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IV

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Auf dem Fluß, in ausgetretener Bahn, wo es keiner Schneeschuhe bedurfte, machten die Hunde sechs Meilen in der Stunde. Um Schritt mit ihnen zu halten, waren die beiden Männer gezwungen, zu laufen. Daylight und Kama gingen abwechselnd am Steuer, denn den schnell fahrenden Schlitten zu lenken und vor ihm zu bleiben, war die härteste Arbeit. Der andere Mann hielt sich dicht hinter dem Gefährt und sprang zuweilen auf, um auszuruhen.

Es war harte Arbeit, aber sie machte trotzdem Freude. Sie flogen über den Boden dahin und hielten sich meist auf der ausgefahrenen Spur. Wenn sie sich später selbst ihren Weg bahnen mussten, waren drei Meilen die Stunde eine gute Leistung. Dann gab es kein Fahren und Ausruhen mehr, und auch von Laufen war wohl kaum noch die Rede. Dann war das Lenken die leichteste Arbeit, und während der eine Mann eine Zeitlang mit Schneeschuhen den Weg für die Hunde bahnte, konnte sich der andere am Steuerplatz ausruhen. Diese Arbeit machte keinen Spaß. Oft mussten sie sich lange Strecken über ein Chaos von Eisschollen schleppen und froh sein, wenn sie zwei Meilen die Stunde schafften. Und es kamen noch schlimmere Strecken, wo eine Meile die Stunde furchtbarste Anstrengung bedeutete.

Kama und Daylight sprachen nicht miteinander. Ihre Arbeit ließ es nicht zu, und es lag ihnen auch nicht, während der Arbeit zu sprechen. Nur ganz selten, wenn es unumgänglich war, wechselten sie ein kurzes Wort miteinander, und Kama beschränkte sich auch dann meistens auf einen kurzen Grunzlaut. Hin und wieder winselte oder knurrte ein Hund, aber im allgemeinen verhielt das Gespann sich still. Der einzige Laut, den man hörte, war das scharfe Pfeifen der stählernen Kufen über die harte Fläche und das Knirschen des gleitenden Schlittens.

Wie durch eine Mauer war Daylight jetzt von dem Summen und Lärmen des Tivoli getrennt – eine andere Welt hatte ihn aufgenommen, eine Welt von Schweigen und Unbeweglichkeit. Nichts regte sich. Der Yukon schlummerte unter einer drei Fuß starken Eisdecke. Nicht ein Windhauch war zu spüren. Selbst der Saft in den Fichtenstämmen an beiden Ufern schien erstarrt zu sein. Die Bäume standen wie versteinert mit der leichten Schneelast auf ihren Zweigen. die der leiseste Hauch herabgeweht hätte, aber es geschah nicht. Daylights Schlitten war der einzige lebendige, bewegliche Punkt inmitten der großen feierlichen Stille, und das rauhe Scheuern der Kufen verstärkte nur das Schweigen ringsum.

Es war eine tote Welt, ja, eine graue Welt. Das Wetter war kalt und klar; die Luft war trocken, ohne Dunst und Nebel; aber der Himmel war ein graues Bahrtuch. Zwar verdunkelten keine Wolken den Tag, aber auch keine Sonne gab Helligkeit. Weit im Süden erklomm sie stetig ihre Mittagshöhe, aber zwischen ihr und dem gefrorenen Yukon lag die Wölbung der Erde. Der Yukon war in nächtliche Schatten getaucht, und der Tag selbst nur eine lange Dämmerung. Als um dreiviertel zwölf eine plötzliche Wendung des Flusses einen Ausblick nach Süden eröffnete, zeigte sich der oberste Rand der Sonne gerade über dem Horizont. Eine blasse, verwischte Scheibe. Ihre Strahlen wärmten nicht, und man konnte gerade in sie hineinsehen, ohne dass einem die Augen schmerzten. Und kaum hatte sie ihre Mittagshöhe erreicht, als sie auch schon wieder hinter den Horizont kroch, und ein Viertel nach zwölf warf die Erde wieder ihren Schatten über das Land.

Männer und Hunde eilten weiter. Daylight und Kama nahmen wie die Wilden Nahrung zu sich. Sie aßen zu unregelmäßigen Zeiten, konnten sich bei Gelegenheit bis zum Übermaß vollstopfen und dann wieder weite Strecken zurücklegen, ohne überhaupt etwas zu essen. Die Hunde fraßen nur einmal täglich, und dann bekamen sie selten mehr als ein Pfund gedörrten Fisch jeder. Sie waren ausgehungert, dabei aber in glänzender Verfassung. Wie bei ihren Vorfahren, den Wölfen, war ihr Stoffwechsel streng ökonomisch und vollkommen. Nichts wurde vergeudet. Die kleinste Krume, die sie verzehrten, wurde in Energie umgesetzt. Und Kama und Daylight glichen ihnen. Sie waren ausdauernd wie die Generationen, von denen sie abstammten. Die geringste Nahrungsmenge versorgte sie mit produktiver Energie. Nichts ging verloren. Ein zivilisierter, verzärtelter Stubenmensch wäre mager und mutlos geworden bei der Lebensweise, die Kama und Daylight auf der Höhe körperlichen Wohlbefindens hielt. Sie kannten, was jener nicht kennt: beständiges, normales Hungergefühl, so dass sie jederzeit essen konnten. Ihr Appetit verließ sie nie und ließ sie gierig in alles einhauen, was sie kriegen konnten, ohne Verdauungsstörungen zu bekommen.

Gegen drei Uhr nachmittags ging die lange Dämmerung in die Nacht über. Die Sterne kamen zum Vorschein und funkelten nahe und klar, und bei ihrem Licht setzten Hunde und Männer die Reise fort. Sie waren unermüdlich. Und dabei war dies keine eintägige Rekordleistung, sondern der erste von sechzig gleichen Tagen. Obwohl Daylight eine Nacht durchtanzt und durchtrunken hatte, war ihm nichts anzumerken. Seine ungewöhnliche Lebenskraft und die selten ausbrechende Ausgelassenheit ließen ihn solche Nächte leicht überwinden.

Daylight reiste ohne Uhr, er fühlte die Zeit. Als es seiner Berechnung nach sechs Uhr sein musste, begann er sich nach einem Lagerplatz umzusehen. Bei einer Biegung kreuzten die Reisenden den Fluß. Da sie nicht gleich eine passende Stelle fanden, fuhren sie eine Meile am anderen Ufer entlang, wurden aber unterwegs vom Eise aufgehalten und brauchten eine Stunde schwerer Arbeit, um durchzukommen. Schließlich fand Daylight, was er suchte, einen abgestorbenen Baum am Ufer. Der Schlitten wurde hinaufgefahren. Kama grunzte zufrieden, und sie begannen ihr Lager aufzuschlagen.

Die Arbeitsteilung war ausgezeichnet. Jeder wusste, was er zu tun hatte. Mit der einen Axt zerhieb Daylight die tote Fichte. Mit der anderen Axt und einem Schneeschuh legte Kama die Eisdecke des Yukon frei und schlug Eis zum Kochen los. Das Feuer wurde mit einem Stück trockener Rinde angezündet, und Daylight machte sich ans Kochen, während der Indianer den Schlitten ablud und jedem Hund seine Portion an gedörrtem Fisch austeilte. Die Proviantsäcke warf er so hoch in die Bäume, dass die Hunde sie nicht erreichen konnten. Dann fällte er eine junge Tanne und hieb die Zweige ab. Dicht am Feuer trat er den Schnee fest und bedeckte ihn mit Zweigen. Auf diese legte er sein eigenes und Daylights Gepäck, das aus trockenen Strümpfen, Unterzeug und Schlafsäcken bestand. Kama hatte zwei Schlafsäcke aus Kaninchenfell, Daylight nur einen.

Sie arbeiteten ruhig, ohne die Zeit mit Sprechen zu vergeuden. Jeder tat das seine, ohne dem andern etwas von seiner eigenen Arbeit aufzubürden. Kama sah, dass sie mehr Eis brauchten, und holte es, während Daylight einen Schneeschuh, den die Hunde umgeworfen hatten, wieder aufrichtete. Während der Kaffee kochte und der Speck briet, und Kama den Teig zu den Pfannkuchen knetete, fand Daylight Zeit, einen großen Topf mit Bohnen aufzusetzen. Dann kam Kama zurück, setzte sich an den Rand der Tannenzweige und benutzte die Wartezeit, um die Hundeleinen nachzusehen.

»Ich glaub', Skookum und Booga werden sich beißen«, bemerkte Kama, als sie sich zum Essen niederließen.

»Pass' gut auf sie auf«, war Daylights Antwort.

Und das war die einzige Unterhaltung während der ganzen Mahlzeit. Einmal sprang Kama mit einem leisen Fluch auf und schlug mit einem brennenden Holzscheit auf ein paar Hunde ein, die aneinandergeraten waren. Daylight tat während des Essens Eisstücke in den Blechtopf, wo sie zerschmolzen. Als die Mahlzeit beendet war, fachte Kama das Feuer an, hieb noch etwas Holz für den nächsten Morgen ab und kehrte dann zu den Tannenzweigen und seiner Beschäftigung mit den Hundeleinen zurück. Daylight schnitt große Speckstücke ab und warf sie in den Topf mit den kochenden Bohnen. Ihre Mokassins waren trotz der starken Kälte feucht geworden; sobald sie ihre Arbeit beendet hatten, nahmen sie die Mokassins ab, hingen sie zum Trocknen an kurzen Stöcken vor das Feuer und wendeten sie von Zeit zu Zeit. Als die Bohnen gar gekocht waren, schüttete Daylight einen Teil davon in einen kleinen Sack, den er in den Schnee legte, während der Rest der Bohnen zum Frühstück stehenblieb.

Es war neun Uhr vorbei, als sie endlich zu Bett gehen konnten. Der Kampf zwischen den Hunden hatte längst aufgehört, und die müden Tiere waren im Schnee zusammengekrochen, wobei sie Pfoten und Schnauze zusammensteckten und sie mit der buschigen Wolfsrute bedeckten. Kama breitete seinen Schlafsack aus und steckte sich seine Pfeife an. Daylight drehte sich eine Zigarette aus braunem Papier, und die zweite Unterhaltung des Abends begann.

»Ich denke, wir haben fast sechzig Meilen gemacht«, sagte Daylight.

»Hm, glaub' ich auch«, sagte Kama.

Wie sie gingen und standen, nur mit einer wollenen Mackinawjacke anstatt der »Parka«, die sie den ganzen Tag getragen hatten, wickelten sie sich in ihre Schlafsäcke. Und fast im selben Augenblick schliefen sie auch schon fest. Die Sterne funkelten in der frostklaren Nacht, und über ihnen fuhren die farbenprächtigen Streifen des Nordlichts wie große Scheinwerfer über den Himmel. –

Es war noch dunkel, als Daylight erwachte und Kama rief. Obwohl das Nordlicht noch flammte, war doch ein neuer Tag angebrochen. Ihr Frühstück bestand aus Pfannkuchen, aufgewärmten Bohnen, gebratenem Speck und Kaffee. Die Hunde erhielten nichts, obwohl sie mit sehnsüchtiger Miene in einiger Entfernung im Schnee lagen und mit um die Schnauzen gelegten Ruten zusahen. Hin und wieder hoben sie unruhig eine Vorderpfote, als ob ihnen in der Kälte die Füße schmerzten. Es war bitterkalt, wenigstens fünfundsechzig Grad unter Null, und als Kama die Hunde mit bloßen Händen vor den Schlitten spannte, musste er sieh mehrmals die gefühllos gewordenen Fingerspitzen am Feuer wärmen. Gemeinsam beluden die beiden Männer den Schlitten. Sie wärmten sich zum letztenmal die Hände, zogen die Handschuhe an und trieben das Gespann zum Fluß hinunter. Nach Daylights Berechnung war es jetzt ungefähr sieben Uhr, aber die Sterne funkelten noch ebenso hell wie früher, und das Nordlicht pulste still über ihren Häuptern.

Zwei Stunden später wurde es plötzlich dunkel – so dunkel, dass sie den Weg nur noch fühlen konnten, und Daylight wusste nun, dass seine Zeitberechnung richtig gewesen war. Es war jene Dunkelheit vor Tagesanbruch, die nirgends auffälliger ist, als auf winterlichen Schlittenreisen in Alaska. Langsam stahl sich das graue Licht durch die Finsternis, im Anfang noch unmerklich, so dass sie fast mit Überraschung den unsicheren Schimmer der Spur unter ihren Füßen bemerkten. Das nächste, was sie zu sehen bekamen, war der letzte Hund, dann die ganze Reihe laufender Tiere, und zuletzt erschienen die schneebedeckten Hänge zu beiden Seiten. Einen Augenblick tauchte das Ufer selbst auf, verschwand wieder, tauchte wieder auf und blieb nun. Wenige Minuten später erschien das andere Ufer eine Meile entfernt, und nun konnte man weithin den zugefrorenen Fluß und zur Linken ganz in der Ferne eine langgestreckte Kette sich scharf abzeichnender schneebedeckter Berge sehen. Und das war alles. Die Sonne zeigte sich nicht, und das Licht blieb grau.

Einmal während des Tages kreuzte plötzlich ein Luchs gerade vor der Nase des Leithundes den Weg und verschwand in den weißen Wäldern. Der Raubtierinstinkt der Hunde erwachte. Sie erhoben den Jagdruf des Rudels, warfen sich ins Geschirr und wandten sich seitwärts zur Verfolgung. Daylight brüllte: »Hoa!« riss die Lenkstange herum, und es glückte ihm, den Schlitten in den weichen Schnee zu lenken, wo er umschlug. Die Hunde ließen von der Verfolgung ab, der Schlitten wurde aufgerichtet, und fünf Minuten später flogen sie wieder auf dem festen Wege dahin. Der Luchs war das einzige lebende Wesen, das sie seit zwei Tagen gesehen hatten, und wie er auf sammetweichen Pfoten leicht vorübersprang, wirkte er fast wie eine Erscheinung.

Als die Sonne um zwölf über die Erdrundung emporsah, machten die Männer halt und zündeten ein kleines Feuer auf dem Eise an. Daylight hieb mit der Axt Stücke von den gefrorenen Bohnen los. Sie wurden aufgetaut, in der Bratpfanne gewärmt und bildeten die ganze Mahlzeit. Kaffee gab es nicht. Das Tageslicht war zu kostbar, um es auf solchen Luxus zu verschwenden. Die Hunde hörten auf, sich zu balgen, und sahen sehnsüchtig zu. Nur abends bekamen sie ihr Pfund Fisch. Tagsüber arbeiteten sie.

Die Kälte hielt an. Nur Männer aus Stahl können bei so niedrigen Temperaturen reisen, aber Kama und Daylight waren Auserwählte ihrer Rasse. Kama jedoch, der die Überlegenheit des andern kannte, wusste, dass er von Anfang an zum Untergang verurteilt war. Nicht dass er es bewußt an Fleiß und Willigkeit fehlen ließ, aber dies Bewußtsein drückte ihn zu Boden. Er betete Daylight an. Selbst stoisch, schweigsam, stolz auf seine Ausdauer, fand er alle diese Eigenschaften in seinem weißen Kameraden verkörpert. Hier war einer, der sich in allem auszeichnete, worin ein Mann sich auszeichnen musste, ein Halbgott, und Kama konnte nicht anders, er musste ihn anbeten – wenn er es auch mit keiner Miene verriet.

Kein Wunder, dass die weiße Rasse siegte, dachte er, wenn sie solche Männer hervorbrachte. Was vermochte sein Volk gegen eine so zähe, ausdauernde Rasse? Selbst die Indianer reisten nicht bei solcher Kälte, und sie besaßen doch die Weisheit von tausend Generationen; und dieser Daylight, der Mann aus dem weichlichen Süden, war härter als sie, verlachte ihre Angst und reiste zehn und zwölf Stunden am Tage. Und dieser Daylight glaubte, eine tägliche Schnelligkeit von dreiunddreißig Meilen sechzig Tage lang aushalten zu können. Er sollte nur warten, bis frischer Schnee fiel, oder bis sie wieder auf ungebahnte Wege oder an die große Eisschranke um das offene Wasser kamen.

Aber unterdessen hielt Kama Schritt mit ihm, murrte nie und drückte sich nie von einer Arbeit. Fünfundsechzig Grad unter Null ist sehr kalt Es handelt sich stets um Fahrenheit.. Da Wasser bei zweiunddreißig Grad über Null gefriert, bedeuten fünfundsechzig Grad nicht weniger als siebenundneunzig Grad unter dem Gefrierpunkt. So erhält man einen schwachen Begriff von der Kälte, in der Kama und Daylight durch die Finsternis reisten.

Obgleich Kama beständig seine Wangen rieb, bekam er Frostbeulen an den Backenknochen, und das Fleisch wurde schwarz und gefühllos. Seine Lungenspitzen schmerzten – ein gefährliches Anzeichen, und allein schon ein Grund, dass ein Mann sich nicht im Freien bei fünfundsechzig Grad Kälte übermäßig anstrengen soll. Aber er klagte nie, und Daylight fühlte sich ebenso warm unter seinen sechs Pfund Kaninchenfell, wie der andere unter seinen zwölfen.

Am zweiten Abend schlugen sie nach weiteren fünfzig Meilen ihr Lager nahe der Grenze zwischen Alaska und dem nordwestlichen Territorium auf. Der Rest der Reise ging bis auf das letzte kurze Stückchen nach Dyea durch kanadisches Gebiet. Bei der schnellen Fahrt und da kein Neuschnee gefallen war, gedachte Daylight am vierten Abend das Lager von Forty Mile zu erreichen. Aber am dritten Tag begann die Temperatur zu steigen, und das bedeutete am Yukon, wie sie wussten, Schnee. Auch mussten sie sich an diesem Tage zehn Meilen weit ihren Weg durch Eisschollen bahnen und den Schlitten über riesige Eisblöcke heben. Hier nützten die Hunde nur wenig, und sowohl sie wie die Männer mühten sich ab, ohne viel weiter zu kommen. Eine Stunde Überarbeit am Abend brachte ihnen nur einen Teil der verlorenen Zeit wieder ein.

Als sie am Morgen erwachten, lag der Schnee zwei Zoll hoch auf ihren Schlafsäcken. Die Hunde waren ganz unter der weißen Decke begraben und wollten nur ungern ihr warmes Nest verlassen. Der Neuschnee bedeutete schwere Arbeit. Die Kufen sanken ein, und einer der Männer musste beständig vorausgehen und den Schnee mit den Schneeschuhen festtreten, damit sie nicht umwarfen. Der Schnee ist in diesen Gegenden ganz anders, als man ihn in südlichen Ländern kennt. Er ist hart, fein und trocken wie Zucker. Er läßt sich nicht ballen und wirbelt wie loser Sand unter den Füßen auf. Er besteht nicht aus Flocken, sondern aus Kristallen – winzigen geometrischen Frostkristallen. Es war wärmer geworden, kaum zwanzig Grad unter Null, und die beiden Männer schwitzten bei der Arbeit, obwohl sie die Ohrenklappen hochgeschlagen und die Handschuhe ausgezogen hatten. Sie erreichten Forty Mile an diesem Abend nicht mehr, und als sie am nächsten Tage dort eintrafen, machte Daylight nur halt, um Post und neuen Proviant aufzunehmen. Am folgenden Nachmittag lagerten sie an der Mündung des Klondike-River. Seit Forty Mile hatten sie nicht eine lebende Seele getroffen und sich beständig ihren Weg selbst bahnen müssen. Seit dem Herbst war noch keiner den Fluß hinauf südwärts von Forty Mile gekommen, und es konnte gut sein, dass sie den ganzen Winter die einzigen blieben. In jenen Tagen war Yukon ein einsames Land. Zwischen dem Klondike-River und Salt Water bei Dyea lagen sechshundert Meilen schneebedeckte Wildnis, und auf der ganzen Strecke gab es nur zwei Stellen, wo Daylight möglicherweise Menschen treffen konnte. Beides waren isolierte Poststationen, Sixty Mile und Fort Selkirk. Im Sommer stellten sich wohl an der Mündung des Stewart- und des White-River, bei Big und Little Salmons und am Le-Barge-See Indianer ein, im Winter jedoch folgten sie, wie er wohl wusste, den Elchherden bis weit in die Berge.

An diesem Abend, an der Mündung des Klondike, legte sich Daylight nach verrichteter Abendarbeit nicht nieder. Einem Weißen hätte er gesagt, dass er die »Chance« in sich spürte. Er schnallte sich die Schneeschuhe an, verließ die Hunde, die sich im Schnee verkrochen hatten, und Kama, der schwer atmend unter seinem Kaninchenfell lag, und kletterte den hohen Erdhang empor auf die weite Hochfläche. Aber dichte Tannen versperrten ihm die Aussicht, und so schritt er über die Ebene und erklomm die ersten Ausläufer der darunterliegenden Berge. Hier konnte er den Klondike, der im rechten Winkel aus Osten heranströmte, und den Yukon, der einen weiten Bogen von Süden her machte, sehen. Links, stromabwärts, gegen die Moosehide-Berge, zeigte sich der mächtige weiße Fleck, von dem sie ihren Namen hatten, klar im Sternenlicht. Leutnant Schwatka hatte ihnen den Namen gegeben, aber er, Daylight, hatte sie als erster gesehen, lange bevor der unerschrockene Forscher nach Überschreitung des Chilkoots auf einem Floß den Yukon hinabgefahren war.

Aber den Bergen schenkte er jetzt weniger Aufmerksamkeit als der weiten Ebene selbst, an deren Seiten das Wasser tief genug war, dass Dampfer dort anlegen konnten.

»Wie geschaffen für eine Stadt«, murmelte er. »Platz für ein Lager von vierzigtausend Mann. Man muss nur Gold finden.« Er dachte einen Augenblick nach. »Zehn Dollar die Pfanne genügen, um Scharen herbeizulocken, wie Alaska sie noch nie gesehen hat. Und wenn's nicht hier ist, dann bestimmt irgendwo hier herum. Die Idee ist sicher gut. Man muss die Baugelände den ganzen Weg herauf im Auge behalten.« Er stand noch eine Weile, sah über die einsame Fläche hinüber und malte sich aus, wie es hier aussehen würde, wenn der große Zustrom käme. Vor seinem Geiste entstanden die Sägemühlen, die Kaufhäuser, Wirtschaften und Tanzsäle und die langen Straßen der Goldgräbersiedlung. Und durch diese Straße wogte der Verkehr, Tausende von Männern, während vor den Geschäften die schwerbeladenen Schlitten mit langen Reihen von Hunden standen. Er sah sie die Hauptstraße fahren und den zugefrorenen Klondike bis zu seinen Goldfeldern hinaufsteuern.

Daylight lachte und schüttelte die Erscheinung von sich ab, dann stieg er zur Ebene hinunter und nach dem Lager. Fünf Minuten später hatte er sich in seinen Schlafsack gewickelt. Aber er öffnete die Augen und setzte sich auf, erstaunt, dass er nicht einschlafen konnte. Er betrachtete den schlummernden Indianer neben sich, die Glut des halb erloschenen Feuers, die fünf Hunde, die mit der buschigen Rute über der Schnauze dalagen, und die vier Schneeschuhe, die aufrecht im Schnee steckten.

»Die verdammte Chance läßt mir keine Ruhe«, murmelte er. Seine Gedanken kehrten zum Pokerspiel zurück. »Vier Könige!« Er grinste bei der Erinnerung. »Das war eine Chance!«

Er legte sich nieder, zog den Schlafsack um Nacken und Ohrenklappen zusammen, schloß die Augen, und diesmal schlief er ein.

Lockruf des Goldes

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