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Die Hohenzollern und
ihr Schlossgespenst

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Der Grüne Hut und die Eiserne Jungfrau

500 Jahre hat sie in Cölln an der Spree gestanden, die Zwingburg der Hohenzollern, deren Geschichte im Jahre 1448 mit einer vorsätzlichen Flutung der Baugrube begann. Doch nützte aller Aufruhr den Bürgern nichts – wie so oft in der Berliner Geschichte. Kaum drei Jahre später zog der eiserne Kurfürst Friedrich II. (nicht zu verwechseln mit seinem Nachfahren, dem gleichnamigen preußischen König Friedrich II.) auf der Burg ein.

Für die Berliner blieb das Gemäuer ein schauerlicher Ort. Stand doch an der Spreeseite bis zum Abriss des Schlosses im Jahre 1950 als einziger Rest der alten Burg ein kleiner Turm mit spitzem, von Grünspan schimmerndem Kupferdach. Der Grüne Hut diente bis 1648 als Gefängnis für das angeblich heimliche Gericht der Hohenzollern, und ganz unten im Turm stand die Eiserne Jungfrau: eine Frauengestalt aus Eisen, die weitgeöffneten Arme als Schwerter ausgebildet, der Leib links und rechts mit Messern versehen. War nun jemand zum Tode verurteilt, so musste er auf eine steinerne Platte dicht vor die Jungfrau hintreten und sie küssen. Durch ein Räderwerk schlossen sich die Arme, pressten ihn gegen die Messer und zerschnitten seinen Körper. Eine Klappe öffnete sich, der zerstückelte Leichnam fiel in die Spree und diente dort den Fischen und Krebsen als Nahrung.

Die Jungfrau war wohl in Wahrheit eine aufklappbare Maschine mit Dornen zum Peinigen durch quälenden Druck, die noch 1718 im Inventarverzeichnis des Gefängnisses im Stadthof vom Magistrat aufgeführt wurde. Ob sie der Große Kurfürst, der in seinem Schloss kein Gefängnis dulden wollte, beim Umbau des Grünen Huts 1648 in die Stadtvogtei neben dem damaligen Dom umsetzen ließ, ist nicht bekannt.

Die Weiße Frau – Gräfin von Orlamünde

Noch berüchtigter als die unheimliche Eiserne Jungfrau war unter den Schaurigkeiten Berlins ein anderes weibliches Wesen, dessen Geschichte untrennbar mit dem Hohenzollernschloss verbunden ist: die Weiße Frau.

Nach älteren Quellen soll es sich bei dieser Dame um die verwitwete Gräfin Kunigunde von Orlamünde-Plassenburg gehandelt haben, die in Liebe zu dem Nürnberger Burggrafen Albrecht dem Schönen entbrannt war, der sich jedoch zurückhielt. »Gern wollt ich dem schönen Weib mich zuwenden«, soll er geäußert haben, »wenn nicht vier Augen wären« – womit er seine Eltern meinte. Die verliebte Gräfin bezog den Ausspruch auf ihre beiden Kinder und beschloss, sie zu töten, indem sie ihnen mit einer goldenen Nadel ins Hirn stach. Nach anderen Quellen beauftragte sie ihren Bediensteten Hayder mit dem Mord.

Natürlich wandte sich der Burggraf nun vollends von ihr ab und heiratete eine andere. Viel zu spät bereute die Gräfin ihr scheußliches Verbrechen, unternahm eine Pilgerfahrt nach Rom, stiftete das Kloster Himmelsthron und verbrachte dort den Rest ihrer Tage mit Bußübungen. Im nahen Kloster Himmelskron bewahrte man noch im 17. Jahrhundert die angeblichen Gebeine der beiden Kinder auf, bevor sie infolge häufigen Vorzeigens zu zerfallen drohten und in einer steinernen Truhe bestattet wurden. Kein Wunder, dass die Mörderin nicht einmal nach ihrem Tode Ruhe fand und »als weiße Frau umgehen muss, bis ihre Zeit erfüllt ist«.

Den Geist der Gräfin von O. zeichnete nach ihrem Tode eine gewisse Reiselust aus. 1486 trat sie als Weiße Frau erstmalig im alten Schloss zu Bayreuth auf und wurde zwei Jahre später in den düsteren Gängen und Gewölben der Plassenburg gesichtet. 1540 stellte der dortige Schlossherr Markgraf Albrecht Alkibiades das Gespenst und warf es die steile Wendeltreppe hinunter. Unten lag sein Kanzler Christoph Straß mit gebrochenem Genick …

Die Weiße Frau – die schöne Gießerin

Wen wundert es, dass die echte Weiße Frau daraufhin den beschwerlichen Weg nach Berlin wählte, um sich ausgerechnet im Schloss der zahlreichen Ururgroßnachkommen ihres einst Angebeteten festzusetzen? Im Cöllner Schloss ist ihr Auftreten seit 1598 bezeugt. Da allerdings war sich alle Welt einig, dass es sich nicht um die längst vergessene Gräfin von Orlamünde handelte, sondern um die schöne Gießerin Anna Sydow, Witwe des Artilleriehauptmanns und Stückgießers Matthias Dieterich aus Burgund. Sie war die langjährige Favoritin des Kurfürsten Joachim II., der sie mehr liebte »als alle seine anderen Gespielinnen, von seiner angetrauten Ehefrau gar nicht zu reden«. Sie begleitete Joachim auf allen Reisen und Jagden und spielte auch sonst gerne die Landesmutter.

Mindestens zwei Kinder gingen aus dieser Verbindung hervor. Der Tochter Magdalena von Brandenburg verlieh der Vater den Titel einer Gräfin von Arneburg und sorgte sich sehr um ihre Aussteuer.

Joachim Hektor trat 1539 entgegen seinem dem frommen und fruchtbaren Vater geleisteten feierlichen Eid zum Luthertum über. Ohnehin war ja ein Hohenzoller, Joachim Nestors Bruder Albrecht nämlich, Schuld an der Reformation. Der hatte sich bereits als 24-Jähriger zum jüngsten Erzbischof von Magdeburg und Kurfürsten von Mainz emporgekauft. Die Augsburger Fugger liehen ihm das Geld dafür. Damit er es zurückzahlen konnte, privilegierte der Papst Albrecht zum Ablasshandel, unter der Bedingung, dass die Hälfte der Einnahmen für den Bau des Petersdoms nach Rom floss. Der nicht sonderlich fromme Erzbischof holte den wegen Ehebruchs zum Tode durch Ersäufen verurteilten und vom Sachsenherzog zu ewiger Haft begnadigten Dominikaner Tetzel aus dem Grimmaischen Turm zu Leipzig und ernannte ihn zum »Untersuchungsrichter der ketzerischen Entstellungen« und zum obersten Ablasskrämer. War es ein Wunder, dass sich der Doktor Luther in Wittenberg gegen Tetzels freches Gebaren empörte und die halbe Christenheit aufschrie? Erzbischof Albrechts und Joachim Nestors Vetter Markgraf Albrecht von Hohenzollern, letzter und jüngster Hochmeister des Deutschritterordens, war 1525 der erste Herrscher, der die neue Religion in seinem eben vom Polenkönig gelehnten Herzogtum Preußen zur Staatsreligion erhob.

Joachim sorgte sich nicht nur um seine uneheliche Tochter Magdalena und um die drei Kinder der Anna Sydow aus deren erster Ehe. Mit Recht misstraute er vor allem seinem ältesten Sohn Johann Georg. Am Sonnabend nach Pfingsten 1561 ließ er diesen in Zechlin eine Urkunde ausstellen, in der Johann Georg Folgendes versicherte:

Unsre liebe getreue Anna Sydows … jederzeit schützen handhaben und vertheidigen … Wir nehmen sie samt Kindern Haab und Gütern in Unsern sonderlichen Schutz, und versprechen auch alles wie obstehet, und Wir solches Unserm Herrn und Vater mit Hand und Mund angelobet haben …

Kaum aber war der Herr und Vater nach einer Wolfsjagd in der Nacht zum 3. Januar 1571 im Jagdschloss Köpenick verblichen, ließ der wortbrüchige Sohn die Sydow verhaften, aller ihrer Güter und Kleinodien berauben und auf die Festung Spandau bringen, »wo sie bis an ihren Tod (im Jahre 1575) sehr hart gehalten worden sein soll«.

Die durch Joachims Prunksucht und Mätressenwirtschaft verarmten Landeskinder sahen darin eine durchaus gerechte Strafe. Neben dem kurfürstlichen Münzjuden Lippold war ihnen die schöne Gießerin am meisten verhasst. Auch aus der glänzenden Aussteuer der mit einem Grafen von Eberstein verlobten Tochter Magdalena wurde nichts. Johann Georg fragte seinen verkrüppelten Schreiber Andreas Kohl mit herbem Spott: »Willst du mein Schwager werden?« Der lehnte nicht ab. Nach Kohls Tod lebte die kurfürstliche Halbschwester als bürgerliche Witwe in Berlin.

Sosehr das Volk die Gießerin verabscheute, verknüpfte es ihr Schicksal dennoch mit der Sage von der Weißen Frau, »die seit Jahrhunderten im Schloss zu Cölln umgeht und sich vor jedem Todesfall in der Hohenzollern-Familie zeigt«. Zu ihrer Zeit eine berühmte Schönheit, avancierte Anna Sydow 23 Jahre nach ihrem Tode zum berühmtesten Gespenst Brandenburg-Preußens. Sie fände, so behauptete der Volksglaube, in Spandau keine Ruhe, ja, sie sei in Wahrheit im Jagdschloss Grunewald unter der Treppe eingemauert worden. Selbst in einem Privatgebäude in Charlottenburg ginge sie um. Man bemerke dort im Trauerzimmer eine sanfte Erschütterung, die silbernen Wände würden von einer unsichtbaren Macht in einer lebhaften hellgrünen Farbe erleuchtet, süße, harmonische Töne vermischten sich zu einer fröhlichen Melodie …

Die Weiße Frau war kein fürchterliches Gespenst. Lautlos schwebte sie dahin und erfüllte die ihr vom Schicksal zugedachte Aufgabe, die Todesbotin der Hohenzollern zu sein.

Zum ersten Mal zeigte sich die weiße Gestalt in Cölln 1598, acht Tage vor dem Tod des 73-jährigen Johann Georg, dem Anna Sydow ihr bitteres Ende verdankte. Kurfürst Johann Georg war der fruchtbarste aller Hohenzollernherrscher, deren 20 es auf immerhin 165 anerkannte Nachkommen brachten. Das letzte von Johann Georgs 23 Kindern wurde erst nach dem Tod des Vaters geboren.

Auch vor dem Ableben von Johann Georgs Enkel, dem abergläubischen Kurfürsten Johann Sigismund, geisterte das Gespenst herum: »Dies, der Wein und dunkle Gedanken veranlassten den Zermürbten, die Regierung seinem Ältesten zu übergeben und das bessere Jenseits aufzusuchen …«

Es half nicht, dass Johann Sigismund aus Furcht vor der Weißen Frau ins Haus seines Kämmerers Anton Freytag an der Langen Brücke zog – er hatte nur noch sechs Wochen zu leben.

Die Weiße Frau wird aktenkundig

Mit der Leichenrede des Dompredigers Berger von 1619 geriet das Gespenst in die schriftlichen Annalen des Hauses Hohenzollern:

Es hat sich die Weiße Frau in leidtragender Gestalt auf dem Churfürstlichen Schlosse sehen lassen vor Personen allerhand Standes und Alters, daß also an ihrer Erscheinung nicht zu zweifeln ist.

Aus dem 17. Jahrhundert stammen die meisten Meldungen über das Gespenst, das sich gewöhnlich ruhig und anständig benahm. Nur wenn man sie durch frechen Übermut reizte, wurde die Dame zornig. Ein hoher Kavalier erzählte, dass er bei Ihrer kurfürstlichen Durchlaucht einstmals wegen wichtiger Affären ziemlich spät im Gemach gewesen, da sei das weiße Weib in Gestalt einer Beschließerin über den Saal gegangen. Sein Page, aller Warnungen ungeachtet, sei ihr nachgelaufen und habe sie angefasst mit den Worten: »Mutter, wo wollt ihr hin?« Der Vorwitzige bekam mit dem Schlüssel einen solchen Schlag an die Ohren, dass er bewusstlos zu Boden stürzte, während das Gespenst über ihn hinwegschritt. Zitternd wagten sich die anderen hervor und trugen den Pagen in seine Kammer, wo er trotz ärztlicher Bemühungen am dritten Tag den Geist aufgab. Man darf den Satan nicht reizen, schlussfolgerten die Todesmutigen, und so flüchteten sie alle, wenn im Schloss nur entfernt etwas Weißes schimmerte.

Einem schwachen Vater folgt mitunter ein noch schwächerer Sohn: Georg Wilhelm, der nächste Kurfürst, war schon bei seiner Huldigung mit 24 Jahren ein kranker Mann, der an der hohenzollernschen Erbkrankheit litt, einer schweren Wassersucht. Er starb 1640 mit nur 45 Jahren, vermutlich vom eigenen Kanzler Schwarzenberg vergiftet. Die wahre Herrscherin in Berlin blieb bis 1625 seine harte und herrschsüchtige Mutter Anna von Preußen, die älteste der fünf Töchter des Herzogs Albrecht Friedrich der Blödsinnige. Sie brachte den ohnehin nahe verwandten Hohenzollern immerhin das spätere Königreich Preußen als Morgengabe mit. Um den Stammbaum des Hauses Hohenzollern noch unübersichtlicher zu gestalten, heiratete ihre jüngere Schwester Eleonore Johann Sigismunds Vater Joachim Friedrich, starb aber bald darauf.

Kaum fünfzig Jahre später zog eine weitere schaurige Person ins Berliner Schloss ein: die ebenso gescheite wie ehrgeizige und rachsüchtige zweite Gemahlin des blatternarbigen Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm, eine verwitwete Herzogin von Braunschweig-Lüneburg. Die Schwarze Dorothea ging wegen verschiedener unerwarteter Todesfälle und Koliken in der Herrscherfamilie – wahrscheinlich unverdientermaßen – als Giftmischerin in die Geschichte ein. Immerhin starben plötzlich und unerwartet zwei Kurprinzen, und der dritte, überraschend zum Kronprinzen aufgestiegen, hielt sich nach einer höchst unbekömmlichen Tasse Kaffee vorsichtshalber von ihr fern. Dafür stand ihm am Ende seiner Tage noch eine besonders eindrucksvolle Begegnung mit der Weißen Frau bevor.

Ein mutiger Hohenzoller

Etliche Jahre vorher wollte der Oberkämmerer und Saufkumpan des Großen Kurfürsten, Oberst Curt von Burgsdorff, ein trinkfester Mann von unbändiger Stärke, das schleierumwogte Hausgespenst endlich einmal mit eigenen Augen sehen. Er wolle ihm schon Bescheid stoßen!

Wunschgemäß begegnete ihm denn auch, nachdem er eines späten Abends den Kurfürsten zu Bette geleitet hatte, auf einer kleinen Treppe die Weiße Frau. Der erschrockene Oberst fasste sich und rief mit kerndeutsch-adligem Charme »Du alte sakramentarische Hure, du, hast du noch nicht genug Fürstenblut gesoffen? Willst du noch mehr haben?« und stürmte auf die zarte Gestalt ein. Die aber packte ihn mit unerwarteter Kraft am Kragen und warf ihn die Treppe hinunter. Der Kurfürst hörte es poltern, schickte vorsichtshalber jedoch nur den Kammerpagen hinaus, der dem zerschundenen Burgsdorff auf die Beine half. So mutig waren die Hohenzollern, wenn es darauf ankam.

Die Geschichte ist in verschiedenen Versionen und Datierungen überliefert und wird mitunter Burgsdorffs Bruder, dem Oberstallmeister Ehrenreich von Burgsdorff, zugeschrieben, der ein gleichermaßen großer Saufaus war wie Curt. Auch vor dem Dahinscheiden des Großen Kurfürsten trat die Weiße Frau in Erscheinung und zeigte sich diesmal dem Hofprediger Brunsenius gar am helllichten Tag.

Der Schiefe Fritz und die Mecklenburgische Venus

Irrtümlich wird Burgsdorffs Abenteuer gelegentlich mit dem Sohn des Großen Kurfürsten, Preußens erstem König Friedrich I., in Zusammenhang gebracht. Der Schiefe Fritz, wie er auch genannt wurde, war ein stilles, verwachsenes und dementsprechend gehemmtes Kind mit großem Kopf und auffallend großer Nase. Als Dreißigjähriger trat er 1688 die Nachfolge seines berühmten Vaters an, krönte sich dreizehn Jahre später in Königsberg selbst zum König in Preußen und starb 1713. Friedrich war ein gläubiger Fürst, er glaubte nicht nur an Geister wie die Weiße Frau.

Immerhin wurde Friedrichs Aberglaube belohnt: Brandenburg-Preußens erster König war der einzige Hohenzoller, dem die Weiße Frau vor seinem Tode nicht nur virtuell erschien – was ihn zu Tode erschreckte, hatte er ihr doch ein christliches Begräbnis ausrichten lassen. Im Jahre 1709 fand sich nämlich beim Schlossbau in den Fundamenten der früheren Burg ein eingemauertes schneeweißes weibliches Skelett, von dem Friedrich wie alle anderen glaubte, es sei das der Weißen Frau. Er ließ die Gebeine auf dem Domfriedhof beisetzen. Der süße Trost, er habe dadurch das Gespenst zur Ruhe gebracht, erfüllte sich leider nicht.

Das Unheil geschah ein Jahr nach der Geburt und Taufe seines Enkels Friedrich im Januar 1712. Dieser Friedrich, den die Welt einmal als den Großen kennenlernen sollte, war bereits der dritte Enkel, auf den Preußens erster König seine Hoffnungen setzte. Mit der Kinderpflege haperte es im Berliner Schloss offensichtlich. Der erste Thronfolger überlebte den Lärm der Kanonenschüsse bei seiner Taufe nicht, einem zweiten zerdrückte bei gleicher Gelegenheit die überschwere Goldkrone das Köpfchen. Reichlich Kummer also für den selbst von mannigfaltigen Leiden geplagten Monarchen.

Eines Nachmittags ruhte er in seinem Armsessel, als ihn eine grauenhafte Erscheinung aus dem Schlummer riss. Vor ihm stand eine hohe weiße Gestalt mit wild herabhängenden Haaren, die blutigen nackten Arme und Hände gen Himmel gereckt. Das Weib starrte ihn mit irren Augen an, aus denen der Wahnsinn glühte, und warf sich mit Zetergeheul auf ihn. Schreiend überhäufte sie ihn mit Vorwürfen über sein lasterhaftes Leben, bis ihn eine gnädige Ohnmacht erlöste.

Der Schreck, so wird berichtet, verschlimmerte die Krankheit des 55-jährigen Monarchen. Er wurde zu Bett gebracht und verließ es nicht wieder. »Ich habe die Weiße Frau gesehen, ich werde nicht wieder besser werden!«, klagte er. Seine Krankheit dauerte sechs Wochen. Er fühlte selbst, dass sie tödlich war, aber er wollte nicht glauben, dass jene grauenhafte Erscheinung niemand anderes gewesen sei als seine eigene Gemahlin Sophie Luise von Mecklenburg-Schwerin, genannt die Mecklenburgische Venus. Mit ihr war Fritz seit 1708 in dritter Ehe verheiratet. Die 24-jährige Prinzessin galt keineswegs als besonders sittenstreng, wurde angesichts ihres Ehemanns jedoch zur unerbittlichen Lutheranerin, die sich in Andächtelei vertiefte, »bis endlich über dem Grübeln ihr Verstand sich verwirrte, ihre Vernunft zerrüttet ward«. Diesmal war die Geisteskranke der Bewachung und ihren Hofdamen entkommen, durch eine geschlossene Glastür zu ihrem entsetzten Gemahl vorgedrungen und hatte ihn im wahrsten Sinn des Wortes zu Tode erschreckt.

An Friedrichs Gemahlinnen erinnern heute Stadtteile in Berlin: Zu Ehren der zweiten, Sophie Charlotte, trägt Charlottenburg seinen Namen, nach der Mecklenburgischen Venus sollte die nördliche Vorstadt Berlins Sophienvorstadt heißen. Sophie Charlottes Sohn Friedrich Wilhelm I., Preußens prügelnder Soldatenkönig, setzte durch, dass es bei der Spandauer Vorstadt blieb. Die Spandauische Kirche in der Sophienstraße aber heißt noch heute Sophienkirche.

In Sachen Weiße Frau bewies der unrühmlich bekannte Soldatenkönig allerdings einigen Realitätssinn. Er erwischte das Gespenst beim Hemdzipfel und prügelte es mit seinem Knotenstock unbarmherzig durch. Natürlich hatte er den Richtigen ertappt: einen dreisten Grenadier, der in dieser Verkleidung ungestört zu seiner Angebeteten im Flügel der Hofdamen schweben wollte.

Das Ende der Weißen Frau

Gut hundert Jahre lang blieb es still um die Weiße Frau, obwohl sie angeblich 1786, vor dem Tod des Alten Fritz, und elf Jahre später, vor dem seines Neffen Friedrich Wilhelm II., aufgetaucht sein soll. In der Franzosenzeit unternahm das patriotische Gespenst angeblich eine Tournee nach Bayreuth, wo es beinahe Napoleon erschreckt hätte. Vielleicht schon auf dem Weg dorthin erschien die Weiße Frau im Schloss von Rudolstadt dem Prinzen Louis Ferdinand am Vorabend der Schlacht von Saalfeld im Oktober 1806, in der er prompt den Tod fand.

In Berlin erinnerte man sich erst 1840, als Friedrich Wilhelm III. in seinem 43. Regierungsjahr erkrankte, des treuen Schlossgeistes und der traurigen Bedeutung des Jahres ’40 in der Geschichte der Hohenzollern: 1440, 1640 und 1740 waren die jeweils regierenden Herrscher gestorben. Nun erwischte es also Friedrich Wilhelm III., den farblos-nüchternen »zweiten Soldatenkönig«, einen mittelmäßigen, eher bürgerlichen Menschen. »Unser Dämel sitzt in Memel«, hatten die Berliner 1806 nach der Flucht des Königspaars vor Napoleon gelästert. Er wurde an der Seite der hochverehrten Königin Luise (gestorben 1819; auch nach ihr heißt ein Stadtteil in Mitte und Kreuzberg) beigesetzt. Dabei war er seit 1824 in morganatischer Ehe mit der katholischen Gräfin Auguste von Harrach verheiratet.

Von der Weißen Frau war nur noch in der Überlieferung die Rede. Bald sank auch das Schloss in Trümmer, und ein Leipziger Tischlergeselle erteilte den Befehl zum endgültigen Abriss. Ob Walter Ulbricht außer seiner Lotte ein weiteres Gespenst begegnet ist, wenn er auf der Tribüne am Spreeufer die Grüße der jubelnden Massen entgegennahm, ist nicht überliefert. In dem bei Tag und Nacht hell erleuchteten Lampenpalast war es wohl endgültig vorbei mit den guten wie den bösen Geistern, spätestens die Asbestsanierung haben sie nicht überlebt.

Die Keller auf dem Schlossplatz wurden ausgegraben, doch man fand weder die vermissten Sarkophage der ersten Hohenzollern noch eine Spur der Weißen Frau. Selbst in den noch vorhandenen Tropfsteingewölben unter dem einstigen Kaiser-Wilhelm-Denkmal am Spreekanal mag es unheimlich sein – Hohenzollern-Gespenster gehen dort nicht um. Und welcher Geist hinter der Schlossfassaden-Kopie im Humboldtforum herrschen wird, muss sich erst erweisen.

Schaurige Geschichten aus Berlin

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