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KAPITEL 3 Die Sprache Kanaans?

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Die Reflexion des Christentums über seine eigene Sprache ist uralt. Schon die frühen Christen haben sich gefragt, ob dieses und jenes griechische Wort nun passend ist, wenn sie ihren Glauben zu beschreiben suchten. Selbst große Philosophen wie Immanuel Kant haben sich mit der Frage auseinandergesetzt, wie eine religiöse Sprache angesichts der neuen Entwicklungen in der Philosophie aussehen könnte. Sprachkritik in der Kirche ist also nichts Neues – und sicherlich wäre es falsch zu behaupten, früher habe die kirchliche Sprache immer gepasst, heute funktioniere sie dagegen überhaupt nicht mehr.

Jemand, der das beurteilen kann, ist der Liturgiewissenschaftler und Homiletiker („Homiletik“ = Predigtlehre) Alexander Deeg von der Universität Leipzig. Er erklärt, er sei zunehmend skeptisch bei jeder dichotomen Gegenüberstellung, wonach die kirchliche Rede gegenwärtig problematisch sei – und deshalb grundlegend verändert werden müsse. „Es gab immer wieder ganz wunderbare, berührende, ernste und direkte kirchliche Rede – und schon immer das, was man kennt: eine kirchliche Floskelhaftigkeit, eine Langeweile oder das Verstecken des Redenden hinter der Übermacht der Konvention.“

Die Kritik an der kirchlichen Sprache kommt über die Jahrzehnte immer wieder hoch, sie ist permanent in der Kirche, manche nennen sie sogar zyklisch. Die kirchliche Sprache steht dabei in jedem Zeitalter in der Gefahr, in erprobten Redeweisen zu verharren, in Gewohnheiten zu ersticken, weil man sich hinter Konventionalitäten und Begrifflichkeiten gut verstecken kann. Schon der Theologe Friedrich Niebergall schrieb 1909 in seinem Buch „Wie predigen wir dem modernen Menschen?“ ein Kapitel mit dem bezeichnenden Titel „Der Kirchenschlaf“. Darin warnt er davor, die Predigt dürfe keine reine Geräuschkulisse sein, kein inhaltsleeres semantisches Rauschen – und Niebergall findet für dieses Scheitern des Predigers einen schönen Ausdruck: „Es predigt.“

Für dieses fromme Gerede ohne Inhalt beziehungsweise eine in sich abgeschlossene kirchliche Sprache gerade in der Predigt wird heute häufig abschätzig der Ausdruck „Die Sprache Kanaans“ genutzt. Das ist etwas boshaft, denn ursprünglich war der Ausdruck „Sprache Kanaans“ gar nicht so negativ gemeint. Er ist wahrscheinlich dem Buch Jesaja im Alten Testament entlehnt, wo es im 19. Kapitel (Vers 18) heißt: „Zu der Zeit werden fünf Städte in Ägyptenland die Sprache Kanaans sprechen …“

Die „Sprache Kanaans“ wurde vor allem in den vergangenen Zeiten der noch unbestrittenen Volkskirchen genutzt, als man üblicherweise einfach Mitglied einer Kirche war und der Prozentsatz der Nicht-Christen in der Gesellschaft im einstelligen Prozentbereich zu verorten war. In einer solchen Situation wurde die „Sprache Kanaans“ einigermaßen verstanden – oder auch nur in Kauf genommen, da sie das erwünschte Gefühl evozierte, gerade bei der Predigt im Gottesdienst.

Wer heute im Raum der Kirche dagegen sagt, da nutze jemand die „Sprache Kanaans“, meint das eher negativ, bestenfalls selbstironisch, denn hier gebraucht jemand demnach alte Wörter, die kaum noch einer versteht. Der große evangelische Theologe Fulbert Steffensky beschreibt die „Sprache Kanaans“ als eine „nicht aufgeschlüsselte Sprache“, bei der zum Beispiel über zentrale Worte des Christentums wie Gnade und Schuld in einem völlig abstrakten Sinne geredet werde. Es sei ein „innerkirchliches Geklingel“. Steffensky vergleicht die „Sprache Kanaans“ mit der biblischen „Zungenrede“, die Paulus im 1. Korintherbrief nicht nur positiv wertet, wenn er sagt: „Wer in Zungen redet, erbaut sich selbst.“

Sowohl im Vokabular wie im Satzbau ist die „Sprache Kanaans“ noch heute geprägt von der Bibel, die gerade in pietistisch-evangelikalen Kreisen eine überaus große Rolle im Alltag und in der Verkündigung spielt. Recht typisch für diesen Duktus war zuletzt die Rücktrittserklärung des sächsischen Landesbischofs Carsten Rentzing Mitte Oktober 2019, der über frühere Veröffentlichungen in rechtskonservativen Publikationen gestolpert war. Seine Erklärung endete mit den Worten: „Lassen Sie sich an die Worte Jesu erinnern: ‚Ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die Du mir gegeben hast, damit sie eins seien wie wir eins sind.‘ (Johannes 17,22).“

Die „Sprache Kanaans“ lässt sich leicht karikieren – und es ist sicherlich kein Zufall, dass es einen Wikipedia-Eintrag gibt, der mit ganz sanfter Ironie etwa diese schönen Formulierungen der „Sprache Kanaans“ zitiert: „Als ich noch in der Welt war …“ für: „Bevor ich Christ wurde …“ oder „Ich habe keine Freudigkeit.“ für: „Ich habe keine Lust.“ Weiter: „Beuget eure Herzensknie“ für „Seid demütig“ und „Mir ist ein Wort groß geworden.“ für „Mich hat ein Bibelvers beeindruckt.“ Der in evangelikalen Kreisen sehr bewanderte Journalist Andreas Malessa hat, wie erwähnt, schon 1992 über diese „Sprache Kanaans“ in besonders frommen christlichen Kreisen ein Buch veröffentlicht, das er 2002 noch einmal überarbeitet und erweitert unter dem Titel „Das fromm-deutsche Wörterbuch“ herausgegeben hat.

Doch Vorsicht! Das heißt natürlich nicht, dass alle alten Wörter der Kirche wie „Gnade“ oder „Sünde“ an sich schon zu einer veralteten „Sprache Kanaans“ gehören. Es ist schlicht falsch, mit Verweis auf diese angebliche „Sprache Kanaans“ auf Wörter wie „Gnade“, „Amen“ oder gar „Gott“ zu verzichten und stattdessen nach neuen Wörter zu suchen, die dann aber häufig nicht passen – etwa „spirituelle Energie“ für Gott. Aber viele Theologinnen und Theologen räumen gleichwohl die Schwierigkeit ein, dass man heute sehr basal biblische Begriffe oder Bilder erklären muss, also zum Beispiel: Was heißt Gnade? Was heißt Rechtfertigung? Was bedeutet Amen? Was ist ein Gebet? Petra Bahr mahnt: „Die Verwahrlosung kirchlichen Sprechens liegt gerade nicht an den großen biblischen Texten, sondern da, wo man versucht, es besser, anders, cooler oder moderner zu machen.“

Eine weitere Tücke der vor allem protestantischen Färbung der „Sprache Kanaans“, die in Reinform nur noch selten vorkommt, liegt nach den Worten von Alexander Deeg in der Forderung: „Man kann nicht anders von Gott reden als in existenzieller Betroffenheit.“ Die Sprache theologischer Richtigkeit und großer Sätze, die heute oft als „Sprache Kanaans“ kritisiert wird, hat früher vor allem behauptend von Gott gesprochen. Das waren dann Sätze wie „Gott ist der, der als Schöpfer in dieser Welt da ist.“ oder „Gott hat seinen Sohn Jesus Christus gesandt, der die Erlösung bewirkt“. Diese Sprache beziehungsweise diese Formulierungen sprechen aber immer weniger Menschen an, weil sie eine theologische Vorprägung, ja vielleicht sogar eine christliche Sozialisation voraussetzen, ohne die diese Worte eher unverständlich bleiben, eben eine „Sprache Kanaans“, die schon vergangen ist. „Und diese großen Sätze waren oft ja auch ohne existenzielle Verankerung“, meint Deeg.

Das alles ist so neu nicht. Kluge Beobachterinnen und Beobachter haben die kirchliche Sprache schon in früheren Jahrzehnten und Jahrhunderten immer wieder kritisiert, auch mit Verweis auf eine verschlossene „Sprache Kanaans“. Aber womöglich musste erst das Modell der Volkskirche an sein Ende kommen, mussten also die Christinnen und Christen in der Gesellschaft in die Minderheitenposition rutschen, ehe erkannt werden konnte, dass die „Sprache Kanaans“ kaum jemanden mehr erreicht. „Vielleicht merken wir heute erst, was los war“, meint Fulbert Steffensky, und das sei doch relativ neu. „Haben wir eigentlich über uns selbst nachdenken können – über uns selbst außerhalb des Systems?“ Es fehle der kirchlichen Sprache eben oft die Verankerung im Leben: „Wenn ich Sünde sage, folgt auf dem Fuß Verzeihung“, sagt er – und ergänzt: „Da reibt man sich an nichts mehr, das passt auch immer – das ist das Gefährliche. Sprachen, die keine Herkunft mehr haben, die nicht mehr aus dem Dreck des Alltags kommen.“

Der kirchlichen Sprache und der „Sprache Kanaans“ im Besonderen fehlt es meist an Leben, sie hat häufig etwas Unsinnliches, vielleicht auch, weil die Sprechenden selbst zu wenig Leben selbst erlebt haben – oder sich nicht trauen, genau das erzählen. Es fehlt dieser Sprache oft der Hinweis, dass es auch im Gottesdienst, auch im Kleid einer alten, kirchlichen Sprache, um die heutige, um die eigene Existenz geht, also um das Leben und Überleben im Heute, in Gefährdung, Armut und Krankheit.

Die „Sprache Kanaans“ ist also ein kirchlicher Teil-Duktus, der einst womöglich seine Funktion hatte, aber seitdem erstarrt ist und seinen Charme und seine Kraft heute kaum mehr entfalten kann. Der Münsteraner katholische Dogmatiker Michael Seewald weitet die schon genannte Ambivalenz, mit der Paulus das Zungenreden betrachtete, auf die heutige kirchliche Sprache aus: „Man könnte sie mit ‚In Zungen sprechen‘ beschreiben, was ja eine ambivalente Bedeutung hat – nach biblischem Vorbild ist das eine charismatische Rede, aber auch etwas Unverständliches.“

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