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MORD AN DER HUNDEKEHLE

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HANNA UND BRUNO kennen sich seit einem Jahr. Bruno Lietz, der noch zu Hause bei Muttern in SO 36 wohnt, hat Maurer gelernt und Arbeit bei einer Firma gefunden, die in Karlshorst eine Pionierschule errichtet. Hanna, eine rotblonde Schönheit mit aufregenden Beinen, war ihm ein paar Mal morgens in der S-Bahn begegnet, bis ihre Blicke ihm genug Mut eingeflößt hatten, sie anzusprechen. Seitdem fahren sie jeden Morgen gemeinsam mit der S-Bahn, wobei Bruno gerne einen Umweg in Kauf nimmt, um schon an der Jannowitzbrücke zu ihr in den verabredeten Wagen zu steigen und nicht erst an der Warschauer Brücke. Hanna wohnt am Hackeschen Markt und arbeitet in der Eisfabrik in Rummelsburg. Wenn Bruno sie an sich drückt, hat er eher das Gefühl, er wärme sich an einem Backofen, aber das kann auch daran liegen, dass er für sie glüht.

Hanna ist neunzehn, Bruno zwei Jahre älter. Jeden Tag muss er damit rechnen, dass ihn die Wehrmacht einzieht und er seine Hanna nicht mehr regelmäßig sehen kann. Sein Chef versucht, ihn zu beruhigen: «Wir bauen hier fürs Militär, da wird jede Hand gebraucht.»

Über Ostern hatten sie eigentlich wegfahren wollen, irgendwohin aufs Land, wo man in einem Heuschober übernachten konnte, doch das kalte Wetter hat ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Nun sind sie am Sonntag zur Wassersportausstellung am Funkturm gefahren und haben sich am Abend mit Hannas Freundin Edith und deren Verlobten Erwin getroffen, um gemeinsam etwas zu unternehmen. Erwin, der in Charlottenburg zu Hause ist, hat zum Entzücken der Mädchen vorgeschlagen, in der Waldschenke am Bahnhof Grunewald tanzen zu gehen. Bruno musste notgedrungen zustimmen, obwohl er alles andere als ein begnadeter Tänzer ist.

Die Stimmung im Bahnhofsrestaurant ist ausgelassen, nur die Musik könnte nach Erwins und der Mädchen Geschmack etwas weniger altdeutsch sein. Bruno ist das einerlei, solange er seine Hanna fest an sich pressen und mit den Händen tief über ihre Rückenpartie fahren kann. In dem Gewimmel auf der Tanzfläche fällt das kaum auf, zumal wohl die meisten Pärchen auf das Gleiche aus sind, egal ob Rheinländer, Schmalztango oder Foxtrott gespielt werden.

Viel zu früh kündigt Berthold Wurzbacher, der Wirt, den letzten Tanz an. Sperrstunde, da kennt die Polizei auch hier draußen keinen Spaß. Beamte laufen genug herum, die meisten in Zivil. Dass im Grunewald keine Holzauktion stattfindet, sondern die Räuber umgehen, weiß jeder.

«Die sollen mal kommen!», sagt Bruno lachend und spannt die kräftigen Schultern. Er hat keine Angst vor Räubern, schon gar nicht nach den fünf, sechs Bier, die er intus hat.

Der Alkohol verleiht auch dem schmalschultrigen Erwin Mut.

«Ich denke, die sind jetzt abgehauen in den Osten», meint er. «Jedenfalls werden die wohl kaum jemanden direkt hier an der S-Bahn überfallen.»

Der Meinung sind auch die Mädchen. Dass man den angebrochenen Abend noch nutzen muss, ist ausgemachte Sache.

Die Auerbachstraße mündet nach kaum hundert Metern in den Uferweg am Hundekehlensee. Links liegen die Tennisplätze, am Ufer stehen Bänke, und so kalt ist es nun auch wieder nicht. Bruno lässt sich auf die nächste Bank fallen und zieht Hanna auf seinen Schoß. Vom Wasser her weht es kühl, doch das spüren sie nicht.

Edith und Erwin sind ein Stück weitergegangen und hinter den Uferbüschen verschwunden, da nähert sich von der Auerbachstraße eine dunkel gekleidete Gestalt. Bruno und Hanna sind viel zu beschäftigt miteinander, um sie wahrzunehmen. Erst als der Mann direkt vor ihnen steht und ihnen der Taschenlampenstrahl in die Augen sticht, reagiert Bruno.

«Mach die Funzel aus, aber dalli!», murrt er und schiebt sicherheitshalber Hanna von seinem Schoß.

«Halt’s Maul! Geld her, oder es kracht!» Tatsächlich zeigt der Kerl im Lampenschein eine Pistole.

Bruno ist nicht bei jeder Gelegenheit der Schnellste. Diesmal jedoch fährt er sofort hoch und stürzt sich auf den Mann. Der ist etwas kleiner als er und hat die Schirmmütze tief ins Gesicht gezogen. Mit dem werde ich allemal fertig, denkt Bruno. Bis ein Schuss kracht.

Hanna schreit laut auf.

«Hau ab!», ruft Bruno ihr zu. «Hol die Polizei!»

Hanna verschwindet in der Dunkelheit.

Bruno holt zu einem neuen Schlag gegen den Räuber aus, da knallt es ein zweites Mal. Er sinkt zu Boden. Dass der heimtückische Schütze seine Taschen durchwühlt, spürt er nicht mehr.

Zwei Minuten später hat der düstere Wald den Mann verschluckt. Er kennt sich hier aus. Der Kleine Stern, wo die Spandauer Straße auf die verlängerte Koenigsallee trifft und sich mit dem Weg von Paulsborn zum Großen Stern kreuzt, ist nur einen Kilometer entfernt. Aber dahin will er nicht. Allzu oft haben sie dort Beute gemacht. Da liegen die Bullen auf der Lauer. Der Mann zieht die Mütze vom Kopf, wickelt das Portemonnaie und die Pistole darin ein. Das Päckchen muss er loswerden, dazu die übergezogene Arbeitskleidung. Ihm bleibt nicht viel Zeit. Das Mädel braucht zum Bahnhof nur Minuten, dort gibt es eine Telefonzelle. In zehn Minuten werden die Grünen ausschwärmen wie die Hornissen.

Wie immer hat er an alles gedacht. Unter einer Baumwurzel ist ein Versteck vorbereitet. Hunde könnten ihm gefährlich werden. Also hat er Pfeffer verstreut. Jetzt muss er nur noch ungesehen die Bahngleise kreuzen und dann die Avus und den Königsweg.

Auf der anderen Seite liegen die Sportplätze der Berliner Hochschulen, da könnte er sich über Nacht einquartieren, wäre heute nicht ein Feiertag, an dem möglicherweise Studenten dort feiern oder nächtigen. Er muss weiter in Richtung Teufelssee und Heerstraße. Da wird ihn keiner vermuten. Er ist gut zu Fuß, und der nächtliche Wald schreckt ihn nicht.

Als er auf der Westseite von Avus und Koblenzer Bahn zwischen den Stämmen verschwindet, grient er vor sich hin. Mal sehen, ob am Dienstag was in der Zeitung steht. Max wird staunen, die alte Pfeife. Ohne ihn ist der ein Nichts. Dem geht bei jedem Ding der Arsch auf Grundeis, und der Polizeiwagen in Friedrichshagen hat ihm den Rest verpasst. Er hört ihn schon jammern: Du hast einen Polizisten erschossen. Und jetzt vielleicht noch einen jungen Burschen. Das wird uns den Kopf kosten!

Dazu müssen sie uns erst mal kriegen, wird er antworten. Das haben die in zweieinhalb Jahren nämlich nicht geschafft! Der junge Kerl hätte sich ja nicht wehren müssen. Hätte er sich vielleicht von dem verhauen lassen sollen? Und der Polizist? Was hätte der gesagt, wenn er in der Ledertasche nur Lumpen gefunden hätte?

Dabei war der Plan perfekt gewesen. Kam ein Lieferwagen, wollte er die Geldtasche einfach auf die Straße legen, so als hätte sie jemand verloren. Hielt die Karre, war das Übrige ein Kinderspiel, selbst für einen einzelnen Mann. Abschließend ein Schuss in die Reifen - und weg in den Wald. Er hätte die Kleidung und das Zeug vergraben und wäre irgendwo harmlos in die nächste Straßenbahn gestiegen.

Angefangen hatte alles eher wie ein Spaß. Dass sich allabendlich ein paar reiche Säcke mit ihren Damen rund um den Kleinen Stern sammelten, um sich in ihren Autos zu verlustierten, war ihnen durch Zufall aufgefallen. Beim ersten Mal waren sie dorthin gefahren, um die Sache auszubaldowern, dann hatten sie gleich viermal Erfolg gehabt. Nur einer war getürmt. Die anderen hatten freiwillig gezahlt, die meisten wahrscheinlich nicht mal Anzeige erstattet.

«Ich habe mir Ihre Adresse auf dem Führerschein gemerkt. Ihre Frau wird sich freuen, wenn Sie erfährt, dass Sie …»

Das genügte als Drohung. Nur sind die Kerle mit der Zeit widerspenstiger geworden. Manche behaupten, kein Geld bei sich zu haben, wehren sich oder veranstalten irgendein Theater. Gleich beim ersten Mal hatte eine Frau die ganze Zeit über gehupt und rumgeschrien, bis Max sie auf die friedliche Art zur Ruhe brachte. Die meisten hatten einfach Schiss, wenn sie die Waffe sahen. Ein paar Mal hatten sie erfolglos wieder abziehen müssen, weil es so verdammt nach Polente roch, dass Max sich fast in die Hosen schiss. In einem Auto saßen mal zwei, von denen die angebliche Frau todsicher ein verkleideter Bulle war.

Da war ihm die Idee mit den Bäumen und später mit den Drahtseilen gekommen. Die Bäume anzusägen und im passenden Augenblick per Wäscheleine zum Umkippen zu bringen, wollte gekonnt sein. Die Autos steckten jedenfalls fest. Am besten waren Lieferwagen, die mit Geld in die Stadt zurückfuhren. Oder welche, die Zigaretten ausfuhren. Allerdings mussten sie dazu das Revier wechseln. Im Westen war auf der Avus oder auf der Heerstraße viel zu viel los, um ungestört zu arbeiten. Im Osten dagegen führten beinahe alle Ausfallstraßen durch Wälder. Im Sommer ließ sich das alles per Fahrrad gut erkunden, und die Bahnverbindungen, um wieder nach Hause zu kommen, waren auch nicht schlecht.

Doch für eine echte Autofalle braucht er Max. Und der kneift im Augenblick. Wahrscheinlich steckt seine Frau dahinter, die neigt zu ulkigen Anwandlungen von Ehrsamkeit.

Er selbst bleibt lieber solo. Bloß keinen noch so hübschen Klotz am Bein, der alles besser weiß und vielleicht noch Rechenschaft über jede Minute und jede Mark fordert. Das ist nichts für ihn. Wenn er eine braucht, dann findet er sie, auf ein paar Mark kommt es ihm dabei nicht an. Solange der Ofen eben raucht. Er ist gespannt, für wie viel Mark der Bursche am Hundekehlensee sich auf einen aussichtslosen Kampf eingelassen hat. Das wird er erst in einigen Tagen erfahren, wenn es in der Gegend wieder ruhiger geworden ist. Vielleicht steht es ja in der Zeitung.

Dem müde wirkenden jungen Mann, der am Ostermontag morgens gegen halb sechs in Pichelsberg in die S-Bahn steigt, sieht keiner an, dass er in der Nacht quer durch den Grunewald marschiert ist. Und dass er vorher kaltblütig den Maurer Bruno Lietz niedergeschossen hat, der im Martin-Luther-Krankenhaus mit dem Tode ringt, schon gar nicht.

In der Falle

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