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ОглавлениеIn Sixty Mile ergänzten sie ihren Proviant, vermehrten ihre Last um einige Pfund Briefe und fuhren dann wieder unverdrossen drauflos. Von Forty Mile an war der Weg ungebahnt gewesen, und bis Dyea sollte es nun so weiter gehen. Daylight war in glänzender Verfassung, auf Kama dagegen blieb die furchtbare Fahrt nicht ohne Einfluß. Zwar schloß ihm sein Stolz den Mund, aber die Wirkung der Kälte auf seine Lungen ließ sich nicht mehr verbergen. Der angegriffene Rand der Lungenspitzen war mikroskopisch klein, aber sie begannen jetzt abzuschälen, was einen trockenen Husten verursachte. Jede außergewöhnliche Anstrengung bedeutete einen heftigen Hustenkrampf. Das Blut trieb ihm die Augen aus dem Kopf, und die Tränen rannen ihm über die Backen. Der Rauch von der Bratpfanne genügte, ihn eine halbe Stunde nach Luft keuchen zu lassen, und wenn Daylight kochte, hielt er sich daher sorgfältig auf der Windseite.
Tag für Tag, endlos kämpften sie sich vorwärts durch den weichen, ungebahnten Schnee. Es war eine harte, einförmige Arbeit ohne die Freude und Erregung, die man fühlt, wenn man über eine harte Oberfläche dahinsaust. Bald ging der eine, bald der andere auf Schneeschuhen voraus, es war unablässige harte Mühsal. Der Staubschnee musste niedergepreßt werden, und bei jedem Schritt sank der breite Schneeschuh zwölf Zoll tief ein. Unter solchen Umständen erforderte die Arbeit mit dem Schneeschuh ganz andere Kräfte als gewöhnlich. Um vorwärts zu kommen, musste der Fuß senkrecht gehoben werden. War der Schneeschuh in den Schnee eingepreßt, so stand die Spitze vor einer senkrechten, zwölf Zoll hohen Schneemauer. Wurde der Fuß beim Vorwärtsschreiten nur ganz wenig schief gesetzt, so drang die Spitze in die Schneemauer und wippte herunter, dass der Schneeschuh dem Mann hinten gegen das Bein schlug. So musste Stunde für Stunde bei jedem Schritt der Fuß zwölf Zoll gehoben werden, ehe das Knie ihn vorwärtsschwingen konnte.
Dicht hinter dem Wegbahner folgten die Hunde, der Mann am Steuer und der Schlitten. Bei einer Arbeit, wie sie nur wenige Auserwählte zu leisten imstande sind, schafften sie höchstens drei Meilen die Stunde. Das bedeutete längere Arbeitszeit, und um einen Vorsprung zu gewinnen für den Fall, dass ihnen etwas Unerwartetes zustoßen sollte, fuhren sie zwölf Stunden täglich. Da das Aufschlagen des Lagers und das Kochen der Bohnen, die Zubereitung des Frühstücks, der Aufbruch am Morgen und die Mittagspause mit dem Auftauen der Bohnen drei Stunden erforderte, blieben ihnen nur neun Stunden für Schlaf und Ruhe, und weder Mensch noch Hund vergeudete eine Minute von diesen kostbaren neun Stunden.
In Selkirk, der Poststation in der Nähe des Pelly-River schlug Daylight vor, dass Kama hierbleiben und wieder zu ihm stoßen sollte, wenn er von Dyea zurückkäme. Ein vom Le-Barge-See hierher verschlagener Indianer hatte sich bereit erklärt, seinen Platz einzunehmen; aber Kama war halsstarrig. Er grunzte mit einer schwachen Andeutung von Empfindlichkeit, und damit war die Sache erledigt. Dagegen wechselte Daylight die Hunde, ließ das erschöpfte Gespann zurück, damit die Tiere sich bis zu seiner Rückkehr ausruhten, und zog mit sechs frischen weiter.
Um zehn Uhr erreichten sie Selkirk, und am nächsten Morgen um sechs Uhr befanden sie sich wieder auf der Wanderung durch die weite Einöde nach dem fast fünfhundert Meilen entfernten Dyea. Eine zweite Kältewelle kam, aber ob kalt oder warm, der ungebahnte Weg blieb immer gleich. Wenn das Thermometer auf fünfzig Grad herunter ging, war die Reise ebenso beschwerlich, denn bei dieser niedrigen Temperatur widerstanden die harten Eiskristalle den Schlittenkufen wie Sandkörner. Die Hunde mussten eben stärker ziehen als auf demselben Schnee bei zwanzig bis dreißig Grad unter Null. Daylight verlängerte die tägliche Arbeitszeit auf dreizehn Stunden. Er wachte eifersüchtig auf den gewonnenen Vorsprung, denn er wusste, dass noch schwierige Stellen kamen.
Es war erst Mitte Dezember, und der ungestüme Fifty-Mile-River rechtfertigte seine Befürchtungen. An vielen Strecken war er offen und nur am Ufer entlang von unsicherem Eise bedeckt. An zahlreichen Stellen, wo das Wasser gegen die steilen Felsufer brach, konnte sich überhaupt kein Eis bilden. Sie machten Umwege, gingen hier über den Fluß und dort wieder zurück und mussten es oft ein dutzendmal versuchen, ehe sie einen Weg über eine besonders schwierige Stelle fanden. Es ging nur langsam vorwärts. Die Eisbrücken mussten geprüft werden; einer von ihnen schritt dann mit den Schneeschuhen an den Füßen und einer langen Stange quer in den Händen voraus. Brach das Eis, so konnte er sich an die Stange klammern. Ein solcher Unfall begegnete beiden mehrmals. Bei fünfzig Grad unter Null kann ein Mann, wenn er bis zum Gürtel naß geworden ist, nicht sofort weiterreisen, ohne zu erfrieren, so dass jedes Bad eine neue Verspätung bedeutete. Sobald der Mann herausgezogen war, begann er, so naß wie er war, auf und ab zu laufen, um sein Blut in Zirkulation zu halten, während sein trockener Gefährte ein Feuer anmachte. Unter dessen Schutz konnte dann die Kleidung gewechselt und das nasse Zeug bis zum nächsten Unfall getrocknet werden. Das schlimmste aber war, dass die gefährliche Reise nicht in der Dunkelheit fortgesetzt werden konnte und sich der Arbeitstag daher auf sechs Stunden beschränkte. Jede Minute war kostbar, und sie bestrebten sich, nicht eine zu verlieren. So war, ehe noch der erste Schimmer des grauen Tages dämmerte, das Lager abgebrochen, der Schlitten beladen, das Gespann angeschirrt, und die beiden Männer kauerten sich wartend am Feuer nieder. Selbst mittags machten sie keinen Halt mehr. Und doch waren sie weit hinter ihrer Zeitberechnung zurück, und jeder Tag verschlang ein Stück des Vorsprunges, den sie anfangs gehabt hatten. Es gab Tage, an denen sie fünfzehn Meilen, und Tage, an denen sie ein Dutzend zurücklegten. Und auf einer besonders schlimmen Strecke brauchten sie zwei volle Tage für neun Meilen, da sie gezwungen waren, den Fluß zu verlassen und den Schlitten über die Berge zu tragen.
Zuletzt bezwangen sie aber den furchtbaren Fifty-Mile-River und erreichten den Le-Barge-See. Hier gab es weder offenes Wasser noch Eisbarrieren. Auf einer Strecke von dreißig Meilen oder mehr lag der Schnee so eben wie eine Tischplatte, aber drei Fuß hoch und weich wie Mehl. Drei Meilen die Stunde waren das höchste, was sie leisten konnten, aber Daylight feierte den Abschied vom Fifty-Mile-River, indem er bis zum späten Abend fuhr. Um elf Uhr morgens war der See vor ihren Augen aufgetaucht. Als die arktische Nacht sich um drei Uhr nachmittags herabsenkte, konnten sie in der Ferne sein Ende erblicken, und beim ersten Sternenlicht war es erreicht. Um acht Uhr abends ließen sie den See hinter sich und fuhren in die Mündung des Lewes-River ein. Hier wurde eine halbstündige Rast gemacht und Stücke der kalten gefrorenen Bohnen aufgetaut, während die Hunde eine Extraportion Fisch erhielten. Dann setzten sie ihren Weg flussaufwärts fort, bis sie um ein Uhr nachts ihr Lager aufschlugen.
Sie waren an diesem Tage sechzehn Stunden gefahren, die Hunde waren jetzt sogar zu müde, um sich zu raufen, und Kama hatte die letzten Meilen kaum noch folgen können; aber schon um sechs Uhr am nächsten Morgen war Daylight zur Weiterfahrt bereit. Um elf waren sie am Fuße des White Horse, und diese Nacht sah sie jenseits des Box Canjon lagern, die letzte schlimme Flußstrecke im Rücken und die Seenreihe vor sich.
Aber deshalb ließ Daylight nicht nach. Weiter ging es: zwölf Stunden am Tage, sechs im Zwielicht und sechs in der Dunkelheit. Drei Stunden brauchten sie, um zu kochen, das Geschirr nachzusehen, das Lager aufzuschlagen und abzubrechen, und die übrigen neun Stunden schliefen Hunde und Männer wie die Toten. Kamas eiserne Gesundheit war erschüttert, Tag für Tag wurde sie mehr von der fürchterlichen Arbeit untergraben. Tag für Tag verbrauchte er mehr von seiner Kraftreserve. Seine Bewegungen wurden langsamer, seine Muskeln verloren die Spannkraft, und er wurde immer schlaffer. Aber er arbeitete stoisch weiter, ohne zu klagen. Daylight hatte eingefallene Wangen und war müde. Man sah es ihm an, aber mit der gleichen Schnelligkeit ging es weiter, immer weiter, unablässig weiter. Nie war er dem Indianer gottähnlicher erschienen, als in diesen letzten Tagen ihrer Wanderung nach dem Süden. Daylight war stets an der Spitze und eilte vorwärts mit einer Schnelligkeit und Ausdauer, die Kama sich nie hatte träumen lassen, und der immer schwächer werdende Indianer wachte über ihn.
Es kam die Zeit, da Kama nicht mehr vorausgehen und den Weg bahnen konnte, und es war der beste Beweis, wie mitgenommen er war, dass er Daylight den ganzen Tag die harte Schneeschuharbeit allein leisten ließ. Sie überschritten nun die lange Seenreihe von Marsh bis Linderman und begannen, den Chilkoot zu erklimmen. Eigentlich hätte Daylight in der Dämmerung sein Lager auf dem höchsten Punkt des Passes aufschlagen müssen, aber er fuhr weiter bis nach Sheep Camp hinunter, während hinter ihm ein Schneesturm tobte, der ihn vierundzwanzig Stunden verspätet haben würde.
Diese letzte gewaltige Anstrengung brach Kamas Kräfte völlig. Am Morgen konnte er nicht mehr weiter. Als er um fünf geweckt wurde, erhob er sich mit Beschwer, stöhnte und sank wieder zurück. Daylight verrichtete seine eigene und Kamas Arbeit, schirrte die Hunde an, und als alles zum Aufbruch bereit war, lud er den hilflosen Indianer, in alle Schlafsäcke gewickelt, auf den Schlitten. Die Bahn war gut, es war das letzte Stück Weg, und er sauste mit den Hunden in voller Fahrt durch den Dyea-Canjon und über den festgetretenen Weg, der zur Dyea-Station führte. Und in voller Fahrt, mit dem stöhnenden Kama auf dem Schlitten, während Daylight jeden Augenblick beiseitespringen musste, um nicht unter die Kufen zu kommen, hielten sie ihren Einzug in Dyea.
Seinem Versprechen getreu, machte Daylight dort keinen Halt. In einer Stunde war der Schlitten mit Proviant und Post beladen, ein frisches Hundegespann angeschirrt und ein neuer Indianer engagiert. Von der Ankunft bis zu dem Augenblick, da Daylight zur Abreise bereit dastand, hatte Kama kein Wort gesprochen. Nun schüttelten sie sich die Hände.
»Du machst den verdammten Indianer tot«, sagte Kama, »savvy, Daylight? Du machst ihn tot!«
»Er braucht jedenfalls nur bis Pelly zu halten«, lachte Daylight.
Kama schüttelte zweifelnd den Kopf und drehte ihm den Rücken zu – das war sein Abschied.
Daylight überschritt den Chilkoot noch am selben Tage und stieg in Dunkelheit und Schneegestöber die fünfhundert Fuß zum Krater-See hinab, wo er übernachtete. Es war ein kaltes Lager, hoch über der Baumgrenze, und er hatte kein Brennholz auf den Schlitten geladen. In der Nacht fielen drei Fuß Schnee, und als sie sich an dem finsteren Morgen herausgegraben hatten, versuchte der Indianer zu desertieren. Er hatte genug davon, mit einem Manne zu reisen, der seiner Ansicht nach verrückt sein musste. Aber Daylight überredete ihn recht unsanft zum Bleiben, und sie fuhren weiter über den Deep und den Long Lake und erreichten schließlich die ebene Fläche des Linderman Lake.
Es war dieselbe mörderische Fahrt wie auf der Herreise, und der Indianer hielt nicht so gut stand wie Kama. Aber auch er klagte weder, noch versuchte er ein zweites Mal davonzulaufen. Er tat sein Bestes und sagte nur beständig vor sich hin, dass er sich Daylight in Zukunft wohl vom Leibe halten wollte. Ein Tag nach dem anderen verging im Wechsel von Helligkeit, Dämmerung und Nacht, schneidender Kälte und Schneestürmen, aber in den langen Stunden wuchs die Zahl der zurückgelegten Meilen.
Doch am Fifty Mile erlitten sie einen Unfall. Beim Überschreiten einer Eisbrücke brachen die Hunde ein und wurden unter dem Eis vom Strom fortgerissen. Die Stränge, die das übrige Gespann mit dem letzten Hunde verbanden, rissen, und sie sahen sie nicht wieder. Ihnen blieb nur ein einziger Hund, und Daylight musste sich selbst und den Indianer vor den Schlitten spannen. Aber bei solcher Arbeit kann ein Mann nicht einen Hund ersetzen, und hier sollten zwei Männer die Arbeit von fünf Hunden leisten. Nach der ersten Stunde entlastete Daylight den Schlitten. Hundefutter, das Reservebeil und alles Überflüssige wurden fortgeworfen. Infolge der Überanstrengung zerriß sich der Hund am nächsten Tag eine Sehne und wurde völlig unbrauchbar. Daylight erschoß ihn und ließ den Schlitten zurück. Auf seinen Rücken lud er hundertsechzig Pfund Post und Proviant, und auf den des Indianers hundertfünfundzwanzig Pfund. Rücksichtslos wurde alles Überflüssige weggeworfen. Der Indianer war entsetzt, als er sah, wie Daylight jedes Pfund wertloser Postsachen sorgfältig aufbewahrte, während Bohnen, Tassen, Eimer, Teller und alle Reservekleidung über Bord gingen. Sie behielten nur einen Schlafsack für jeden, ein Beil, einen Blecheimer und eine ganz kleine Ration von Speck und Mehl. Den Speck konnten sie roh essen, und wenn das Mehl in heißem Wasser verrührt wurde, gab es immerhin eine kräftige Mahlzeit. Sogar die Flinte und der letzte Munitionsvorrat wurden zurückgelassen. Und so legten sie die zweihundert Meilen bis Selkirk zurück. Daylight wanderte früh und spät, und die Stunden, die früher zum Aufschlagen des Lagers und zur Fütterung der Hunde verwendet worden waren, wurden nun zum Marschieren gebraucht. Nachts krochen sie, in ihre Schlafsäcke gehüllt, an einem kleinen Lagerfeuer zusammen, tranken Mehlsuppe und spießten Speck auf kleine Holzstückchen und tauten ihn auf; und in der Finsternis des Morgens erhoben sie sich, luden wortlos ihre Lasten auf den Rücken, rückten die Riemen zurecht und zogen weiter. Die letzten Meilen vor Selkirk musste Daylight den Indianer, ein hohlwangiges, hageres Gespenst, vor sich hertreiben; er wäre sonst am Wege liegengeblieben oder hätte seinen Teil der Post im Stich gelassen.
In Selkirk wurde das alte Hundegespann, das jetzt frisch und in guter Verfassung war, vor einen anderen Schlitten gespannt, und noch derselbe Tag sah Daylight, als wäre es die natürlichste Sache von der Welt, abwechselnd mit dem Le-Barge-Indianer, der sich schon auf der Hinreise angeboten hatte, am Steuer. Daylight war jetzt zwei Tage hinter seiner Berechnung zurück, und Schneefälle und ungebahnte Wege hinderten ihn. die beiden Tage bis Forty Mile einzuholen. Aber hier kam ihm das Wetter zu Hilfe. Eine lang anhaltende starke Kälteperiode schien im Anmarsch zu sein. Er rechnete bestimmt mit ihr und verminderte den Proviant für Hunde und Menschen. Die Männer in Forty Mile schüttelten warnend die Köpfe und fragten, was er tun wollte, wenn das Schneegestöber anhielte.
»Die Kälte kommt sicher«, lachte er und zog getrost weiter.
Der Schlittenverkehr zwischen Forty Mile und Circle City war diesen Winter schon lebhaft gewesen und der Weg daher gut gebahnt. Und die Kälte kam und hielt an, und bis Circle City waren es nur zweihundert Meilen. Der Le-Barge-Indianer war ein junger Mann, voller Stolz und Zuversicht. Freudig hielt er mit Daylight Schritt und träumte sogar in der ersten Zeit davon, den Weißen auszustechen. Die ersten hundert Meilen wartete er darauf, Zeichen von Müdigkeit bei Daylight zu sehen, und wunderte sich, als sie ausblieben. Während der zweiten hundert Meilen wurde er selbst müde, aber er biß die Zähne zusammen und hielt aus. Und immer weiter ging es – bald war Daylight am Steuer, bald ruhte er sich auf dem dahinfliegenden Schlitten aus. Am letzten Tage, der klarer und kälter als je war, hatten sie glänzende Bahn und legten siebzig Meilen zurück. Es war zehn Uhr abends, als sie den Abhang hinauffuhren und durch die Hauptstraße von Circle City flogen, und der junge Indianer, obwohl er an der Reihe war, sich auszuruhen, sprang ab und lief hinter dem Schlitten her. Es war ehrliche Prahlerei, und verzweifelt gegen seine Schwäche ankämpfend, rannte er jetzt, was das Zeug hielt.