Читать книгу Die letzten Farben - Jan Corvin Schneyder - Страница 6

Оглавление

1 ǂ GELB: Von Wegen

Nicht autobiographisch zu sein, bedeutet nicht, im luftleeren Raum zu existieren. Natürlich ist von jedem etwas darin. Von jedem, der meine Wege kreuzte, von jedem der zuvor über Derartiges sprach oder schrieb. Ist die Frage nach einem Warum überhaupt angebracht? Ist es überhaupt ein Buch? Es sind Worte zwischen zwei physischen oder digitalen Pappdeckeln. Das tut nichts mehr zur Sache. Die Welt nennt sich postfaktisch. Sie ist es nicht. Eine lächerliche Sprachhülse. Nun, also ist es ein Buch? Es ist. Wenn nur einer sagt, es sei, dann sei es. Wie der schwarze Punkt auf weißem Grund, dieses sündhaft teure Gemälde, das kein Gemälde ist. Würde man meinen. Ein paar clevere Wichtigtuer haben es aber so genannt. Nun ja, und jetzt kostet es Unsummen.

Sowas hier.

Ein Punkt.

Wie der.

Der hier.

Sie verstehen, was ich meine.

Punkt.

Das Warum also, die große Frage, die so viel Zeit kostet. Jemand parkt sein Auto. Der Beifahrer will wissen, warum er es an dieser Stelle parkt. Warum fragt er? Aus Interesse? Wohl eher ist er auf der Suche nach einem Ansatzpunkt für kritische Anrede. Kostet Zeit. Und Nerven. Unerfreulich wie unnötig. Und wieder das Warum. Warum hat er denn nun gefragt? Und warum lautet nicht jede Antwort darauf wie folgt:

A) Warum nicht?

B) Weil ich es kann.

Es gibt allerdings auch Warums, die komplexerer Antworten bedürfen. Warum also dieses Buch? Antwort B wäre hochtrabend, arrogant. Antwort A verdeutlicht nicht die Notwendigkeit. Antwort C ist schnell gefunden. In digitalen Archiven, in Bibliotheksmagazinen, in der kollektiven, völlig verschleierten Schwarmerinnerung dümpeln große Philosophen dahin.

Hegel, Kant, Nietzsche.

Kennt jeder, kennt keiner.

Manche mit komplexen Modellen und Systemen, andere bewusst ein wenig strukturlos, aber immer sehr hoch. Hohes Sprachniveau, viele Zitate und Querverweise. Großartige epochale Leistungen, ohne Frage, aber zugänglich für weite Teile der Bevölkerung? Eher nicht. Ich bin kein Volksphilosoph, bei weitem nicht, und es ist letztlich auch irrelevant, wer hier was versteht oder liest, aber eines soll gesagt sein: Das Warum stellt sich hier, und tut es doch nicht. Es kommt ja darauf an, wer fragt, und momentan fragt hier eine weiße Seite. Mich. Warum ich sie traktiere zum Beispiel. Warum ich zögere. Warum es so schnell geht. Das Warum lähmt unsere gesamte Existenz, weil doch so vieles schon da und ganz einfach ist. Man muss es nicht hinterfragen. Nur jene Dinge, die wirklich bedeutsam sind. Für unser Herz, nicht so sehr für den Verstand. Ein Verstand schadet nicht, aber er wird von klassischen und modernen Philosophen immer und immer wieder über alles gestellt, bis zur völligen Anti-Humanismus-These. Der Mensch sei dumm, hässlich, böse. Wenn man in den sozialen Netzwerken unterwegs ist, begegnet einem nicht wenig davon. Ich rede hier noch gar nicht vom Hass, einfach von dieser latenten Abneigung gegen die Menschheit, nur weil sie Schwächen hat, nur weil manch ein Individuum oder größere Gruppen Teile ihrer Existenz nicht gerade erfreulichen Dingen widmen. Ein Grund, sein Volk - im Sinn von Menschheitsvolk, die gesamte Menschheit - zu verlassen? Selbst wenn es ein Grund wäre, es ist dennoch unmöglich. Ob unter Tieren oder ganz allein auf einer Insel. Es wird gesehen, von innen und oben. Es bleibt ein Mensch. Warum? Weil eben doch nicht alles nichts oder nichts alles ist. Das waren interessante Thesen, aber es ist nutzlos und herzlos, solch eine Richtung einzuschlagen, egal ob man es nun Nihilismus oder Skepsis nennt. Skepsis trifft es ja auch nicht so ganz, wenn man allem die Existenz und den Sinn abspricht. Nun, allem Erfreulichen. Der böse individuelle Trieb, der ohne Rücksicht auf Verluste ausgelebt werden soll, der ist angesagt. Darauf zielen viele Werbungen ab.

Sei schneller als die anderen.

Sei Erster.

Schnapp ihnen alles weg.

Sie sollen leiden, du sollst dich freuen.

Und lachen.

Lach sie aus.

Das ist noch kein Hass, aber fein ist es nicht, was uns die Ablehnung und Verweigerung früherer Wertekataloge da hingepflanzt hat. Frühere Wertekataloge? Bei wem schrillen die Alarmglocken? Nein, das hier ist kein rechts-populistisches Parteiprogramm. Wobei man über Konservativismus gerne einmal sprechen darf. Der Begriff wurde so kaputt genudelt, dass er niemandem mehr etwas sagt. Real existierender Konservativismus wird nicht einmal mehr erkannt, nur weil er das politische Lager gewechselt hat.

Das Warum also stützt sich hier auf die Notwendigkeit. Natürlich brüllen Feuilletons gegen Hass-Rede, natürlich organisiert das Privatfernsehen Spendenshows mit Lichterketten aus Menschenfleisch für den Weltfrieden - und danach geht ein jeder seinen Hass über Nachbarn, Kollegen, Familie ausschütten, meist online, aber zunehmend auch real. Siehe Verhalten im Straßenverkehr oder Supermarkt. Einigen möchte man direkt eine Keule in die Hand drücken, um das Neandertaler-Bildnis zu komplettieren. Halt. Nein, das wird nun keine Büttenrede aus der Karnevalskiste. Auch so ein Thema, nun ja. Also das Warum ist beantwortet. Und wenn es jemandem nicht beantwortet ist, dann möge er das Kapitelchen noch einmal lesen. Und wenn auch das nicht hilft, einfach übergehen und weiterlesen.

Das Büchlein soll im Übrigen auch sprachlich in Teilen erquicklich sein, es geht nicht primär um Hass. Das ist er nicht wert, dass man ihn so konsequent durch den Kakao jedes einzelnen Absatzes zieht. Er ist eine Farbe von vielen im Prisma unserer Seele, unseres Herzens. Und einiges liegt da vielleicht im Argen. Schauen wir es uns gemeinsam an. Vielleicht kommen wir auf die eine oder andere gute Idee. Es geht ja nun immer um die Wege, hinein und hinaus. Da dürfen die Gedanken schon mal abschweifen. Warum denn eigentlich nicht?

Dort in den farbigen Nebeln der Vorsehung, wo die dämmernde Vergangenheit die dämmernde Zukunft küsst, treffen wir uns, bevor wir in die Welt gehen und sie ändern. Oder auch nicht ändern. Oder es allein tun, ohne ein Treffen. Irrlichter, auf der Fahrt ins Nirgendwo, versprühen Glanz. Tanzende Nächte reihen sich in den Reigen lebhafter Tage. Empathie erblüht, Zorn sackt gedämpft in das Nichts außerhalb des Blickfeldes. Dort steht sie, fremde Existenz, und ich weiß nicht ihren Namen. Die Aura wird zu Eis, der Pfeil in unserer Hand zu einem Teil des Arms, die Gedanken verschmelzen mit dem Licht, das schwächer wird. Doch dank ihr vermag ich zu sehen, vermag die schattenhaften Umrisse der Räuber des Schimmerns auszumachen, und wir könnten sie niederstrecken ohne ein Wort zu sagen. Der Forst der Welt muss die Sonne einlassen, sonst wird er in schwarzem Feuer verbrennen. Farben, Gefühle und Welten explodieren. Das tun sie schon seit einiger Zeit. Wer also hilft mit, die letzten Lichtfetzen zu sammeln und zu einen, um einen brennenden Strahl gegen die Finsternis zu formen?

Noch zu wenige.

Für neue Perspektiven ist es nie zu spät. Sie dürfen auch verrückt sein. Die Verrücktheit von heute ist allzu oft die Genialität von morgen.

Übrigens: Wir hören bislang und fortan viel von einem Ich, von einem Wir, von einem Uns, von einem Ihr, von einem Sie, von einem „die anderen“. Und dieses Buch verweigert sich der literarisch-strukturellen Notwendigkeit, jede Anrede diskursiv darzulegen. Warum ist es einmal ein „Wir“, einmal ein „Ihr“? Nun, weil es so ist. Es geschieht nicht hingeschludert. Es ist Absicht. Aber jede Absicht zu erklären – ist das nicht Ödnis? Dass der Mensch nichts mehr zu akzeptieren bereit ist, trifft ja schon den Kern eines wichtigen Problems.

Zurück auf die Wege hinter dem Warum. Die meisten Wege sind freilich keine leichten. Vielleicht sollte man sich rechtzeitig angemessen kleiden – und auch geistig vorbereiten. Es läuft sich besser, wenn man sich wohlfühlt. Und in Gesellschaft wäre es auch nicht schlecht. Es gibt so viele selbsternannte Einzelgänger, die angeblich niemanden brauchen und knallhart sind. Das hält eine Zeit lang, aber ewig? Jeder von uns kann mal überdenken, ob er den richtigen Weg in angemessenem Zustand und in geeigneter Begleitung – oder ohne – geht. Man kann immer korrigieren, auch wenn es nicht leicht ist, etwas bislang als korrekt Proklamiertes umzuwerfen. Wir nehmen uns in manchen Dingen die Meinungen anderer zu sehr zu Herzen, hören auf jeden Hinz und Kunz statt auf die Menschen, die uns lieben. Und uns selbst. Es war wahrscheinlich noch nie so einfach, den richtigen Weg zu finden. Das Herz leitet uns. Wir müssen nur darauf hören. Das scheint eher Kunst und Problem zu sein.

Viele stolpern, weil sie nur das Ende des Weges sehen und nicht die Steine vor ihren Füßen. Steine, Schnecken, Vögel, Blumen. Da sind nicht nur Steine, der Großteil des Weges ist schön, wenn Du genau hinschaust. Trample aus Eile nicht alles nieder. Der Weg ist nicht das Ziel, das wäre übertrieben und ist abgedroschen, aber er ist nicht nur eine seelenlose Transferbahn. Er ist das Leben selbst. Sieh Dir den Weg an. Lerne etwas über die Zeit und Dich selbst – bleib auch mal stehen, hör auf zu rennen.

Tja, wie aber trifft man eine richtige Entscheidung, wenn die Optionen nicht leicht als gut oder böse zu enttarnen sind – und wenn man die Konsequenzen der Entscheidung nicht abschätzen kann?

Schwierig.

Dennoch halten wir eines für wichtig: Triff Deine Entscheidung, und dann lebe mit ihren Konsequenzen. Das ewige Herauszögern und diese "Ich war’s nicht" –Mentalität hinterher lähmt uns und all unsere zwischenmenschlichen Beziehungen. Alles stiehlt sich aus der Verantwortung und schimpft über die Wenigen, die mutig genug sind, Entscheidungen zu treffen. Früher wurden Entscheider bejubelt, heute gilt es wohl als Konsens, gar nichts mehr zu tun, dafür aber kräftig zu lamentieren. Stillstand für einen Moment ist wundervoll, Stillstand für immer ist das Ende. Entscheidungen sind schwierig, aber wer sie nicht treffen kann, hat einen wesentlichen Zug des Lebens, des Menschseins, hinter sich gelassen: Das Definieren und Ausleben unseres freien Willens. Mit Herz.

Es gibt immer einen Weg, heißt es. Oft beginnt er dort, wo alles andere endet – und wo er selbst endet, wirst Du vielleicht nie erfahren. Dennoch gehst Du ihn. Weil Du es musst. Stehenbleiben ist der Tod. In das Herz der Welt stoße Deinen Atem. Fülle sie neu.

„Da ist er wieder, der Weg“, magst Du sagen, wenn Du ihn lange nicht gegangen bist. Er ist dunkel geworden, aber das bist Du auch. Niemand wird Dich im Schatten sehen, wenn Du ein Schatten bist. Manchmal muss man sich anpassen, um der richtigen Sache zum Sieg zu verhelfen. Wo geht es lang im Zwielicht der Welt? Forschend, fragend, dennoch vorwärtsschreitend. Sonst geht es weder irgendwo entlang noch voran. Man darf sich vorsichtig bewegen, aber man sollte sich wirklich mehr bewegen. Physisch und geistig. Die Welt ist kein Fels, warum also sollten wir einer sein?

Rau, nebulös, warm, bunt, weit oben, weit unten. Alles ist erlaubt. Da mögen Beton und Glas noch so murren, da mag die Sirene noch so heulen, wir können andernorts sein. Keine Schranken dem Geiste.

Der Weg ist nicht leicht, aber Du wirst ihn gehen.

Nicht weil Du es kannst.

Weil Du es willst.

Nicht jedes Licht weist uns den richtigen Weg. Unter den verrottenden Triumphbögen der Vergangenheit schlagen sich die Menschen immer noch den Schädel ein. Dabei könnte die Welt so schön sein ohne das. Aus Geschichte nichts lernen. Ein Klassiker. Der falsche Weg. Und die Menschen denken noch immer, sie bestimmen die Geschicke der Welt. Traurig wie lustig. Ein putziges Völkchen, die Menschen. Dabei gibt es in diesem Sinne gar keinen Ausweg. Die Wände rücken näher. Da draußen leuchtet etwas, doch es ist unerreichbar. Wie konnte es soweit kommen? Mancher ist allein dort draußen und sucht Zuflucht, mancher ist hier und will hinaus. Alle, alle sind sie unzufrieden. Niemand fügt sich, niemand ruht. Sie haben etwas verloren, haben ein Geschenk abgelehnt, wollten alles wissen, hielten sich für stärker als die Ewigkeit. Nun sind sie allein. Auch wenn sie beisammen sind, sind sie allein. Und finden keine Worte. Nicht nur, dass sie den Weg verleumdet haben – sie haben vergessen, dass es einen gab. Es gibt ihn noch, nur nicht für sie, wenn sie nicht umkehren. Demut hat nichts mit Demütigung zu tun, und ist doch so aus der Mode gekommen. Es liegt keine Zukunft in Besitz und Hochnäsigkeit. Keine. Sie töten ihre Zukunft. Sie töten sich. Sie töten das Gute um sie her. Aus einem Irrtum heraus.

Wenn Du also musst, wenn es keinen anderen Weg gibt, wenn niemand helfen will oder kann, dann kommt – so sagt ein Kind der 80er Jahre – entweder das A-Team, oder Du wächst über Dich hinaus. Wer es nicht versucht, hat nicht nur verloren, sondern ist auch schon verloren. Scheitern ist dagegen nicht so dramatisch. Versuche alles, sobald Du erkannt hast, was das Richtige ist. Wenn Du das noch nicht weißt, sei lieber vorsichtig, bevor Du mit Deinem Schädel die falschen Mauern zum Einsturz bringst. Klugheit zuerst, danach Mut. Mut ohne Klugheit nennt man blinden Aktionismus. Es gibt mehr als eine Realität. Führen wir sie zusammen. Sie alle.

Ist der Pfad nicht dornig, ist das Ziel langweilig. Sei lieber auf dem richtigen, steinigen Weg, als bereits am falschen Ziel. Denn wer nirgendwo hingeht, steht am falschen Ort. Wer aber regelmäßig geht, aber immer zum gleichen Platz zurückkehrt, bevor er wieder aufbricht, der hat den richtigen Platz gefunden.

Wir wachsen mit unseren Aufgaben, heißt es. Wenn es nun aber eine sehr große Aufgabe ist, dann lasst uns eben ein bisschen schneller wachsen als üblich. Manchmal ist der letzte Ausweg, eben nicht durchzudrehen, sondern der Blick ins Blaue oder Grüne. Irgendwo, wo es nichts zu lesen gibt. Irgendetwas, auf das wir keinen direkten Einfluss nehmen können. Etwas, dem egal ist, was wir denken. Etwas, dem wir widerspruchslos alles sagen können.

Mich interessiert nämlich nicht so sehr, wo Du schon überall warst.

Wichtiger ist, wo Du noch hingehst.

Und warum.

Das sollte auch andere mehr interessieren.

So viele Welten und Orte, die man besuchen, so viele Menschen und Wesen, denen man begegnen möchte – und so wenig Zeit. Dennoch klagen wir nicht, sondern sind dankbar für jeden Tag. Die kostbare Lebenszeit mit Klagen zu füllen, ist eine unverzeihliche Verschwendung angesichts all der offensichtlichen und verborgenen Schönheit um uns her. Dennoch klagen sie. Sie alle. Erkenne die Kostbarkeit der guten Dinge, solange sie noch warm und hell sind. Es kommt eine Zeit der Härte und der Kälte. Dann magst Du klagen.

Immer dieses schnelle Wegkonsumieren. Es braucht keine fremd eingetrichterte Deutung. Es braucht nur endlich einmal wieder einen Geist, der sich Raum und Zeit nimmt, anstatt genervt zu fauchen, dass er sie nicht hat. Die Enge, die Eile – das sind die Illusionen. Der Akt des Zeit-Nehmens erfordert Energie und Willen. Dieses Getrieben-Sein erfordert nichts außer Schwäche und Teilnahmslosigkeit. Also: Schauen, suchen, Wirkung zulassen. Darin liegt Freiheit. Und Zeit.

Manche fallen tiefer als sie je hochfliegen konnten, manche ersetzen die Natur durch Technik, manche landen auf dem Boden der Tatsachen und erkennen, dass uns das von dem entfernt, was wir sein sollen – und deswegen können sie auf diesem Pfad nie zum Glück gelangen. So viele Wege zum fernen Ziel. Und so viele davon führen über blutige Pfade. Niemand hat gesagt, es würde leicht werden. Es muss aber auch nicht blutig werden, selbst wenn das archaisch verankert sein mag. In uns. In der Geschichte. In unserer Rezeption all dessen, was uns durch die Sinne braust. Muss nicht. Wenn wir kein Blut vergießen, gibt es keines. Es ist kein Muss.

Über die Schwelle, durch die Pforte, weiter hinaus als uns guttut. Typisch für uns. Warum springen wir, wenn wir doch die Landung fürchten? Weil es unsere Natur ist, unbequeme Pfade zu gehen. Nur das bringt uns voran. Nicht jeder Einzelne muss Pionier sein, aber die Menschheit im Ganzen darf nicht stagnieren. Und weil dies so ist, ist es gefährlich, sich immer nur auf die anderen Angehörigen der eigenen Spezies zu verlassen. Sie alle könnten abwarten und dabei den Gesamtkörper zu Eis erstarren lassen.

Das Ziel aller Reisen, vor allem der eigenen, kann man definieren, kann man erträumen, aber nicht jeder Weg führt irgendwie dorthin. Nicht von allein. Den Weg und die Reisemittel klug zu wählen, ist sicherlich die halbe Miete. Am Ende zählt vor allem eins: Dass Du deine Fähigkeiten realistisch (!) einschätzt, dass Du Kritik verstehst (!) und annimmst (!), und dass Du dann noch unbedingten Willen zeigst, mit harter (!) Arbeit (!) Deinem Ziel entgegen zugehen statt "irgendwas nebenbei" herumzupfuschen. Das gilt für Hobby, Beruf und Privatleben. Häufigste Kombination: Überschätzung des eigenen Talents, Immunität gegen Kritik, dennoch unbedingter Wille. Ergebnis: Kopf-Wand-Kopf-Wand-Kopf-Wand-Au-Au-Au. Schade für Kopf, schade für Wand, schade für alle, die zusehen und später den Kopf heilen und die Wand reparieren müssen. Nur eine gute Kombination führt heraus aus dem Schneesturm. Und nein, Realismus ist nicht das Gegenteil von Träumerei. Die Frage ist nur: Wo sollten Träume ansetzen, damit sie nicht völliger Unfug sind? Und bevor man das Mittel der Selbstisolation präferiert, sei bedacht: So schön der einsame Weg sein kann, er ist und bleibt einsam.

Manchmal liegt es nicht am fehlenden Licht. Reichlich Licht vorhanden, doch trotzdem kein Weg zu finden. Merke: Lass Dich nicht ständig blenden, sondern schau auch mal auf und sieh Dir an, wie der Wald um Dich her sich verändert. Wo ist das Licht? Wo ist der Weg? Das Gute wird dunkel, das Dunkel wird lichter – die Welt dreht sich, stellt sich auf den Kopf, und gerät an den Rand ihres Untergangs. Oder darüber hinaus. Woran soll man sich nun noch orientieren? Welche Welt? Deine? Wie lang der nächste Weg ist, und wohin er führt, bestimmt man immer noch selbst. Manchmal ist es egal, wohin man geht. Hauptsache man geht. Gehen ist schön. Wiederkommen auch.

Durch jene Gänge der alten Welt führt die Straße in eine neue. Hast Du den Mut sie zu gehen, wirst Du an unerwartete Orte gelangen. Aber sieh Dich vor – viele Kräfte wollen, dass sich nichts ändert. Sie werden Dir den Weg so beschwerlich wie möglich gestalten.

Neue Welten, neue Horizonte – oder einfach neue Orte in einer Welt, die Du zu kennen glaubtest? Wir werden sie nie richtig verstehen, wir können nur kämpfen und staunen. Oder nicht kämpfen. Das wäre friedlicher. Es gibt immer neue Wege, auch wenn alles verbaut scheint. Du gehst hinaus, folgst Deinem Weg, erreichst ein Ziel. Welcher dieser drei Abschnitte der schwierigste ist, hängt von Dir ab.

Ich sage nur, der Weg hat mehr Dornen als Blüten. Das ist alles. Aber ist er nicht trotzdem – oder gerade deshalb – wunderschön?

Gehen wir Wege durch dieses Buch. Klappern wir die Sphären des Seins ab. Wir werden vieles finden.

Die letzten Farben

Подняться наверх