Читать книгу Gesetz des Menschlichen - Jakob Vedelsby - Страница 8

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Es ist halb vier morgens, und ich kann nicht schlafen, habe zuviel getrunken und gegessen. Unten im Hof klagt eine Katze in hohen Tönen und wetzt ihre Krallen am Stamm des Orangenbaumes. Der Schweiß rinnt mir aus den Poren des Gesichts und von der Kopfhaut, mein Nacken trieft vor Nässe. Ich lege die Beine auf den Rand des Balkons und betrachte die verfallene Ruine der Akropolis, während sich hinter meinen Augen immer wieder derselbe Filmfetzen abspult, der mein Herz stolpern lässt.

Kassandra kommt am Meer entlang gegangen, zusammen mit Alexandros. Sie haben mich nicht gesehen, denn ich stehe ganz oben auf der Düne, links von ihnen. Jetzt sehen sie mich und winken beide gleichzeitig. Ich winke zurück.

Ich glaube nicht, dass ich Fieber habe. So ist Athen halt in den Nächten im Sommer. Nachttemperaturen von 30 Grad sind für diese Jahreszeit hier normal, es kann sogar noch schlimmer werden, oder besser, abhängig von der Toleranzschwelle des Einzelnen, sagen sie in der Botschaft.

Zurzeit gehen mir viele Gedanken im Kopf herum, und wenn ich sie nicht auf Distanz halten kann, suche ich Zuflucht in meinem inneren virtuellen Ministerium voller täglicher dringender Angelegenheiten, die bis zur Perfektion geklärt werden müssen. Dann gleite ich zurück in meinen früheren Alltag, in dem es keine Zeit für Reflexionen gibt, in dem jeder nächste Schritt vom elektronischen Kalender des Handys diktiert wird, in dem Tage, Wochen und Monate verschmelzen und meinem Alter Jahre hinzufügen, ohne dass ich es anders bemerke, als dass ich mich Stufe für Stufe die Karriereleiter hinauf bewege.

Alexandros’ Besuch vor ein paar Jahren lässt mich für kurze Zeit über mein Leben nachdenken. Während er bei uns wohnt, gibt es faktisch Tage, an denen ich nicht weiß, was ich anfangen soll, an denen mein Alltag sich nicht mehr von selbst ergibt, und ich schnurstracks in die Ewigkeit schaue und Antworten auf Fragen bekomme, die ich noch nicht gestellt habe. Dort existiert meine Karriere nicht, da gibt es keine Ministerien und Machtkämpfe, dort herrscht vielmehr eine alles überdeckende Harmonie, die mit großer Kraft an mir zieht. Ich will Teil dieser Harmonie sein, die sich, wie ich instinktiv weiß, bereits irgendwo in mir befindet, aber zu der ich keine Verbindung habe. Das Problem ist, dass ich, um dorthin zu kommen, durch unbekannte Landschaften reisen muss. Ich bin Anhänger des Rationalen und nicht wie Kassandra ein Befürworter von Glauben und all dem Ungewissen, von dem die Welt überquillt, und das Zweifel und Furcht hervorruft. Ich halte mich an das, was ich sehe, höre, schmecke, rieche und fühle. Und das ist reichlich.

Es ist jenseits jeglicher Rationalität, aber es gibt kaum einen Zweifel darüber, dass Alexandros über übernatürliche Kräfte verfügt. Kassandra hat es auch verschiedene Male versucht, und eines Tages empfange ich auch die Kraft, die seinen Händen entströmt. Ich lege mich auf das Sofa und tue, was er mir sagt, schließe die Augen, entspanne mich, atme tief und ruhig. Im gleichen Moment füllt sich mein Herz mit einer brodelnden Flüssigkeit, die sich durch die Blutbahnen ausbreitet und am ganzen Körper Gänsehaut verursacht, und danach eine schwebende Leichtigkeit, die in mir die Perfektion der Kindheit wachruft, und jetzt verstehe ich, warum sie lächeln, diejenigen, die sagen, sie wären Gott begegnet.

Eines Abends sitzen Alexandros und ich auf dem Sofa, jeder an einem Ende, mit einem Buch in der Hand. Alexandros blättert eine Seite um, ich blättere eine Seite um. Alexandros legt das Buch beiseite, schließt für einige Sekunden die Augen, öffnet sie wieder und hat einen Ausdruck im Gesicht, als habe er vergessen, wo er ist. Als befinde er sich an einem anderen Ort und studiere einen Vorgang in einer anderen Dimension, zu der ich keinen Zugang habe. Ich weiß nicht, was ich von ihm halten soll. Ich schließe mein Buch mit einem Knall, und Alexandros wendet sich mir zu.

„Ich verspreche dir, Carl, dass du in Kürze bestätigt bekommen wirst, dass all das, was ich gesagt habe, wahr ist. Ich bin nach Dänemark gekommen, um die Mission abzuschließen, die Mr. Weis vor fast fünfzig Jahren eingeleitet hat. In diesem Buch schreibt er, dass Jesus auf die Erde zurückkehren wird. Ich bin dieser Mann.“

Ich würde lieber glauben, dass er nicht verrückt ist.

„Dann sag mir, woher deine Kraft kommt“, murmele ich.

„Ich habe große Mengen an Licht in mir von den Menschen, denen ich in meiner Zeit geholfen habe“, sagt Alexandros geduldig. „Als Mensch wird man mit einem bestimmten Quantum Licht geboren, aber du verlierst das Licht und deine Kraft wieder, wenn du negativ bist. Dann kann kein Licht hindurchdringen, auch nicht das von Gott. Du bist immer noch derselbe Mensch, aber du kannst nicht den Weg im Leben finden, und deine Probleme lösen sich nicht. Bist du dagegen positiv und hilfst anderen, bekommst du mehr Licht. Wenn du mir mit Unterkunft, Essen und Tabak hilfst, bin ich froh und dankbar und sende dir etwas von meinem Licht. Du tust das gleiche mit mir, wenn ich dir die Hände auflege, und du fühlst dich gut. Aber der größte Teil meines Lichts kommt von Gott. Er mag mich sehr, denn ich lebe so, wie er sagte, dass Menschen leben sollten: Ich helfe anderen und erwarte nichts dafür. Auf diese Weise bekomme ich immer mehr Kraft und durchlebe eine Transformation. Nicht mehr allzu lange, dann werde ich so positiv sein, dass ich meinen Körper physisch an jeden beliebigen Ort versetzen kann. Dann kann ich über die ganze Erde fliegen, bis hinaus zu den Raumschiffen, die unter Ashtars Kommando auf dem Weg hierher sind.“

Alexandros hat sich warm geredet, und seine Augen glänzen.

„Du kannst das gleiche tun, wenn du meinem Beispiel folgst, denn du bist mein Seelenbruder. Wir sind in unzähligen Inkarnationen nah beieinander gewesen. Wenn du in der Vergangenheit suchst, wirst du entdecken, dass wir trotz der räumlichen Distanz viele gleiche Erfahrungen gemacht haben. Es ist so, dass deine Seele und meine miteinander verbunden sind. Unsere Schicksalsgemeinschaft reicht zurück bis Christi Geburt. Hättest du vielleicht einen Wildfremden, der behauptet, er wäre Jesus, eingeladen, bei dir zuhause zu wohnen? Nein, wohl kaum! Aber es ist wichtig, dass du verstehst, dass du nichts verändern kannst, wenn du dir Sorgen machst. Die Erklärung ist einfach und sie kam mir unterwegs: Die Seele ist die Batterie des Menschen und eine ewige Kraft. Um den Menschen herum liegt die Aura, sie ist ein elektromagnetisches Feld. Du weißt, Elektromagnetismus ist die unsichtbare Kraft zwischen einem Magneten und einem Stück Eisen. Jeder Mensch ist von einem Magnetfeld umgeben. Sorgt sich der Mensch um Geld, um die Vergangenheit, die Zukunft, um Krankheit oder anderes, dann wird das Magnetfeld schwächer als es sonst sein würde. Gleichzeitig kann ein besorgter Mensch kein Licht von anderen Menschen empfangen, weil er damit beschäftigt ist, sich Sorgen zu machen. Ich sage es noch einmal: Wenn du anderen hilfst und nichts dafür erwartest, senden sie dir Liebe und Licht, die dein Magnetfeld wachsen, stärker werden und schneller schwingen lassen. Hilfst du einem kranken Mann, hilfst du auch seiner Frau und seinen Kindern, und dann werden der Mann, die Frau und die Kinder dir Licht senden, und dann wächst dein Magnetfeld. Und wenn dein Magnetfeld sich erweitert und schneller schwingt, hat dies den Effekt, dass das gesamte uns umgebende Universum größer wird, und dass Gott größer wird. Wenn du dir vorstellst, dass du dich immer mehr erweiterst und zuletzt eine göttliche Ebene erreichst, dann wird Gott zu diesem Zeitpunkt eine noch höhere Stufe erreicht haben. Aber dann bist du selbst vielleicht so stark und kraftvoll geworden, dass du dir dein eigenes Universum mit Galaxien, Sternen, Planeten und Milliarden von Bewohnern gebildet hast.“

„Wie weiß ich, dass mein Magnetfeld wächst?“ frage ich, ohne zu versuchen, meine Zweifel zu verbergen.

„Du spürst die Wärme im Herzen und in den Händen, und du fühlst dich kraftvoll. Schau mich an, ich brauche nicht zu schlafen. Ich habe vollständige Selbstkontrolle, weil ich weiß, dass ich mich auf dem richtigen Weg befinde. Jeden Tag gehe ich durch Kopenhagen und denke an Gott und an die Zusammenhänge, von denen ich dir erzählt habe, und ich kann keinen einzigen Fehler entdecken. Die Dinge müssen so zusammenhängen. Ich weiß auch bereits, was mit uns oben in Ashtars Raumschiff geschehen wird. Wir werden lernen, die Kapazität unseres Gehirns besser zu nutzen. Wir nutzen nur zehn Prozent, aber wir werden auf hundert kommen, bevor wir zurückkehren und die Erde wieder aufbauen.“ Er schweigt eine Zeit lang. „In der Zukunft wird auf der Erde nur Platz für diejenigen sein, die begreifen, dass das Leben Geben bedeutet, denn dies ist es, was Entwicklung und Wachstum schafft. Alle anderen gehen in den Reinigungsprozess ein, in dem alles Lebende und vom Menschen Geschaffene in den allumfassenden Zerstörungen verschwindet. Sie werden kurzzeitig Schmerz empfinden, und sie werden verstehen, dass es Konsequenzen hatte, ihren freien Willen dazu zu gebrauchen, Kriege zu führen, zu töten, zu zerstören, zu unterdrücken, zu hassen, zu erniedrigen. Später aber werden sie auf anderen Planeten wiedergeboren, denn die Seele ist ewig. Ich weiß auch, dass das Körperbewusstsein oben in den Raumschiffen verschwindet, und dass die Gedanken vorbeigleiten wie Wolken am Himmel, bis auch sie irgendwann ganz verschwinden, und es sich anfühlt, als existiere man nicht mehr als Individuum mit einem Körper. Wie im Tod, wenn die Seele sich frei entfaltet. Ich weiß auch, wie das Universum zusammenhängt. Die Galaxis, in der wir uns befinden, hat eine konstante Geschwindigkeit von dreihunderttausend Kilometern in der Sekunde. Wenn der Entwicklungssprung, der uns bevorsteht, stattgefunden hat, werden sich alle Galaxien schneller bewegen als zuvor. Denn wenn mehr Kraft kommt, kommt auch mehr Licht, und dann nimmt die Geschwindigkeit zu. Sie wird in unserer Galaxis vielleicht dreihundertfünfzigtausend Kilometer in der Sekunde erreichen, und dann gleiten wir in eine andere Dimension, denn das Licht, das vorher existierte, gibt es in der neuen Lichtgeschwindigkeit nicht.“

Auf Alexandros’ Gesicht breitet sich ein Lächeln aus.

„Wenn das Feuer ausgegangen ist, wird die neue Erde tausende von Jahren verödet sein, bevor langsam wieder Leben entsteht. Es werden sich wieder Wolken, Regen und Schnee bilden. Die Wasserfälle werden erneut brausen, und es werden sich die ersten Zeichen von Tierleben zeigen. Aus den überlebenden Samen tief unter der meterdicken Ascheschicht werden im Laufe der Jahre Bäume, die weitere Samen abwerfen, und Wälder werden sich über die Erde verbreiten. Zu dieser Zeit werden wir zurückkehren und mit dem Wiederaufbau beginnen. Alles wird sehr schnell gehen, denn wir haben gelernt, die Materie mit Hilfe des Bewusstseins zu beherrschen. Allein durch die Kraft des Gedankens können wir dann Häuser bauen und uns in der neuen Welt bewegen, ja, überall im Universum. Es wird wunderbar sein. Du kannst Baumaterialien materialisieren und dich zu der Art und Weise hindenken, wie sie zusammengesetzt werden müssen. Das Ergebnis werden die schönsten Häuser sein, die du dir vorstellen kannst, ohne dass du einen Finger zu rühren brauchst.“

Alexandros, von seinen eigenen Worten angefeuert, steht auf und geht im Zimmer auf und ab.

„In der neuen Welt existiert die Zeit nicht, und damit nicht der Tod. Man kann seinen Körper wiedererschaffen oder einen neuen und anderen materialisieren, wenn man das lieber will. Wenn man hungrig ist, braucht man nur an das zu denken, worauf man Appetit hat, und schon steht es vor einem. In der neuen Welt ist Geld überflüssig, und es gibt keine Kriege, weil es für die Menschen keinen Grund gibt, sich zu streiten. Man kann seine Freunde überall im Universum besuchen, man kann mit den Frauen und Männern schlafen, denen man begegnet. Man ist ein freies Wesen. Das bedeutet aber nicht, dass der Sinn des Lebens verschwindet, denn es wird immer einen Teil ehrenvoller Arbeit zu tun geben. Es wird Planeten gebe, deren Bewohner Hilfe brauchen, so wie wir hier auf der Erde. Das ist das Leben, das dich und mich erwartet, und ich freue mich unsäglich darauf, es zu leben.“

Die Kante des Balkons hat tiefe Abdrücke auf der Unterseite meiner Schenkel hinterlassen. Ich stelle mich hin, beuge mich vor und spüre kurzzeitig eine Brise um die Hausecke wehen. Im Laufe meiner ersten Woche in Athen habe ich lange Tage in der Botschaft verbracht, und das Personal hat mich mit den Aufgaben vertraut gemacht. Pierre Montgomery hat Bescheid bekommen, sich aufgrund der Personalaffäre fernzuhalten, und ich bin ihm erst am frühen Abend beim Abendessen in der Residenz anlässlich der Amtsübergabe begegnet. Außer dem Botschafter und mir selbst ist seine Frau Frida zugegen.

Sie ist weit jünger als ihr korpulenter Mann, der sich seit damals, als er mein Vorgesetzter im Ministerium war, gar nicht verändert hat. Natürlich haben die Jahre an ihm ihre Spuren hinterlassen, das Gesicht ist teigiger, und die Augen haben an Lebenskraft eingebüßt und wirken verschwommen. Sie ist wohl um die dreißig, ein schmächtiges, schwebendes Wesen, und ihre Figur erinnert an die Kassandras. Fridas Haare sind pechschwarz, kurz geschnitten und schmiegen sich um das Gesicht. Sie trägt blauen Lidschatten, und an jedem Ohrläppchen hängt am Ende eines weißgoldenen Kettchens ein ansehnlicher Diamant. Ihre Hände zittern ganz leicht, während sie die mit Knoblauch und Tomaten gegrillten Garnelen verzehrt und dabei erzählt, dass sie dem Küchenpersonal bei der Zubereitung des Hauptgerichts geholfen hat: mit Rosmarin gewürzte Lammkoteletts, Salat mit rustikal zubereiteten Tomaten- und Gurkenscheiben und in Öl und Essig gewendetem Feta-Käse, verziert mit Kalamata Oliven, dazu Tzatziki, Brot und ein wenig Reis zur Dekoration. Sie versorgt mich mit einem eiskalten Retsina aus einer Metallkanne. Der Botschafter trinkt Rotwein.

„Es schmeckt hervorragend“, sage ich zum wiederholten Mal, was Pierre Montgomery laut aufseufzen lässt. Er möchte lieber über das untaugliche Personal reden, mit dem er sich in der Botschaft herumplagen muss.

„Du kannst sagen, was du willst, aber das Niveau ist längst nicht mehr das wie früher. Heute kann jeder, der sich während der Arbeitszeit wach hält, im Außenministerium Karriere machen. Es erfordert weder Muskelkraft noch Arbeitseinsatz, keine Fähigkeit, durch den Panzer der Leute hindurch bis in ihren Kern zu schauen und zu entscheiden, ob sie das haben, was erforderlich ist, oder nicht. Aber ich besitze diese Fähigkeit, Bernstein. Ich durchschaue jeden Blender im Bruchteil einer Sekunde, und dann stoße ich das Messer hinein und drehe es herum. Wenn die Leute den Schmerz nicht ertragen können, sind sie meiner klaren Überzeugung nach für die Arbeit an einer Botschaft im Dienste Dänemarks nicht geeignet.“ Er nickt auf seinem Weg durch das Zimmer vor sich selbst hin, er muss wohl zur Toilette oder hinaus in die Küche, um etwas Hochprozentigeres zu schlucken.

„Mich hat in der letzten Woche eine halbseitige Parese erwischt“, murmelt Frida, als die Tür sich hinter dem Botschafter geschlossen hat. „Das ist eine partielle Lähmung, durch die meine linke Gesichtshälfte etwas herunterhängt. Ja, du hast dich sicher schon gefragt, was mit mir nicht stimmt.“

Ich schüttele den Kopf. Jetzt, da sie es sagt, bemerke ich, dass ihr Gesicht schief ist. Die Lähmung erklärt, warum sie so häufig die Serviette zum Mundwinkel führt. Auf diese Weise verhindert sie, dass ihr aufgrund mangelnder Nervenkontrolle Speichel herunterrinnt.

Als Pierre zurückkommt, klingt seine Stimme eine Nuance tiefer, und mir kommt wiederum der Gedanke, dass er draußen gewesen ist und etwas Stärkeres als Wein getrunken hat. Eminente Selbstkontrolle ist stets eines seiner Markenzeichen gewesen. Einen Mitarbeiter, den er bewusst bis an den Rand der Beherrschung getrieben hat, bis dieser schließlich zusammenklappt und seine ganze angesammelte Frustration direkt gegen ihn wendet, fegt er mit einer kurzen, beißenden Bemerkung vom Tisch, die jegliche Möglichkeit für einen Dialog versperrt und ausschließt. Aber es geht kein verdächtiger Geruch von ihm aus, es gibt keine intensive Gesichtsrötung oder andere Anzeichen für Alkoholmissbrauch.

Im weiteren Verlauf des Abends ist er dann doch betrunken. Die Vergiftung setzt ganz plötzlich ein. Er spricht lauter als gewöhnlich, lächelt mich über den Tisch breit an, und zum ersten Mal sehe ich seine Zähne. Sie sind kurz und gleichmäßig, und es scheinen mehr zu sein, als die blau gefärbte Mundhöhle eigentlich fassen kann. Er schenkt noch mehr Wein in sein Glas und verschüttet auch etwas davon auf die weiße, gestickte Tischdecke.

„Pass doch auf!“ entfährt es Frida mit plötzlicher Irritation in der Stimme, sie führt die Serviette zum Mundwinkel. Mehr braucht es nicht, um das berüchtigte Temperament zu entzünden, das wie ein Teufel unter einer kontrollierten Oberfläche lauert.

„Du kannst dich einfach nicht benehmen. Du musst mich vor diesem Entsandten aus dem hohen Norden kompromittieren, der gekommen ist, meine Botschaft zu okkupieren. Vor diesem Fremden musst du deine Verachtung für mich demonstrieren und ihm Einblick in deine selbst geschaffene Leidensgeschichte gewähren.“ Er hämmert die Flasche auf den Tisch.

„Beruhige dich, Pierre“, sagt sie nervös.

„Natürlich, mein geliebter Schatz. Wenn dein verdunkeltes Gemüt diktiert, dass ich spuren soll, dann tue ich das. Aber ich frage mich selbst, wer Kopenhagen erzählt hat, dass ich zuviel trinke. Wir wollen jetzt mal die Karten auf den Tisch legen. Carl, darf ich sie dir vorstellen: Kopenhagens kleiner, geiler Maulwurf“, sagt er und schlägt ein falsches Lachen an, ohne den Blick von ihr zu wenden. „Du bist es leid, mit mir zusammen zu sein, nicht wahr, und jetzt bekommst du die ganze Hütte für dich selbst und kannst mit dem Koch bumsen oder mit wem auch immer du Lust hast. Du darfst sie auch gern bumsen, Bernstein, aber war da nicht was, dass du mehr auf Männer stehst?“ Der Botschafter hebt sein volles Glas und kippt sich den Inhalt in den Hals.

Eine solche Frage bekommt ein 42-jähriger Mann, der weder verheiratet ist noch Kinder hat, unwillkürlich gestellt. In meiner Phantasie beschäftige ich mich täglich mit Frauen, und ich praktiziere zwischendurch auch sexuellen Umgang mit dem anderen Geschlecht, selbst wenn das inzwischen lange her ist. Seit dem ersten Jahr auf der Universität habe ich keine feste Beziehung mehr gehabt. Sie hieß Laura, genau wie die Verfasserin und Hauptperson des Buches Kleines Haus in der Prärie, das meine Mutter mir vorlas, als ich ein Kind war. Auch meine Laura kam vom Lande und hatte Zöpfe. Wir begegneten uns auf der Erstsemester-Party der Uni und bumsten am ersten Abend auf meinem Zimmer im Studentenwohnheim. So fing die Geschichte an, die ein halbes Jahr später damit endete, dass sie sich die Pulsader aufschnitt, weil sie mich wollte, und ich eine andere haben wollte, die mich nicht wollte. Glücklicherweise misslang der Selbstmordversuch, und glücklicherweise begegnete sie später einem Mann, der sie haben wollte, und bekam die Kinder, von denen sie träumte, und machte eine Ausbildung zur Hebamme und wurde glücklich. Aber all das geht bei Gott Montgomery nichts an.

Die Gesichtsfarbe des Botschafters hat eine violette Nuance bekommen, er verlagert seine ganze Energie in das Aggressivitätszentrum seines Gehirns, wo es anschwillt und die kontrollierte Gehirnaktivität verdrängt. Ich hoffe nicht, dass Frida Prügel bezieht, wenn ich gegangen bin. Dann springt er plötzlich auf und schwingt den rechten Arm. Die Flasche saust davon und zerbricht, und der Wein läuft in roten Streifen die weiße Wand herunter. Er lächelt unergründlich und mit schräg gehaltenem Kopf, den Blick halb zur Zimmerdecke gerichtet, wankt er schweigend und theatralisch wie ein Stummfilmdarsteller durch das Zimmer und knallt die Tür hinter sich zu.

Wir bleiben einige Sekunden lang sitzen, ohne uns zu rühren. Wir erwarten wohl beide, dass er wieder zurückkommt, aber das ist nicht der Fall. Im Haus herrscht Stille. Ich trinke mein Glas aus und reiche ihr meine Visitenkarte.

„Du kannst immer anrufen.“

„Was ist bloß los mit euch Männern“, ruft sie aus, mit einer Stimme, die mein Gehirn zu Eis gefrieren lässt. „Ihr mit euren gequälten Gesichtern und eurem ewigen Schweigen. Ich kann nur glauben, dass ihr auch voller Zweifel seid, und dass ihr euch danach sehnt, ihn mit anderen zu teilen. Aber was hält euch dann zurück? Ihr könnt nicht einmal mit euren Frauen und Kindern offen und ehrlich sprechen. Und wenn ihr mit euren sogenannten Freunden zusammen seid, müsst ihr euch erst um den Verstand trinken, bevor auch nur ein ganz kleines bisschen Gefühl auf den Tisch kommt, und trotzdem ist die Reaktion am nächsten Tag vergessen. Vielleicht wagt ihr es nicht, euch zu öffnen, vielleicht habt ihr zu niemandem Vertrauen, vielleicht seid ihr außerstande, Themen von menschlichem Wert zu kommunizieren, vielleicht seid ihr auch nur von Natur aus viel einäugiger und eingeschränkter als wir Frauen.“

„Du hast vollkommen Recht“, sage ich und gehe.

Ich lasse meine Finger den Abdruck entlang gleiten, den die Kante des Balkons auf der Unterseite meines Oberschenkels hinterlassen hat. Mein Körper ist schwer und müde, ich kann mich nicht bewegen. Ich denke daran, dass ich, lange nachdem Alexandros uns verlassen hatte, mich in einen Zustand tiefgreifender Unruhe versetzt gefühlt hatte. Vielleicht hatte es daran gelegen, dass seine letzten Tage in Kopenhagen nicht unbedingt harmonisch gewesen waren. Die Dinge entwickelten sich nicht so, wie er vorausgesehen hatte.

Alexandros sieht mich mit ausdruckslosen Augen an. Er mag es nicht, wenn man ihm sagt, dass er kaum damit rechnen kann, sich die Fähigkeit zu fliegen ohne weiteres aneignen zu können. Ich hatte gesagt, dass alles seine Zeit hat. Wer weiß, vielleicht wird er eines Tages seine Arme ausbreiten und wie ein Vogel fliegen, aber jetzt gerade steht er mit beiden Beinen fest auf dem Boden und zittert. Mein Organismus mobilisiert seine automatische Verteidigung und lässt die stummen Ergüsse des Griechen abprallen. Für mich ist es einleuchtend, dass Alexandros’ Aggressionen der Furcht entspringen, dass das Ganze eine Lüge ist. Der Furcht davor, dass er nur ein tüchtiger Zimmermann ist, und nichts anderes. Furcht davor, dass das, an was er ganz fest glaubt und seinen Anhängern predigt, nicht eintrifft. Dass Commander Ashtar nicht in seinem Mutterschiff an der Spitze einer Flotte von Raumfahrzeugen kommen und diejenigen retten wird, die gerettet werden sollen, bevor alles Leben auf der Erde in Feuer und Rauch aufgeht, um später in neuen, wunderbaren Formen neu zu erstehen, während zugleich diejenigen, die Zuflucht in den Raumschiffen gesucht hatten, zurückkehren werden. Und dass er niemals fliegen wird. Das Letztere ist vielleicht am schlimmsten. Es wäre ein endgültiger Beweis dafür, dass er nicht derjenige ist, der zu sein er behauptet. Wenn er erst einmal fliegt, werden die Raumschiffe auch kommen, dann wird die Erde brennen und das Tor zur Ewigkeit sich zu seinen Füßen öffnen. Was aber, wenn alles nur eine eingebildete, wahnwitzige Phantasie ist? Kann er nach einer Reise von vierzig Tagen nach Hause zurückkehren, ohne dass seine Voraussagungen sich erfüllt haben? Was soll er denen sagen, die an seine Prophezeiung und an den Jüngsten Tag und an das ewige Leben in Freiheit auf der neu erschaffenen Erde glauben?

Alexandros macht auf dem Absatz kehrt und blickt aus dem Fenster zu den Wolken, die sich wie auf Kommando vor der Sonne öffnen. In dem Moment bildet sich ein scharfes, blaugrünes Licht zwischen den Häusermauern in der schmalen Straße. Ich kann an seinem Nacken sehen, dass er lächelt.

„Sie warten auf den richtigen Moment. Jetzt dauert es nicht mehr lange“, sagt Alexandros. Dann beruhigt er sich wieder ein wenig. „Entschuldige meine Ungeduld, aber es bedeutet mir alles. Wenn ich nicht fliegen werde, will ich sterben“, murmelt er und blickt auf seine abgearbeiteten Hände.

Im selben Moment läutet das Telefon. Es ist Maria, seine Frau, die mit tränenerstickter Stimme nach Alexandros fragt.

„Sind Sie okay?“ frage ich auf Englisch.

„Nein“, antwortet sie.

„Kann ich etwas für Sie tun?“

„Lassen Sie mich mit Alexandros sprechen.“

Ich reiche ihm den Hörer. Zuerst klingt er gereizt, aber dann bekommt seine Stimme schnell einen sanfteren Klang.

„Meine Frau und meine Tochter können in der Wohnung nicht wohnen bleiben“, sagt er, nachdem er den Hörer aufgelegt hat. „Ich muss dafür sorgen, dass sie zu meinen Eltern ziehen können. Maria mag die Alten nicht, aber wie ich ihr gesagt habe: Es ist nur für kurze Zeit.“

In dieser Nacht träume ich wieder, dass die Zeit eine halbe Stunde vorgeht, und dass sich in den dreißig Minuten, die ich verloren habe, alles verändert hat. Ich bin zu spät gekommen, um Kassandra und die Zwillinge vor dem Weltuntergang zu retten, und jetzt stehen wir alle fünf am Fenster, halten uns umfasst und sehen die Raumschiffe voller Menschen zwischen den Sternen verschwinden. Dann beginnen die Feuerkugeln auf den Erdball herabzuregnen. Ich werde allmählich wach und schaue auf die Uhr, um erleichtert festzustellen, dass es die richtige Uhrzeit ist. Ich bin zu nichts zu spät gekommen. Aber sobald ich einschlafe, beginnt der Traum von vorn.

„Als du heute morgen gegangen warst, kam Alexandros zu mir und begann zu weinen“, sagt Kassandra. „Er ist unglücklich, dass ihm nichts gelingen will. Er kann nicht fliegen, es kommen keine Raumschiffe, die Erde brennt nicht unter unseren Füßen. Da habe ich zu ihm gesagt, es könne gut sein, dass die Dinge nicht auf die Weise geschehen, wie er es sich vorstellt, aber dass das, was geschehen soll, geschieht. Er trägt in der Gesäßtasche eine Art Drehbuch bei sich: ‚Ich bin Jesus, und jetzt begebe ich mich nach Dänemark und treffe Paul Weis, der mich wiedererkennt, und dann kann ich fliegen, und dann kommen die Raumschiffe’. Ich habe ihm gesagt, man würde das bekommen, was man braucht, und nicht immer das, um was man bittet. Ich habe auch gesagt, dass ein Besuch in einem Raumschiff und eine Flugreise mit eigenen Flügeln nicht weiter entfernt sind als ein Gedanke oder ein Traum. Es ist möglich, sich in anderen Wirklichkeiten zu bewegen, indem man seinen Bewusstseinszustand ändert. Man braucht nicht immer körperlich zu reisen. Das ist meistens ein Bedürfnis des Ego. Wenn man auf diese Art im Leben auf Widerstand trifft, ist es, als würde man gleichzeitig auf Gaspedal und Bremse treten. Du musst es akzeptieren und dich darüber freuen, dass du zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort bist, und nicht glauben, du müsstest ein anderer sein als der, der du bist, oder woanders sein als dort, wo du bist.“

Ich stehe am Wohnzimmerfenster und betrachte den Himmel über Kopenhagen. An den Bäumen entlang der Straße kann ich sehen, dass es windstill ist, aber trotzdem sammeln sich die Wolken schnell, das Licht nimmt ab und rund um die schwarze Himmelsfläche bildet sich ein Rand aus Sonne. Ist es Ashtars Mutterschiff, dass seinen Körper langsam über die Stadt herabsenkt? In meinen Gedanken heiße ich Ashtar auf der Erde willkommen. Du wirst voller Liebe und Sehnsucht erwartet, denke ich, und indem ich die Worte dem Himmel entgegenhauche, öffnet sich eine Lücke in der Wolkendecke, und ein Sonnensäbel schlitzt den Horizont auf. Ich spüre eine Bewegung ganz in meiner Nähe und drehe mich um. Es ist Alexandros, der lautlos ins Zimmer getreten ist und jetzt neben mir steht. Er legt seine Hand auf meinen Arm.

„Bald ist die Zeit gekommen“, flüstert er. „Ich habe mehr Kraft als je zuvor, und du auch. Ich glaube, sie haben so lange gewartet, bis wir beide bereit sind. Das sind wir jetzt. Und wenn ich zuvor gezweifelt habe, jetzt nicht mehr. Sieh den Himmel, die Wolken, das Schiff. Es ist dein Schiff und meines, Carl, und das unserer Familien und Freunde. Es ist eine lange Reise gewesen, und jetzt steht eine neue und noch längere bevor. Erst jetzt verstehe ich, dass du und ich hier auf der Erde demselben Zweck dienen: andere zu inspirieren, im Namen der Liebe zu leben und uns hinauf in die Raumschiffe zu folgen. Später werden wir jeder für sich bei der Gründung neuer Zivilisationen auf der neu erstandenen Erde an der Spitze stehen. Und denk daran, Carl, wenn ihr meine Kraft braucht, dann müsst ihr nur an mich denken, und wenn ich eure brauche, denke ich an euch. Man kann niemals zuviel geben.“

In dieser Nacht träume ich, dass ich nach einer universellen Formel suche, mit der sich der Untergang der Erde hinauszögern lässt, wenn die Formel innerhalb von vierundzwanzig Stunden von zwölf verschiedenen Menschen an zwölf verschiedenen Orten verlesen wird. Ich bin einer der Auserwählten, welche die Formel präsentiert bekommen werden und die daraufhin einen hochgelegenen Ort in der Natur suchen und die Mission ausführen sollen. Ich habe mir bereits den Gipfel des Himmelsberges in Jütland ausgesucht. Von dort oben werde ich die Formel in alle Himmelsrichtungen verlesen, so dass die Botschaft vom Wind, von der Sonne und von den Wolken erfasst wird, bis alle in meinem Territorium Bescheid wissen, dass das Jüngste Gericht abgesagt ist. Ich sorge dafür, dass das Auto stets vollgetankt und startklar ist, und Tag für Tag warte ich auf Bescheid, wo ich die Formel finden kann. Ich stelle mir vor, dass ich plötzlich eine Adresse vor meinem inneren Auge sehen und instinktiv wissen werde, dass ich dorthin fahren und in eine Garage gehen werde, in der eine weiße Limousine steht. Ich werde die Tür aufbrechen und auch das Handschuhfach, wo ich ein Stück Pergament mit einer weiteren Adresse und eine Zeichnung finde, die auf die Ecke eines Gartens nahe eines Seeufers hinweist, wo eine Blechschachtel mit einem ähnlichen Stück Pergament mit einer neuen Adresse einer nahe gelegenen Villa vergraben ist, in deren Keller eine Kiste mit doppeltem Boden steht. In dem Geheimfach wird ein glatt geschliffener Stein liegen. Und dann wird es genau so ablaufen: Ich stecke den Stein in die Tasche und fahre mit hoher Geschwindigkeit zum Himmelsberg. Im Radio kann ich hören, dass die Kriegszerstörungen näher kommen. Keine Seite will einlenken, alle Verhandlungen sind eingestellt worden. Ich sehe mich nach Ashtars Flotte um, der sich wohl gerade anschickt, zur Landung anzusetzen, um die auserwählten Erdbewohner mitzunehmen. Aber ich kann keine Raumschiffe entdecken, und Panik ergreift mich. Jetzt beginnt die Erde unter dem Auto zu beben, und ich sehe einen Regen aus Feuerkugeln, die sich über den Himmel bewegen. Ich bremse, springe aus dem Wagen und schleudere den Stein mit aller Macht in den Himmelsraum. Aber in dem Moment wird die Erde von den Raketen getroffen, und ich höre ein Zischen wie von einem Schwarm Heuschrecken, die dicht an meinen Ohren vorbeifliegen und mit dem Lichtblitz eins werden.

In dieser Nacht verschwindet Alexandros. Er packt seine Tasche im Schutz der Dunkelheit und stiehlt sich davon. Er hat eine Nachricht hinterlassen: ‚Es ist noch nicht soweit. Wir sehen uns, wenn die Zeit gekommen ist.“

Ist jetzt die Zeit gekommen, Alexandros? Waren die Terrorangriffe in Europa der Start des Countdowns für den Kollaps der Erde? Hast du beschlossen, selbst den Prozess zu beschleunigen, den du für unausweichlich hältst? Wo bis du jetzt? Reist du immer noch herum und besuchst Leute, die du nicht kennst, und erzählst ihnen, sie hätten in der kommenden Welt eine wichtige Rolle zu spielen? Hast du inzwischen allmählich gelernt, aus eigener Kraft zu fliegen, Alexandros? Und kommt Ashtar bald und sammelt dich auf?

Die Unruhe ist zurückgekommen wie ein kalter Nebel, der durch meinen Organismus rauscht. Mir ist schwindelig. Es ist auch die Hitze, ich habe heute Abend kein Wasser getrunken, nur Wein. Das Herz klopft mir bis zum Hals. Wie soll ich jemals einschlafen? Ich tue mich schwer mit dem Schlafen hier in Athen. Dabei habe ich das beste Bett der Welt gekauft, aus Schweden, und habe es von vier stöhnenden, schwitzenden Griechen in meine Wohnung hinauf schleppen lassen, aber es nützt nichts. Hier gibt es Laute, die ich nicht deuten kann, und hinzu kommt, dass die feuchte Hitze Athens auf den Kältesturm aus der rasselnden Klimaanlage direkt über dem Bett trifft, und zu all dem kommt noch hinzu, dass ich allein bin.

Deshalb bleibe ich sitzen. Ich schließe die Augen und beuge mich vor, der Nacken gibt nach, und mein Kopf rutscht auf die Betonkante des Balkons herab. Die Wangen sind schlaff, und im Bewusstsein, dass ich am Rand des Schlafes balanciere, fällt mir das Atmen schwer. Jetzt rollt eine Schweißperle über meine Stirn herunter auf den Nasenrücken. Sie bleibt an der Nasenspitze hängen und saugt sich mit Flüssigkeit voll, bevor sie endlich loslässt und vier Etagen hinunter auf die Marmorplatten fällt. Als sie ihr Endziel erreicht, stehe ich mit einem Ruck auf und gehe in die Wohnung hinein. Ich werfe mich auf das Sofa, und in der Sekunde, bevor ich einschlafe, erkenne ich den Duft nach frisch gegerbtem Leder wieder. So duftete die Tasche, die mir Kassandra an dem Tag geschenkt hatte, an dem sie starb.

Gesetz des Menschlichen

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