans Werk und sagte: ›Was Gott zusammengefügt, die soll der Mensch nicht scheiden.‹
›Herr Pastor,‹ sagte der Bräutigam, ›ich gestatte mir zu bezweifeln, dass dieser Satz grammatikalisch richtig ist. Ich möchte, dass diese Hochzeit in jeder Beziehung korrekt ausgeführt wird.‹
Als der Rauch sich verzog, sieht die Braut sich um und erblickt einen toten Pfarrer, einen toten Bräutigam, einen toten Bruder, zwei tote Onkel und fünf tote Hochzeitsgäste.
Da stößt sie einen tiefen Seufzer aus und sagt: ›Die neumodischen Selbstladepistolen haben alle meine Pläne über den Haufen geworfen.‹
Und so sage ich euch, Leute,« fuhr Daylight fort, als das stürmische Gelächter sich gelegt hatte, »dass Jack Kearns vier Könige meine ganzen Pläne umgeworfen haben. Ich bin so arm wie eine Kirchenmaus und muss nun mit der Post nach Dyea.«
»Nach Hause?« fragte einer.
Einen Augenblick flog ein ärgerliches Zucken über sein Gesicht, aber im nächsten Augenblick hatte er seine gute Laune wiedergefunden.
»Ich weiß, dass es nur Scherz ist, wenn ihr so was fragt«, sagte er lächelnd. »Selbstverständlich gehe ich nicht nach Hause.«
»Kannst du darauf schwören, Daylight?« rief dieselbe Stimme.
»Aber sicher. Dreiundachtzig kam ich zum erstenmal. Ich überschritt den Chilkoot im Schneegestöber mit einem zerlumpten Hemd und einer Tasse voll Mehl. Drüben gab es nichts zu essen, und ich musste nach Juneau zurück. Dort erhielt ich in jenem Winter meinen Proviant, und im Frühling ging ich wieder über den Pass. Und noch einmal vertrieb mich der Hunger. Im nächsten Frühling kam ich wieder, und ich schwor, nicht umzukehren, ehe ich meinen Einsatz nicht heraus hatte. Schön, das ist noch nicht geschehen, und hier bin ich nun. Und jetzt gehe ich nicht nach Hause. Ich hole die Post, und dann komme ich wieder. Ich bleibe nicht die Nacht über in Dyea. Sobald ich die Hunde gewechselt und Post und Proviant bekommen habe, will ich über den Chilkoot gehen. Und ich schwöre noch einmal bei dem Geschwänzten der Hölle und beim Kopf Johannes des Täufers, dass ich nicht eher heimgehe, als ich ordentlichen Gewinn gemacht habe. Und das sage ich euch, Leute, es muss ein mächtiges Vermögen sein.«
»Was nennst du ein Vermögen?« fragte Bettles, der neben dem Stuhl stand und seine Arme zärtlich um Daylights Schenkel geschlungen hatte.
»Ja, wieviel? Was nennst du ein Vermögen?« fragten andere.
Daylight hielt einen Augenblick inne und bedachte sich.
»Vier oder fünf Millionen«, sagte er langsam und hob die Hand, um Schweigen zu gebieten, denn seine Erklärung wurde mit stürmischem Hohngelächter begrüßt. »Ich will ganz vernünftig sein und sagen: mindestens eine Million. Aber das ist auch das wenigste, sonst gehe ich nicht aus dem Lande.«
Wieder wurde seine Behauptung mit schallendem Gelächter begrüßt. Nicht nur hatte die gesamte Ausbeute von Yukon bis dahin keine fünf Millionen erreicht, es gab nicht einen einzigen, der je für hunderttausend Dollar Gold gefunden hätte, geschweige denn für eine Million.
»Hört nur zu, Jungens. Ihr habt heute gesehen, wie Jack Kearns eine Chance verfolgte. Ehe gekauft wurde, hatten wir ihn. Aber er wusste, dass er noch einen König bekommen würde – das war seine Chance –, und er bekam ihn. Und ich sage euch, ich habe auch eine Chance. Es wird einmal ein großer Treffer am Yukon kommen, und es kommt bald. Ich meine nicht die Brocken, die wir in Moosehide oder Birch-Creek finden. Ich meine einen Fund, dass sich einem die Haare sträuben. Ich sag' euch, Leute, das Gold liegt da und wartet nur, dass man es holt. Niemand kann den Gang der Dinge aufhalten. Es liegt flussaufwärts, und dort müsst ihr mich suchen, wenn ihr mich in der nächsten Zeit finden wollt – irgendwo im Lande um den Stewart-River, den Indian-River und Klondike-River. Wenn ich mit der Post zurückkomme, mache ich mich auf den Weg dahin, und so schnell, dass ihr meine Fährte vor Rauch nicht sehen könnt. Es kommt, Jungens, Gold von den Graswurzeln abwärts, hundert Dollar in jeder Pfanne, und aus der ganzen Welt werden die Leute herströmen, fünfziglausend Mann stark. Ihr werdet denken, dass die Hölle losgelassen ist.«
Er führte das Glas an die Lippen.
»Ihr sollt leben, und ich hoffe, dass ihr alle mit dabei sein werdet!«
Er trank, trat vom Stuhl herab und fiel wieder in die Bärentatzen Bettles'.
»Wenn ich du wäre, Daylight, so würde ich heute nicht fahren«, riet Joe Hines, der draußen gewesen war und das Thermometer untersucht hatte. »Wir kriegen eine schöne Kälte. Es sind jetzt schon sechzig Grad, und es geht immer noch herunter. Wart' lieber, bis es wärmer wird.«
Daylight lachte, und die alten Kerle um ihn her lachten.
»Das sieht euch Gelbschnäbeln ähnlich,« rief Bettles, »vor dem bisschen Kälte bange zu sein. Du kennst Daylight verdammt schlecht, wenn du meinst, dass die Kälte ihn aufhalten kann.«
»Er kriegt ja Frost in die Lunge, wenn er in der Kälte reist«, lautete die Antwort.
»Den Deubel kriegt er! Sieh mal, Hines, du bist erst drei Jahre in diesem Land, du hast dich noch nicht richtig daran gewöhnt. Ich hab' Daylight fünfzig Meilen den Koyokuk aufwärts fahren sehen an einem Tage, als das Thermometer bei zweiundsiebzig Grad in Stücke sprang.«
Hines schüttelte besorgt den Kopf.
»Gerade solche Leute kriegen Frost in die Lunge«, warnte er. »Wenn Daylight fährt, bevor die ärgste Kälte vorüber ist, so kommt er nie durch, noch dazu, wenn er ohne Zelt reist.«
»Es sind tausend Meilen bis Dyea«, erklärte Bettles, indem er auf einen Stuhl kletterte und, um seinen schwankenden Körper zu stützen, einen Arm um Daylights Nacken schlang. »Es sind tausend Meilen, sage ich, und zum größten Teil ungebahnter Weg, aber ich wette mit jedem Chechaquo – so hoch er will –, dass Daylight in einem Monat in Dyea ist.«
»Das wären mehr als dreißig Meilen täglich,« warnte Doc Watson, »und ich bin auch schon gereist. Ein Schneesturm am Chilkoot würde ihn eine Woche aufhalten.«
»Stimmt,« sagte Bettles trocken, »und die tausend Meilen zurück wird Daylight wieder in einem Monat machen; ich wette fünfhundert Dollar, und den Schneesturm mag der Teufel holen.«
Um seiner Bemerkung Nachdruck zu verleihen, holte er einen Beutel mit Gold aus der Hosentasche und warf ihn auf den Schanktisch. Doc Watson legte seinen eigenen daneben.
»Halt!« rief Daylight. »Bettles hat recht, aber ich will auch mit dabei sein. Ich wette fünfhundert, dass ich heute in sechzig Tagen mit der Post von Dyea in die Tür von Tivoli trete.«
Zweifelnde Stimmen erhoben sich, und ein Dutzend Männer holten ihre Beutel heraus. Jack Kearns drängte sich vor, so dass Daylight ihn bemerkte.
»Ich nehm' dich beim Wort, Daylight«, rief er. »Zwei gegen eins, dass du es nicht machst – nicht in siebzig Tagen.«
»Keine Wohltätigkeit, Jack«, war die Antwort. »Die Wette steht gleich, und es bleibt bei sechzig Tagen.«
»Siebzig Tage und zwei gegen eins, dass du es nicht machst«, beharrte Kearns. » ›Fifty Mile‹ ist weit offen und das Ufereis unsicher.«
»Was du mir abgewinnst, gehört dir«, fuhr Daylight fort. »Donnerwetter, Jack, du kannst mir meinen Verlust nicht auf diese Weise erstatten. Ich will überhaupt nicht mit dir wetten. Du willst nur versuchen, mir Geld zu schenken. Aber ich will dir etwas sagen, Jack, ich habe eine andere Chance. Eines Tages gewinne ich alles zurück. Wartet nur, bis der große Goldfund oben am Fluß kommt. Dann wollen wir beide ein Spiel machen, wie es sich für Männer ziemt. Gilt das?«
Sie schüttelten sich die Hände.
»Er macht es«, flüsterte Kearns Bettles ins Ohr. »Und hier setze ich fünfhundert Dollar darauf, dass Daylight in sechzig Tagen wieder da ist«, fügte er laut hinzu.
Billy Rawlins ging die Wette ein, und Bettles umarmte Kearns begeistert.
»Bei Gott, die Wette halte ich«, sagte Olaf Henderson und zog Daylight von Bettles und Kearns weg.
»Wer gewinnt, gibt aus!« rief Daylight und schlug ein. »Und ich bin sicher, dass ich gewinne, sechzig Tage sind eine lange Zeit zwischen zwei Gläsern, und darum bezahle ich jetzt. Sagt, was ihr haben wollt, ihr Hoochinoos! Sagt, was ihr wollt!«
Mit einem Glas Whisky in der Hand kletterte Bettles wieder auf seinen Stuhl und, hin und her schwankend, sang er das einzige Lied, das er kannte:
»Oh, it's Henry Ward Beecher
And Sunday-school teachers
All sing of the sassafras-root;
But you bet all the same,
If it had its right name,
It's the joice of the forbidden fruit.«
Und die ganze Bande sang den Refrain:
»But you bet all the same,
If it had its right name,
It's the joice of the forbidden fruit.«
Die Tür wurde geöffnet. Ein unsicheres, graues Licht strömte herein.
»Es wird hell, der Tag bricht an!« rief eine Stimme mahnend.
Ohne sich auch nur einen Augenblick zu bedenken, stürzte Daylight zur Tür und zog die Ohrenklappen herunter.
Kama stand draußen neben dem Schlitten, einem langen schmalen Gerät, sechzehn Zoll breit und siebeneinhalb Fuß lang, mit einem sechs Zoll über den stählernen Kufen liegenden Holzboden. Die leichten Rupfensäcke, die die Post enthielten, sowie Proviant für Hunde und Menschen waren mit Riemen aus Elenhaut darauf festgebunden. Vor ihm lagen in einer Reihe fünf weißbereifte Hunde. Es waren Huskies (eine Art Wolfshund), die in ihrer ungewöhnlichen Größe und grauen Farbe zueinander paßten. Von ihrer grimmigen Schnauze bis zu den buschigen Ruten glichen sie lebensgroßen Waldwölfen. Sie waren Wölfe, zwar zahme, aber doch Wölfe in ihrer ganzen Erscheinung wie in ihrem Wesen. Oben auf dem Schlitten lagen zu augenblicklichem Gebrauch bereit zwei Paar Schneeschuhe.
Bettles zeigte auf einen Schlafsack aus Polarhasenfell, der aus einem Sack herausguckte.
»Das ist sein Bett«, sagte er. »Sechs Pfund Kaninchenfell. Das Wärmste, worunter er je geschlafen hat, aber ich will verdammt sein, wenn mich das warm halten könnte, und ich kann doch was vertragen. Daylight ist das reine Höllenfeuer.«
»Ich möchte nicht der Indianer sein«, bemerkte Doc Watson.
»Er macht ihn tot, er macht ihn sicher tot«, sang Bettles begeistert. »Ich weiß das. Ich habe schon Schlittenreisen mit Daylight gemacht. Der Mann ist noch nie in seinem Leben müde gewesen. Weiß gar nicht, was das heißt. Ich hab' ihn einen ganzen Tag bei vierzig Grad Kälte mit nassen Strümpfen reisen sehen. Das macht ihm keiner nach.«
Während dieses Gesprächs verabschiedete Daylight sich von den Männern, die ihn umdrängten. Die Jungfrau wollte ihn küssen, aber obwohl er stark vom Whisky umnebelt war, gelang es ihm auch diesmal, den Schürzenbändern zu entgehen. Er küßte die Jungfrau, küßte aber auch die andern drei Mädchen mit derselben Wärme. Dann zog er die langen Fäustlinge an, jagte die Hunde auf und nahm seinen Platz am Steuer ein.
»Mush, Kinder!« rief er.
Im selben Augenblick warfen die Tiere ihr volles Gewicht gegen die Brustgurte, krochen im Schnee zusammen und hieben ihre Klauen hinein. Sie winselten vor Eifer, und ehe der Schlitten ein halbes Dutzend Längen fortgekommen war, mussten sowohl Daylight wie Kama, der den Nachtrab bildete, laufen, um mitzukommen. Und so glitten Männer und Hunde den Hang hinunter, liefen dem gefrorenen Bette des Yukon zu und waren bald in dem grauen Licht verschwunden.